„Das Chaos im Vatikan“ – Ist die Schonfrist der Medien für Papst Franziskus zu Ende?


Giampaolo Pansa über Papst Franziskus
Giam­pao­lo Pan­sa über Papst Franziskus

(Rom) Neigt sich die media­le Schon­frist für Papst Fran­zis­kus dem Ende zu? Ist der Medi­en­zir­kus sei­ner über­drüs­sig gewor­den? Ist der Anti-Ratz­in­ger-Effekt auf­ge­zehrt? Oder erfüllt das amtie­ren­de Kir­chen­ober­haupt nicht mehr die in ihn gesetz­ten Erwartungen?

Anzei­ge

Giam­pao­lo Pan­sa, eine bekann­te Feder des lin­ken Jour­na­lis­mus in Ita­li­en, hat Papst Fran­zis­kus auf unge­wöhn­lich schar­fe Wei­se ange­grif­fen. Dabei ist Pan­sa ein histo­ri­scher Weg­ge­fähr­te von Euge­nio Scal­fa­ri, dem bevor­zug­ten athe­isti­schen Gesprächs­part­ner des Pap­stes. Pan­sa gehör­te mit Scal­fa­ri zu den Grün­dern der Tages­zei­tung La Repubbli­ca, des­sen Stell­ver­tre­ter als Chef­re­dak­teur er von 1978 bis 1991 war. Seit 2000 ist Pan­sa wie­der stän­di­ger Kolum­nist des lin­ken Medienflaggschiffs.

1987 schuf er zudem die Kolum­ne „Bestia­rio“ (Bestia­ri­um), die zunächst im bür­ger­li­chen Wochen­ma­ga­zin Pan­ora­ma erschien, ab 1990 im lin­ken Wochen­ma­ga­zin L’Espresso, seit 2008 in der links­li­be­ra­len Tages­zei­tung Il Rif­or­mista und die nun seit 2011 in der rechts­li­be­ra­len Tages­zei­tung Libe­ro abge­druckt wird. Unver­än­dert geblie­ben ist der Autor des Bestia­ri­ums, näm­lich Giam­pao­lo Pansa.

Das Bei­spiel soll doku­men­tie­ren, daß sich im Ver­hält­nis zwi­schen den Medi­en und Papst Fran­zis­kus etwas zu ändern scheint.

Chaos im Vatikan. Papst Franziskus mehr in der Verwirrung als Ignazio Marino

Il Bestia­rio

„Ist das klar?“ Die­se sar­ka­sti­sche Fra­ge von gera­de ein­mal drei kur­zen Wör­tern mit Fra­ge­zei­chen, die Papst Jor­ge Mario Berg­o­glio im Rah­men einer impro­vi­sier­ten Pres­se­kon­fe­renz knurr­te, wird in die Geschich­te ein­ge­hen. Die Begeg­nung mit den Jour­na­li­sten fand an Bord eines Flug­zeu­ges statt, das den Papst von einer Etap­pe zur ande­ren brach­te auf sei­ner herbst­li­chen Rei­se in die USA. Der Papst hat­te sie abge­feu­ert, um zu demen­tie­ren, Igna­zio Mari­no [seit Juni 2013 Bür­ger­mei­ster von Rom der lin­ken Demo­kra­ti­schen Par­tei, trat am 12. Okto­ber 2015 nach einer Kor­rup­ti­ons­af­fä­re zurück], zu jenem Zeit­punkt noch Bür­ger­mei­ster von Rom, zum Welt­fa­mi­li­en­tref­fen, das in Phil­adel­phia statt­fand, ein­ge­la­den zu haben. Doch lei­der für den Papst, war sich Berg­o­glio nicht bewußt, daß die­ses berühm­te „Ist das klar?“ auch in sei­ner Geschich­te als Ober­haupt des Vati­kans blei­ben wür­de. Ein wirk­li­ches Cha­os, bei allem Respekt und ohne Anspie­lun­gen, das noch phä­no­me­na­ler ist, als der Zusam­men­bruch, den Mari­no hin­ter­ließ, als man ihn aus dem Kapi­tol gejagt hatte.

