(Washington) US-Präsident Barack Obama verurteilte beim jährlichen National Prayer Breakfast im Washingtoner Hilton den Islamischen Staat (IS) als „Todessekte“ und betonte, daß „kein Gott Terrorismus dulden kann“ (siehe dazu Obama spielt den Moslem und greift die Christen an: Kreuzzüge waren schreckliches Verbrechen“).
In der berechtigten Kritik an einer Verzerrung der Religion durch Gewalt verglich Obama den Islamischen Staat (IS) jedoch mit den mittelalterlichen Kreuzzügen und erklärte, auch der christliche Westen habe schreckliche Verbrechen im Namen Gottes begangen.
Es ist eine Tatsache, daß viele Christen Verbrechen begangen haben, doch wenn es sich um solche handelte, stellten sie sich automatisch gegen das Christentum. Sie handelten nicht im Namen Gottes, sondern nur in ihrem eigenen und sicher nicht als Christen.
Zweitens sind die Kreuzzüge keineswegs mit dem islamischen Terrorismus zu vergleichen. Die Historiker wissen das genau, wenn in der Bevölkerung bedauerlicherweise (und offensichtlich auch unter Politikern) nach wie vor Vorurteile und ein verzerrtes Geschichtswissen verbreitet sind, die durch die Propaganda der Aufklärung verbreitet wurden. Es fehlte nicht an Kritik an Obamas Rede. Der Historiker Thomas F. Madden, Leiter des Instituts für Geschichte am Center for Medieval and Renaissance Studies an der Saint Louis University, einer der anerkanntesten Experten für die Kreuzzüge und Redakteur des Eintrags zu den Kreuzzügen in der Enciclopedia Britannica schrieb:
„Kreuzzüge haben nichts mit modernem islamischem Terrorismus zu tun“
„Im Westen allgemein (aber besonders unter Katholiken) hält man die Kreuzzüge für ein sehr peinliches Kapitel der eigenen Geschichte. In den Hunderten von Interviews, die ich zum 11. September 2001 gegeben habe, habe ich immer geantwortet: ‚Die Kreuzzüge waren ein mittelalterliches Phänomen ohne jeden Zusammenhang mit dem modernen islamischen Terrorismus“, so Madden.
Und dennoch sind viele überzeugt, daß „die Kreuzritter angetrieben von blindem Fanatismus und Gier nach Beute und Land gegen die Ungläubigen marschierten und daß die Kreuzzüge im Namen von ‚Deus lo vult‘ das Christentum selbst verraten haben“, so der Historiker. Doch „jedes Wort in diesem Satz ist falsch. Die Historiker, die sich mit den Kreuzzügen befaßt haben, wissen das schon lange, aber es fällt ihnen schwer, sich gegen einen Abgrund tiefverwurzelter Vorurteile durchzusetzen“.
Selbst der Historiker Jonathan Riley-Smith, Professor für Kirchengeschichte in Cambridge, gestand ein, daß er „fast die Hoffnung verloren“ habe. In seinem Buch „The Crusades, Christianity, and Islam“ (Columbia University Press, 2009) erbrachte er den Nachweis, daß die Kreuzzüge keineswegs eine Perversion der Religion darstellte, deren Gründer Sanftmut und Feindesliebe predigte und nicht Widerstand. Es waren gerade die Kirchenväter, darunter der heilige Augustinus, die einen christlichen Ansatz zum gerechten Krieg äußerten, jenem, in dem die Autorität legitimiert ist, ein größeres Übel zu stoppen oder zu verhindern, ein Verteidigungskrieg als Reaktion auf eine Aggression. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, daß der heilige Franz von Assisi, der alter Christus, sich dem Fünften Kreuzzug anschloß.
Kreuzzüge waren Antwort auf islamische Offensive
Die Kreuzzüge entsprachen genau den Bedingungen eines gerechten Krieges, wie der Historiker Madden erklärt: „Sie sind als Antwort auf eine islamische Offensive gegen christliche Länder entstanden. Die Gläubigen entschieden sich, in den Krieg zu ziehen, um die christlichen Brüder zu schützen und die Aggressoren für ihr schreckliches Unrecht zu bestrafen“. Genau dasselbe nehmen noch heute die Vereinten Nationen für sich in Anspruch, wenn sie in den Krieg ziehen, um den Frieden zu bringen, wenn die Diplomatie nichts mehr nützt.
Wie Riley-Smith schrieb, waren die Kreuzzüge ein Akt der Nächstenhilfe, für den sich die Kreuzritter sogar selbst in Lebensgefahr brachten. Das ist die Nachahmung des guten Samariters, der in den Evangelien beschrieben wird. Deshalb sagte Papst Innozenz II. zu den Tempelrittern: „Ihr verwandelt die Worte des Evangeliums, ‚Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt‘ (Joh 15,13) in Taten“.
