Würzburg, 16. März 1945: Zerstörung einer Barockstadt – Vor 70 Jahren (1)


Würzburg nach dem 16. März 1945
Würz­burg nach dem 16. März 1945

In der Nacht des 16. März 1945 leg­te eine bri­ti­scher Bom­ber­flot­te die schö­ne Barock­stadt Würz­burg in Trüm­mer. 21.000 Woh­nun­gen sowie 35 Kir­chen, Kapel­len und der Bischofs­dom mit Tau­sen­den von Kul­tur­schät­zen wur­den vernichtet. 

Anzei­ge

Ein Gast­bei­trag von Hubert Hecker

Ab dem 25. Sep­tem­ber 1939 bom­bar­dier­te die deut­sche Luft­waf­fe War­schau drei Tage lang in 1180 Ein­sät­zen. Danach bestand die Stadt „nur noch aus Rui­nen“. Theo­re­tisch war das Bom­bar­de­ment mit der Haa­ger Land­kriegs­ord­nung ver­ein­bar, inso­fern offi­zi­ell nur kriegs­wich­ti­ge Zie­le in der mili­tä­risch ver­tei­dig­ten Stadt bei Vor­war­nung der Bevöl­ke­rung ange­grif­fen wur­den. Aber die deut­sche Luft­waf­fen­füh­rung ver­riet im Nach­hin­ein selbst ihre kriegs­ver­bre­che­ri­schen Absich­ten, indem sie von der groß­ar­ti­gen Wir­kung ihrer Spreng- und Brand­bom­ben „auf groß­städ­ti­sche Wohn­blocks“ schwärm­te, wobei sich ein­zel­ne Brand­her­de „aus­dehn­ten bis zu einer Brandkatastrophe“.

Hit­ler hat­te nach einem bri­ti­schen Ver­gel­tungs­an­griff auf Ber­lin im Sep­tem­ber 1940 ver­kün­det: „Wir wer­den ihre Städ­te aus­ra­die­ren.“ Vor­erst blieb aller­dings die Luft­waf­fe bei der Luft­schlacht um Eng­land bei ihren Zie­len, vor­ran­gig Indu­strie- und Hafen­an­la­gen zu tref­fen – auch bei den Angrif­fen auf Coven­try und Lon­don. Tat­säch­lich aber hat­ten die Nacht-Bom­bar­de­ments bei der dama­li­gen Ziel­un­ge­nau­ig­keit oft­mals den Cha­rak­ter von unter­schieds­lo­ser Flächenbombardierung.

Bombardierung von zivilen Wohnstädten: Verbrechen durch Hitlers Kriegsführung

Deutscher Bomber über dem brennenden Warschau
Deut­scher Bom­ber über dem bren­nen­den Warschau

Im wei­te­ren Ver­lauf des Kriegs gab sich die Luft­waf­fe immer weni­ger Mühe, den kriegs­recht­li­chen Anschein zu wah­ren. Nach den zwei­tä­gi­gen Angrif­fen auf Bel­grad Anfang April 1941 began­nen 1942 offe­ne Ter­ror­schlä­ge gegen eng­li­sche Städ­te. Die so genann­ten Bae­de­ker-Angrif­fe gegen Städ­te wie Bath, Exe­ter oder Can­ter­bu­ry soll­ten mili­tä­risch unwich­ti­ge, allein tou­ri­stisch inter­es­san­te Wohn­städ­te „aus­ra­die­ren“.

Im August 1942 warf die Luft­waf­fe tage­lang flä­chen­deckend Bom­ben auf Sta­lin­grad: etwa 40. 000 Men­schen kamen dabei um, eine bis dahin uner­hör­te Zahl zivi­ler Opfer. 1944 begann schließ­lich die Beschie­ßung bri­ti­scher Städ­te mit den „Ver­gel­tungs­waf­fen“ V1 und V2, die nicht ziel­ge­nau gesteu­ert wer­den konn­ten und wahl­los alles tra­fen. Ins­ge­samt 66. 400 Men­schen star­ben in Groß­bri­tan­ni­en bei deut­schen Luftangriffen.

