Christen des Nahen Ostens fordern Militärintervention, ob von West oder Ost


Synode der Chaldäischen Kirche in Rom
Syn­ode der Chaldä­isch-Katho­li­schen Kir­che in Rom, Patri­arch Sako (Mit­te)

(Rom) Der mel­ki­ti­sche grie­chisch-katho­li­sche Erz­bi­schof von Alep­po, Jean-Cle­ment Jean­bart, lob­te im Schwei­zer Fern­se­hen die rus­si­sche Mili­tär­in­ter­ven­ti­on in Syri­en zugun­sten von Staats­prä­si­dent Baschar al-Assad. Der Erz­bi­schof sprach von einer „Quel­le der Hoff­nung für die Chri­sten des Lan­des“. Wla­di­mir Putins Ent­schei­dung hel­fe „der Sache der Chri­sten“, so der katho­li­sche Erz­bi­schof. Die Chri­sten wür­den „neue Hoff­nung und neu­es Ver­trau­en schöp­fen“. Ruß­lands Prä­si­dent „löse das Pro­blem“. In die­sen Tagen waren noch deut­li­che­re Wor­te aus christ­li­chem Mund zu hören. Sie las­sen das befrei­en­de Auf­at­men einer geschun­de­nen Gemein­schaft ver­neh­men, die gera­de­zu die inter­na­tio­na­le Staa­ten­ge­mein­schaft um Hil­fe anfleht, bis­her aber kein Gehör fand. Ein viel­leicht nur kurz­zei­ti­ges Auf­at­men, mög­li­cher­wei­se sogar ein trü­ge­ri­sches. Die Chri­sten emp­fin­den die­se Ver­schnauf­pau­se zwi­schen Ver­fol­gung und Todes­angst jeden­falls als wohl­tu­end. Eine Reak­ti­on, die den US-geführ­ten Westen auf­rüt­teln soll­te, sie nicht als ein­sei­ti­ge Par­tei­nah­me für Putin miß­zu­ver­ste­hen, son­dern die Logik der eige­nen bis­he­ri­gen Nah­ost-Poli­tik zu Syri­en und dem Irak zu überdenken.

Die Linie des Vatikans

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Die Wor­te des Bischofs stel­len im Umkehr­schluß eine deut­li­che Kri­tik an der Nah­ost-Poli­tik des Westens dar. Vor allem kommt die Wort­mel­dung des Erz­bi­schofs der offi­zi­el­len Linie des Vati­kans in die Que­re. Das Staats­se­kre­ta­ri­at unter der Lei­tung von Kar­di­nal­staats­se­kre­tär Pie­tro Paro­lin zielt auf Dees­ka­la­ti­on und eine Mini­mie­rung der Gewalt ab, auch der ver­ba­len. Dabei bemüht sich der Vati­kan, alle Betei­lig­ten auf dem heik­len Schach­brett im Nahen Osten an den Ver­hand­lungs­tisch zu brin­gen, allen vor­an auch Ruß­land und die USA. Erst vor weni­gen Tagen rei­ste der Kar­di­nal­staats­se­kre­tär in die USA, um im Wei­ßen Haus Gesprä­che mit dem ame­ri­ka­ni­schen Außen­mi­ni­ster John Ker­ry zu füh­ren. The­ma war die Ver­hin­de­rung einer wei­te­ren Eska­la­ti­on, nach­dem zwei rus­si­sche Kampf­flug­zeu­ge kurz­zei­tig den tür­ki­schen Luft­raum ver­letzt hat­ten. Der tür­ki­sche Luft­raum ist NATO-Luft­raum. Eine beab­sich­tig­te rus­si­sche Pro­vo­ka­ti­on? Ein will­kom­me­ner Grund zum mili­tä­ri­schen Gegen­schlag durch die USA? Da Pro­pa­gan­da und Gegen­pro­pa­gan­da das Feld ver­ne­beln, kann sich jeder her­aus­picken, was sei­ner Sache dient.

Deeskalations-Haltung „liefert Christen schutzlos den Dschihadisten aus“

Papst Franziskus mit Putin
Papst Fran­zis­kus mit Putin

Die Chri­sten im Nahen Osten sehen die Sache anders, dar­in sind sich Ortho­do­xe und Katho­li­ken einig. Sie sehen sich schutz­los den Dschi­ha­di­sten aus­ge­lie­fert. Die Chri­sten erle­ben den Kon­flikt als bru­ta­len anti­christ­li­chen Krieg ara­bisch-mos­le­mi­scher Poten­ta­ten, die sich der isla­mi­sti­schen Mili­zen bedie­nen. Ein Krieg, der mit west­li­cher Unter­stüt­zung, zumin­dest Bil­li­gung geführt wird.

Die Dees­ka­la­ti­ons­li­nie habe bis­her nur den Dschi­ha­di­sten genützt, die sich um kei­ne Dees­ka­la­ti­on sche­ren. Eine Linie also, die schön klingt, aber die Chri­sten schutz­los ans Mes­ser liefert?

Das Gespräch Paro­lin-Ker­ry war vom Nah­ost-Kon­flikt bestimmt. Öffent­lich bekannt­ge­ge­ben wur­de nichts. Nicht ein­mal die sonst übli­che Pres­se­er­klä­rung mit einer gro­ben Zusammenfassung.

Am ver­gan­ge­nen Frei­tag rief Papst Fran­zis­kus die Syn­oden­vä­ter vor Beginn der Gene­ral­kon­gre­ga­ti­on auf, ihr Mor­gen­ge­bet der „Ver­söh­nung und dem Frie­den im Nahen Osten“ zuzu­wen­den. „Wir sind schmerz­lich betrof­fen und beob­ach­ten mit gro­ßer Sor­ge, was in Syri­en, im Irak, in Jeru­sa­lem und dem West­jor­dan­land geschieht, wo wir eine Eska­la­ti­on der Gewalt erle­ben, die unschul­di­ge Zivi­li­sten betrifft und eine huma­ni­tä­re Kri­se von enor­men Aus­ma­ßen nährt“.

