(Rom) Am kommenden Samstag, den 7. März wird Papst Franziskus die römische Pfarrei Ognissanti (Allerheilligen) aufsuchen. Anlaß ist der 50. Jahrestag der ersten von Papst Paul VI. am 7. März 1965 zelebrierten Heiligen Messe im „reformierten“ italienisch-lateinischen Missale. Im Zuge des Zweiten Vatikanischen Konzils wurde die Volkssprache in die Heilige Liturgie eingeführt. Am 12. März 1965 wurde das neue Missale mit dem Imprimatur von Kardinal Giacomo Lercaro, dem Liturgieverantwortlichen der Italienischen Bischofskonferenz für Italien veröffentlicht.
Der Vatikanist Andrea Tornielli betonte in einem jüngst auf Vatican Insider erschienenen Artikel den provisorischen Charakter dieses Missale: „Vor 50 Jahren wurde die erste Fassung des nachkonziliaren römischen Ritus versuchsweise im März 1965 eingeführt. Es handelt sich um den ersten Entwurf der Liturgiereform, die zum neuen Missale führen wird, das im November 1969 in Kraft trat.“
Missale von 1965 zweisprachig
Es handelte sich dabei allerdings nicht um die erste Heilige Messe in der Volkssprache, denn das Missale war noch zweisprachig. Im Gegensatz zur eigentlichen Liturgiereform von 1969 folgte es noch wortgenau den Empfehlungen des Zweiten Vatikanischen Konzils. Das Missale von 1965 war, abgesehen von einigen Kürzungen, noch immer das Römische Missale das die Konzilsväter bewahren wollten und das einfach in die Volkssprachen übersetzt wurde. Vom Offertorium (Suscipe, sancte Pater) bis zum Abschluß des Hochgebets (Per ipsum) betete der Priester ausschließlich Latein. Die Tücken von Übersetzungen wurden erst später erkennbar und Jahrzehnte später thematisiert und korrigiert. Ein Vorgang, der 50 Jahre danach noch nicht abgeschlossen ist, wie die Übersetzung der Wandlungsworte (pro multis) zeigt.
Papst Paul VI. umriß die Veränderungen in seiner Predigt am 7. März 1965 mit den Worten: „Vorher genügte es anwesend zu sein, jetzt ist es notwendig teilzunehmen; vorher genügte die Gegenwart, jetzt ist Aufmerksamkeit und Handlung notwendig; vorher konnte jemand dösen oder vielleicht schwätzen; jetzt nicht mehr, jetzt muß er zuhören und beten.“
Giovanni Battista Montini entschiedener Verfechter der Volkssprache
Tornielli erinnert daran, daß Giovanni Battista Montini bereits seit seiner Ausbildung im Seminar durch die Schule von Pater Giulio Bevilacqua und Paolo Caresana von der Notwendigkeit der Volkssprache in der Liturgie überzeugt gewesen sei. Eine der entschiedendsten Wortmeldungen auf dem Konzil zugunsten der Volkssprache kam vom damaligen Erzbischof von Mailand. Am 26. März 1962 äußerte er seine Unzufriedenheit über das bisher dazu in der Konzilsaula Gesagte. Er forderte die Einführung der Volkssprache nicht nur für die Schriftlesungen, in Gebeten und Gesängen, sondern auch für den Introitus, das Glaubensbekenntnis, das Offertorium und das Pater noster. Zudem forderte er, daß die Sakramente und Sakramentalien in der Volkssprache zelebriert würden. Das Hochgebet sollte weiterhin Latein gebetet werden. Nur taktische Zurückhaltung, weil er sich ohnehin so weit vorgewagt hatte? Vieles spricht dafür, denn am 31. Januar 1967 erlaubte er als Papst Paul VI. ad experimentum auch das Hochgebet in der Volkssprache.
Erzbischof Montini begründete 1962 seine Forderung mit den Worten: „Wenn wir die Volkssprache aus der Liturgie ausschließen, verlieren wir eine ausgezeichnete Gelegenheit das Volk in rechter Weise zu erziehen und den göttlichen Kult wiederherzustellen“. Daß ausgerechnet der Erzbischof von Mailand keine 15 Monate später den Papstthron besteigen würde, konnte damals noch niemand wirklich ahnen. Die Einführung der Volkssprache in die Heilige Liturgie 1965 und dann die grundlegende Liturgiereform durch die Einführung des Novus Ordo Missae 1969 wurden mit pastoralen Notwendigkeiten begründet. Aus diesem Grund entschied sich Paul VI. auch für die römische Pfarrei Ognissanti für die Premiere der ersten von einem Papst in der Volkssprache zelebrierten Messe und nicht für eine Patriarchalbasilika. Dadurch sollte der pastorale Aspekt betont werden, daß die Liturgiereform der Menschen wegen durchgeführt wurde.