Zumin­dest die unge­ziel­ten Bom­bar­die­run­gen von Wohn­städ­ten ab 1942 durch die deut­sche Luft­waf­fe waren ein­deu­tig kriegs­ver­bre­che­ri­sche Hand­lun­gen. Da stellt sich natür­lich die Fra­ge: War­um wur­den die­se Ver­bre­chen unter Hit­lers Kriegs­füh­rung von den Alli­ier­ten nicht zum Gegen­stand des inter­na­tio­na­len Kriegs­ver­bre­cher­tri­bu­nals in Nürn­berg gemacht? Die Ant­wort ergibt sich nach der Lek­tü­re der fol­gen­den Ausführungen.

Britische Städtebombardierung, als der Krieg entschieden war

Würzburg: Die Zerstörung einer Stadt
Würz­burg: Die Zer­stö­rung einer Stadt

Mit­te März 1945 war der Krieg zwi­schen Hit­ler­deutsch­land und den Alli­ier­ten fak­tisch ent­schie­den. Um Ber­lin zog sich der rus­si­sche Bela­ge­rungs­ring immer enger zusam­men. Anfang März hat­ten die Ame­ri­ka­ner bei Rema­gen erst­mals den Rhein über­schrit­ten – und bald dar­auf über­quer­ten die Bri­ten den Rhein bei Wesel.

Die inner­städ­ti­schen Wohn­ge­bie­te aller deut­schen Groß­städ­te waren zu 50 bis 80prozentig zer­stört. Man­che Städ­te hat­ten bis zu zwan­zig Luft­an­grif­fe erlebt. Etwa ab Anfang des Jah­res 1945 began­nen die Alli­ier­ten ver­stärkt, mili­tä­risch unbe­deu­ten­de Klein- und Mit­tel­städ­te zu bom­bar­die­ren. Am 12. Febru­ar rich­te­ten ame­ri­ka­ni­sche Bom­ber das „Mas­sa­ker von Swi­ne­mün­de“ (Jörg Fried­rich) mit über 20.000 zivi­len Opfern an. Nach dem bri­ti­schen Bom­ben­an­griff auf Pforz­heim am 23. Febru­ar waren 17.000 Bom­ben­op­fer zu bekla­gen. Am 19. März zer­stör­te eine alli­ier­te Bom­ber­flot­te die idyl­li­sche Kur- und Laza­rett­stadt Nas­sau an der Lahn. Ab Mit­te März waren im Wochen­takt die drei Bischofs­städ­te Würz­burg, Hil­des­heim und Pader­born durch bri­ti­sche Bom­bar­de­ments in Schutt und Asche gelegt.

Verheerender als in Dresden

Würzburg nach dem britischen Luftangriff
Würz­burg nach dem bri­ti­schen Luftangriff

Am Abend des 16. März 1945 rie­fen die heu­len­den Sire­nen die Bewoh­ner von Würz­burg wie vie­le Näch­te vor­her in die Luft­schutz­räu­me. Aber dies­mal waren es nicht Über­flie­ger, vor denen man warn­te – die schö­ne Barock­stadt selbst war das Angriffs­ziel der Bomber.

Ab 21.30 Uhr ver­wan­del­ten 230 bri­ti­sche Bom­ber Würz­burg in eine Feu­er­höl­le. Die tau­send­jäh­ri­ge Kul­tur­stadt in Unter­fran­ken wur­de zu fünf­und­acht­zig Pro­zent vernichtet.

Die bri­ti­schen Krie­ger zer­stör­ten aus der Luft 21.000 Woh­nun­gen, 35 Kir­chen mit Tau­sen­den von Kul­tur­schät­zen, alle städ­ti­schen Archi­ve und histo­ri­schen Biblio­the­ken sowie zahl­rei­che Bau­denk­mä­ler – dar­un­ter den Dom und Tei­le der Würz­bur­ger Resi­denz mit dem Spiegelsaal.