Was das Bestiarium über Bergoglio denkt? Er redet zuviel

Soll ich sagen, was das Bestia­ri­um über Berg­o­glio denkt? Die Ver­gan­gen­heit eines jeden von uns ist ein Guck­loch zu dem, wie sei­ne Zukunft sein wird. Ich spre­che vor allem über uns alte Her­ren, wie der Unter­fer­tig­te und wie der der­zei­ti­ge Papst. Papst Fran­zis­kus wird zu einer unbe­re­chen­ba­ren Gestalt, eine uner­schöpf­li­che Quel­le von Pro­ble­men, auch für sich selbst. Er redet zuviel. Jeden Tag erfin­det er etwas Neu­es, hät­te sich mei­ne Groß­mutter Cate­ri­na beklagt, die immer­hin täg­lich den gan­zen Psal­ter des Rosen­kran­zes bete­te. Er ist dau­ernd auf Ach­se. Er mischt sich in Fra­gen ein, die ihn eigent­lich nichts ange­hen, da er kein poli­ti­scher Füh­rer ist. Und schließ­lich zeigt er eine star­ke Nei­gung nach links, wie es scheint. Libe­ro hat ihn bereits als Pero­ni­sten bezeich­net. Im übri­gen, obwohl er von einer Fami­lie aus Asti abstammt, ist er ja auch ein Sohn Argen­ti­ni­ens, dem Lan­de­platz vie­ler ita­lie­ni­scher Auswanderer.

Anto­nio Soc­ci, ein wirk­lich exzel­len­ter Kol­le­ge, der alles über Prie­ster, Bischö­fe und Päp­ste weiß, hat in die­ser Zei­tung dar­an erin­nert, daß Berg­o­glio kei­nen guten Ein­druck von sich hin­ter­las­sen hat, als er Chef der argen­ti­ni­schen Jesui­ten war. Damals ent­pupp­te er sich als Desa­ster und ver­ur­sach­te hau­fen­wei­se Pro­ble­me. Laut einem Big der Gesell­schaft Jesu hat­te er sich mit einem Hof­staat von super­treu­en, pero­ni­sti­schen Pas­dar­an umge­ben und miß­fiel sich kei­nes­wegs dar­in, das Objekt eines Per­so­nen­kults zu sein. Dar­aus ent­stan­den eine Rei­he von Pro­ble­men, die auch nach vie­len Jah­ren noch nicht gelöst sind. Viel­leicht die­sel­ben, die heu­te auch im Vati­kan auftreten.

Eine höllische Landschaft kommt ans Licht

Rede ich schlecht über den Papst? Kei­nes­wegs, den­ke ich, aber selbst wenn dem so wäre, wür­de ich kei­ne Sün­de bege­hen. Ich bin nicht gläu­big. Am Abend, bevor ich ein­schla­fe, bit­te ich mei­ne Eltern, mir im Schlaf bei­zu­ste­hen und mich am näch­sten Mor­gen bei guter Gesund­heit und kla­rem Ver­stand wie­der auf­wa­chen zu las­sen. Des­halb kann ich es mir lei­sten, zu mei­nen, daß Berg­o­glio die fata­le Fra­ge „Ist das klar?“ sich selbst stel­len soll­te. Der Grund dafür liegt vor aller Augen. Was dank der Ver­öf­fent­li­chung der Bücher von Gian­lui­gi Nuz­zi und Emi­lia­no Fit­ti­pal­di ans Licht kommt, ent­hüllt eine Land­schaft, die höl­lisch scheint, obwohl sie im Schat­ten der Peters­kup­pel liegt.

Als Bür­ger­mei­ster von Rom wird Igna­zio Mari­no erst zu spät das Unkraut erkannt haben, das rund um die von Sal­va­to­re Buz­zi & Co. geführ­te Cli­que der „Haupt­stadt-Mafia“ gewach­sen ist. Das hat ihm inzwi­schen den iro­ni­schen Spitz­na­men Ign­a­ro (Unwis­sen­der) statt Igna­zio ein­ge­bracht. Doch noch unwis­sen­der als er hat sich Papst Berg­o­glio gezeigt. Sein Hof­staat ver­sucht heu­te zu behaup­ten, daß die Berich­te und Recher­chen von Nuz­zi und Fit­ti­pal­di eine desa­strö­se Situa­ti­on wie­der­ge­ben wür­den, die bereits beho­ben sei durch das dra­sti­sche Ein­grei­fen des Pap­stes. Doch dem Bestia­ri­um scheint das nur ein unbrauch­ba­rer Wind­fang. Um nicht zu sagen, daß es sich dabei um einen völ­lig untaug­li­chen Flucht­weg handelt.

