Pharisäer und Sadduzäer unserer Zeit


Jesus vor den Pharisäen und Sadduzäern
Pha­ri­sä­er und Sad­du­zä­er lehn­ten Jesus ab

von Rober­to de Mattei*

Anzei­ge

Kri­tik an den „Pha­ri­sä­ern“ fin­det sich häu­fig in den Wor­ten von Papst Fran­zis­kus. In zahl­rei­chen Reden zwi­schen 2013 und 2015 hat er von der „Krank­heit der Pha­ri­sä­er“ (7. Sep­tem­ber 2013) gespro­chen, „die Jesus vor­war­fen, den Sab­bat nicht zu ach­ten“ (1. April 2014), von der „Ver­su­chung der Selbst­ge­nüg­sam­keit und des Kle­ri­ka­lis­mus, jenes Kodi­fi­zie­ren des Glau­bens in Regeln und Anwei­sun­gen, wie die Schrift­ge­lehr­ten, die Pha­ri­sä­er und die Rechts­ge­lehr­ten der Zeit Jesu“ (19. Sep­tem­ber 2014). Beim Ange­lus vom 30. August 2015 sag­te er: „Wie damals für die Pha­ri­sä­er besteht auch unter uns die Gefahr, uns für in Ord­nung, oder schlim­mer: für bes­ser als die ande­ren allein auf­grund der Tat­sa­che zu hal­ten, daß wir die Regeln, die Bräu­che beach­ten, auch wenn wir den Näch­sten nicht lie­ben, har­ten Her­zens sind, stolz und hoch­mü­tig.“ Am 8. Novem­ber 2015 stell­te er die Hal­tung der Schrift­ge­lehr­ten und der Pha­ri­sä­er, die auf „Exklu­si­on“ grün­det, der Jesu gegen­über, die auf „Inklu­si­on“ grün­det. Der Ver­weis auf die Pha­ri­sä­er ist eben­so offen­sicht­lich in der Rede, mit der der Papst am ver­gan­ge­nen 24. Okto­ber die XIV. Ordent­li­che Syn­ode über die Fami­lie abschloß. Wer sonst sind die „ver­schlos­se­nen Her­zen, die sich oft sogar hin­ter den Leh­ren der Kir­che oder hin­ter den guten Absich­ten ver­stecken, um sich auf den Stuhl des Mose zu set­zen und – manch­mal von oben her­ab und mit Ober­fläch­lich­keit – über die schwie­ri­gen Fäl­le und die ver­letz­ten Fami­li­en zu rich­ten“, wenn nicht „die Pha­ri­sä­er, die die Reli­gi­on zu einer unend­li­chen Ket­te von Gebo­ten mach­ten“ (26. Juni 2014)? Pha­ri­sä­er scheint jeder zu sein, der mit eigen­sin­ni­gem Stolz die Exi­stenz von abso­lu­ten und unum­stöß­li­chen Gebo­ten, Geset­zen, Regeln der Kir­che verteidigt.

Wer waren die Pharisäer aber wirklich?

Wer waren die Pha­ri­sä­er aber wirk­lich? Als Jesus sei­ne Lehr­jah­re begann, unter­teil­te sich die jüdi­sche Welt in ver­schie­de­ne Strö­mun­gen, von denen uns die Evan­ge­li­en berich­ten und, unter den Histo­ri­kern, Fla­vi­us Jose­phus (3 –100 n.Chr.) in sei­nen Wer­ken „Jüdi­sche Alter­tü­mer“ und „Geschich­te des jüdi­schen Krie­ges“. Die Haupt­sek­ten waren jene der Pha­ri­sä­er und der Sad­du­zä­er. Die Pha­ri­sä­er beach­te­ten bis in die Details die reli­giö­sen Vor­schrif­ten, hat­ten aber den Geist der Wahr­heit ver­lo­ren. Sie waren über­heb­li­che Män­ner, die die Pro­phe­zei­un­gen über den Mes­si­as fälsch­ten und das Gött­li­che Recht nach ihren Mei­nun­gen aus­leg­ten. Die Sad­du­zä­er lehr­ten noch schwer­wie­gen­de­re Irr­tü­mer. Sie bezwei­fel­ten die Unsterb­lich­keit der See­le und lehn­ten den Groß­teil der Hei­li­gen Schrif­ten ab. Bei­de strit­ten um die Macht im Syn­he­dri­on, der, als Jesus ver­ur­teilt wur­de, von den Sad­du­zä­ern geführt wurde.