Papst Urban II. sagte zu den Freiwilligen des Ersten Kreuzzuges vor ihrer Abreise: „Von den Grenzen Jerusalems und aus der Stadt Konstantinopel wurde eine schreckliche Geschichte erzählt und uns zu Ohren gebracht: eine Masse von Soldaten aus dem Reich der Perser, türkische Moslems, sind in die Länder dieser Christen eingedrungen und haben sie mit den Waffen, Plünderungen und Feuer entvölkert; sie haben einen Teil der gefangenen Bevölkerung als Sklaven fortgeführt und einen Teil haben sie durch grausame Folter vernichtet; sie haben die Kirchen Gottes völlig zerstört oder sich ihrer für die Riten ihrer Religion bemächtigt. Und was sollte ich erst zu den abscheulichen Vergewaltigungen der Frauen sagen? Darüber zu sprechen ist schmerzlicher als darüber zu schweigen. Wem kommt die Aufgabe zu, diese falschen Dinge wieder in Ordnung zu bringen und diese Gebiete für jene, denen sie gehören zurückzugewinnen, wenn nicht uns?“
Kreuzzüge nur durch ihren Bußcharakter zu verstehen
Der amerikanische Historiker Madden präzisierte zudem: „Die Kreuzzüge waren aber nicht nur gerechte Kriege. Sie waren auch heilige Kriege. Nicht wegen ihrer Zielsetzung, sondern wegen des Opfers, das die Kreuzritter brachten. Der Kreuzzug war eine Pilgerschaft und damit ein Akt der Buße. Als Urban II. 1095 zum ersten Kreuzzug aufrief, schuf er ein Modell, dem man für Jahrhunderte folgen sollte. Die Kreuzritter, die diese Verpflichtung in rechter Absicht eingingen und ihre Sünden bekannten, konnten sich einen vollkommenden Ablaß erwerben. Und die Opfer waren enorm, die Kosten für den Kreuzzug entmutigend. Ohne die finanzielle Hilfe konnten sich nur Wohlhabende diese Pilgerfahrt leisten. Um sie dennoch möglich zu machen, verschuldeten sich viele Adelsfamilien und verarmten. Die Historiker wissen seit langem, daß das Bild vom Kreuzritter als Abenteurer auf der Suche nach Glück das genaue Gegenteil dessen ist, was sich wirklich zugetragen hat. Wie Riley-Smith aufzeigte, belegen jüngste Studien, daß etwa ein Drittel der Ritter und Adeligen im Krieg starb. Man wird die Kreuzzüge nicht begreifen, wenn man nicht ihren Bußcharakter versteht.“
Wer sich von den verbreiteten falschen Mythen über die Kreuzzüge befreien will, sollte die ausgezeichneten Arbeiten des Mediävisten Paul Crawford, Professor an der California University of Pennsylania lesen. Und wer das Thema noch vertiefen möchte, sollte zum Buch des amerikanischen Religionssoziologen Rodney Stark greifen: „Die Gottes Krieger. Die Kreuzzüge in neuem Licht“.
Kreuzritter hatten Tod und Seelenheil vor Augen
Das bedeutet nicht, zu leugnen, daß es während den Kreuzzügen auch zu Episoden grausamer und willkürlicher Gewalt kam. Sie war aber weder Ausgangspunkt noch Antrieb für dieses mittelalterliche Phänomen. Aus diesem Grunde haben sich Christen für die Kreuzzüge auch nicht zu schämen, wie es US-Präsident Obama in Unkenntnis der historischen Fakten nahegelegt hat. Im Gegenteil: Ich für meinen Teil bekenne, daß ich sogar stolz darauf bin, was die besten und edelsten Vorfahren von uns Europäern gewagt haben, obwohl es ihnen immense Opfer an Leib und Leben abverlangte. Sie hätten es sich zu Hause bequem machen können. Statt dessen sind sie ausgezogen, haben alles hinter sich gelassen, den eigenen Besitz verkauft oder verpfändet, um den christlichen Brüdern im Osten zu Hilfe zu kommen und in einem fremden Land unter größten Entbehrungen zu kämpfen, das kaum mehr als eine Steinwüste war. Es war aber das Land, in dem ihr Erlöser gelebt hatte, gestorben war und auferstanden ist. Hätten sie im Nahen Osten auf Beute oder Reichtum gehofft, wären sie in der Tat dumm gewesen. Nein, sie wußten, daß es dort nichts zu holen gab. Es ging ihnen um ein höheres Ziel, denn sie wußten, daß sie im Osten mit großer Wahrscheinlichkeit der Tod erwartete. Wie Thomas Madden schreibt: solange man diesen viel höheren Beweggrund abseits des irdisch Materiellen nicht versteht, wird man die Kreuzzüge nie verstehen.
Selbsthaß des Abendlandes
Das europäische Bild der Kreuzzüge hat mit dem zu tun, was Joseph Kardinal Ratzinger am 28. November 2000 in seinem Vortrag Europas Kultur und Krise in der Bayerischen Vertretung in Berlin sagte: „Hier gibt es einen merkwürdigen und nur als pathologisch zu bezeichnenden Selbsthaß des Abendlandes, das sich zwar lobenswerterweise fremden Werten verstehend zu öffnen versucht, aber sich selbst nicht mehr mag, von seiner eigenen Geschichte nur noch das Grausame und Zerstörerische sieht, das Große und Reine aber nicht mehr wahrzunehmen vermag. Europa braucht, um zu überleben, eine neue – gewiß kritische und demütige – Annahme seiner selbst, wenn es überleben will.“
Text: Andreas Becker
Bild: Wikicommons/Ora pro Siria