Marcel Lefebvre – Angeklagter oder Richter? Eine Buchrezension


Erzbischof Marcel Lefebvre mit Papst Pius XII.
Erzbischof Marcel Lefebvre mit Papst Pius XII.

von Wolf­ram Schrems*

Anzei­ge

Das knap­pe Vier­tel­jahr­hun­dert, das nach dem Tod von Erz­bi­schof Mar­cel Lefeb­v­re mitt­ler­wei­le ver­gan­gen ist, ermög­licht einen histo­risch-distan­zier­ten Blick auf sein Schaf­fen und des­sen blei­ben­de Wir­kun­gen. Gleich­zei­tig erfor­dern die fünf­zig Jah­re nach Abschluß des Kon­zils eine rück­halt- und aus­flucht­lo­se Aus­wer­tung von des­sen Folgen.

Als jemand, der ein­schlä­gi­ge inner­kirch­li­che Erfah­rung besitzt, gleich­zei­tig aber zu kei­ner Meß­ge­mein­de der Pius­bru­der­schaft gehört, daher also nicht pro domo schreibt, sehe ich mich daher in der rich­ti­gen Posi­ti­on, eine ein­schlä­gi­ge Publi­ka­ti­on kri­tisch zu würdigen.

Das Buch

Erzbischof Marcel Lefebvre
Erz­bi­schof Mar­cel Lefebvre

Es han­delt sich bei dem Buch um eine Samm­lung von Vor­le­sun­gen, die Erz­bi­schof Lefeb­v­re in den Jah­ren 1979 – 1982 in Ecà´ne für sei­ne Semi­na­ri­sten hielt. Stoff der Vor­le­sun­gen sind päpst­li­che Enzy­kli­ken und ande­re Leh­r­äu­ße­run­gen gegen die Frei­mau­re­rei, den Libe­ra­lis­mus und den Kommunismus.

Der Titel erklärt sich aus einer hef­ti­gen Aus­ein­an­der­set­zung mit Mit­glie­dern der Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on (unter ihrem Prä­fek­ten Fran­jo Kar­di­nal Å eper), in der Lefeb­v­re den ihn ver­hö­ren­den und beschul­di­gen­den Prä­la­ten sinn­ge­mäß sagte:

„Wenn ich beden­ke, dass wir uns hier im Gebäu­de des Hei­li­gen Offi­zi­ums befin­den, wel­ches der über­ra­gen­de Zeu­ge der katho­li­schen Über­lie­fe­rung und der Ver­tei­di­gung des katho­li­schen Glau­bens ist, dann kann ich nicht anders als den­ken, dass ich hier zu Hau­se bin und dass ich, den Sie als ‚Tra­di­tio­na­li­sten‘ bezeich­nen, Sie rich­ten müss­te“ (18).

In den von Ton­band­mit­schnit­ten tran­skri­bier­ten Vor­le­sun­gen kon­tra­stiert der Erz­bi­schof die nach­kon­zi­lia­re Lehr­ent­wick­lung mit den vor­kon­zi­lia­ren Lehr­schrei­ben. Er greift auf umfang­rei­che Erfah­rungs­wer­te aus sei­ner Mis­si­ons­tä­tig­keit in Afri­ka (Gabun und Sene­gal) zurück, die bele­gen, daß inner­kirch­li­che Wei­chen­stel­lun­gen enor­me Aus­wir­kun­gen auf die außer­kirch­li­che Welt, auf Kul­tur, Poli­tik und Öko­no­mie zeitigen.

Der Hausverstand

Lefebvre: Angeklagter oder Richter?
Lefeb­v­re: Ange­klag­ter oder Richter?

