(Jakarta) Um den moslemischen Ulema zu gefallen, sprach sich der indonesische Verfassungsgerichtshof für die Zulassung von Eheschließungen unter Minderjährigen aus. Bürgerrechtsaktivisten warnen, daß damit der unter Moslems verbreiteten Praxis kombinierter Ehen unter Minderjährigen und vor allem der Zwangsverheiratung minderjähriger Töchter Vorschub geleistet wird.
Teile der Zivilgesellschaft im südostasiatischen Land befinden sich wegen der Entscheidung der Höchstrichter im Aufruhr. Der Verfassungsgerichtshof des größten islamischen Staates der Welt legalisierte Eheschließungen von Minderjährigen. Bisher mußten die Brautleute mindestens 18 Jahre alt sein, um heiraten zu können. Nun setzte der Oberste Gerichtshof das Mindestalter auf 16 Jahre herunter. Menschenrechtsorganisationen fürchten, daß das nur der erste Schritt sei und das Mindestalter bald weiter gesenkt werden oder ganz wegfallen könnte. Entscheidend für das Urteil war die Einflußnahme des Indonesischen Ulema-Rates (MUI). Bürgerrechtsorganisationen sprechen von einem „gefährlichen Präzedenzfalle“.
Zweites umstrittenes Urteil des Verfassungsgerichtshofes in Sachen Eherecht
Es handelt sich bereits um das zweite umstrittene Urteil in Sachen Ehegesetzgebung innerhalb kurzer Zeit. Der Verfassungsgerichtshof verwarf vor kurzem die Reform des Eherechts, das gemischtreligiöse Ehen erlauben sollte. Eine Reform, die von einflußreichen islamischen Kräften abgelehnt wurde. Nun legalisierte derselbe Gerichtshof Eheschließungen von Minderjährigen und damit faktisch die unter Moslems verbreitete Praxis der Zwangsehe.
Für Nursjahbani Katjasungkana, einen bekannten indonesischen Menschenrechtsaktivisten, haben die Verfassungsrichter damit einen “gefährlichen Präzedenzfall“ geschaffen, der „Schritt für Schritt den Weg zu einer Legalisierung der Zwangsehe unter Minderjährigen öffnen könnte“.
Kritiker werfen den Höchstrichtern vor, sich dem Indonesischen Ulema-Rat (MUI) gebeugt zu haben. Der Rat übt eine offizielle Rolle als „Wahrer“ von Moral und Sitten der Moslems des Inselstaates aus. Damit käme dem Rat nur innerhalb der islamischen Gemeinschaft Bedeutung zu. Tatsächlich hat er seinen Einfluß durch das Verfassungsgerichtshofurteil über die gesamte Gesellschaft ausgeweitet.
Islamisten fordern Legalisierung kombinierter Ehen von Minderjährigen
Die Zustimmung der islamistischen Bewegung zu kombinierten Zwangsehen, die von den Eltern für ihre minderjährigen Kinder, vor allem die Töchter vereinbart werden, ist seit langem bekannt.
Neu ist, daß der Ulema-Rat sich diese Position zu eigen machte und Druck in der Sache auf die staatlichen Institutionen ausübt. Beobachter sehen darin offenkundige Indizien für eine Islamisierung Indonesiens. Problematisch ist das für die islamische Gesellschaft, weil sie islamistischen Kräften in die Hand spielt, vor allem aber auch für die christlichen, hinduistischen und buddhistischen Minderheiten, die in manchen Gegenden die Bevölkerungsmehrheit stellen, in anderen Gegenden unter starkem Druck der islamischen Mehrheit stehen, der bis zur offenen Verfolgung reichen kann.
Katjasungkana sieht hinter der Entscheidung den Druck islamistischer Kräfte, die zur traditionellen Praxis der Zwangsverheiratung minderjähriger Töchter zurückkehren wollen und zwar legal und staatlich anerkannt. Das sei nun für 16–18jährige Mädchen bereits möglich. Bald aber könnten in der Praxis auch Mädchen zwangsverheiratet werden, die jünger als 16 Jahre sind, ist sich Katjasungkana sicher. Denn das sei das erklärte Ziel bestimmter islamischer Gruppen, deren Einfluß zunehme.
Laut islamischer Tradition ist Mädchen mit erster Menstruation „heirats- und zeugungsreif“
In der Vergangenheit galt in der islamischen Gemeinschaft Indonesiens ein Mädchen nach der ersten Menstruation als heiratsfähig. Zu dieser Praxis wollen islamische Kreise zurückkehren. Für Islamisten signalisiert die Menstruation, daß ein Mädchen für Ehe und Fortpflanzung bereit ist.
Für Katjasungkana ist den indonesischen Verfassungsrichtern die Meinung des Ulema-Rates wichtiger, als der gesunde Menschenverstand, die Empfehlung der Medizin und das Wohl der jungen Menschen.
Laut einer jüngst veröffentlichten Studie der Indonesian Women Coalition (KPI) ist in 20 Prozent aller auf dem Inselstaat geschlossenen Ehen die Braut noch keine 15 Jahre alt. Dabei handelt es sich um eine offene Verletzung des seit 1974 geltenden Eherechts, das die Volljährigkeit voraussetzt. Berücksichtigt man alle Ehe, in denen die Braut noch keine 17 Jahre alt ist , dann erhöht sich der Anteil sogar auf 39 Prozent. Vor diesem Hintergrund ist der Druck zur Legalisierung dieser Ehen zu sehen und erklärt sich die Sorge von Menschenrechtsorganisationen, daß die Herabsetzung der Mindestgrenze auf 16 Jahre nur ein erster Schritt ist.
Islamführer heiratete 12jährige Schülerin: „Nach dem Vorbild Mohammeds“
Vor einigen Jahren wurde der indonesische Islamführer Syeh Puii bekannt, weil er eine seiner Schülerinnen heiratete, die erst 12 Jahre alt war. Der Islamführer nannte damals „humanitäre Motive“ als Grund für die Hochzeit mit dem minderjährigen Mädchen. Bürgerrechtsorganisationen sprachen hingegen von einem demonstrativen Akt zur Durchsetzung legalisierter Zangsverheiratung von Minderjährigen. In islamischen Kreisen betonte man das Vorbild und Beispiel Mohammeds, der ein sechsjähriges Mädchen, Aischa bint Abi Bakr, heiratete und mit ihr die Ehe vollzog, als das Mädchen erst neun Jahre alt war.
Indonesien ist der bevölkerungsreichste islamische Staat der Welt. Seit einigen Jahren ist eine verstärkte Islamisierung des Inselstaates zu beobachten. Staatliche Institutionen geben immer häufiger den Forderungen des Ulema-Rates (MUI) nach. In der nordwestlichen Provinz Aceh haben Islamisten die Regierung übernommen und die Scharia durchgesetzt. Frauen dürfen in der Provinz keine Hosen oder kurze Röcke tragen.
Der Ulema-Rat nimmt zu den verschiedensten Fragen Stellung: Im März 2011 sprach sich der Ulema-Rat gegen den Fahnenapell aus, „weil Mohammed das nicht getan hat“, ebenso gegen soziale Netzwerke im Internet, gegen Rauchen und vor allem das Wahlrecht für Frauen.
Text: Asianews/Giuseppe Nardi
Bild: Asianews