Kurzlebiges Missale von 1965 weder Fisch noch Fleisch
Das kurzlebige Missale von 1965 genoß von Anfang an einen denkbar schlechten Ruf. Es wurde von den Traditionalisten wie Modernisten kritisiert, weil es weder Fisch noch Fleisch war. Die Folge war jedoch, daß innerhalb weniger Jahre etappenweise die radikalsten und revolutionärsten Ansichten die Oberhand gewannen.
Rückblickend vermittelt das Missale von 1965 den Eindruck einer bloßen Zwischenetappe auf dem Weg zu den vom Consilium ad exequendam Constitutionem de Sacra Liturgia durchgeführten radikalen Veränderungen der Liturgiereform von 1969. Aussagen einiger führender Konzilsvertreter lassen jedoch erkennen, daß sie der Ansicht waren, daß mit der Veröffentlichung des Missale von 1965 die liturgische Reform des Konzils abgeschlossen wäre.
Bischofssynode verwarf 1967 Missa normativa
Das geht eindeutig aus der ersten Bischofssynode von 1967 hervor. Die Synodenväter verwarfen die sogenannte „missa normativa“, mit Pauken und Trompeten, die ihnen von Erzbischof Annibale Bugnini als Ergebnis der von Kardinal Lercaro geleiteten Kommission zur Liturgiereform, er selbst war deren Sekretär, vorgestellt wurde. Sie entsprach faktisch bereits dem späteren Novus Ordo Missae. So sollte künftig die Sonntagsmesse in jeder Pfarrei gefeiert werden.
Viele Synodenväter waren alles andere denn begeistert. Nur 71 von 180 Synodalen stimmten für die Bugnini-Messe. 43 Synodalen aber votierten non placet, 62 stimmten nur unter dem Vorbehalt starker Bedenken iuxta modum zu, wenn zahlreiche substantielle Änderungen Berücksichtigung finden. Dazu gab es noch vier Enthaltungen. Doch die eindeutige Entscheidung der Synodenväter nützte nichts. Der Liturgiker kümmerte sich weder um die Einwände und Bedenken der Synodenväter noch ließ er sich vom negativen Votum beeindrucken.
Paul VI. oktroyierte dennoch Novus Ordo Missae
Bugnini wußte den Papst hinter sich, dessen Autorität entscheidend war. Und Paul VI. war von der Notwendigkeit einer Liturgiereform seit seiner Seminarzeit überzeugt. Überzeugt, daß die Gläubigen dadurch „besser“ an der Heiligen Messe teilnehmen und dadurch größeren Gewinn daraus ziehen würden. Offenbar war der Papst der Überzeugung, durch eine reformierte, volkssprachliche Liturgie neue Attraktivität für die Heilige Liturgie zu gewinnen, daß daraus eine neue Blüte der Kirche entstehen würde. Ein Trugschluß. Zwei Jahre später wurde die abgelehnte „missa normativa“ von oben mit päpstlicher Entscheidung als Novus Ordo Missae oktroyiert.
Da das Konzil ausschlaggebender Anstoß für die Liturgiereform war, hat der Blick diesem zu gelten. Dabei fällt umgehend die Abweichung von den Inhalten der Konzilsdokumente und päpstlichen Erklärungen einerseits und der radikalen Tragweite der 1969 vollzogenen Liturgiereform auf. Eine Konzilstreue kann für die Liturgiereform nicht geltend gemacht werden. Vielmehr hatte sich bereits die Missa normativa von 1967 weit vom Konzil entfernt.
Das Konzil und Sacrosanctum Concilium
Am 4. Dezember 1963 verkündete Papst Paul VI. begleitet von der Freude vieler und der Ungeduld einiger die Konstitution Sacrocanctum concilium über die Liturgie, die am Ende der zweiten Sitzungsperiode des Konzils mit plebiszitärem Votum angenommen worden war. 2147 Konzilsväter hatten für die Liturgiekonstitution gestimmt bei nur vier Gegenstimmen. Paul VI. bekräftigte: „Das erste Thema: die Heilige Liturgie… Wir erkennen die Hochachtung in der Skala der Werte und der Pflichten: Gott an erster Stelle, das Gebet unsere erste Verpflichtung; die Liturgie erste Quelle des uns offenbarten göttlichen Lebens, erste Schule unseres geistlichen Lebens, erstes Geschenk, das wir dem christlichen Volk machen können“.
„Die Mutter Kirche wünscht sehr, alle Gläubigen möchten zu der vollen, bewußten und tätigen Teilnahme an den liturgischen Feiern geführt werden“, heißt es in Sacrosanctum Concilium 14.