Was bei der Lek­tü­re sowohl der lehr­amt­li­chen Tex­te der Päp­ste des 19. Jahr­hun­derts als auch der Erläu­te­run­gen durch Erz­bi­schof Lefeb­v­re auf­fällt, sind die kla­re Aus­sa­ge­ab­sicht und die dem gesun­den Men­schen­ver­stand ent­spre­chen­de Gedan­ken­füh­rung. Für heu­ti­ge Lese­ge­wohn­hei­ten ist bei­des gewöh­nungs­be­dürf­tig, weil in Kir­che und Welt prak­tisch über­all nur mehr die­ser merk­wür­dig verdrall­te und schwer zu inter­pre­tie­ren­de Insi­der-Jar­gon vor­herrscht. Dabei ist es nicht so, daß die päpst­li­chen Tex­te des 19. Jahr­hun­derts tri­vi­al wären. Auch sie erfor­dern Übung in der Lek­tü­re. Aller­dings stellt sich nach kur­zer Zeit her­aus, daß es hier um Rea­li­tät geht, um Wahr­heit und Ver­nunft. Genau­er gesagt: Hat man ein­mal den Glau­ben ange­nom­men und das Offen­ba­rungs­gut akzep­tiert, dann sieht man, wie sehr die Ver­nunft in der Kir­che Hei­mat­recht hat. In den fal­schen Reli­gio­nen gibt es kei­ne Ver­nunft. Das ist ein Erfah­rungs­wert. Die katho­li­sche Reli­gi­on ist nun ein­mal die Offen­ba­rung des mensch­ge­wor­de­nen Logos, des gött­li­chen Wor­tes, Sin­nes und Planes.

Die gan­ze Lek­tü­re löst beim Leser immer wie­der Bekun­dun­gen der Zustim­mung aus: „Ja, das ist eigent­lich logisch.“ „Das ist eine Erfah­rung.“ „Das hat er damals rich­tig erkannt.“

Lefeb­v­re the­ma­ti­siert es auch ausdrücklich:

„Wie sehr ver­stan­den es die frü­he­ren Päp­ste doch, sich klar und ein­fach aus­zu­drücken! Sie sag­ten: Wir sind die Hir­ten und wir müs­sen die Her­de beschüt­zen. Woge­gen? Gegen die Irr­tü­mer, gegen die Laster! (…) So etwas ken­nen wir jetzt seit Papst Johan­nes XXIII. nicht mehr“ (57).

Die Themen

Msgr. Lefebvre Apostolischer Delegat für Französisch-Afrika
Msgr. Lefeb­v­re Apo­sto­li­scher Dele­gat für Französisch-Afrika

Gemäß der Beru­fung des Erz­bi­schofs, die Sub­ver­si­on der Kir­che zu bekämp­fen, bestehen die The­men des Buches in Ana­ly­sen des Libe­ra­lis­mus und der Frei­mau­re­rei. Der reli­giö­se Indif­fe­ren­tis­mus wird scharf kri­ti­siert. Der mensch­li­che Ver­stand will und soll ja gera­de erken­nen, wo Wahr­heit und Heil liegen:

„[Pius IX.] greift sodann einen wei­te­ren Anlass auf, um die frei­mau­re­ri­schen Sek­ten zu ver­ur­tei­len, näm­lich ‚das grau­en­er­re­gen­de System von Gleich­gül­tig­keit gegen­über der Reli­gi­on‘, wel­ches ‚der natür­li­chen Erkennt­nis des Ver­stan­des im höch­sten Maß zuwi­der ist‘.“ (85)

Es geht um Angrif­fe auf Prie­ster­tum und Zöli­bat, um Natur­recht und Natu­ra­lis­mus, Lai­zi­tät des Staa­tes, Sozi­al­leh­re und Mis­si­on. Schließ­lich wird – sehr aktu­ell – am Bei­spiel des Sil­lon von Marc Sang­nier die inner­kirch­li­che Revo­lu­ti­on (gemäß Not­re Char­ge Apo­sto­li­que von Pius X.) genau ana­ly­siert. Sehr wich­tig sind Infor­ma­tio­nen zur Ent­christ­li­chung der Staa­ten durch die Poli­tik Pauls VI. und die de fac­to statt­ge­hab­te kirch­li­che Begün­sti­gung des Sowjet­kom­mu­nis­mus am Kon­zil (streng­ge­nom­men schon vor­her). Anek­do­ten und Eigen­erfah­run­gen des Erz­bi­schofs geben dem Gan­zen eine leben­di­ge Note.

