Brief aus der Peripherie: „Zuerst kommt das pastorale Schisma, dann das doktrinelle“


Kommunikation Franziskus
Kom­mu­ni­ka­ti­on Franziskus

(Rom) Der Vati­ka­nist San­dro Magi­ster ver­öf­fent­lich­te die Gedan­ken „eines nicht-ita­lie­ni­schen Kir­chen­man­nes, des­sen Name Ver­trau­lich­keit verdient“.

Von-Fall-zu-Fall-Pastoral statt Verkündigung ist ein gefährliches Spiel

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von ***

Nach der Syn­ode erklär­ten eini­ge Bischö­fe und Kar­di­nä­le, daß die Kir­che „auf­merk­sa­mer sein“, „unter­schei­den“ und „beglei­ten“ sol­le. Man sucht die „Kunst der Seel­sor­ge“ und der „Inklu­si­on“ mit einem pasto­ra­len Stil, von dem nicht nur das Schluß­do­ku­ment der Syn­ode getränkt ist, son­dern auch vie­le Stel­lung­nah­men von Ver­tre­tern der kirch­li­chen Welt.

Man sucht nach einem sen­si­blen Zugang zum Men­schen unse­rer Zeit. Per­sön­lich bin ich froh, daß sich der Prie­ster im Beicht­stuhl bemüht, mei­ne beson­de­re Situa­ti­on zu ver­ste­hen, anstatt mich mit dem Kate­chis­mus zu ohr­fei­gen. Ist das aber auch ein geeig­ne­ter Zugang für die Mas­sen­me­di­en? Was geschieht, wenn nicht der Beicht­stuhl, son­dern die öffent­li­che Kom­mu­ni­ka­ti­on von einer Von-Fall-zu-Fall-Men­ta­li­tät beherrscht wird? Kann das Reden über die Sor­ge um das ein­zel­ne Indi­vi­du­um die Ver­kün­di­gung erset­zen? Hat die Grund­span­nung zwi­schen Libe­ra­len und Kon­ser­va­ti­ven viel­leicht auch mit der dro­hen­den Gefahr zu tun, daß sich die Ver­kün­di­gung der Leh­re immer mehr verflüchtigt?

Das heu­ti­ge Medi­en­sy­stem mit sei­nen unzäh­li­gen digi­ta­len Net­zen stellt eine gro­ße Her­aus­for­de­rung dar. Die Glo­ba­li­sie­rung der Kom­mu­ni­ka­ti­on durch inter­ak­ti­ve Platt­for­men ver­än­dert den Pro­zeß der öffent­li­chen Mei­nungs­bil­dung. Die Hal­tung der Kir­che gegen­über die­ser Rea­li­tät ver­langt eine ande­re Über­le­gung als für die ört­li­che Seelsorge.

Wenn ein sehr guter See­len­hir­te, der den Men­schen Gutes will, zu einem Homo­se­xu­el­len im direk­ten Gespräch sagt, er will ihn nicht ver­ur­tei­len, dann ist das etwas Gutes. Gesetz­ten Fal­les die­ser gute See­len­hir­te befin­det sich aber in einem Flug­zeug und sagt die­sel­be Sache vor den Jour­na­li­sten der gan­zen Welt, haben wir es mit zwei ganz unter­schied­li­chen Ebe­nen zu tun. Im letz­te­ren Fall flie­ßen die Wor­te direkt in den kom­mer­zi­el­len und poli­ti­schen Raum der media­len Aus­beu­te ein.