Die Zer­stö­run­gen der welt­be­rühm­ten Barock­stadt Würz­burg waren tota­ler und ver­hee­ren­der als die drei Wochen vor­her in Dresden.

Vor den Angrif­fen der Bri­ten war die Stadt prall­ge­füllt mit Eva­ku­ier­ten, Flücht­lin­gen und Sani­täts­ko­lon­nen. 5.000 Zivi­li­sten – vor allem Kin­der, Frau­en und alte Men­schen – ver­brann­ten bei dem bri­ti­schen Brand­bom­ben­an­griff von 17 Minuten.

Bis zum Febru­ar 1945 stand Würz­burg nicht auf der Liste des bri­ti­schen „Bom­ber Bae­deckers“. Denn die alte Resi­denz­stadt war unter dem Gesichts­punkt von Rüstungs­in­du­strie, Schlüs­sel­in­du­strien und Trans­port­li­ni­en stra­te­gisch bedeutungslos.

Schon ab 1942 hat­te die bri­ti­sche Kriegs­re­gie­rung mit dem Wech­sel zum Bom­bar­de­ment von Wohn­ge­bie­ten es weit­ge­hend auf­ge­ge­ben, gezielt das indu­stri­el­le Kriegs­po­ten­ti­al in Deutsch­land zu zer­stö­ren. Bei Kriegs­en­de waren die deut­schen Indu­strie­an­la­gen noch zu über 80 Pro­zent intakt.

Möglichst viele Zivilisten töten

Die bri­ti­sche Bom­ber-Stra­te­gie ziel­te mit ihrem nächt­li­chen Flä­chen­bom­bar­de­ments allein auf Wohn­städ­te – anschei­nend mit der Absicht, mög­lichst vie­le Zivi­li­sten zu töten:

„Wir wol­len mit unse­ren Spreng­bom­ben Boches unter den Trüm­mern ihrer Häu­ser begra­ben und Boches umbrin­gen“ – nahm der ver­ant­wort­li­che Luft­waf­fen­ge­ne­ral, Mar­schall Artur Har­ris (+1984), kein Blatt vor den Mund.

„Boches“ war ein fran­zö­si­sches Schimpf­wort gegen die Deut­schen. Har­ris wur­de im Lau­fe des Krie­ges auch von eng­li­scher Sei­te als „Bom­ber Har­ris“ oder „But­cher Har­ris“ – Metz­ger Har­ris – charakterisiert.

Die bri­ti­sche Regie­rung recht­fer­tig­te ihre Bom­ben gegen Zivi­li­sten als „moral bom­bing“. Durch das Blut­bad an Zivi­li­sten soll­te die Moral der Über­le­ben­den gebro­chen wer­den. Die­se mora­li­sche Ver­un­si­che­rung an der „Hei­mat­front“ soll­te dann auf die Kampf­mo­ral der Front­sol­da­ten aus­strah­len, so dass über Resi­gna­ti­ons­ten­den­zen im deut­schen Heer der Krieg schnel­ler been­det wer­den würde.

Dabei wuss­te die Chur­chill-Regie­rung genau, dass nicht ein­mal die erste Stu­fe der mora­li­schen Desta­bi­li­sie­rungs­stra­te­gie erreicht wer­den wür­de. Die eige­nen Erfah­run­gen von nächt­li­chen Städ­te­bom­bar­de­ments aus dem deut­schen „Blitz“-Krieg von 1940/​41 spra­chen dage­gen. Win­s­ton Chur­chill hat­te damals selbst ver­kün­det: „Hit­ler glaubt, die Bewoh­ner die­ser mäch­ti­gen Stadt ter­ro­ri­sie­ren und demo­ra­li­sie­ren zu kön­nen. Er weiß nichts von der Zähig­keit der Lon­do­ner.“ Die Luft­an­grif­fe hat­ten die Gesell­schaft in ihrem Über­le­bens­wil­len noch stär­ker zusammengeschweißt.

