Papst-Telefonat mit Eugenio Scalfari: „Alle Geschiedenen, die wollen, werden zur Kommunion zugelassen“


(Rom) Euge­nio Scal­fa­ri, beken­nen­der Athe­ist aus alter Frei­mau­r­er­fa­mi­lie, ist trotz sei­ner 91 Jah­re zurück und dies erneut als bevor­zug­ter Gesprächs­part­ner von Papst Fran­zis­kus. Gestern, in der La Repubbli­ca-Aus­ga­be zu Aller­hei­li­gen, berich­te­te Scal­fa­ri von einem Tele­fon­an­ruf des Pap­stes, der ihm exklu­siv mit­ge­teilt habe, daß „alle Geschie­de­nen, die es wol­len“ zu den Sakra­men­ten „zuge­las­sen werden“.

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Eine „Revo­lu­ti­on“, so Scal­fa­ri, die Papst Fran­zis­kus der Welt ver­kün­det, indem er aus­ge­rech­net Euge­nio Scal­fa­ri anruft? Ein Tele­fon­ge­spräch, das, so der Doy­en der lin­ken Pres­se, „etwa eine Vier­tel­stun­de“ gedau­ert habe. Liest man die wei­te­ren Umstän­de des Anrufs, möch­te man, auf­grund eini­ger Erfah­rung, eine Erfin­dung Scal­fa­ris ver­mu­ten. Unter den Vor­gän­ger­päp­sten hät­te man einen sol­chen Leit­ar­ti­kel ohne Zögern als „Scal­fa­ria­ta“ abge­tan. Doch unter dem amtie­ren­den Papst ist alles anders gewor­den, so wie es der Groß­mei­ster des frei­mau­re­ri­schen Groß­ori­ents von Ita­li­en, bereits am Tag nach der Wahl von Fran­zis­kus ankün­dig­te. Nie­mand kann mehr mit Sicher­heit sagen, was ist und was nicht, was wahr ist und was erfun­den. Eine erschüt­tern­de Bilanz eines Papst­tums nach knapp zwei­ein­halb Jahren.

Zuverlässiger Chronist? Fehlende Dementi des Vatikans

Eugenio Scalfari und Papst Franziskus
Euge­nio Scal­fa­ri und Papst Franziskus

Zu den Fak­ten: Scal­fa­ri wird wei­ter­hin vom Papst gesucht, obwohl er sich nicht als zuver­läs­si­ger Gesprächs­part­ner her­aus­stell­te. Jeden­falls nicht ganz zuver­läs­sig, was Scal­fa­ris Mit­tei­lung an die Öffent­lich­keit dar­über betrifft, was der Papst tat­säch­lich zu ihm gesagt, oder was Scal­fa­ri selbst hin­ein­in­ter­pre­tiert oder hin­zu­ge­fügt hat. Aller­dings kann Scal­fa­ri bis­her sich zugu­te hal­ten, vom Vati­kan in kei­nem kon­kre­ten Punkt demen­tiert wor­den zu sein. Demen­ti gab es zwar durch Vati­kan­spre­cher Feder­i­co Lom­bar­di. Sie blie­ben aber all­ge­mei­ner Art und wur­den ad absur­dum geführt, als der Vati­kan­ver­lag Scal­fa­ris umstrit­te­ne Papst-Inter­views zusam­men mit ande­ren Inter­views des Pap­stes in einem Buch veröffentlichte.