Fast alle west­li­chen Medi­en sind lai­zi­sti­scher oder agno­sti­scher Prä­gung und inter­pre­tie­ren die kirch­li­chen The­men auf hori­zon­ta­ler Ebe­ne, das heißt, auf poli­ti­scher, histo­ri­scher, sozio­lo­gi­scher, nicht aber auf der ihnen ent­spre­chen­den ver­ti­ka­len Ebe­ne Rich­tung Gott. Was ist mit der tran­szen­den­ten Dimen­si­on einer Bot­schaft? Der Erb­sün­de? Nein, das zählt alles nicht. Das ein­zi­ge was zählt, ist der media­le Knül­ler. Der Leser oder der Zuse­her will eine Geschich­te, die für Auf­se­hen sorgt: „Die Kir­che ver­ur­teilt Homo­se­xu­el­le nicht mehr“. Das ist eine Nach­richt! Und das näch­ste Kapi­tel? „Die Kir­che ändert ihre Sexu­al­mo­ral“. Und dann: „Die Gül­tig­keit der Zehn Gebo­te hängt von der Ent­schei­dung des eige­nen Gewis­sens ab.“ Der Halt­bar­keits­wert sol­cher Nach­rich­ten ist aber den­noch nur kurz. Das Medi­en­sy­stem ver­langt immer neue Knül­ler. Wenn der pasto­ra­le Dis­kurs die Ver­mitt­lung der Dok­trin ersetzt, ist das das Ergeb­nis einer fal­schen Medi­en­prä­senz der Kirche.

Doch eini­ge Hir­ten ver­ste­hen die­se Mecha­nis­men sehr gut. Viel­leicht ver­ste­hen sie auch den Unter­schied zwi­schen der Kom­mu­ni­ka­ti­on in der Seel­sor­ge und der Kom­mu­ni­ka­ti­on in den Mas­sen­me­di­en. Viel­leicht haben sie nur Angst vor den Medi­en. Sie haben Angst vor dem digi­ta­len Mobb­bing, vor dem Mar­ty­ri­um im Zir­kus der ver­öf­fent­lich­ten Mei­nung. Lie­ber also ein sof­ti­ger Seel­sor­ger sein, der nie­man­den ver­ur­teilt. Das kann so weit gehen, daß man­che mit der Pres­se oder dem Fern­se­hen koket­tie­ren oder sogar ein „Stock­holm-Syn­drom“ ent­wickeln: sich mit dem eige­nen Ent­füh­rer ver­bün­den. Ist nicht das letzt­lich der Wunsch einer Kir­che, die brei­te Zustim­mung fin­det: eine pri­vi­le­gier­te Kirche?

Was auch immer die Grün­de sein mögen, die Ver­kün­di­gung der Leh­re ist der­zeit in den Hin­ter­grund getre­ten. Man erklärt nicht mehr, was die Kir­che immer für wahr und gut erklärt oder was sie immer für falsch und schlecht erklärt. Man begnügt sich hin­ge­gen dar­auf, ledig­lich zu erklä­ren, daß nicht alle Fäl­le gleich sei­en. Wel­che Fol­gen wird das haben? Was wird das für die Ein­heit der Kir­che und die pasto­ra­le Pra­xis bedeu­ten? Was für die Evan­ge­li­sie­rung? Unter den Gläu­bi­gen, die treu zur Leh­re der Kir­che ste­hen, ver­ur­sacht das Ver­wir­rung und Unbe­ha­gen. Das kann man bereits in zahl­rei­chen Staa­ten fest­stel­len. Die pro­gres­si­sti­schen Krei­se nüt­zen in der Zwi­schen­zeit das Feh­len einer ver­bind­li­chen Ver­kün­di­gung aus, um die Leh­re zu rela­ti­vie­ren und eine Anpas­sung an die Zeit zu ver­lan­gen. Das ist ein gefähr­li­ches Spiel. Es kann zu einem Schis­ma in der Kir­che füh­ren: zuerst in der pasto­ra­len Pra­xis und dann sogar in der Lehre.

Was wür­de der Apo­stel Pau­lus tun? Er sprach am Areo­pag zu den Hei­den nicht über eine situa­ti­ons­ab­hän­gi­ge Seel­sor­ge. Er sprach auch nicht sofort von Chri­stus, son­dern zuerst von der Kul­tur, der er dort begeg­net war. Er zeig­te sei­nen Zuhö­rern auf, daß er ihre Göt­ter und ihre Hei­lig­tü­mer in Athen gese­hen hat­te und daß er ihre Welt ver­stan­den hat­te. Er wuß­te: Je bes­ser er ihre Welt ver­stand, desto bes­ser wür­de er ver­stan­den werden.