Die Sad­du­zä­er wer­den ein­mal von Mar­kus und drei­mal von Mat­thä­us erwähnt, wäh­rend die Pha­ri­sä­er wie­der­holt in den Evan­ge­li­en des Mar­kus und des Mat­thä­us vor­kom­men. Das Kapi­tel 23 des hei­li­gen Mat­thä­us im Beson­de­ren ist eine offe­ne Ankla­ge gegen sie: „Weh euch, ihr Schrift­ge­lehr­ten und Pha­ri­sä­er, ihr Heuch­ler! Ihr gebt den Zehn­ten von Min­ze, Anis und Küm­mel und laßt das Wich­tig­ste im Gesetz außer acht: Gerech­tig­keit, Barm­her­zig­keit und Treue. Man muß das eine tun, ohne das ande­re zu lassen.“

Die Heiligen Thomas von Aquin, Augustinus und Bonaventura über die Pharisäer

Der hei­li­ge Tho­mas von Aquin erklärt in sei­nem Kom­men­tar zu die­ser Stel­le von Mat­thä­us, daß die Pha­ri­sä­er vom Herrn nicht geta­delt wur­den, weil sie den Zehnt bezahl­ten, „son­dern nur weil sie Grö­ße­res, die gei­sti­gen Gebo­te gering­schätz­ten. Doch in der Pra­xis [den Zehnt abzu­lie­fern] scheint er sie zu loben, indem er sagt: ‚Die­se Din­ge soll man tun‘ (Haec opor­tuit face­re) gemäß dem Gesetz, wie Chr­i­so­sto­mos hin­zu­fügt (Sum­ma Theo­lo­gi­ca, II-IIae, q. 87, a. 2 ad 3).

Der hei­li­ge Augu­sti­nus sag­te unter Bezug auf den Pha­ri­sä­er, von dem der hei­li­ge Lukas schreibt (18,10–14), daß er nicht wegen sei­ner Wer­ke ver­ur­teilt ist, son­dern weil er sich sei­ner angeb­li­chen Hei­lig­keit rühm­te (Epi­sto­la 121,1,3). Der­sel­be hei­li­ge Augu­sti­nus erklärt in sei­nem Brief an Casu­la­nus, daß der Pha­ri­sä­er nicht ver­dammt wur­de, weil er faste­te (Lk 18,11ff), son­dern „weil er sich im Stolz über den Zöll­ner erhob“ (Epi­sto­la 36,4,7). Denn es „ist bei einem Men­schen frucht­los, zwei­mal in der Woche zu fasten wie der Pha­ri­sä­er, hin­ge­gen ist es eine Aus­übung der Reli­gi­on bei einem demü­tig Gläu­bi­gen oder einem gläu­big Demü­ti­gen, wenn die Hei­li­ge Schrift auch nicht sagt, daß der Pha­ri­sä­er ver­dammt wor­den sei, aber viel­mehr, daß der Zöll­ner gerecht­fer­tigt wur­de“ (Epi­sto­la 36,4,7).

Die knap­pe­ste Defi­ni­ti­on für die Pha­ri­sä­er fin­det sich beim hei­li­gen Bona­ven­tura: „Pha­ri­saeus signi­fi­cat illos qui prop­ter ope­ra exte­rio­ra se repu­tant bonos; et ideo non habent lacry­mas com­punc­tion­is“ (De S. Maria Mag­da­le­na Ser­mo I, in: Ope­ra omnia, Ad Cla­ras Aqu­as, Flo­renz 2001 Bd. IX, col. 556b). „Pha­ri­sä­er nennt man jene, die sich selbst wegen ihrer äuße­ren Wer­ke für gut hal­ten und daher kei­ne Trä­nen der Reue haben.“

Pharisäer waren stolze Konservative, die Sadduzäer ungläubige Liberale

Der Sanhedrin war zur Zeit Jesu das Gremium von Sadduzäern und Pharisäern
Der San­he­drin war zur Zeit Jesu das Gre­mi­um von Sad­du­zä­ern und Pharisäern

Jesus ver­ur­teilt die Pha­ri­sä­er, weil er ihr Herz kann­te: Sie waren Sün­der, hiel­ten sich aber für Hei­li­ge. Der Herr woll­te sei­nen Jün­gern leh­ren, daß die äuße­re Erfül­lung der guten Wer­ke nicht genügt. Das, was eine Hand­lung gut sein läßt, ist nicht nur sein Objekt, son­dern die Absicht. Den­noch: wenn es stimmt, daß die guten Wer­ke nicht genü­gen, wenn die gute Absicht fehlt, so stimmt eben­so, daß die guten Absich­ten nicht rei­chen, wenn die guten Wer­ke feh­len. Die Par­tei der Pha­ri­sä­er, der Gam­a­liel, Niko­de­mus, Joseph von Ari­mat­häa (Jüdi­sche Alter­tü­mer 20.9.1) und sogar der hei­li­ge Pau­lus (Apo­stel­ge­schich­te 23,6) ange­hör­ten, war bes­ser als jene der Sad­du­zä­er, gera­de weil sie, trotz ihrer Heu­che­lei, die Geset­ze beach­te­ten, wäh­rend die Sad­du­zä­er, aus deren Rei­hen die Hohe­prie­ster Han­nas und Kaiaphas kamen (Jüdi­sche Alter­tü­mer 18.35.95), auch die­se mißachteten.

Die Pha­ri­sä­er waren stol­ze Kon­ser­va­ti­ve, die Sad­du­zä­er ungläu­bi­ge Libe­ra­le. Doch bei­de ver­ein­te die Ableh­nung der gött­li­chen Sen­dung von Jesus (Mt 3,7–10).

