Papst Franziskus in Florenz: „Pelagianische und gnostische Versuchung der Kirche“


Papst Franziskus am 10. November 2015 in der Kathedrale von Florenz
Papst Fran­zis­kus am 10. Novem­ber 2015 in der Kathe­dra­le von Florenz

(Flo­renz) Am Diens­tag, den 10. Novem­ber stat­te­te Papst Fran­zis­kus den Städ­ten Pra­to und Flo­renz in der Tos­ka­na einen Pasto­ral­be­such ab. In der Kathe­dra­le San­ta Maria del Fio­re von Flo­renz traf sich das katho­li­sche Kir­chen­ober­haupt mit den Ver­tre­tern der 5. Natio­nal­ta­gung der ita­lie­ni­schen Kir­che. Vor ihnen hielt Papst Fran­zis­kus eine Anspra­che. Das Kir­chen­ober­haupt sprach dabei über den „neu­en Huma­nis­mus von Jesus Chri­stus“. Die­ser äuße­re sich in meh­re­ren Gefüh­len, von denen der Papst über drei sprach: Demut, Selbst­lo­sig­keit und Selig­keit, um dann auf die „Ver­su­chun­gen“ in der Kir­che überzuleiten. 

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Über die pela­gia­ni­sche und gno­sti­sche Ver­su­chung hat­te Papst Fran­zis­kus bereits mehr­fach in der Ver­gan­gen­heit gespro­chen, erst­mals im Juni 2013 vor Ver­tre­tern der Kon­fe­renz latein­ame­ri­ka­ni­scher Ordens­obe­rer und im Juli 2013 vor dem Latein­ame­ri­ka­ni­schen Bischofs­rat CELAM. Seit­her wur­de eben­so­oft die Fra­ge dis­ku­tiert, wen Papst Fran­zis­kus in der Kir­che als Pela­gia­ner und wen als Gno­sti­ker sieht und kritisiert.

Damals, wie auch spä­ter, wur­de päpst­li­che Kri­tik an den „Pela­gia­nern“ meist als Kri­tik an tra­di­ti­ons­ver­bun­de­nen und „kon­ser­va­ti­ven“ Krei­sen in der Kir­che ver­stan­den. Die­se Zuwei­sung drängt sich nach den Papst­schel­ten wäh­rend und nach der Bischofs­syn­ode, und der dabei gebrauch­ten Wort­wahl auf. Der Wie­der­erken­nungs­wert ist hoch. Die Kri­tik an den Gno­sti­kern, als Kri­tik an moder­ni­sti­schen und pro­gres­si­ven Kir­chen­krei­sen ange­nom­men, läßt sich hin­ge­gen nicht so deut­lich erken­nen. Sie war Ende Juli 2013 in der CELAM-Rede deut­li­cher, aller­dings nicht im offi­zi­el­len Rede­text, son­dern durch freie Ein­schü­be des Pap­stes, die in den Medi­en jedoch kaum Nie­der­schlag fan­den, weil sie, im Gegen­satz zu frei­en Ein­schü­ben bei ande­ren Gele­gen­hei­ten, nicht Ein­gang in die ver­öf­fent­lich­te Rede fanden.

Wäh­rend sich die „Kon­ser­va­ti­ven“ durch die Kri­tik des Pap­stes also gemeint und zu Unrecht geschol­ten füh­len, ist Ver­gleich­ba­res auf der gegen­über­lie­gen­den Sei­te bis­her aus­ge­blie­ben. Im deut­schen Sprach­raum bei­spiels­wei­se fühl­ten sich die in kirch­li­chen Gre­mi­en und im Ver­band­s­ka­tho­li­zis­mus domi­nan­ten „Struk­tur­re­for­mer“ bis­her jeden­falls nicht davon betroffen.

Wen meint der Papst aber wirk­lich? Stim­men die von ver­schie­de­ner Sei­te genann­ten Zuord­nun­gen? Was bezweckt der Papst mit der häu­fi­gen Wie­der­ho­lung die­ser Kritik?

