(Paris/Rom) Die Tageszeitung der Französischen Bischofskonferenz La Croix veröffentlichte am vergangenen 29. März ein Interview mit Glaubenspräfekt Gerhard Kardinal Müller, das im Gegensatz zu anderen, die der deutsche Kardinal derzeit mit hoher Frequenz gibt, weniger interessant schien. Die Fragen der Journalisten gingen vorwiegend in Richtung Weltfrieden, Welteinheit und Kollegialität. Als Aufgabe von Papst Franziskus wurde genannt, die Welt zu einen.
Gestern kam Andrea Tornielli, der Hofvatikanist von Papst Franziskus noch einmal mit Kritik auf dieses Interview zurück und lenkte den Blick auf eine Aussage des Kardinalpräfekten. Kardinal Müller zeigte einen Mangel dieses Pontifikats auf und betonte eine zentrale Aufgabe der Glaubenskongregation.
Häufige Äußerungen Kardinal Müllers, weil Pontifikat theologischen Mangel aufweist?
Tornielli schrieb auf Vatican Insider: „Der deutsche, von La Croix interviewte Purpurträger erklärte: ‚Die Besteigung der Kathedra Petri durch einen Theologen wie Benedikt XVI. ist wahrscheinlich eine Ausnahme. Auch Johannes XXIII. war kein Berufstheologe. Papst Franziskus ist auch mehr pastoral und die Glaubenskongregation hat eine Aufgabe ein Pontifikat theologisch zu strukturieren.‘
Laut dem, was Müller erklärt, muß das Ex-Offizium das Pontifikat von Papst Franziskus ‚theologisch strukturieren‘. Wahrscheinlich aus diesem Grund nimmt der Präfekt so oft öffentlich Stellung, wie es zuvor nie der Fall war. (…)“, so Tornielli.
Die Aufgabenverteilung zwischen Papst und Glaubenspräfekt wurde bisher als Unterstützung des Papstes verstanden. Kardinal Müller scheint die Notwendigkeit zu sehen, darüber hinausgehen zu müssen. Die theologischen und doktrinellen Schwächen dieses Pontifikats sind seit dem Amtsantritt von Papst Franziskus bekannt. Eine so offene Betonung durch den Glaubenswächter der katholischen Kirche mißfällt den überzeugten Bergoglianern. Torniellis Artikel gelten in Rom als Sprachrohr des Papstes und seines engsten Umfeldes.
Torniellis Vorwurf: Will sich Glaubenspräfekt über Papst erheben?
In der Apostolischen Konstitution Pastor Bonus von Johannes Paul II. aus dem Jahr 1988 über die Römische Kurie heißt es im Artikel 48: „Die besondere Aufgabe der Kongregation für die Glaubenslehre ist es, die Lehre über Glaube und Sitten auf dem ganzen katholischen Erdkreis zu fördern und zu schützen; ferner kommt ihr alles zu, was diese Materie in irgendeiner Weise berührt.“ Und im Artikel 51: „Um die Wahrheit des Glaubens und die Unversehrtheit der Sitten zu schützen, trägt sie dafür Sorge, daß nicht Glaube und Sitten durch allgemein verbreitete Irrtümer irgendeinen Schaden nehmen.“
Tornielli hält Kardinal Müller entgegen mit seinem Anspruch das Pontifikat „theologisch zu strukturieren“, sich über den Papst zu erheben. Diesem allein stehe es aber zu, der gesamten Kurie in seiner Funktion als „Oberster Hirte und Lehrer aller Gläubigen“ vorzustehen.
Unter Franziskus „verabsolutierte Pastoral“
Der römische Blog Chiesa e postconcilio weist Tornielli darauf hin, daß die Kirche sich immer um die Seelsorge gekümmert habe, da diese zu den ersten Aufgaben des Klerus gehört. „Nie zuvor wurde dies jedoch auf so hinterlistige Weise verabsolutiert, daß sie sogar von der Glaubenslehre abgekoppelt wird, die der Garant für die Treue zur Wahrheit ist.“
Die Absichtserklärung von Kardinal Müller ist von besonderer Bedeutung, weil sie aus höchstem Munde bestätigt, daß das derzeitige Pontifikat unter einem theologischen Mangel leidet. Im Glauben verankerte, hellhörige Gläubige „stellten dies sofort irritiert fest, wurden aber von Koryphäen gescholten und zum Schweigen gebracht, die mit einem Schlag der Papolatrie verfielen“, so Chiesa e postconcilio.
Mit gutem Grund war es stets Praxis, daß sich ein Papst der besten Berater und Mitarbeiter bedient, um im Stand der Gnade dann das letzte entscheidende Wort zu sprechen, das früher auf feierliche und angemessene Weise durch den Stuhl Petri verkündet wurde. Heute hingegen herrscht ein ausschließlich pragmatischer Stil vor, der lediglich mit ungefährer theologischer Genauigkeit arbeitet und darin sogar einen cleveren Vorteil zu sehen scheint. Während die Verlautbarungen auf unangemessene Weise salopp und teilweise fast nebenbei über die Medien erfolgen.
Nach der Rheinischen Schule erledigt Rio de la Plata den Rest
“Johannes XXIII. hatte noch eine gründliche vorkonziliare Ausbildung erfahren. Wenn er verschwommen formulierte, dann hatte er das anderswo gelernt. Vor allem konnte er sich auf eine Kurie stützen, die noch ganz von Pius XII. geprägt war. Heute hingegen hat die Rheinische Schule verwüstet, was noch von der einst glorreichen Römischen Schule übrig war. Der Rio de la Plata mit seinem vagen, ausschließlich auf die Ränder fixierten Horizont in einem exklusiv postkonziliaren Klima erledigt nun den Rest. Selbst für jene, die nie sonderliche Liebhaber der Tradition waren, muß diese Entwicklung besorgniserregend sein.“
In Rom wird zunehmend ein Charakterzug von Kardinal Müller wohlwollend betont, der ihm in Deutschland einige Kritik eingebracht hat. Der deutsche Kardinal gilt nicht nur wegen seiner beeindruckenden Gestalt als ein Mann, der sich nicht leicht einschüchtern läßt. Auch nicht von Botschaften, die ihm über Andrea Tornielli ausgerichtet werden.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Chiesa e postconcilio