Wer sind die Pha­ri­sä­er und die Sad­du­zä­er unse­rer Zeit? Dar­auf kön­nen wir mit ruhi­ger Gewiß­heit Ant­wort geben. Es sind all jene, die vor, wäh­rend und nach der Syn­ode ver­sucht haben und ver­su­chen wer­den, die Pra­xis der Kir­che und durch die Pra­xis ihre Leh­re über die Fami­lie und die Ehe zu ändern.

Pharisäer und Sadduzäer lehnten die göttliche Lehre Jesu ab

Jesus ver­kün­de­te die Unauf­lös­lich­keit der Ehe, wie Gott sie von Anfang an gedacht hat­te, und grün­de­te sie auf der Wie­der­her­stel­lung jenes Natur­rechts, von dem sich die Juden ent­fernt hat­ten, und ver­stärk­te sie durch die Erhe­bung des Ehe­ban­des zum Sakra­ment. Pha­ri­sä­er und Sad­du­zä­er lehn­ten die­se Leh­re ab, indem sie das gött­li­che Wort Jesu leug­ne­ten und die­sem ihre eige­ne Mei­nung ent­ge­gen­setz­ten. Sie berie­fen sich unauf­rich­ti­ger­wei­se auf Mose, so wie sich die Neue­rer unse­rer Tage auf eine angeb­li­che Tra­di­ti­on der ersten Jahr­hun­der­te beru­fen, indem sie die Geschich­te und die Leh­re der Kir­che fälschen.

Aus die­sem Grund spricht ein tap­fe­rer Bischof und Ver­tei­di­ger des rech­ten Glau­bens, Msgr. Atha­na­si­us Schnei­der, von einer „neo-mosai­schen Pra­xis“: „Die neu­en Jün­ger des Moses und die neu­en Pha­ri­sä­er haben bei den bei­den jüng­sten Syn­oden­ver­samm­lun­gen (2014 und 2015) ihre prak­ti­sche Leug­nung der Unauf­lös­lich­keit der Ehe und ihre fall­wei­se Auf­he­bung des Sech­sten Gebo­tes unter dem Vor­wand der Barm­her­zig­keit ver­schlei­ert, indem sie Aus­drücke wie ‚Weg der Unter­schei­dung‘, ‚Beglei­tung‘, ‚Ori­en­tie­rung durch den Bischof‘, ‚Dia­log mit dem Prie­ster‘, ‚Forum inter­num‘, ‚eine voll­stän­di­ge­re Inte­gra­ti­on in das Leben der Kir­che‘ gebrauch­ten, um die Zure­chen­bar­keit des Zusam­men­le­bens in Fäl­len irre­gu­lä­rer Ver­bin­dun­gen mög­lichst zu eli­mi­nie­ren (vgl. Rela­tio fina­lis, Nr. 84–86).“

Die Pharisäer und Sadduzäer von heute

Die Sad­du­zä­er sind die Neue­rer, die offen die Über­win­dung der Leh­re und der Pra­xis der Kir­che behaup­ten. Die Pha­ri­sä­er sind jene, die mit dem Mund zwar die Unauf­lös­lich­keit der Ehe beken­nen, aber sie heuch­le­risch durch ihre Taten leug­nen, indem sie eine „Von-Fall-zu-Fall“-Übertretung des Moral­ge­set­zes vorschlagen.

Die wirk­li­chen Jün­ger Jesu Chri­sti gehö­ren weder der Par­tei der Neo-Pha­ri­sä­er noch der Par­tei der Neo-Sad­du­zä­er an, die bei­de moder­ni­stisch sind, son­dern fol­gen der Schu­le des hei­li­gen Johan­nes des Täu­fers, der in der gei­sti­gen Wüste sei­ner Zeit pre­dig­te. Der Täu­fer war, als er die Pha­ri­sä­er und Sad­du­zä­er als „Schlan­gen­brut“ (Mt 3,7) brand­mark­te und Hero­des Anti­pas wegen sei­nes Ehe­bruchs ermahn­te, nicht hart­her­zig, son­dern von Lie­be zu Gott und zu den See­len bewegt. Heuch­ler und Hart­her­zi­ge waren die Bera­ter des Hero­des Anti­pas, die sein sünd­haf­tes und reue­lo­ses Leben mit der Leh­re der Schrift in Ein­klang brin­gen woll­ten. Hero­des ließ den Täu­fer hin­rich­ten, um die Stim­me der Wahr­heit zum Schwei­gen zu brin­gen, doch die Stim­me des Vor­gän­gers ist noch 20 Jahr­hun­der­te spä­ter hör­bar. Wer die gute Leh­re öffent­lich ver­tei­digt, folgt nicht dem Bei­spiel der Pha­ri­sä­er und der Sad­du­zä­er, son­dern dem Bei­spiel des hei­li­gen Johan­nes des Täu­fers und Unse­res Herrn.

Über­set­zung: Giu­sep­pe Nardi
Bild: You­tube (Screen­shot)

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