Sind Schweizer Katholiken noch katholisch? Bischofskonferenz ließ Einheitsdokument erneut von tendenziösem Institut schreiben


Bischof Markus Büchel in dessen Diözese das SPI seinen Sitz hat
Umstrit­te­nes Ein­heits­do­ku­ment der Schwei­zer Bischö­fe für Rom

(Zürich) Cri­sti­na Von­zun, Redak­teu­rin der Tages­zei­tung Giorn­a­le del Popo­lo für die ita­lie­ni­sche Schweiz, erklär­te dem katho­li­schen Wochen­ma­ga­zin Tem­pi, war­um es eine Kluft zwi­schen dem gibt, was die Mehr­heit der Schwei­zer Katho­li­ken denkt und dem, was das kirch­li­chen Lehr­amt sagt. Die Tages­zei­tung gehört zu 51 Pro­zent der Diö­ze­se Lugano.

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„Der Aus­schluß von wie­der­ver­hei­ra­te­ten Geschie­de­nen von den Sakra­men­ten muß auf­hö­ren“; „Die Paten­schaft von Schwu­len und Les­ben muß in der Kir­che mög­lich sein“; „Die hei­li­ge Fami­lie ist kei­nes­wegs eine idea­les Vor­bild“, so und ähn­lich lau­ten die Mei­nun­gen von Schwei­zer Katho­li­ken, vor­nehm­lich Deutsch­schwei­zer Katho­li­ken, die media­les Gehör fin­den. 6.000 haben an zahl­rei­chen Dia­log­ver­an­stal­tun­gen in Vor­be­rei­tung auf die Bischofs­syn­ode im Herbst teilgenommen.

Anlaß war der Fra­ge­bo­gen, der vom Syn­oden­se­kre­ta­ri­at allen Bischofs­kon­fe­ren­zen zuge­schickt wur­de. Die Schwei­zer Bischofs­kon­fe­renz reich­te ihn an alle Gläu­bi­gen wei­ter, um ein „mög­lichst brei­tes“ Stim­mungs­bild zu erhal­ten. Die Vor­gangs­wei­se ist nicht unum­strit­ten. Unter den Teil­neh­mern befan­den sich vie­le Kir­chen­funk­tio­nä­re, die viel­fach das Wort führ­ten. Gläu­bi­ge Katho­li­ken füh­len sich seit Jahr­zehn­ten an den Rand gedrängt und hal­ten sich von kir­chen­of­fi­zi­el­len Aktio­nen meist fern.

Umstrittenes Pastoralsoziologisches Institut verfaßte Einheitsdokument der Schweizer Bischofskonferenz für Synode

Ins­ge­samt gin­gen 570 Stel­lung­nah­men ein, die in einem „Grund­la­gen­do­ku­ment“ zusam­men­ge­faßt wur­den, das von der Bischofs­kon­fe­renz dem Vati­kan über­mit­telt wird. Der Weg ent­spricht dem der Bischofs­syn­ode 2014.

Bischof Markus Büchel: das SPI hat den Sitz in seinem Bistum
Bischof Mar­kus Büchel: das SPI hat den Sitz in sei­nem Bistum

2014 geriet das Schwei­ze­ri­sche Pasto­ral­so­zio­lo­gi­sche Insti­tut (SPI) der Schwei­zer Bischofs­kon­fe­renz in die Schlag­zei­len. Phil­ipp Gut, der stell­ver­tre­ten­de Chef­re­dak­teur der Welt­wo­che warf dem Insti­tut vor, die vati­ka­ni­sche Umfra­ge durch ten­den­ziö­se Fra­ge­stel­lung „in ein poli­ti­sches State­ment gegen die offi­zi­el­le vati­ka­ni­sche Lehr­mei­nung“ umge­bo­gen zu haben. Vom SPI wur­den Fra­gen sug­ge­stiv umfor­mu­liert und eigen­mäch­tig zusätz­li­che Fra­gen für eine Aner­ken­nung der Homo­se­xua­li­tät und ande­re The­men in offe­nem Wider­spruch zur katho­li­schen Ehe- und Moral­leh­re ein­ge­fügt. Der Bischof von Chur, Vitus Huon­der, kam damals dem Ein­heits­do­ku­ment der Bischofs­kon­fe­renz zuvor, indem er im Allein­gang ein Doku­ment ver­öf­fent­lich­te, das sich wesent­lich vom gemein­sa­men Doku­ment unter­schied. Trotz des Mani­pu­la­ti­ons­vor­wurfs hielt die Bischofs­kon­fe­renz am SPI fest und beauf­trag­te es 2015 erneut, den Schwei­zer Ein­heits­be­richt an Rom zu ver­fas­sen. Das Ergeb­nis stand damit von Anfang an fest.