Die­se Beschrei­bung traf auch für die bom­bar­dier­ten deut­schen Städ­te zu, ver­stärkt mit den Durch­hal­te­pa­ro­len der Nazi-Pro­pa­gan­da. Somit konn­te auch die ange­ziel­te Demo­ra­li­sie­rung der Front­trup­pen nicht wir­ken. Mit der Erkennt­nis, dass der Krieg durch die jah­re­lan­gen Städ­te­bom­bar­die­run­gen nicht ver­kürzt wur­de, hat­te die moral-bom­bing-Stra­te­gie sei­ne letz­te mora­li­sche Recht­fer­ti­gung ver­lo­ren – erst recht in den letz­ten Kriegsmonaten.

Zum Ende des Krie­ges hat­ten die Bri­ten eine aus­ge­feil­te Zer­bom­bungs­tech­nik ent­wickelt: ein Vor­bom­ber kenn­zeich­ne­te einen mar­kan­ten Ori­en­tie­rungs­punkt vor der Stadt mit roten Ziel­mar­kie­rungs­bom­ben. Bei Würz­burg waren das die Sport­plät­ze im städ­ti­schen Vor­feld. Alle drei Bom­ber­wel­len muss­ten über die­sen Mar­kie­rungs­punkt ein­flie­gen, um dann in abge­steck­ten Sek­to­ren fächer­för­mig über der Stadt mit ihrer töd­li­chen Bom­ben­last aus­zu­schwär­men. Jedem Pilo­ten wur­de eine spe­zi­el­le Flug­bahn zuge­wie­sen, auf der er zeit­ver­setzt sein Bom­ben aus­lö­ste. Auf die­se Wei­se war eine bom­ben­si­che­re Flä­chen­zer­stö­rung der Stadt gewährleistet.

In der ersten Bom­ber-Wel­le wur­den die Dächer und Fen­ster der Alt­stadt mit 256 schwe­ren Spreng­bom­ben und 396 Ton­nen Luft­mi­nen auf­ge­ris­sen, um so die brand­ent­fa­chen­de Wir­kung der nach­her abge­wor­fe­nen 300.000 Stab­brand­bom­ben zu begün­sti­gen. Inner­halb kur­zer Zeit ent­stand aus ver­ein­zel­ten Brand­ne­stern ein ein­zi­ger flä­chen­decken­der Brand­herd, der sich zu einem Höl­len­feu­er mit Tem­pe­ra­tu­ren von 1500 bis 2000 °C ent­wickel­te. Die Men­schen konn­ten nur in pro­vi­so­risch vor­be­rei­te­ten Kel­ler­räu­men Zuflucht suchen, befe­stig­te Bun­ker gab es kaum.
Noch in einer Ent­fer­nung von 240 Kilo­me­tern sahen die bri­ti­schen Flie­ger­be­sat­zun­gen von ihren Flug­zeu­gen aus den Feu­er­schein der bren­nen­den Stadt. Gegen 2.00 Uhr mor­gens am 17. März 1945 kehr­ten die letz­ten Bom­ber wohl­be­hal­ten zu ihren Stütz­punk­ten zurück.

Frauen und Kinder in den Luftschutzkellern erstickten und verschmorten

Das zerstörte Würzburg: Blick auf den Marienberg
Das zer­stör­te Würz­burg: Blick auf den Marienberg

Aus den Trüm­mern der Stadt wur­den in den Fol­ge­ta­gen etwa 3000 Tote gebor­gen. Mit ca. 2000 unter Trüm­mern ver­schüt­te­ten Lei­chen von nicht ange­mel­de­ten Flücht­lin­gen wur­de gerech­net. „Unter den Toten ist jedes Alter und Geschlecht ver­tre­ten, vom Säug­ling bis zum Greis. Es gibt unver­sehr­te, blu­ti­ge, zer­quetsch­te, stau­bi­ge, schwar­ze und ver­brann­te. Auch Tei­le von Lei­bern sind dabei“ – so der Würz­bur­ger Dom­ka­plan Fritz Bau­er. Ein ande­rer Zeit­zeu­ge erzähl­te: „Offen­bar ent­wickel­te sich eine so ent­setz­lich gro­ße Hit­ze mit Rauch­ent­wick­lung, dass sämt­li­che Insas­sen des Luft­schutz­kel­lers, nur Frau­en und Kin­der, schließ­lich erstick­ten und verschmorten. …“

Drei Wochen nach der Bom­bar­die­rung nah­men US-Trup­pen die trost­lo­se Trüm­mer­wü­ste ein, die ehe­mals die schö­ne Barock­stadt Würz­burg gewe­sen war. Acht Wochen spä­ter war der Krieg zu Ende.