Zwei­fels­oh­ne auch heu­te müs­sen wir neu zei­gen, daß wir die Göt­zen des 21. Jahr­hun­derts ver­stan­den haben, wie zum Bei­spiel den Opti­mie­rungs­kult, den Hedo­nis­mus oder die Tech­no­lo­gi­sie­rung, um auf­zu­zei­gen, daß wir Bes­se­res zu bie­ten haben. Vor­her jedoch müs­sen wir aber ein­se­hen, daß wir das nicht nur durch eine Von-Fall-zu-Fall-Seel­sor­ge machen kön­nen. Damit es gelingt, müs­sen wir vor­her die Leh­re der Kir­che ver­kün­den, und das pas­send für die Medi­en, aber nicht ange­paßt an die Medi­en. Treu gegen­über dem Glau­ben, aber nicht mit dem Kom­mu­ni­ka­ti­ons­stil von gestern.

Jesuit Antonio Spadaro zur Frage: Verursacht Kommunikationsstil von Papst Franziskus Mißverständnisse?

Soweit der Brief aus der Peri­phe­rie. San­dro Magi­ster ver­weist auf ein Ale­teia-Inter­view mit dem Jesui­ten Anto­nio Spa­da­ro von der Civil­tà  Cat­to­li­ca über den Kom­mu­ni­ka­ti­ons­stil von Papst Fran­zis­kus vom ver­gan­ge­nen April. Pater Spa­da­ro gehört zu den eng­sten Ver­trau­ten des Pap­stes, wie sich beson­ders rund um die Bischofs­syn­ode zeig­te. Im Inter­view wur­de die Fra­ge gestellt, ob der Kom­mu­ni­ka­ti­ons­stil des Pap­stes nicht die Gefahr von Miß­ver­ständ­nis­sen in sich ber­ge. Hier die Fra­ge und Spa­da­ros Ant­wort darauf.

Ale­teia: „Besteht die Gefahr, miß­ver­stan­den zu wer­den? Eini­ge Pfar­rer kla­gen dar­über, daß ihnen gegen­über den Gläu­bi­gen die Rol­le der ‚Bösen‘ zufällt, die wie­der­ver­hei­ra­tet geschie­den sind und zur Kom­mu­ni­on gehen wol­len mit dem Hin­weis: ‚Der Papst hat gesagt‘“?

Pater Anto­nio Spa­da­ro: „Die Gefahr eines Miß­ver­ständ­nis­ses wegen der Wor­te des Pap­stes gibt es und ist Teil ihrer kom­mu­ni­ka­ti­ven Fähig­keit. Die Kom­mu­ni­ka­ti­on, wenn sie real ist, ist zwei­deu­tig. Wenn sie hin­ge­gen nur aus Pres­se­er­klä­run­gen, aus For­meln und Lek­tio­nen besteht, ist das Wort ein­deu­tig, kom­mu­ni­ziert aber nicht. Der Papst hat eine kla­re Wahl getrof­fen: die Seel­sor­ge zu bevor­zu­gen und zu den Men­schen zu spre­chen. Sicher eig­net sich das zu mög­li­chen Miß­ver­ständ­nis­sen, doch gleich­zei­tig bewegt es, es bewegt, das Volk Got­tes, das an sei­ne Hir­ten appel­liert. Die Hir­ten sind heu­te geru­fen, das Evan­ge­li­um neu zu lesen, um es den Leu­ten bes­ser zu erklä­ren, die durch die Wor­te von Fran­zis­kus auf­ge­rüt­telt wer­den. Das Wort des Pap­stes ist nicht das Letz­te, ist kein Defi­ni­ti­ves, das Urteil fällt, son­dern das Wort, das imstan­de ist, das Volk Got­tes zu bewe­gen und Pro­zes­se anzu­sto­ßen. Das ist ein Schlüs­sel, um Berg­o­glio zu ver­ste­hen. Er ist nicht ein Papst, der Din­ge tut, son­dern einer der Pro­zes­se anstößt.“

Über­set­zung: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Set­ti­mo Cielo/​MiL

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