(Paris) Am vergangenen Dienstag beschloß das französische Parlament ein neues Gesetz zum Lebensende. „Sterben ohne Qualen“, so die verheißungsvolle Parole, mit der für das neue „Sterbehilfegesetz“ geworben wurde. Konkret wird damit in Frankreich die Euthanasie ein Stück mehr legalisiert.
Mit 436 Stimmen, bei nur 43 Gegenstimmen und 83 Enthaltungen wurde das Tötungsgesetz „auf Verlangen“ in erster Lesung von der Nationalversammlung faktisch durchgewunken. Der Gesetzentwurf wird nun dem Senat vorgelegt. Sollte dieser auch zustimmen, folgt die zweite Lesung in der ersten Parlamentskammer.
„Bewußtlos in den Tod“
Laut dem Gesetzentwurf sollen „unheilbar Kranke“ künftig auf eigenen Wunsch hin mit Medikamenten in einen künstlichen Tiefschlaf versetzt werden, bis der Tod eintritt. Im Klartext „sediert und bewußtlos in den Tod“ kritisiert die katholische Alliance Vita den Entwurf als „ungenau formuliert“. „Wird ein Patient in den Tiefschlaf versetzt, weil er sterben wird, oder wird er in den Tiefschlaf versetzt, damit er stirbt?“, fragte Tugdual Derville, der Sprecher der katholischen Organisation.
Im Gegensatz zur „Homo-Ehe“, die von der sozialistischen Mehrheit im Alleingang durchgedrückt wurde, fand sich für das Euthanasiegesetz eine breite Zustimmung im Parlament. Das war das Ziel von Staatspräsident Hollande, der zunächst neben der „Homo-Ehe“ die Euthanasie zum zweiten großen gesellschaftspolitischen Thema seiner Amtszeit machen wollte. Nach den Widerständen gegen die „Homo-Ehe“ und den anhaltend schlechten Meinungsumfragen für ihn und seine Sozialistische Partei (PS) bemüht er sich um einen politischen Konsens, den die halbe bürgerliche Opposition nicht verweigerte.
Linkes Gesetz mit bürgerlicher Zustimmung
Bereits der Gesetzentwurf vereint die beiden großen Parlamentsfraktionen der regierenden Sozialisten (PS) und des oppositionellen bürgerlichen UMP. Eingebracht und benannt ist er nach den beiden Abgeordneten Jean Leonetti (UMP) und Alain Claeys (PS). Leonetti, selbst Arzt, war unter Staatspräsident Sarkozy Gesundheitsminister und hatte bereits am Sterbehilfegesetz 2005 federführend mitgewirkt. „Schlafen vor dem Sterben, um nicht zu leiden“ zitiert die Frankfurter Allgemeine Zeitung Jean Leonettis Positon zum Lebensende.
Kritiker warnen vor allem vor einem Schrecken ohne Ende. Wenn die Sedierung von Patienten dazu dienen solle, den Schmerz und die Angst vor einem langsamen Tod zu nehmen, dann könne durch den Tiefschlaf der Tod noch lange verzögert werden. „Will man, daß in den Tiefschlaf versetzte Patienten jahrelang in diesem Zustand leben? Hat man das bedacht? Wer kümmert sich um diese Menschen? Wer trägt die Kosten?“, so Alliance Vita. Aus diesem Grund sieht die katholische Lebensrechtsorganisation in der Formulierung nur einen Vorwand, um hinter schönen Worten die Tötung der Patienten zu legalisieren.
Sedierungsmedikament wird durch Dosierung zum Tötungsinstrument
In der Tat ist kaum von einem bloßen „Tiefschlaf“ auszugehen. Das für die Sedierung vorgesehene Medikament Midazolam kann, je nach Dosierung, den Tod herbeiführen, wie die Frankfurter Allgemeine berichtete.