Vaticanopoli um ein vielfaches schlimmer als Tangentopoli

Ich habe jah­re­lan­ge die Tra­gö­die der ita­lie­ni­schen Par­tei­en erzählt. Und jedes­mal wur­de ich mit Pro­te­sten der vie­len Kof­fer­trä­ger der Kaste über­schüt­tet, die sowohl die Erste als auch die Zwei­te Repu­blik beherrsch­te. Wenn sie mich nicht beschul­di­gen, Fal­sches zu ver­brei­ten, behaup­te­ten sie, daß die von mir und ande­ren Kol­le­gen in Tages- und Wochen­zei­tun­gen beschrie­be­nen Gebre­chen sich auf Ver­gan­ge­nes bezie­hen wür­de. Die Schand­flecken, die ich anklag­te, sei­en bereits beho­ben. Als im Febru­ar 1992 der Schmier­geld­skan­dal Tan­gen­to­po­li aus­brach und die Ermitt­lun­gen der Staats­an­walt­schaft von Mai­land unleug­ba­re Fak­ten ans Licht brach­ten, kam auch ans Licht, daß die Fäul­nis eben kei­nes­wegs besei­tigt war. An das Erd­be­ben, das dar­auf folg­te, erin­nern wir uns noch alle nur zu gut.

Heu­te muß man die Ehr­lich­keit haben, zu sagen, daß das dra­ma­ti­sche Sze­na­rio, das zugleich alles von der Bana­li­tät der Unter­hal­tungs­fil­me des Buch­hal­ters Ugo Fan­toz­zi hat, das hin­ter den hei­li­gen Mau­ern des Vati­kans ans Licht kommt, eine Schlag­kraft hat, die hun­dert­fach grö­ßer ist, als das, was zur Zeit von Tan­gen­to­po­li als Licht kam. Und das mit einem erschwe­ren­den Umstand: die­ses Mal geht es um eine Wirk­lich­keit, und damit auch um eine Auto­ri­tät, die viel viel grö­ßer ist, als die Polit­ka­ste der ita­lie­ni­schen Parteien.

Franziskus hat nicht nur das „Kreuz“ Bertone zu tragen, sondern auch Vallejo und Chaouqui

Der Vati­kan und die katho­li­sche Kir­che sind die ein­zi­ge Hoff­nung, die Mil­lio­nen Gläu­bi­gen geblie­ben sind. Die­se Hoff­nung in der Fäul­nis unter­ge­hen zu sehen, die an die Was­ser­ober­flä­che gespült wird, ver­ur­sacht einer Unzahl von Gläu­bi­gen gro­ßen Schmerz, die ent­setzt einem Desa­ster bei­woh­nen, das sich nie­mand erwar­tet hat­te. Und wir ste­hen erst am Anfang. Gestern wur­de auf der Titel­sei­te des Cor­rie­re del­la Sera eine Kari­ka­tur über den Papst ver­öf­fent­licht, die Emi­lio Gian­nel­li, eine Extra­klas­se der Sati­re gezeich­net hat. Die Kari­ka­tur „Via Cru­cis“ zeigt uns Berg­o­glio, der ein gro­ßes Kreuz auf sei­ner Schul­ter trägt: Kar­di­nal Tar­cis­io Ber­to­ne. Doch ein altes Sprich­wort sagt, daß der Teu­fel im Detail steckt. Das gilt auch für die vati­ka­ni­sche Kata­stro­phe. Berg­o­glio hat es näm­lich auch mit zwei Kom­par­sen zu tun: einem spa­ni­schen Prä­la­ten und einer marok­ka­ni­schen Dame. Er befin­det sich im päpst­li­chen Gefäng­nis, sie wur­de nur des­halb nicht ein­ge­sperrt, weil sie schwan­ger ist. Doch die Medi­en sind uner­bitt­lich und nicht alle sind franziskushörig.