Bei sei­ner Radio-Sie­ges­an­spra­che am 13. Mai erwähn­te Chur­chill den Bei­trag der Bom­ber­flot­te zum Sieg über Hit­ler-Deutsch­land mit kei­nem Wort. Die­ses Ver­hal­ten kam einem Ein­ge­ständ­nis gleich, dass die Bom­bar­die­rungs­stra­te­gie ihre Kriegs­zie­le nicht erreicht hat­te. Der rie­si­ge Auf­wand der Bom­ber­flot­te über fast fünf Jah­re, mensch­li­che und sach­li­che Res­sour­cen war kriegs­po­li­tisch weit­ge­hend sinn­los ver­pul­vert wor­den. Das ‚moral bom­bing’ der Bri­ten hat­te sich zu einem unmo­ra­li­schen Bom­ben­krieg ver­kehrt. Die 600.000 deut­schen Zivil­op­fer waren eine mora­li­sche Ankla­ge für den Sieger.

Daher soll­ten nach dem Kriegs­en­de die Mas­sa­ker der Alli­ier­ten aus dem öffent­li­chen Blick genom­men wer­den. Das galt ins­be­son­de­re auch in Hin­sicht die Vor­be­rei­tun­gen für das inter­na­tio­na­le Mili­tär-Tri­bu­nal in Nürn­berg. Denn bei den anste­hen­den Bera­tun­gen über den Pro­zess gegen die Besieg­ten soll­ten allein die Unta­ten der natio­nal­so­zia­li­sti­schen Füh­rung Deutsch­lands in den Fokus gerückt werden.

Die Siegermächte bogen sich eine Rechtsgrundlage zu ihren Gunsten zurecht

Bei den Über­le­gun­gen im Som­mer 1945 zu dem Sta­tut des ‘Inter­na­tio­na­len Mili­tär­ge­richts­hofs’ bogen die Sie­ger­mäch­te das Recht so hin, dass ihre eige­nen Kriegs­ver­bre­chen nicht zur Spra­che gebracht wer­den sollten.

Die bestehen­den Völ­ker­rechts­re­geln, die Haa­ger Kriegs­kon­ven­ti­on von 1907 sowie spä­te­re völ­ker­rechts­re­le­van­te Ver­trä­ge hät­ten als Ankla­ge gegen die natio­nal­so­zia­li­sti­schen Kriegs­ver­bre­cher ausgereicht.

Aber eini­ge For­mu­lie­run­gen in den Tex­ten behag­ten den Sie­gern nicht.
In der damals gül­ti­gen Haa­ger Land­kriegs­ord­nung hieß es im 2. Abschnitt, Arti­kel 22:
„Die Krieg­füh­ren­den haben kein unbe­schränk­tes Recht in der Wahl des Mit­tel zur Schä­di­gung des Feindes.“

Nach der Haager Kriegsordnung waren Flächenbombardierungen Kriegsverbrechen

„Bei Bela­ge­rung und Beschie­ßung sol­len alle erfor­der­li­chen Vor­keh­run­gen getrof­fen wer­den, um die dem Got­tes­dienst, der Kunst, der Wis­sen­schaft und der Wohl­tä­tig­keit gewid­me­ten Gebäu­de, die geschicht­li­chen Denk­mä­ler, die Hos­pi­tä­ler und Sam­mel­plät­ze für Kran­ke und Ver­wun­de­te soviel wie mög­lich zu schonen.“

Doch die bri­ti­sche Kriegs­füh­rung hat­te sich bei den Städ­te­bom­bar­die­run­gen nicht um Kir­chen, Kul­tur- und Kran­ken­häu­ser geschert und gera­de in den letz­ten Kriegs­mo­na­ten bedeu­ten­de Kul­tur­städ­te zerstört.