Scal­fa­ri ver­faß­te einen Leit­ar­ti­kel, der bereits im Titel Blu­men streut: „Vom poli­ti­schen Elend zu den hohen Visio­nen von Fran­zis­kus“. Der Inhalt dreht sich zunächst um die im poli­ti­schen Cha­os ver­sin­ken­de Stadt Rom. Ober­bür­ger­mei­ster Igna­zio Mari­no, ein Links­ka­tho­lik, der für die in Ita­li­en regie­ren­de, lin­ke Demo­kra­ti­sche Par­tei (PD) im Juni 2013 die Kom­mu­nal­wah­len gewann, trat zurück und wur­de inzwi­schen von der eige­nen Par­tei abser­viert. Die Stadt steu­ert auf Neu­wah­len zu. Bis dahin wird sie von einem Kom­mis­sar gelei­tet. Scal­fa­ri bekennt, wenig spek­ta­ku­lär, 2013 den Links­kan­di­da­ten gewählt zu haben. Erst in der zwei­ten Hälf­te des lan­gen Leit­ar­ti­kels steigt Scal­fa­ri von den „Nie­de­run­gen der Poli­tik“ zu den „Höhen von Papst Fran­zis­kus“ auf, wie er selbst bekun­det („soweit mir möglich“).

Blumen für den Papst der „revolutionären Wahrheiten“

Gustavo Raffi. Großmeister des Großorients von Italien: "Mit Papst Franziskus wird nichts mehr wie vorher sein", 14. März 2013

Der Athe­ist bringt die abge­schlos­se­ne Fami­li­en­syn­ode und das bevor­ste­hen­de Jahr der Barm­her­zig­keit in einen Zusam­men­hang: „Die Syn­ode und die Fami­lie gehö­ren in den Rah­men von Barm­her­zig­keit und Vergebung.“

Am 28. Okto­ber, dem Tag der umstrit­te­nen inter­re­li­giö­sen Gene­ral­au­di­enz, „hat­te Papst Fran­zis­kus die Güte, mich um 18 Uhr am Tele­fon anzu­ru­fen, und wir haben etwa eine Vier­tel­stun­de mit­ein­an­der gespro­chen. Ihr könnt Euch mei­ne gro­ße Freu­de als Ungläu­bi­ger vor­stel­len, durch die Freund­schaft von Fran­zis­kus pri­vi­le­giert zu sein.“ Dann spielt Scal­fa­ri auf einen Satz an, den der Papst bereits Stun­den vor dem Tele­fon­an­ruf öffent­lich bei der Gene­ral­au­di­enz gesagt hat­te: „Gott will, daß alle Men­schen geret­tet werden.“

Scal­fa­ri geht auf „eini­ge rich­tungs­wei­sen­de Vor­ga­ben des Kon­zils“ ein, auf die der Papst in jüng­ster Zeit ver­wie­sen habe, beson­ders in sei­nen Reden zum Abschluß der Syn­ode und der inter­re­li­giö­sen Gene­ral­au­di­enz. Scal­fa­ri zitiert die zuneh­men­de „wech­sel­sei­ti­ge Abhän­gig­keit der Völ­ker“, den „gemein­sa­men Ursprung und das gemein­sa­me Schick­sal der Mensch­heit“, den „wohl­wol­len­den und auf­merk­sa­men Blick der Kir­che auf die ande­ren Reli­gio­nen: die Kir­che weist nichts von dem zurück, was in ihnen an Schö­nem und Wah­rem ist; die Kir­che schaut mit Wert­schät­zung auf die Gläu­bi­gen aller ande­ren Reli­gio­nen, und schätzt ihre spi­ri­tu­el­len und mora­li­schen Bemühungen“.

„Bestätigung des einzigen Gottes, den keine Religion allein besitzt“

Man müs­se sich, so Scal­fa­ri, nicht lan­ge den Kopf zer­bre­chen, um zu ver­ste­hen, was der Papst mit die­sen Aus­sa­gen mei­ne: „Es ist die erneu­te Bestä­ti­gung des ein­zi­gen Got­tes, den kei­ne Reli­gi­on zur Gän­ze besitzt und zu dem jede auf unter­schied­li­che Wege, unter­schied­li­che Lit­ur­gien und unter­schied­li­che Schrif­ten gelangt, auch durch die ver­schie­de­nen Kon­fes­sio­nen der christ­li­chen Reli­gi­on und sogar [auf unter­schied­li­che Wege] inner­halb der katho­li­schen Kirche.“