Tra­di­ti­ons­ver­bun­de­ne Beob­ach­ter wie jüngst Ris­cos­sa Chri­stia­na, äußern einen grund­sätz­li­chen Zwei­fel, ob das dia­lek­ti­sche Mit­tel, durch Kri­tik an tat­säch­li­chen oder kon­stru­ier­ten „Extre­men“ sich selbst als „gol­de­ne Mit­te“ zu prä­sen­tie­ren, für die Ver­kün­di­gung der Wahr­heit geeig­net sei. Zwei­fel wur­den auch geäu­ßert, ob das vom Papst dar­ge­leg­te Äqui­va­lent tat­säch­lich eines ist, oder ob es in der Pra­xis nur als Vor­wand für eine ein­sei­ti­ge Kri­tik und Benach­tei­li­gung jener Tei­le der Kir­che dient, die sowohl katho­li­sche Leh­re als auch Pra­xis ver­tei­di­gen und daher Struk­tur­re­for­men im Weg ste­hen. Struk­tur­re­for­men, für die zwar das „Wehen des Gei­stes“ in Anspruch genom­men wird, die letzt­lich doch nur Struk­tur­re­for­men sind?

Die Zwi­schen­ti­tel stam­men von der Redaktion.

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Der neue Humanismus von Jesus Christus

„[…] Wir wis­sen aber, daß es die Ver­su­chun­gen gibt. Es gibt vie­le Ver­su­chun­gen, denen man sich gegen­über­sieht. Ich stel­le Euch zumin­dest zwei vor. Erschreckt nicht. Das wird kei­ne Liste der Ver­su­chun­gen, wie jene fünf­zehn, die ich der Kurie genannt habe!

Die erste, die pelagianische Versuchung der Kirche

Florenz 2Die erste von ihnen ist die pela­gia­ni­sche. Sie drängt die Kir­che, nicht demü­tig, nicht selbst­los und nicht selig zu sein. Sie tut es mit dem Anschein eines Wohls. Der Pela­gia­nis­mus bringt uns dazu, Ver­trau­en in die Struk­tu­ren, in die Orga­ni­sa­tio­nen, in die per­fek­ten, weil abstrak­ten Pla­nun­gen zu haben. Oft bringt er uns sogar dazu, einen Stil der Kon­trol­le, der Här­te, der Nor­men anzu­neh­men. Die Norm gibt dem Pela­gia­ner die Sicher­heit, sich über­le­gen zu füh­len, eine kla­re Ori­en­tie­rung zu haben. Dar­in fin­det er sei­ne Kraft, nicht in der Leich­tig­keit des Wehens des Gei­stes. Vor den Übeln der Pro­ble­me der Kir­che ist es sinn­los, Lösun­gen in Kon­ser­va­ti­vis­men und Fun­da­men­ta­lis­men, in der Restau­ra­ti­on von Ver­hal­tens­wei­sen und über­hol­ten For­men zu suchen, die nicht ein­mal kul­tu­rell die Fähig­keit haben, von Bedeu­tung zu sein. Die christ­li­che Dok­trin ist kein geschlos­se­nes System, das unfä­hig ist, Fra­gen und Zwei­fel her­vor­zu­brin­gen. Sie ist viel­mehr leben­dig, weiß zu beun­ru­hi­gen, weiß zu ani­mie­ren. Sie hat kein stren­ges Gesicht, son­dern einen Kör­per, der sich bewegt und sich ent­wickelt, hat ein zar­tes Fleisch: die christ­li­che Leh­re heißt Jesus Christus.