Die Konstitution betont den Primat der Verinnerlichung des Gläubigen, die ihren Ausgangspunkt in der Anbetung hat. Die persönliche Aneignung der liturgischen Handlung, der er beiwohnt, könne nur durch eine authentische Verinnerlichung eine äußere Ausdrucksform garantieren, die ausdrücken kann, was in der Tiefe gelebt wird.
Anthropozentrische Wende in der Liturgie
„Es fällt schwer, die Konstruktion des Novus Ordo als bloß andere ‚Form‘ desselben Ritus zu erkennen wegen der Willkür, die als Pseudo-Weisheit verkleidet wurde, wegen unbesonnener Elemente und der Archäologismen, die den jahrhundertealten Ordo umgestürzt und zerbrochen haben und damit seine mystische Tiefe, die symbolische Schönheit und den Reichtum sowie die wirkliche theologische Weisheit. Die dem Geheimnis innewohnende Macht und Heiligkeit wurden durch rationalistische Vorzeichen der modernen Mentalität ersetzt, die vom Menschen ausgeht und damit mit dem Novus Ordo eine anthropozentrische Wende in der Liturgie vollführte“, so Maria Guarini in ihrem Buch zur Liturgiereform „Questione liturgica“ (Die liturgische Frage. Der römische Ritus usus antiquior und der Novus Ordo Missae 50 Jahre nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, Rom 2013).
Das Consilium ad exsequendam Constitutionem de Sacra Liturgia ging weit über die Richtinien hinaus, die das Zweite Vatikanische Konzil für die Liturgie vorgegeben hatte. Dazu gehörte auch die Verbannung der lateinischen Kirchensprache aus der Liturgie, die auf wenige Zeremonien und letztlich nur auf die Papstmessen beschränkt werden sollte. Die Abschaffung sehr vieler Gesten, Verneigungen und Gebete, die Einführung neuer eucharistischer Hochgebete, die Abschaffung der Bezüge auf die Gemeinschaft der Heiligen und auf die Gottesmutter durch Tilgung der Anrufung ihrer Fürsprache, der größere Raum für die Heiligen Schriften, die Änderung der Offertoriumsformeln und eine Reihe weiterer Veränderungen lassen eine große Distanz zwischen dem römischen Missale und dem Novus Ordo erkennen.
Paul VI.: „Diese Reform birgt manche Gefahr“
Am 3. September 1969 sprach Paul VI. bei der Generalaudienz über mögliche Gefahren der Liturgiereform: „Diese Reform birgt manche Gefahr; eine besonders, die der Willkür, und damit einer Zersetzung der geistlichen Einheit der kirchlichen Gesellschaft, der Unübertrefflichkeit des Gebets und der Würde des Ritus. Die Vielzahl der eingeführten Veränderungen in das traditionelle und gemeinsame Gebet kann den Vorwand liefern; und es wäre ein großer Schaden, wenn die Fürsorge der Mutter Kirche im Gewähren der Volkssprachen, bestimmter Anpassungen an lokale Wünsche, bestimmter Texte und neuer Riten und nicht weniger anderer Entwicklungen des göttlichen Kultes, die Meinung verursachen würde, daß es keine gemeinsame, fixe und verbindliche Norm im Gebet der Kirche gebe, und daß jeder meinen kann, sie nach seinem Talent zu organisieren oder zu zerrütten.“
Überkam Paul VI., den entschlossenen Verfechter der Einführung der Volkssprache am Ende, als er als Papst die Zustimmung zum entscheidenden Schritt gegeben hatte, ein Zaudern? Am 26. November 1969 erklärte er dem Volk die Marginalisierung der Kirchensprache: „Hier, das ist klar, wird die größte Neuerung wahrgenommen werden: jene der Sprache. Nicht mehr Latein wird die Hauptsprache der Kirche sein, sondern die Volkssprache. Wer die Schönheit, die Kraft und ausdrucksstarke Sakralität des Latein kennt, für den wird die Ersetzung durch die Volkssprache sicher ein großes Opfer sein: wir verlieren die Sprache der christlichen Jahrhunderte und werden fast zu Eindringlingen und Profanen im literarischen Gehege der heiligen Ausdrucksform, und so werden wir einen großen Teil dieses wunderbaren und unvergleichlichen künstlerischen und geistlichen Faktums verlieren, den der Gregorianische Gesang darstellt. Ja, wir haben Grund, betrübt zu sein und uns fast zu verlieren: Womit werden wir diese angelische Sprache ersetzen? Es ist ein Opfer zu einem unabschätzbaren Preis.“
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Ciesa e postconcilio/Tradition in Action