Genau davon habe Fran­zis­kus auch am Ende der Bischofs­syn­ode gespro­chen: „Die erste Pflicht der Kir­che ist nicht die, Ver­ur­tei­lun­gen und Bann­flü­che aus­zu­tei­len, son­dern jene, die Barm­her­zig­keit Got­tes zu ver­kün­den. In die­ser Syn­ode haben wir gese­hen, haben wir auch gese­hen, daß das, was einem Bischof eines Kon­ti­nen­tes als nor­mal erscheint, sich für den Bischof eines ande­ren Kon­ti­nents als selt­sam, bei­na­he wie ein Skan­dal her­aus­stel­len kann – bei­na­he! –; was in einer Gesell­schaft als Ver­let­zung eines Rech­tes ange­se­hen wird, kann in einer ande­ren eine selbst­ver­ständ­li­che und unan­tast­ba­re Vor­schrift sein; was für eini­ge Gewis­sens­frei­heit ist, kann für ande­re nur Ver­wir­rung bedeu­ten.“ Soweit Scal­fa­ris Zitat.

„Hat es je einen Papst gegeben, der so prophetisch über das wirkliche Leben gesprochen hat“

Eugenio Scalfari: "Nicht-Gläubigen wie mir gefällt Franziskus sehr, sogar ganz außerordentlich...", 7. August 2013Nun sein Kom­men­tar dazu: „Ich fra­ge mich, ob es je einen Papst gege­ben hat, der so aus­drück­lich und gleich­zei­tig so pro­phe­tisch über das wirk­li­che Leben gespro­chen hat, mit der Viel­zahl von Eth­ni­en, Orten, Zei­ten, in denen die Mensch­heit gebo­ren wird, lebt, stirbt, in einer sich stän­dig ver­än­dern­den Gesell­schaft und doch ein­zig­ar­ti­ge Spe­zi­es in der Viel­zahl der geschaf­fe­nen Din­ge.“ Eini­ge Päp­ste hät­ten es zumin­dest erahnt. Fran­zis­kus habe in sei­ner Syn­oden­schluß­re­de die jüng­sten genannt, die zen­tral mit dem Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil, gewis­ser­ma­ßen dem Schlüs­sel­er­eig­nis der Wen­de, zu tun hät­ten: allen vor­an Johan­nes XXIII. und Paul VI., wäh­rend die bei­den fol­gen­den Päp­ste nur mehr als „Woj­ty­la und Ratz­in­ger“ benannt wer­den. Dann kommt der Athe­ist Scal­fa­ri ex cathe­dra sogar auf den Hei­li­gen Geist zu sprechen.

„Fran­zis­kus hat einen sehr wach­sa­men poli­ti­schen Sinn; er erklärt revo­lu­tio­nä­re Wahr­hei­ten, aber mit der nöti­gen Diplo­ma­tie, um die Viel­falt in der Har­mo­nie einer gemein­sa­men Arbeit zu ver­wan­deln. Wobei der Glau­ben der Zement aller ist und zusam­men mit dem Glau­ben der Hei­li­ge Geist, der ihn ver­brei­tet. Laut Fran­zis­kus auch unter den Nicht-Gläu­bi­gen, die den­noch Teil der Mensch­heits­fa­mi­lie sind.“

„Die von Ihnen gewollte offene Kirche steht einer ebenso offenen Familie gegenüber“