Die Religionsgemeinschaften haben sich in einer gemeinsamen Erklärung gegen den neuen Gesetzentwurf ausgesprochen. Erzbischof Philippe Kardinal Barbarin von Lyon unterzeichnete die Erklärung als Primas von Frankreich für die Katholische Kirche. Er pochte darauf, daß an der geltenden gesetzlichen Bestimmung festgehalten werden soll, laut der „die Tötung eines Menschen niemals gerechtfertigt werden kann“.
Gesetzentwurf sieht keine Gewissensverweigerung für Mediziner vor
Als besonders schwerwiegend wird die Verweigerung der Gewissensfreiheit kritisiert. Der Gesetzentwurf enthält keine Gewissensklausel für Ärzte und anderes medizinisches Personal, die es ihnen erlaubt, aus Gewissensgründen eine Beteiligung an der Euthanasie zu verweigern. Der ohnehin in bioethischen Fragen schon enorme Druck auf die Mediziner wird damit weiter erhöht. Katholische Organisationen klagen bereits heute, daß es für Katholiken fast unmöglich gemacht wird, den Beruf eines Arztes anzustreben, da vielfach bereits im Medizinstudium die Teilnahme an der Tötung eines ungeborenen Kindes verlangt wird.
Französische Bischofskonferenz gegen das Euthanasiegesetz
Um so erstaunlicher sind die unterschiedlichen Bewertungen des neuen französischen Euthanasiegesetzes, zu denen es innerhalb der Katholischen Kirche gekommen ist. „Euthanasie auf französisch“ titelte der Frankreich-Korrespondent der katholischen Tageszeitung Avvenire. Im Artikel wurde auf die lauter werdenden Stimmen aus der Zivilgesellschaft hingewiesen, die dem Gesetzentwurf skeptisch gegenüberstehen oder ihn völlig ablehnen, einschließlich der Französischen Bischofskonferenz.
In einem Interview des Avvenire erklärte der international anerkannte Arzt Denys Pellerin, und ehemalige Vorsitzender der renommierten französischen Académie nationale de médecine: „Ich teile die Bedenken jener, die von einer versteckten Euthanasie sprechen“.
Osservatore Romano für das Euthanasiegesetz
Ganz anders die Tageszeitung des Vatikans. Der Osservatore Romano begrüßte am 19. März mit dem Titel „Ausgewogene Antwort“ die Zustimmung der französischen Nationalversammlung zum neuen „Sterbehilfegesetz“ von Claeys und Leonetti.
„Wir sind weit entfernt von einer Euthanasie“ schrieb das offiziöse Blatt des Papstes. „Die Polemik dieser Tage erscheint deshalb eindeutig kontraproduktiv und häufig oberflächlich.“
Meinte der Osservatore Romano damit auch die Französische Bischofskonferenz und den Avvenire, die Tageszeitung der Italienischen Bischofskonferenz?
Für den Osservatore Romano hätten die „französischen Gesetzgeber die Wirklichkeit mit Klarsicht und Mut betrachtet und nach gründlicher Überlegung einen Text formuliert, der nicht den Geist von einem der ausgereiftesten Gesetze zum Thema Lebensende entstellt.“ Gemeint ist das erste französische „Sterbehilfegesetz“ von 2005. Nun müsse das Gesetz „bekanntgemacht und angewandt werden. Und dabei sind Polemiken wenig hilfreich“, so der Osservatore Romano.
Das Gesetz muß dazu noch vom Senat und in zweiter Lesung von der Nationalversammlung des französischen Parlaments beschlossen werden. Der Osservatore Romano hat jedenfalls bereits seine Zustimmung erteilt und dies bereits im Titel zum Ausdruck gebracht. Dazu wurde das positive Urteil des französischen Premierministers Manuel Valls übernommen, der das neue Gesetz als „ausgeglichen“ bezeichnete. Das Fehlen einer Gewissensklausel für Mediziner wird vom Osservatore Romano nicht einmal erwähnt.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Settimo Cielo/Wikicommons