(Turin) Papst Franziskus hatte den Waldensern bei seinem Turin-Besuch im vergangenen Juni die Hand gereicht. Dabei vollzog er umstrittene Gesten, um seine Absicht zu unterstreichen und bat die Waldenser um Vergebung für ihnen von Katholiken angetanes Unrecht. Nun gaben die Waldenser dem Papst eine Antwort. Eine eigens einberufene Waldenser-Synode, die noch bis Freitag bei Turin tagt, wies die ausgestreckte Hand des Papstes zurück und erklärte, keine Vergebung gewähren zu können. Vatican Insider spricht von einer erstaunlichen „Kälte“ gegenüber dem Papst.
Von April bis Juni 2015 war das Grabtuch von Turin öffentlich ausgestellt. Zwei Millionen Gläubige nützten die Gelegenheit zu einer Wallfahrt nach Turin, darunter auch Papst Franziskus. Nach dem Besuch des Grabtuches stattete Franziskus am 22. Juni als erster Papst auch einem Waldensertempel einen Besuch ab (siehe Papstkuß für Waldenserbibel – Papst Franziskus, Don Bosco und die Waldenser).
Papst Franziskus bat Waldenser im Juni um Vergebung für katholisches Unrecht
Das Verhältnis zwischen Waldensern und Katholiken war in der Geschichte sehr konfliktbeladen. Auf beiden Seiten kam es vor allem im Mittelalter und der frühen Neuzeit zu Greueltaten. Noch Mitte des 19. Jahrhunderts trachteten Waldenser dem heiligen Johannes Bosco nach seinem Leben.
Papst Franziskus setzte dagegen einen einseitigen ersten Schritt zur Versöhnung und bat die Waldenser für das von Katholiken begangene Unrecht um Vergebung. Wörtlich sagte der Papst: „Von Seiten der katholischen Kirche bitte ich Euch um Vergebung für die unchristlichen, ja sogar unmenschlichen Einstellungen und Handlungen, die wir in der Geschichte gegen Euch hatten. Im Namen des Herrn Jesus Christus, vergebt uns!“
Der Moderator der Waldensertafel, Pastor Eugenio Bernardini, antwortete darauf: „Der Papst hat eine Mauer überwunden, die vor acht Jahrhunderten errichtet wurde, als unsere Kirche von der römischen Kirche der Häresie beschuldigt und exkommuniziert wurde.“ Der Papst widersprach nicht.
Um seine Bereitschaft zu unterstreichen, küßte der Papst eine Waldenserbibel, die ihm von Waldenserpastoren überreicht wurde. Eine Geste, die auf katholischer Seite einige Kritik auslöste.
Waldenser: radikalisierte Pauperisten, die Calvinisten wurden
Die Waldenser waren im späten 12. Jahrhundert als pauperistische Bewegung enstanden. Ihr Gründer, Petrus Valdes, war ein Zeitgenosse des heiligen Franz von Assisi. Die beiden Bewegungen des Petrus Valdes und des Poverello von Assisi gingen jedoch unterschiedliche Wege. Während der heilige Franz von Assisi die Katholische Kirche erneuerte, führte der Weg von Petrus Valdes aus der Kirche hinaus.
Im 16. Jahrhundert übernahmen die Waldenser die calvinistische Lehre und gelten seither faktisch als italienische Calvinisten. Seit dem 18. Jahrhundert besteht, wegen der gemeinsamen Feindschaft gegen die katholische Kirche, eine enge Vernetzung zwischen Waldensern und Freimaurerei. Im 19. Jahrhundert gab es in liberalen Kreisen des führenden italienischen Bürgertums eine „Los von Rom“-Bewegung hin zu den Waldensern. Diese Bewegung war zahlenmäßig nicht groß, verschärfte aber noch einmal die Frontstellung. Nach Schätzungen geht in etwa die Hälfte der heute rund 45.000 italienischen Waldenser auf diese jüngere Übertrittsbewegung zurück. 1979 schlossen sich die Waldenser in Italien mit den Methodisten zusammen.
Eigens Waldenser-Synode einberufen, um dem Papst Anwort zu geben
Die ausgestreckte Hand des Papstes löste innerhalb der waldensischen Gemeinschaft heftige Diskussionen aus. Schließlich wurde eigens eine Waldenser-Synode einberufen, um dem Papst auf seine Vergebungsbitte zu antworten. Die Synode tagt noch bis kommenden Freitag in Torre Pellice bei Turin. Die Antwort steht nun fest und ist negativ ausgefallen. „Wir sind bewegt, aber wir können nicht vergeben“. Mit diesen Worten läßt sich die Entscheidung der Waldenser-Synode zusammenfassen.
In einem offiziellen Brief an den Papst erklärt die Synode: „Lieber Bruder in Christus Jesus, die Synode der evangelischen Waldenserkirche nimmt mit tiefem Respekt und nicht ohne Rührung Ihre im Namen Ihrer Kirche geäußerte Bitte um Vergebung entgegen für das, was Sie ‚die unchristlichen, ja sogar unmenschlichen Einstellungen und Handlungen‘ genannt haben, die in der Vergangenheit gegen unsere Mütter und Väter eingenommen wurden.“ Doch dann folgt ein großes „Aber“ der Waldenser: „Diese neue Situation erlaubt es uns nicht, an die Stelle jener zu treten, die mit ihrem Blut oder anderen Leiden ihren evangelischen Glauben bezeugt haben, und für sie zu vergeben“.
Diese Botschaft, mit der die ausgestreckte Hand des Papstes zurückgewiesen wird, wurde am Montag von den 180 versammelten Waldenser-Synodalen beschlossen.
Keine Vergebungsbitte der Waldenser für von ihnen begangenes Unrecht
In der Botschaft heißt es weiter: „Der brüderliche Dialog, den wir heute führen, ist ein Geschenk der Barmherzigkeit Gottes, der Ihrer und unserer Kirche viele Male vergeben hat und noch vergibt, indem er sie zur Buße einlädt, zur Umkehr und zu einem neuen Leben.“ Faktisch aber wurde die Vergebungsbitte des Papstes mit einem Affront beantwortet. Die Waldenser ziehen sich auf den Standpunkt zurück, daß eine Vergebung nur von dem Betroffenen selbst ausgesprochen werden könne. Im Umkehrschluß wird damit auch das von katholischer Seite in den vergangenen Jahren geübte Mea culpa in Frage gestellt, da entsprechend auch nur Täter um Vergebung bitten könnten, nicht aber deren direkte oder indirekte Nachfahren. Diese formalistische Position kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Waldenser in Wirklichkeit keine Annäherung an die katholische Kirche wünschen. Denn diese hätte trotz der in der direkten Vergebungsfrage eingenommenen Haltung auf andere Weise zum Ausdruck gebracht werden können.
Die Waldenser-Synode fand ihrerseits auch kein Wort einer Vergebungsbitte gegenüber der Katholischen Kirche und den Katholiken, für das von Waldenser begangene Unrecht.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Vatican Insider/Chiesa e postconcilio