„Die Kirche muß eine neue Form annehmen“ – Kardinal Kasper über die Kirche der Zukunft


Kardinal Walter Kasper fordert "neue Form" für die Kirche
Kardinal Walter Kasper fordert "neue Form" für die Kirche

(Rom) Radio Vati­kan – Ita­lie­ni­sche Sek­ti­on ver­öf­fent­lich­te ein Inter­view mit Kar­di­nal Wal­ter Kas­per über das bevor­ste­hen­de Hei­li­ge Jahr der Barm­her­zig­keit. Von einer „Fort­set­zung der Dis­kre­di­tie­rungs­kam­pa­gne gegen die Kir­che“ spricht hin­ge­gen Secre­tum Meum Mihi.

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Der Kar­di­nal kon­stru­ie­re einen Gegen­satz zwi­schen einer Kir­che seit dem 13. März 2013 und einer Kir­che vor dem 13. März 2013. Er adap­tie­re dazu eine Metho­de, Gegen­sät­ze zu schü­ren, die bereits die Nach­kon­zils­zeit präg­te, als die Kir­chen­ge­schich­te in eine „hel­le, neue Ära“ nach dem Kon­zil einer „dunk­len, über­wun­de­nen Ära“ vor dem Kon­zil gegen­über­ge­stellt wur­de, „und alles vor­her für schlecht erklärt und dem Ver­ges­sen über­ant­wor­tet wur­de“. Kar­di­nal Kas­per, der ehe­ma­li­ge Vor­sit­zen­de des Päpst­li­chen Rates zur För­de­rung der Ein­heit der Chri­sten, drück­te es so aus: „Es ist ein schwer­wie­gen­der Skan­dal, daß die Kir­che heu­te von vie­len als unbarm­her­zig betrach­tet wird“.

Das Inter­view führ­te Fabio Cola­gran­de. Anlaß war, daß Papst Fran­zis­kus dem deut­schen Kar­di­nal ver­gan­ge­ne Woche in einem Inter­view für die Wochen­zei­tung Cre­de­re erneut die „Urhe­ber­schaft“ für den Schwer­punkt „Barm­her­zig­keit“ sei­nes Pon­ti­fi­kats zuge­schrie­ben hat­te („Die Revo­lu­ti­on von heu­te ist die Zärt­lich­keit“ – Inter­view von Papst Fran­zis­kus zum Jubel­jahr).

Kasper: Jubeljahr der Barmherzigkeit für eine Kirche der offenen Türen

Kar­di­nal Kas­per: Ich den­ke, daß Papst Fran­zis­kus die aktu­el­le Situa­ti­on betrach­tet hat, und in der Welt von heu­te haben wir wirk­lich gro­ßen Bedarf an Barm­her­zig­keit, an neu­em Schwung, an einem Neu­be­ginn: Wir kön­nen nicht so wei­ter­ma­chen wie bis­her. Wir müs­sen uns gegen­sei­tig ver­ge­ben, die einen den ande­ren und vor allem bedür­fen wir der Ver­ge­bung Got­tes und der Barm­her­zig­keit Got­tes. Wir alle sind Sün­der, aber wir müs­sen von vor­ne neu begin­nen und ich den­ke, daß die Initia­ti­ve des Pap­stes, ein Hei­li­ges Jahr der Barm­her­zig­keit anzu­kün­di­gen, wirk­lich eine pro­phe­ti­sche Hand­lung war, die dem Bedürf­nis unse­rer Zeit entspricht.

In der Ankün­di­gungs­bul­le erklär­te der Papst, daß die Kir­che viel an Glaub­wür­dig­keit ver­lo­ren hat, weil sie es nicht ver­stan­den hat, die Barm­her­zig­keit zu praktizieren …

Kar­di­nal Kas­per: Wir haben oft von einem Gott gespro­chen, der straft oder von einem Gott der droht, einem Gott der Rache. Das alles ist auch im Alten Testa­ment, das gibt es aber nicht bei Jesus; und wir müs­sen von Jesus aus­ge­hen, der das Gesicht Got­tes ist, das Gesicht eines barm­her­zi­gen Got­tes und des­halb müs­sen wir auf eine neue Wei­se von einem Gott spre­chen, der annimmt, von einem Gott, der zuhört, von einem Gott, der das Elend des Men­schen sieht, der uns beglei­tet. Und ich den­ke, daß die­ser Gott wirk­lich eine neue Attrak­ti­vi­tät für den Men­schen von heu­te haben kann.

Kardinal Kasper, der "Theologe des Papstes" und "Urheber" der "neuen Barmherzigkeit"
Kar­di­nal Kas­per, der „Theo­lo­ge des Pap­stes“ und „Urhe­ber“ der „neu­en Barmherzigkeit“

Sie haben einen sehr schö­nen Aus­druck gebracht: „Die Mystik der Barm­her­zig­keit ist die Mystik der offe­nen Augen“: Was heißt das?

Kar­di­nal Kas­per: Das will sagen: offe­ne Augen um das Elend des ande­ren zu sehen, für die Bedürf­nis­se, die heu­te sich schnell ändern; offe­ne Augen, um im ande­ren das Gesicht Jesu Chri­sti zu sehen, der gesagt hat: „Was ihr einem ande­ren getan habt, das habt ihr mir getan“. Die­se offe­nen Augen sind daher eine wirk­lich neue oder erneu­er­te Mystik: es ist die Mystik des Guten Sama­ri­ters und Papst Paul VI. hat nicht zufäl­lig am Ende des Kon­zils gesagt: „Die Spi­ri­tua­li­tät des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils ist die des Guten Samariters“.

Könn­te man also sagen, daß es ohne Barm­her­zig­keit kei­ne Zukunft gibt?

Kar­di­nal Kas­per: Ohne Barm­her­zig­keit blei­ben wir immer im Kreis­lauf der Rache und der Unge­rech­tig­kei­ten. Wir müs­sen hin­ge­gen „Schluß“ sagen, von vor­ne begin­nen, gemein­sam: Wir haben nur eine Zukunft, wenn wir geeint sind. Wir wer­den kei­ne Zukunft haben, wenn einer gegen den ande­ren sein wird. Des­halb ist die Barm­her­zig­keit auch die Kraft, die uns in die Zukunft führt, und zugleich ist sie ein Geschenk Got­tes, weil es eine gewis­se „Nobles­se“ braucht, um die Barm­her­zig­keit anzu­wen­den: Das ist ein Geschenk Got­tes, ein Geschenk für die Zukunft der Welt von heute.

Kann die Barm­her­zig­keit, aus ekkle­sio­lo­gi­scher Sicht, ein Ele­ment sein, um der Kir­che eine neue Form zu geben?

Kar­di­nal Kas­per: Ja, die Kir­che ist Zei­chen und Instru­ment der Gna­de und auch der Barm­her­zig­keit Got­tes. Sie kann aber nur Zei­chen und Instru­ment der Barm­her­zig­keit sein, wenn sie durch die Barm­her­zig­keit geformt ist. Und ich den­ke, daß es ein gro­ßes Skan­dal ist, daß die Kir­che von vie­len, außer­halb von ihr, als unbarm­her­zig betrach­tet wird. Die­sen Aspekt muß die Kir­che ändern, sie muß – wie der Papst sagt – eine Kir­che der offe­nen Türen und der offe­nen Fen­ster wer­den, eine Kir­che, die hin­aus­geht an die Rän­der, und nicht eine geschlos­se­ne Festung.

Einleitung/​Übersetzung: Giu­sep­pe Nardi
Bild: MiL

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