„Das“ Konzil

Oft wird man als Kon­zils­kri­ti­ker mit der Fra­ge kon­fron­tiert, ob man denn glau­be, der Hl. Geist sei am Kon­zil nicht anwe­send gewe­sen. (Ich erin­ne­re mich bei­spiels­wei­se an zwei Gele­gen­hei­ten, da ich aus­drück­lich sol­cher­art gefragt wur­de.) Lefeb­v­re sagt nun, daß das Kon­zil als aus­drück­lich „pasto­ra­les“ und nicht „dog­ma­ti­sches“ im Prin­zip nicht mehr lehr­amt­li­che Ver­bind­lich­keit als eine Pre­digt haben kann. Das klingt etwas respekt­los ange­sichts von „dog­ma­ti­scher Kon­sti­tu­ti­on“ sound­so und der­glei­chen mehr. Aber natür­lich hat die sub­ver­si­ve Kraft genau damit gespielt, „pasto­ral“ und „nicht ver­ur­tei­lend“ sein zu wol­len, und gleich­zei­tig auto­ri­tä­rer zu sein als je zuvor.

Bei einem „pasto­ra­len“ Kon­zil ist „[d]er Hei­li­ge Geist (…) nicht ver­pflich­tet ein­zu­grei­fen, um zu ver­hin­dern, dass Feh­ler began­gen wür­den. Wenn dage­gen das Kon­zil dog­ma­tisch gewe­sen wäre, dann wäre der Hei­li­ge Geist ver­pflich­tet gewe­sen, ein­zu­grei­fen“ (390).

Würdigung

Msgr. Lefebvre als Konzilsvater
Msgr. Lefeb­v­re als Konzilsvater

Nach­dem die Kom­men­ta­re von Erz­bi­schof Lefeb­v­re zu den Zita­ten aus den Enzy­kli­ken der münd­li­chen Rede ent­stam­men, teil­wei­se eher im Plau­der­ton gehal­ten sind und etli­che Wie­der­ho­lun­gen auf­wei­sen, sind sie für Ein­stei­ger in das The­ma sehr gut geeignet.

Es ist ein gro­ßes Ver­dienst, daß Erz­bi­schof Lefeb­v­re die Lehr­schrei­ben der Päp­ste des 19. Jahr­hun­derts und von Pius X. sei­nen Stu­den­ten detail­liert prä­sen­tier­te. Daher gebührt auch dem Sar­to-Ver­lag das Ver­dienst, die Pro­duk­te die­ser Anstren­gun­gen einem grö­ße­ren Publi­kum vorzulegen.

Ein Kritikpunkt

Lei­der muß ein sub­stan­ti­el­ler Kri­tik­punkt genannt wer­den: Ein Buch, das 2014 erscheint und ein Vor­wort von 1994 auf­weist, hat doch eine gewis­se Schwä­che. Der Makel des Unak­tu­el­len besteht damit zu einem gewis­sen Grad.

Man wird also dem Ver­lag emp­feh­len kön­nen, einer Neu­auf­la­ge eine gründ­li­che Dar­stel­lung der Ereig­nis­se seit 1994 anzu­fü­gen, ein­schließ­lich einer aus­führ­li­che­ren Beant­wor­tung der im Titel auf­ge­wor­fe­nen Fra­ge „Ange­klag­ter oder Rich­ter?“. Dafür könn­te man den Haupt­teil, in dem sich doch man­ches wie­der­holt, auf etwa zwei Drit­tel des Umfan­ges straffen.