Im sel­ben Tele­fon­ge­spräch, so Scal­fa­ri, habe sich Papst Fran­zis­kus auch sehr inter­es­siert gezeigt am Arti­kel, „den ich zwei Sonn­ta­ge zuvor über ihn geschrie­ben hat­te. Er frag­te mich, was ich vom Syn­oden­aus­gang über die Fami­lie hal­te. Ich habe geant­wor­tet, so wie ich es bereits geschrie­ben hat­te, daß der bei der Syn­ode gefun­de­ne Kom­pro­miß nicht den Ver­än­de­run­gen Rech­nung trägt, die die Fami­lie in den ver­gan­ge­nen 50 Jah­ren erlebt hat, anders aus­ge­drückt: Der Ver­such, die tra­di­tio­nel­le Fami­lie zurück­zu­ho­len war ein völ­lig undenk­ba­res Ziel. Ich habe hin­zu­ge­fügt, daß die von ihm gewoll­te offe­ne Kir­che einer eben­so offe­nen Fami­lie gegen­über­steht, im Guten wie im Bösen.“

Papst: „Unterschiedliche Meinungen in der Kirche ein Zeichen der Modernität“

Der Papst habe geant­wor­tet: „Das stimmt, das ist eine Wahr­heit und im übri­gen, ver­än­dert sich die Fami­lie, die die Grund­la­ge einer jeden Gesell­schaft bil­det, stän­dig, wie sich auch alles um uns her­um ver­än­dert. Wir dür­fen nicht den­ken, daß es die Fami­lie nicht mehr gibt, es wird sie immer geben, weil unse­re Spe­zi­es kon­takt­freu­dig ver­an­lagt ist und die Fami­lie ist die Spit­ze die­ser Kon­takt­freu­dig­keit, doch es ent­geht uns nicht, daß die aktu­el­le offe­ne Fami­lie, wie Sie sagen, eini­ge posi­ti­ve Aspek­te und ande­re nega­ti­ve ent­hält. Und wie zei­gen sich die­se Unter­schie­de? Die nega­ti­ven Aspek­te sind die Anti­pa­thie oder sogar der Haß unter den neu­en Ehe­leu­ten und jenen vor­her, wenn es eine Schei­dung gab; eine ver­än­der­te Vater­schaft, die zwi­schen gegen­sei­ti­ger Gleich­gül­tig­keit oder gegen­sei­ti­ger Freund­schaft schwankt. Die Kir­che muß dafür arbei­ten, daß die posi­ti­ven Ele­men­te gegen die nega­ti­ven über­wie­gen. Das ist mög­lich und das wer­den wir tun. Die unter­schied­li­che Mei­nung der Bischö­fe ist Teil der Moder­ni­tät der Kir­che und der ver­schie­de­nen Gesell­schaf­ten, in denen sie wirkt, aber die Absicht ist eine gemein­sa­me und was die Zulas­sung der Geschie­de­nen zu den Sakra­men­ten betrifft, bestä­tigt es, daß die­ses Prin­zip von der Syn­ode ange­nom­men wur­de. Das ist das wesent­li­che Ergeb­nis, die eigent­li­chen Abwä­gun­gen sind den Beicht­vä­tern anver­traut, doch am Ende der schnel­ler oder lang­sa­mer von­stat­ten gehen­den Wege, wer­den alle Geschie­de­nen, die es wün­schen, zuge­las­sen werden.“

Scalfari: Neue „revolutionäre Wahrheiten“ des Papstes

„Das“, so Scal­fa­ri, „war der Inhalt des Tele­fon­ge­sprächs“. Papst Fran­zis­kus habe ihm aber noch „eine ande­re Infor­ma­ti­on“ anver­traut, mit der Scal­fa­ri im März 2016 ein Buch über die „mis­sio­na­ri­sche Kir­che und ihre Zie­le“ schrei­ben wer­de. „Dann haben wir uns tele­fo­nisch umarmt.“ Scal­fa­ri kün­digt damit wei­te­re „revo­lu­tio­nä­re Wahr­hei­ten“ des Pap­stes an, die die­ser aber vor­erst nur ihm anver­traut. So jeden­falls der Ein­druck, den der Athe­ist frei­mau­re­ri­scher Tra­di­ti­on ver­mit­teln will.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Wikicomons/unavox.it/Montagen

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