Es scheint, als wenn die Sie­ger­mäch­te sol­che ein­deu­ti­gen Rechts­for­mu­lie­run­gen zu umge­hen ver­such­ten, indem der Inter­na­tio­na­le Gerichts­hof neue, rück­wir­kend Geset­ze auf­stell­te. Die wur­den mit Grund­sät­zen der natür­li­chen Gerech­tig­keit begründet.

Massentötung von Zivilisten, Zerstörung von Kultureinrichtungen waren mutwillige Terrorakte

Würzburg: Eine zerstörte Stadt
Würz­burg: Eine zer­stör­te Stadt

Aber auch die­se neu­en Rechts­re­geln beinhal­te­ten immer noch Ankla­gen gegen ihre eige­nen Ver­fas­ser: Denn auch „die mut­wil­li­ge Zer­stö­rung von Städ­ten, Märk­ten oder Dör­fer oder jede durch mili­tä­ri­sche Not­wen­dig­keit nicht gerecht­fer­tig­te Ver­wü­stung“ wur­de im Nürn­ber­ger Pro­zess-Sta­tut geäch­tet. Die­se For­mu­lie­run­gen waren auf Hit­lers Ver­nich­tungs­krieg ins­be­son­de­re in der Sowjet­uni­on gemünzt.

Doch den Ter­mi­nus „mut­wil­lig“ hat­te auch Chur­chill in sei­nem Memo­ran­dum vom 28. März 1945 zu den Bom­bar­die­run­gen sei­ner eige­nen Luft­streit­kräf­te gebraucht, als er aus­führ­te: „Ich glau­be, es ist nötig, dass wir uns mehr auf mili­tä­ri­sche Zie­le kon­zen­trie­ren statt auf rei­ne Akte des Ter­rors und der mut­wil­li­gen Zerstörung.“

„Mili­tä­risch not­wen­dig“ waren die bri­ti­schen Flä­chen­bom­bar­de­ments auf Innen- und Wohn­städ­te wäh­rend der drei letz­ten Kriegs­jah­re offen­sicht­lich genau­so wenig wie der ame­ri­ka­ni­sche Bom­ben­an­griff auf Tokio am 9. März 1945 mit 100.000 Toten.

Abso­lut sinn­los im mili­tä­ri­schen Sin­ne waren die alli­ier­ten Flä­chen­bom­bar­de­ments gegen die deut­schen Kul­tur­städ­te in den letz­ten Kriegs­mo­na­ten. Nach die­ser Ein­schät­zung kämen sie in die Nähe der „Ver­bre­chen gegen die Mensch­lich­keit“ als „unmensch­li­che Hand­lun­gen an der Zivil­be­völ­ke­rung“, dem vier­ten Haupt­an­kla­ge­punkt des Nürn­ber­ger Kriegsverbrechertribunals.

Aber die Sie­ger­mäch­te ver­hin­der­ten in Nürn­berg jede Erör­te­rung und Ankla­ge gegen alli­ier­te Kriegs­ver­bre­chen. Dar­über hin­aus ver­bot die Sie­ger­ju­stiz aus­drück­lich den Ver­tei­di­gern der deut­schen Ange­klag­ten den Rück­ver­weis auf alli­ier­te Kriegsverbrechen:
Das Rechts­ar­gu­ment „tu quo­que“ – „du auch“ oder glei­ches Maß für glei­chen Tat­be­stand – wur­de im Nürn­ber­ger Pro­zess­recht expli­zit unter­sagt. Auf die­sem Wege ver­hin­der­ten die Alli­ier­ten als Gerichts­her­ren, dass die von Hit­ler befoh­le­nen kriegs­ver­bre­che­ri­schen Städ­te­bom­bar­die­rung von War­schau, Lon­don, Bel­grad und Sta­lin­grad nicht ange­klagt und geahn­det wurde.