Resümee

In unse­rer Zeit leben wir in einer prä­ze­denz­lo­sen Zeit kirch­li­cher Kri­se. Das Petrus­amt selbst ist Anlaß gro­ßer Sor­ge gewor­den. Es ist kei­ne Fra­ge, daß der „Rauch Satans“ in das Hei­lig­tum ein­ge­drun­gen ist.

Mit den Erfah­rungs­wer­ten von heu­te, 2015, wer­den wir die Initia­ti­ven von Mgr. Lefeb­v­re, beson­ders die uner­laub­ten Bischofs­wei­hen des Jah­res 1988, dif­fe­ren­ziert beur­tei­len müs­sen. Die Pius­bru­der­schaft hat sich objek­tiv gese­hen als Sta­chel im Fleisch einer in die Ver­welt­li­chung gera­te­nen kirch­li­chen Hier­ar­chie erwie­sen und damit vie­len Gläu­bi­gen gro­ße Dien­ste erwiesen.

Sie hat aller histo­ri­schen Ana­ly­se nach die völ­li­ge Ver­drän­gung der über­lie­fer­ten Lit­ur­gie und vor allem des über­lie­fer­ten Glau­bens verhindert.

In jenem span­nungs­rei­chen Früh­som­mer des Jah­res 1988 konn­te man das aller­dings noch nicht wis­sen. Somit konn­te man damals guten Gewis­sens zu gegen­tei­li­gen Schluß­fol­ge­run­gen in Fra­gen der Vor­gangs­wei­se kom­men. Inso­fern sind gegen­sei­ti­ge Bezich­ti­gun­gen von hüben nach drü­ben und retour entbehrlich.

Möge die­se Publi­ka­ti­on hel­fen, daß alle, die guten Wil­lens sind, die Ereig­nis­se seit dem Ende des II. Vati­can­ums und vor allem seit 1988 in einem grö­ße­ren Kon­text sehen und ent­spre­chen­de Schluß­fol­ge­run­gen zie­hen mögen. Das Ziel kann nur die völ­li­ge Ein­heit in der gan­zen Wahr­heit sein.

Mar­cel Lefeb­v­re, Ange­klag­ter oder Rich­ter? – Eine Dar­le­gung und Ver­tei­di­gung der päpst­li­chen Lehr­ent­schei­dun­gen gegen die moder­nen Irr­tü­mer, Sar­to, Bobin­gen 2014. www​.sar​to​.de

*MMag. Wolf­ram Schrems, katho­li­scher Theo­lo­ge und Phi­lo­soph, Katechist

Bild: Cor­sia dei Servi/​FSSPX Asien

Print Friendly, PDF & Email
Anzei­ge

Hel­fen Sie mit! Sichern Sie die Exi­stenz einer unab­hän­gi­gen, kri­ti­schen katho­li­schen Stim­me, der kei­ne Gel­der aus den Töp­fen der Kir­chen­steu­er-Mil­li­ar­den, irgend­wel­cher Orga­ni­sa­tio­nen, Stif­tun­gen oder von Mil­li­ar­dä­ren zuflie­ßen. Die ein­zi­ge Unter­stüt­zung ist Ihre Spen­de. Des­halb ist die­se Stim­me wirk­lich unabhängig.

Katho­li­sches war die erste katho­li­sche Publi­ka­ti­on, die das Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus kri­tisch beleuch­te­te, als ande­re noch mit Schön­re­den die Qua­dra­tur des Krei­ses versuchten.

Die­se Posi­ti­on haben wir uns weder aus­ge­sucht noch sie gewollt, son­dern im Dienst der Kir­che und des Glau­bens als not­wen­dig und fol­ge­rich­tig erkannt. Damit haben wir die Bericht­erstat­tung verändert.

Das ist müh­sam, es ver­langt eini­ges ab, aber es ist mit Ihrer Hil­fe möglich.

Unter­stüt­zen Sie uns bit­te. Hel­fen Sie uns bitte.

Vergelt’s Gott!