Franziskus empfängt europäische Rabbinen – Gedenken an Oberrabbiner Elio Toaff von Rom


Europäische Rabbinen bei Papst Franziskus
Euro­päi­sche Rab­bi­nen bei Papst Franziskus

(Rom) Papst Fran­zis­kus emp­fing eine Dele­ga­ti­on euro­päi­scher Rab­bi­nen. Bei die­ser Gele­gen­heit ver­ur­teil­te das katho­li­sche Kir­chen­ober­haupt erneut „anti­se­mi­ti­sche Ten­den­zen“ in Euro­pa, aber auch „For­men von Haß und Gewalt gegen die Chri­sten und gegen die Gläu­bi­gen ande­rer Reli­gio­nen“. Der Papst gedach­te zudem des römi­schen Ober­rab­bi­ners Elio Toaff, der gestern ver­stor­ben ist.

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Mit der Wahl von Papst Fran­zis­kus haben die Audi­en­zen für Ver­tre­ter jüdi­scher Orga­ni­sa­tio­nen deut­lich zuge­nom­men. Erst­mals emp­fing ein Papst heu­te die Con­fe­rence of Euro­pean Rab­bis. Fran­zis­kus zeig­te sich „außer­or­dent­lich erfreut und dank­bar“, die 30köpfige, von Rab­bi Pin­chas Gold­schmidt ange­führ­te Dele­ga­ti­on emp­fan­gen zu kön­nen, „denn das ist der erste Besuch, der eure Orga­ni­sa­ti­on nach Rom führt, um den Nach­fol­ger des Petrus zu treffen“.

50 Jahre Nostra aetate – „Antisemitische Tendenzen“ in Europa

Der Dia­log zwi­schen der Katho­li­schen Kir­che und der jüdi­schen Gemein­schaft „fin­det seit bald einem hal­ben Jahr­hun­dert auf syste­ma­ti­sche Wei­se statt. Am kom­men­den 28. Okto­ber fei­ern wir den 50. Jah­res­tag der Kon­zils­er­klä­rung Nost­ra aet­a­te, die nach wie vor den Bezugs­punkt von jeder unse­rer Anstren­gun­gen in die­se Rich­tung dar­stellt. Dem Herrn dank­bar erin­nern wir uns die­ser Jah­re und freu­en uns an den erreich­ten Fort­schrit­ten und der Freund­schaft, die inzwi­schen zwi­schen uns gewach­sen ist“, so der Papst.

Fran­zis­kus beton­te dann, daß es „heu­te in Euro­pa mehr denn je not­wen­dig ist, die geist­li­che und reli­giö­se Dimen­si­on des mensch­li­chen Lebens her­vor­zu­he­ben. In einer immer mehr vom Säku­la­ris­mus gezeich­ne­ten und vom Athe­is­mus bedroh­ten Gesell­schaft, lau­fe man Gefahr, zu leben, als wür­de Gott nicht exi­stie­ren. Der Mensch ist häu­fig ver­sucht, sich an die Stel­le Got­tes zu erhe­ben und sich selbst als Maß­stab aller Din­ge zu betrach­ten, zu mei­nen, alles kon­trol­lie­ren zu kön­nen und sich befugt zu sehen, alles was ihn umgibt, will­kür­lich gebrau­chen zu kön­nen. Dage­gen ist es wich­tig, dar­an zu erin­nern, daß unser Leben ein Geschenk Got­tes ist, und daß wir uns Gott anver­trau­en müs­sen und uns immer an ihn zu wen­den haben. Juden und Chri­sten haben die Gabe und die Ver­ant­wor­tung, dazu bei­zu­tra­gen, den reli­giö­sen Sinn der Men­schen von heu­te und unse­rer Gesell­schaft wach­zu­hal­ten, indem sie die Hei­lig­keit Got­tes und des mensch­li­chen Lebens bezeu­gen: Gott ist hei­lig und hei­lig und unver­letz­lich ist das von ihm geschenk­te Leben.“

„Aktu­ell besor­gen in Euro­pa die anti­se­mi­ti­schen Ten­den­zen und eini­ge Akte des Has­ses und der Gewalt. Jeder Christ muß ent­schlos­sen jede Form des Anti­se­mi­tis­mus ver­ur­tei­len und dem jüdi­schen Volk sei­ne Soli­da­ri­tät bekun­den“, sag­te der Papst unter Ver­weis auf Nost­ra aet­a­te und auf das Geden­ken „der gro­ßen Tra­gö­die der Sho­ah“ die­ser Tage. Fran­zis­kus been­de­te sei­ne Aus­füh­rung mit der Bit­te, für ihn zu beten und dem Gruß „shalom alechem“.

Gedenken an Roms Oberrabbiner Elio Toaff

Fran­zis­kus erin­ner­te aus aktu­el­lem Anlaß zudem an den am Sonn­tag ver­stor­be­ne römi­schen Ober­rab­bi­ner Elio Toaff, der von 1951 bis 2001 der Israe­li­ti­schen Kul­tus­ge­mein­de Roms vor­stand. Der Papst wür­dig­te ihn als „Mann des Frie­dens und des Dia­logs“, der 1986 „Papst Johan­nes Paul II. bei des­sen histo­ri­schem Besuch in der Gro­ßen Syn­ago­ge Rom will­kom­men hieß“. Zum Tod Toaffs sand­te Fran­zis­kus dem amtie­ren­den Ober­rab­bi­ner Ric­car­do Di Seg­ni ein Bei­leidschrei­ben. „Ich erhe­be mei­ne Gebe­te zum Aller­höch­sten, reich an Lie­be und Treue, auf daß er ihn in sei­nem Frie­dens­reich auf­neh­me“, so der Papst zu den euro­päi­schen Rabbinen.