Das Schwei­ze­ri­sche Pasto­ral­so­zio­lo­gi­sche Insti­tut hat sei­nen Sitz im Bis­tum Sankt Gal­len, das von Bischof Mar­kus Büchel, dem Vor­sit­zen­den der Schwei­zer Bischofs­kon­fe­renz gelei­tet wird.

38 Pro­zent und damit die Mehr­heit der Schwei­zer sind römisch-katho­lisch. 26 Pro­zent sind refor­miert, 22 Pro­zent kon­fes­si­ons­los, 6 Pro­zent gehö­ren ande­ren christ­li­chen Kon­fes­sio­nen an, 5 Pro­zent sind Mos­lems, 1 Pro­zent gehört ande­ren Reli­gio­nen an, 0,25 Pro­zent sind Juden, 2 Pro­zent mach­ten bei der Erhe­bung 2013 des sta­ti­sti­schen Bun­des­am­tes kei­ne Angaben.

„Protestantischer Einfluß und jahrzehntelange Säkularisierung“

Die Mehr­heit der Schwei­zer Bevöl­ke­rung ist noch katho­lisch. Liest man aber den Bericht der Bischofs­kon­fe­renz, scheint das ein Katho­li­zis­mus zu sein, der sich von dem, den der Kate­chis­mus lehrt, stark unterscheidet.

Der Bericht spricht vor allem von „brei­ter Wert­schät­zung, die die von der Kir­che ver­kün­de­ten Idea­le von Ehe und Fami­lie genie­ßen“. Er betont aller­dings auch, daß es „Gren­zen bei der Umset­zung“ gibt.

Es gibt aber erheb­li­che Unter­schie­de zwi­schen dem Schwei­zer Doku­ment und dem Lehr­amt der Kir­che zu fast allen dor­ni­gen The­men, die von der Syn­ode behan­delt werden.

Zu ver­schie­de­nen The­men ist die Kluft deut­lich sicht­bar, aber das ist kein exklu­si­ves Phä­no­men der Schweiz. Das gilt für den gesam­ten mit­tel- und nord­eu­ro­päi­schen Katholizismus.

Wel­ches sind die Grün­de in der Schweiz?

Im Lau­fe der Jah­re hat sich das Phä­no­men vor allem nörd­lich der Alpen ent­wickelt. Ich den­ke, daß hier der pro­te­stan­ti­sche Ein­fluß spür­bar ist, zum Bei­spiel dort, wo die refor­mier­ten Kan­tons­kir­chen die Seg­nung von Homo-Paa­ren gut­hei­ßen. Das Haupt­pro­blem aber ist die jahr­zehn­te­lan­ge Säku­la­ri­sie­rung, die zu die­ser Kluft zwi­schen den geglaub­ten katho­li­schen Wer­ten und dem prak­ti­schen Leben und zu einer Pri­va­ti­sie­rung des Glau­bens führt. Der Glau­ben wird noch als eine wah­re Sache aner­kannt, aber nur mehr auf pri­va­ter Ebe­ne. Ein drit­tes Motiv erhöht den Druck auf die Fami­li­en und kann zum Zer­bre­chen der Ehe führen.

Wel­ches?