Teil einer funk­tio­nie­ren­den Pres­se­frei­heit ist ein eiser­ner Mecha­nis­mus: die Kon­kur­renz. Auch die dem der­zei­ti­gen Amts­in­ha­ber im Vati­kan am mei­sten wohl­ge­son­ne­nen Medi­en kön­nen nicht zu lan­ge abseits ste­hen und den feind­li­cher geson­ne­nen Medi­en das Feld über­las­sen. Wie sag­te ein altes Mot­to? Das ist der Kapi­ta­lis­mus, Klei­ne! Die sehr „groß­zü­gi­gen“ Fotos von Fran­ce­s­ca Chaou­qui, die­ser bis vor kur­zem noch völ­lig unbe­kann­ten PR-Bera­te­rin, fügen eben­so wür­zi­ge, wie bos­haf­te Zuta­ten zu einer Geschich­te hin­zu, die nichts Boc­c­ac­cio­haf­tes hat.

Der Bürgermeister und das Luxusappartement im Vatikan

In Ver­gleich dazu erhält auch das Cha­os auf dem Kapi­tol und die Figur von Bür­ger­mei­ster Igna­zio Mari­no wie­der ihre rea­le Dimen­si­on zurück. Die Kas­sen­be­le­ge des armen „Ign­a­ro“ haben besten­falls das Gewicht einer Feder im Ver­gleich zu den Finanz­ma­chen­schaf­ten dubio­ser Gestal­ten im Zusam­men­spiel mit hohen Prä­la­ten, die sich „wie Pha­ro­nen“ auf­füh­ren (Berg­o­glio dixit). Des­halb kön­nen die Wor­te Mari­nos nicht über­hört wer­den. Er erklärt, ich zitie­re den Mess­ag­ge­ro vom 11. Okto­ber: „Ich wer­de gede­mü­tigt. Man behan­delt mich wie den Mafia-Boss Pro­ven­za­no. Mei­ne Frau kann das Haus nicht mehr ver­las­sen. Ist euch das bewußt?“

Am ver­gan­ge­nen Diens­tag hat sich der inzwi­schen Ex-Bür­ger­mei­ster rich­tig ver­hal­ten, als er sich im Fern­se­hen den Fra­gen von Gio­van­ni Flo­ris stell­te. Nicht ein­mal bei der gna­den­lo­sen Kari­ka­tur von Mau­ri­zio Croz­za hat er mit dem Wim­per gezuckt. Was sol­len wir mit ihm machen? Ihn an die Wand stel­len, ins Exil schicken, ihm die bür­ger­li­chen Rech­te ent­zie­hen? Igna­zio der Unwis­sen­de wird mit­ten unter uns blei­ben. Und ich bin bereit, eine Wet­te ein­zu­ge­hen, daß er sich nicht die Abstell­kam­mer sper­ren las­sen wird. Er wird wei­ter­hin reden, schrei­ben und sich rächen, wie ich das an sei­ner Stel­le auch tun würde.

Erin­nert sich noch jemand an die Gari­bal­di-Hym­ne, die 1859 von Lui­gi Mer­can­ti­ni geschrie­ben wur­de? Sie begann mit den berühm­ten Wor­ten: „Öff­net die Grä­ber, holt die Toten her­aus“. Soll­te Mari­no es wirk­lich wol­len, dann hät­te er vie­le Grä­ber zu öff­nen. Und weil wir schon dabei sind, könn­te er uns gleich erklä­ren, wie er es geschafft hat, im Vati­kan ein Luxus­ap­par­te­ment zu mieten.

Einleitung/​Übersetzung: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Libe­ro Online (Screen­shot)

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Die­se Posi­ti­on haben wir uns weder aus­ge­sucht noch sie gewollt, son­dern im Dienst der Kir­che und des Glau­bens als not­wen­dig und fol­ge­rich­tig erkannt. Damit haben wir die Bericht­erstat­tung verändert.

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