Die Reform der Kir­che – und die Kir­che ist sem­per refor­man­da – ist dem Pela­gia­nis­mus abge­neigt. Sie erschöpft sich nicht im x‑ten Plan zu Struk­tur­re­for­men. Sie bedeu­tet hin­ge­gen in Chri­stus ein­zu­mün­den, sich in Ihm zu ver­wur­zeln, indem man sich vom Geist lei­ten läßt. Dann wir alles mit Genie und Krea­ti­vi­tät mög­lich sein.

Die ita­lie­ni­sche Kir­che las­se sich tra­gen von Sei­nem mäch­ti­gen und des­halb manch­mal besorg­nis­er­re­gen­den Wehen. Sie neh­me immer den Geist ihrer gro­ßen Ent­decker an, die auf den Schif­fen von der Lei­den­schaft der See­fahrt auf offe­nem Meer ergrif­fen und nicht von den Gren­zen und den Stür­men ver­äng­stigt waren. Sie soll eine für die Her­aus­for­de­run­gen der Gegen­wart offe­ne und freie Kir­che sein, nie in der Defen­si­ve aus Angst, irgend etwas zu ver­lie­ren. Nie in der Defen­si­ve aus Furcht irgend etwas zu ver­lie­ren. Und indem sie die Leu­te ent­lang der Stra­ßen trifft, soll sie den Vor­satz des hei­li­gen Pau­lus anneh­men: ‚Den Schwa­chen wur­de ich ein Schwa­cher, um die Schwa­chen zu gewin­nen. Allen bin ich alles gewor­den, um auf jeden Fall eini­ge zu ret­ten‘ (1 Kor 9,22).

Die zweite, die gnostische Versuchung der Kirche

Kathedrale von Florenz
Kathe­dra­le von Florenz

Eine zwei­te zu besie­gen­de Ver­su­chung ist der Gno­sti­zis­mus. Sie führt dazu, auf die logi­sche und kla­re Über­le­gung zu ver­trau­en, die jedoch die Zart­heit des Flei­sches des Bru­ders ver­liert. ‚Die eine ist die Fas­zi­na­ti­on des Gno­sti­zis­mus, eines im Sub­jek­ti­vis­mus ein­ge­schlos­se­nen Glau­bens, bei dem ein­zig eine bestimm­te Erfah­rung oder eine Rei­he von Argu­men­ta­tio­nen und Kennt­nis­sen inter­es­siert, von denen man meint, sie könn­ten Trost und Licht brin­gen, wo aber das Sub­jekt letzt­lich in der Imma­nenz sei­ner eige­nen Ver­nunft oder sei­ner Gefüh­le ein­ge­schlos­sen bleibt‘ (Evan­ge­lii gau­di­um, 94).

Der Unter­schied zwi­schen der christ­li­chen Tran­szen­denz und jeder Form von gno­sti­schem Spi­ri­tua­lis­mus liegt im Geheim­nis der Fleisch­wer­dung. Das Wort nicht in die Pra­xis umzu­set­zen, nicht zur Wirk­lich­keit zu machen, heißt, auf Sand zu bau­en, in der blo­ßen Idee zu ver­har­ren und in Inti­mis­men zu dege­ne­rie­ren, die kei­ne Frucht brin­gen, sei­ne Dyna­mik frucht­los machen.

Die ita­lie­ni­sche Kir­che hat gro­ße Hei­li­ge, deren Vor­bild ihr hel­fen kön­nen, den Glau­ben mit Demut, Selb­slo­sig­keit und Freu­de zu leben, von Franz von Assi­si bis Phil­ipp Neri. Den­ken wir aber auch die Ein­fach­heit erfun­de­ner Gestal­ten wie Don Camil­lo zusam­men mit Pep­po­ne. Es beein­druckt, wie sich in den Geschich­ten von Gua­re­schi das Gebet eines guten Pfar­rers mit der offen­sicht­li­chen Nähe zu den Men­schen vereint. […]“

Dann setz­te der Papst in sei­ner Anspra­che mit Wor­ten über die Selig­prei­sun­gen fort.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Vati​can​.va (Screen­shots)

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