Kon­kre­ter wur­de der Papst nicht. Der Vati­kan will super par­tes wahr­ge­nom­men wer­den, da er nur dar­in die Umset­zung einer mög­li­chen Ver­mitt­ler­rol­le mög­lich erach­tet. Durch das auch im Nahen Osten intakt gehal­te­ne Netz diplo­ma­ti­scher Ver­tre­tun­gen eig­net sich nie­mand bes­ser dafür.

Kar­di­nal­staats­se­kre­tär Paro­lin erklär­te Ende August, daß die Fra­ge „wirk­lich kom­plex“ sei und „wohl nie­mand die Lösung griff­be­reit“ habe. Der Kar­di­nal bezog sich dabei auf die Migran­ten­fra­ge, füg­te aber hin­zu, daß „es vie­le Grün­de gibt, die bei die­sem Phä­no­men zusam­men­spie­len“ und es „vie­le Lösun­gen gibt, die sofort ver­wirk­licht wer­den kön­nen und ande­re, die mehr Zeit verlangen“.

Bischöfe des Nahen Ostens fordern Militärintervention

Papst Franziskus mit Obama
Papst Fran­zis­kus mit Obama

Aus­sa­gen, die in Inhalt und Ton sich deut­lich von den Wort­mel­dun­gen der Bischö­fe des Nahen Ostens unter­schei­den. Dort erwar­tet man mit Nach­druck die Ent­sen­dung von Boden­trup­pen, um dem Isla­mi­schen Staat (IS) ein Ende zu berei­ten. Bischof Baschar War­da von Arbil for­der­te Groß­bri­tan­ni­en bereits im ver­gan­ge­nen Jahr dazu auf. Eine For­de­rung, die von der ver­zwei­fel­ten Lage der Chri­sten in Syri­en und im Irak dik­tiert ist. Die Bischö­fe erle­ben täg­lich ent­setz­li­che Tra­gö­di­en, deren Opfer ihre Gemein­schaf­ten wer­den. Vor allem erle­ben sie die Ver­nich­tung des nah­öst­li­chen Chri­sten­tums durch Mord, Ver­trei­bung und Flucht ganz real.

Der Vati­kan will von Mili­tär­in­ter­ven­tio­nen nichts wis­sen. Kar­di­nal Paro­lin beton­te mehr­fach, „daß alles aus diplo­ma­ti­scher Sicht akti­viert wer­den müs­se“, ohne sich inhalt­lich zu positionieren.

Kla­re Wor­te fand in den ver­gan­ge­nen Tagen dage­gen der chaldäi­sche Patri­arch von Bag­dad, Lou­is Rapha­el I. Sako, der sich gera­de als Syn­oden­va­ter in Rom auf­hält. In sei­nem jüng­sten Buch, „Stär­ker als der Ter­ror“, hat­te er das Schwei­gen der isla­mi­schen Reli­gi­ons­füh­rer zum Mord und Zer­stö­rung durch das soge­nann­te „Kali­fat“ kri­ti­siert und den Ein­satz von Boden­trup­pen gefor­dert, um das Cha­os zu beenden.

Den Chri­sten des Nahen Ostens geht es nicht um zyni­sche Welt­macht­lo­gik im Streit zwi­schen Washing­ton und Mos­kau. Für sie geht es ums nack­te Überleben.

„IS vertreiben und diese schreckliche Ideologie vernichten“

„Die mili­tä­ri­sche Lösung ist unver­meid­lich. Um den Isla­mi­schen Staat (IS) zu besie­gen, braucht es eine sofor­ti­ge und prä­zi­se Akti­on“, sag­te der Patri­arch nun in einem Inter­view mit TV2000, dem Fern­seh­sen­der der Ita­lie­ni­schen Bischofs­kon­fe­renz. Sako ging noch wei­ter und übte Kri­tik an den „nicht effi­zi­en­ten“ Luft­schlä­gen der von den USA geführ­ten Alli­anz. Er hof­fe auf die bal­di­ge Ent­sen­dung von Trup­pen in den Irak und nach Syri­en. Als Ziel nann­te der Patri­arch: „Dar­über hin­aus, daß der IS zu ver­ja­gen ist, muß auch die­se schreck­li­che Ideo­lo­gie ver­nich­tet werden“.

Die mit Rom unier­te Chaldäi­sche Kir­che, der Sako vor­steht, hält par­al­lel zur Bischofs­syn­ode ihre Syn­ode in Rom ab. 21 Bischö­fe sind zusam­men­ge­ru­fen, um im siche­ren Rom über das Schick­sal ihrer Gläu­bi­gen und ihrer Kir­che zu sprechen.

Die Wort­mel­dun­gen der Bischö­fe Syri­ens und des Iraks erklä­ren die Genug­tu­ung der Chri­sten über die Mili­tär­in­ter­ven­ti­on Ruß­lands. Ruß­land tut das, was sich die Chri­sten ver­geb­lich vom Westen erhoff­ten. Das stellt aber kein Prä­ju­diz für eine phil­o­rus­si­sche oder anti­west­li­che Hal­tung dar. Es ist die Sehn­sucht einer von phy­si­scher Ver­nich­tung bedroh­ten Gemein­schaft nach Hil­fe. Eine Hil­fe, die man sich von den christ­li­chen Staa­ten erwar­tet, ob Ost oder West.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Asianews/​CR/​MiL

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