Schlim­mer noch für die Zukunft soll­te sich aus­wir­ken, dass mit der Ver­let­zung des grund­le­gen­den juri­sti­schen Gleich­be­hand­lungs­ge­bo­tes die Völ­ker­rechts­spre­chung nach­hal­tig beschä­digt wur­de: die Füh­rer sieg­rei­cher Groß­mäch­te brau­chen bis heu­te kei­ne Ankla­ge zu Kriegs­ver­bre­chen fürch­ten. So wagt es der Inter­na­tio­na­le Gerichts­hof in Den Haag nicht, Geor­ge W. Bush und sei­ne Regie­rung anzu­kla­gen wegen des Irak-Kriegs 2003.

In die­sem Fall ist unbe­strit­ten, dass die US-Regie­rung damals betei­ligt war an der „Pla­nung und Durch­füh­rung eines Angriffs­kriegs“ – den ersten bei­den der vier Haupt­an­kla­ge­punk­te im Nürn­ber­ger Kriegsverbrechertribunal .

Premierminister Chamberlain sprach das Urteil über die britischen Bombardements

Es gibt aller­dings ein mora­li­sches Urteil über die bri­ti­schen Bom­bar­de­ments der deut­schen Städ­te mit bis zu 600.000 Zivil­to­ten. Das hat­te der Vor­gän­ger des bri­ti­schen Pre­mier­mi­ni­sters Win­s­ton Chur­chill aus­ge­spro­chen. Neville Cham­ber­lain erklär­te am 21. Juni 1938 vor dem Bri­ti­schen Unterhaus:

„Erstens ver­stößt es gegen das Völ­ker­recht, Zivil­per­so­nen als sol­che zu bom­bar­die­ren und die Zivil­be­völ­ke­rung vor­sätz­lich anzugreifen.“

„Zwei­tens müs­sen Zie­le, die aus der Luft beschos­sen wer­den, legi­ti­me mili­tä­ri­sche Zie­le sein und iden­ti­fi­ziert wer­den können.“

„Drit­tens muss der Angriff auf die­se Zie­le mit ange­mes­se­ner Sorg­falt aus­ge­führt wer­den, damit nicht aus Unacht­sam­keit Zivil­per­so­nen in der nähe­ren Umge­bung bom­bar­diert werden.“

Zur wei­ter­füh­ren­den Lek­tü­re emp­foh­len: A.C. Gray­ling: Die toten Städ­te. Waren die alli­ier­ten Bom­ben­an­grif­fe Kriegs­ver­bre­chen? deutsch 2007, und der Wiki­pe­dia: Bom­ben­an­griff auf Würz­burg am 16. März 1945.

Text: Hubert Hecker
Bild: s. Web­links zum Wikipedia-Eintrag

Print Friendly, PDF & Email
Anzei­ge

Hel­fen Sie mit! Sichern Sie die Exi­stenz einer unab­hän­gi­gen, kri­ti­schen katho­li­schen Stim­me, der kei­ne Gel­der aus den Töp­fen der Kir­chen­steu­er-Mil­li­ar­den, irgend­wel­cher Orga­ni­sa­tio­nen, Stif­tun­gen oder von Mil­li­ar­dä­ren zuflie­ßen. Die ein­zi­ge Unter­stüt­zung ist Ihre Spen­de. Des­halb ist die­se Stim­me wirk­lich unabhängig.

Katho­li­sches war die erste katho­li­sche Publi­ka­ti­on, die das Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus kri­tisch beleuch­te­te, als ande­re noch mit Schön­re­den die Qua­dra­tur des Krei­ses versuchten.

Die­se Posi­ti­on haben wir uns weder aus­ge­sucht noch sie gewollt, son­dern im Dienst der Kir­che und des Glau­bens als not­wen­dig und fol­ge­rich­tig erkannt. Damit haben wir die Bericht­erstat­tung verändert.

Das ist müh­sam, es ver­langt eini­ges ab, aber es ist mit Ihrer Hil­fe möglich.

Unter­stüt­zen Sie uns bit­te. Hel­fen Sie uns bitte.

Vergelt’s Gott!