Vor­gän­ger Toaffs als Ober­rab­bi­ner war Italo Zol­li (Isra­el Anton Zol­ler), der 1940–1945 der Israe­li­sti­schen Kul­tus­ge­mein­de von Rom vor­stand und der mit Tau­sen­den ande­ren damals in Rom und Umge­bung leben­den Juden durch Papst Pius XII. geret­tet wur­de. Wäh­rend des Zwei­ten Welt­krie­ges näher­te sich Zol­li dem christ­li­chen Glau­ben an und kon­ver­tier­te nach Krie­ge­sen­de zur Katho­li­schen Kir­che. Bei sei­ner Tau­fe nahm er aus Dank­bar­keit gegen­über Pius XII. den christ­li­chen Namen Euge­nio Pio an.

Elio Toaff wur­de 1941 Rab­bi in Anco­na. Nach der deut­schen Beset­zung Ita­li­ens und der Befrei­ung Mus­so­li­nis schloß er sich der Par­ti­sa­nen­be­we­gung an. Von 1947 bis zu sei­ner Beru­fung nach Rom war er Rab­bi in Vene­dig. Er ist der Vater des Histo­ri­kers Ari­el Toaff (Bar-Ilan-Uni­ver­si­tät in Ramat Gan, Isra­el), der mit dem 2007 ver­öf­fent­lich­ten, doch sofort wie­der ein­ge­zo­ge­nen Buches „Pas­que di San­gue“ („Pas­sah­gest des Blu­tes“, aber auch „Blu­t­o­stern“) für Auf­se­hen sorgte.

Ari­el Toaff unter­such­te in dem Buch die histo­ri­schen Fak­ten hin­ter den spät­mit­tel­al­ter­li­chen Ritu­al­mor­den, die „deut­schen“ Juden in Tirol (Tri­ent, Rinn, Kal­tern, Lienz) zum Vor­wurf gemacht wur­den. Kon­kret unter­such­te Toaff die Pro­zeß­ak­ten im Fall des Simon von Tri­ent, das Lebens­um­feld der soge­nann­ten deut­schen jüdi­schen Gemein­den in Ober­ita­li­en, deren Han­dels­be­zie­hun­gen, poli­ti­sche Kon­tak­te zu Vene­dig und die Ver­tei­di­gungs­stra­te­gien, die die Gemein­schaft den ange­klag­ten Juden in Tri­ent zukom­men ließ. Im Mit­tel­punkt der Unter­su­chung steht der Vor­wurf, askena­si­schen Juden hät­ten am Kar­frei­tag dem Lei­dens- und Todes­tag Chri­sti christ­li­che Kin­der ent­führt und ritu­ell durch Schäch­tung getö­tet, um deren Blut für anti­christ­li­che Ritua­le zu gewinnen.

Laut Toaff habe es einen jüdi­schen Han­del mit Men­schen­blut gege­ben, das aus der Levan­te mit angeb­lich heil­sa­mer Wir­kung über Vene­dig nach Euro­pa impor­tiert wor­den sei. Vor die­sem Hin­ter­grund sei­en die Ritu­al­mord­vor­wür­fe zur Gewin­nung von Chri­sten­blut zu sehen, die Toaff als christ­li­che Kon­struk­te bezeich­ne­te, um den Tod von Kin­dern, die am Kar­frei­tag ums Leben kamen, zu erklä­ren, wobei er jedoch nicht aus­schloß, daß es klei­ne extre­mi­sti­sche jüdi­sche Krei­se gege­ben haben könn­te, die beson­de­re Ritua­le durchführten.

Das Buch stieß in der jüdi­schen Welt noch vor sei­ner Ver­öf­fent­li­chung auf so hef­ti­ge Kri­tik, daß es von Toaff bald nach Erschei­nen zurück­ge­zo­gen wur­de. Israe­li­sche Poli­ti­ker hat­ten sei­ne straf­recht­li­che Ver­fol­gung wegen Dif­fa­mie­rung der jüdi­schen Reli­gi­on gefor­dert und das Ende sei­ner aka­de­mi­schen Lauf­bahn in den Raum gestellt. Ari­el Toaff ver­pflich­te­te sich dar­auf, die Tan­tie­men für sein Buch der Anti-Defa­ma­ti­on League zu spenden.

Das Buch erschien 2008 in über­ar­bei­te­ter und ent­schärf­ter Form neu, wur­de aber fak­tisch vom Wis­sen­schafts­be­trieb mit Nicht­be­ach­tung gestraft. Dar­in bekräf­tig­te Toaff die all­ge­mei­ne Mei­nung, daß es sich bei dem Vor­wurf, Juden hät­ten Chri­sten­blut gewon­nen, um eine christ­li­che Legen­de hand­le. Sein Vater Elio Toaff distan­zier­te sich damals öffent­lich vom Ritu­al­m­ord­nuch sei­nes Soh­nes: „Die jüdi­sche Kul­tur grün­det auf Frie­den und Ver­ge­bung. Es han­delt sich um Legen­den ohne jede Grundlage“.

Elio Toaff wur­de 2005 für einen Sitz im Ita­lie­ni­schen Ober­haus als Sena­tor auf Lebens­zeit vorgeschlagen.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Osser­va­to­re Romano

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