Die heu­ti­gen sozio­öko­no­mi­schen Rah­men­be­din­gun­gen, dar­un­ter etwa die inten­si­ven Arbeits­zei­ten, die das Fami­li­en­le­ben in Bedräng­nis brin­gen und das Ehe­le­ben erschwe­ren. Vor allem, wenn die Ehe­paa­re allein sind und nie­mand haben, der ihnen einen Weg des Glau­bens aufzeigt.

Die Fol­gen kann man dann im Bericht der Bischofs­kon­fe­renz lesen.

Ja, wenn man auch sagen muß, daß der Bericht auf beson­de­re Wei­se zustan­de kam. Es han­delt sich um die Mei­nun­gen von etwa 6.000 katho­li­schen Män­nern und Frau­en. In der Schweiz gibt es aber drei Mil­lio­nen Katho­li­ken. Das sind kei­ne Erhe­bun­gen, die exakt die Mei­nung der Schwei­zer Katho­li­ken wiedergeben.

Wol­len Sie damit sagen, daß er schlecht gemacht wurde?

Ich den­ke, daß er die Ten­denz des­sen wider­spie­gelt, was die Mehr­heit der Schwei­zer Katho­li­ken denkt, vor allem der Deutsch­schweiz. Es han­delt sich aber nicht um eine wirk­li­che Erhe­bung, son­dern um einen frei­en Fra­ge­bo­gen. Dar­an nimmt teil, wer will. Vie­le haben nicht teil­ge­nom­men und so ken­nen wir ihre Mei­nung nicht und wer­den sie auch nie ken­nen. Das Doku­ment gibt aber, das kann man nicht leug­nen, die vor­herr­schen­de Mei­nung wie­der, wes­halb sei­ne Ver­öf­fent­li­chung auch kei­ne beson­de­ren Reak­tio­nen aus­ge­löst hat. Das ist die Mehr­heits­ten­denz, aber kei­nes­wegs die ein­zi­ge. Es gibt vie­le Katho­li­ken, die das Ehe­ide­al ganz leben. Die Wahr­heit ist, daß die Schweiz sehr kom­plex ist.

Das heißt?

Es gibt unter­schied­li­che sprach­li­che und kul­tu­rel­le Rea­li­tä­ten. Die­ser Bericht gibt vor allem die Rea­li­tät der Deutsch­schweiz wie­der, weni­ger jene der Welsch­schweiz und der ita­lie­ni­schen Schweiz. Bei uns im Tes­sin ist bei­spiels­wei­se die Ten­denz ein­deu­tig eine andere.

War­um kön­nen Sie das sagen?

Der Giorn­a­le del Popo­lo hat eine gro­ße Band­brei­te der Ant­wor­ten der Tes­si­ner Katho­li­ken aus­ge­wer­tet und dar­un­ter nicht die Spur eines for­dern­den Ton­falls oder von Mei­nun­gen gefun­den, die im Wider­spruch zum kirch­li­chen Lehr­amt wären. Die Schwer­punk­te der Ant­wor­ten sind ganz ande­re: die Sor­ge um Ehe­paa­re, die allei­ne in ihrer Umge­bung leben ohne die Mög­lich­keit, mit ande­ren gemein­sam den Glau­ben zu leben; eben­so die Fra­ge, wie Bezie­hun­gen zwi­schen älte­ren und jün­ge­ren Fami­li­en her­ge­stellt wer­den können.

Und die Fra­ge der Zulas­sung wie­der­ver­hei­ra­te­ter Geschie­de­ner zu den Sakramenten?

Auch dazu gibt es kei­ne For­de­rungs­hal­tung. Die Geschie­de­nen, die auf den Fra­ge­bo­gen geant­wor­tet haben, sagen, daß sie sich in der Kir­che wohl­füh­len und in ihren Pfar­rei­en einen Glau­bens­weg gehen. Bezüg­lich der Kom­mu­ni­on für wie­der­ver­hei­ra­te­te Geschie­de­ne haben man­che die Hoff­nung geäu­ßert, die Syn­ode kön­ne per­so­na­li­sier­te Buß­we­ge für vom Bischof gebil­lig­te Ein­zel­fäl­le zulas­sen. Dies­be­züg­lich ähnelt man­ches dem Vor­schlag von Kar­di­nal Kasper.

Den­ken die Schwei­zer Bischö­fe wie die Mehr­heit ihrer Gläubigen?

Das Doku­ment wur­de nicht von den Bischö­fen geschrie­ben, son­dern gibt eine sozio­lo­gi­sche Les­art des Schwei­ze­ri­schen Pasto­ral­so­zio­lo­gi­schen Insti­tuts in St. Gal­len (SPI) wie­der. Unse­re Bischö­fe den­ken als Bischö­fe, treu zum Papst, zum Lehr­amt und auf dem Weg mit der Synode.

Ein­lei­tung: Giu­sep­pe Nardi
Inter­view: Tempi/​Übersetzung: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Tempi/​Wikicommons

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3 Kommentare

  1. Bischof Büchels Aussagen:
    -
    „Unse­re Bischö­fe den­ken als Bischö­fe, treu zum Papst, zum Lehr­amt und auf dem Weg mit der Synode.“
    -
    Tatsächlich ?

    Wir ver­glei­chen:

    Bischof Büchels unfass­ba­res Gere­de im Jah­re 2012 anl. der damals bevor­ste­hen­den Abstim­mung gegen die Bezah­lung des Mor­des von unge­bo­re­nen beseel­ten Kin­dern durch die „Kran­ken­kas­sen“:
    -
    „Dass Abtrei­bun­gen nicht mehr aus Gel­dern der all­ge­mei­nen Kran­ken­ver­si­che­rung bezahlt wer­den sol­len, trifft Frau­en in finan­zi­ell schwa­chen Ver­hält­nis­sen viel stär­ker als Frau­en in finan­zi­ell guten Verhältnissen».
    Ich erach­te die Initia­ti­ve als einen «Schritt in eine Zwei­klas­sen-Medi­zin, was ich als pro­ble­ma­tisch empfinde».
    -

    Bischof Gmür von Basel im ver­gan­ge­nen Monat April vor Mit­glie­dern der „bei­den bas­le­ri­schen Syn­oden“ mit fol­gen­den „Ideen“:
    -
    „Zöli­bat ist eine gute Lebens­form, aber nicht nötig um Prie­ster zu sein.

    Eine Lösung des Pro­blems wie­der­ver­hei­ra­te­ter Geschie­de­ner könn­te die Sor­ge, was mit ver­hei­ra­te­ten Prie­stern bei einer Schei­dung geschieht, verringern.

    Eine Frau am Altar kann ich mir gut vorstellen.
    Als ersten Schritt muss man das Dia­ko­nin­nen­amt gut begründen. 
    Die recht jun­ge biblisch-theo­lo­gi­sche For­schung dar­über ist wohl noch nicht bei allen Bischö­fen der Welt­kir­che angekommen.“
    -

    Die „Syn­oda­len“ zeig­ten sich denn dar­ob auch „zufrie­den“. 

    Mit eini­gen weni­gen Aus­nah­men wie Bischof Huon­der von Chur etwa, fol­gen die schwei­ze­ri­schen Bischö­fe mehr­heit­lich dem Lai­en­dik­tat der wild­ge­wor­de­nen „Zeit­geist­ka­tho­li­ken“.

  2. @defendor: Hier liegt ein Miss­ver­ständ­nis vor: Das Wochen­ma­ga­zin Tem­pi hat nicht Bischof Mar­kus Büchel inter­viewt, son­dern Cri­sti­na Vonzun.

  3. @Damian;
    vie­len Dank für die­se Kor­rek­tur. Das habe ich in der Eile überlesen.

    Doch ich den­ke, dass die zitier­ten Aus­sa­gen der Bischö­fe Büchel und Gmür den­noch in etwa auf­zei­gen, wie sehr es in der Schweiz an wah­ren Hir­ten mangelt.
    Die Fol­ge sind die immer unver­schäm­ter wer­den­den Laiengremien.

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