„Zweitens: Du sollst den Namen Gottes nicht verunehren!“
von Klaus Obenauer*
Prolog
Gut, daß ein Christ auf diesem Forum zu „Charlie“ (ganz in meinem Sinne) schon Stellung bezogen hat. – Nichtsdestotrotz fühle ich mich gedrängt, ihm zu sekundieren.
Da ich mit Charlie-Hebdo nun mal nicht vertraut bin, um erst seit dieser Woche von dieser unsäglichen Zeitung zu wissen, müssen Bewertungen naturgemäß pauschal ausfallen: nicht alles mag auf jeden Betroffenen gleichermaßen zutreffen. Das bitte ich, zumal die kritischen Leser von außen, nachzusehen.
Nach ersten Hinweisen (im Fernsehen und anderen Foren) habe ich mir in den vergangenen Tagen kurz selbst „ein Bild gemacht“: und was ich zu sehen bekam, genügte mir. Vollauf. Was hier erreicht wurde, ist geradezu das „cacumen blasphemiae“. Weiter kann man die Sache nicht mehr treiben. Nicht nur wurde (in der Vorweihnachtszeit?) das Geheimnis der heiligen Nacht, nämlich der jungfräulichen Geburt unseres Erlösers, da uns allen Gott das Geschenk schlichthin machte (vgl. Joh 3,16 und Röm 8,32), in atemberaubender Adoleszentenflegelei verspottet. Nein, eine Nummer kleiner ging es für diese Herrschaften nicht: man ist auf die Frevelidee verfallen, das Geheimnis aller Geheimnisse, das Innenlebens des Dreimal-Heiligen – horribile dictu, in Verbindung zu bringen mit der himmelschreienden Sünde des widernatürlichen Lasters. Was für ein nichtswürdiger Wille zur Blasphemie, der sich auf solche Dummdreistigkeiten verlegen muß, nur um lästern zu können. Das war „Charlie“!
War Charlie. Denn, wie sagt der Psalmist? „Nicht so die Gottlosen, nicht so. Vielmehr sind sie wie der Staub, den der Wind verbläst, weg vom Angesicht der Erde.“ (Psalm 1,4) – „Und noch ein Weilchen, und nicht wird (mehr) sein der Sünder; und suchen wirst du nach seinem Ort, und du wirst ihn nicht finden.“ (Psalm 36/37,10)
Sicht eines Glaubenden
Nun, damit bin ich vielleicht ein Schrittchen zu voreilig – also erst einmal langsamer. Natürlich ist am Mittwoch letzter Woche ein schweres Verbrechen begangen worden. Wir begegnen hier dem Typus des religiösen Fanatikers. Um ihn zu charakterisieren, greift man passenderweise auf ein Kunstwort zurück, das in der protestantischen Theologie des letzten Jahrhunderts (allerdings in weniger glücklichen Zusammenhängen) geprägt wurde: „Selbstunterscheidung“. Der Fanatiker in Sachen Religion, zumal wenn er handgreiflich wird, verwechselt sich selbst mit der Sache, für die zu streiten er vorgibt bzw. sich einredet, um entsprechend Beleidigungen des ihm Heiligen wie eine persönliche Angelegenheit zu behandeln. Er hebt das, wofür er eintritt, nicht (hinlänglich) von sich selber ab. Und dadurch wertet er natürlich sich selber auf; ja, bisweilen ist diese Selbstaufwertung der ganze Zweck der Übung (was Todesbereitschaft durchaus nicht ausschließt). Wir sind medial Zeugen eines Verbrechens im Zeichen eines solchen Fanatismus geworden; und die bekanntgewordene Täterbiographie scheint auch zahlreiche Indizien bereitzuhalten dafür, daß es mit besagter Selbstunterscheidung nicht weit her war. Und auch wenn man geneigt ist (wie ich selber), in den religionssatirischen Umtrieben Justitiables zu erkennen – die kriminöse Selbstermächtigung ist das, was die Täter ins Unrecht setzt und eben ihre fehlende „Selbstunterscheidung“ entlarvt.
„Erst einmal langsamer“, sagte ich: wie ich in meinen Andeutungen ja schon vorweggenommen habe, glaube ich in den Ereignissen vom letzten Mittwoch noch eine andere Handschrift zu erkennen. Die Diskretion verlangt hier unbedingt das Zugeständnis, daß es sich für mich verbietet, mich zum Interpreten der göttlichen Vorsehung machen zu wollen, die in all dem waltet. Aber im Eingeständnis, darin extrem fehleranfällig zu bleiben, wage ich mich aus der Sicht des Glaubens an die Dechiffrierung einer Handschrift, die ich hier zu erkennen wähne, um dieses Unterfangen noch einmal voller Scheu Gottes Urteil anheimzugeben. Und so bin ich überzeugt: Gottes Sprache ist eine leise, diskrete Sprache, und dabei doch so unerhört ein-deutig und vernehmlich. Das gilt auch für seine Gerichte (Wenn es auch Strafwunder gibt, von denen die Hl. Schrift berichtet: u.a. Apg 5,1–11). Was soll ich also vor dem Hintergrund der oben erwähnten Unsäglichkeiten davon halten, daß – wenn ich recht sehe – in unseren Breiten ausgerechnet hier das erste Mal ein islamistisches Attentat auf eine Zeitungsredaktion „so richtig geklappt hat“? Mir dünkt, hinter der „Rache Allahs“ (oder seiner selbsternannten Willensvollstrecker) kommt das Angesicht dessen hervor, der grenzenlos versöhnungswillig ist, um jedoch seinen Zorn dort zu offenbaren, wo man seine allbarmherzige Liebe und Langmut mit Füßen tritt.
Das Verbrechen, das Gott nicht will, sondern nur zuläßt, ist das eine; und dieser Dimension des Geschehens sind auch die unschuldigen Opfer zuzuordnen: immer wieder schwer faßbar und tragisch, aber doch nur ein weiterer Fall des uns hinlänglich vertrauten „Theodizeeproblems“, mit dem genau so z.B. auch die Angehörigen der ermordeten Polizisten des „heißen Herbstes“ von 1977 ringen mußten (und mit dem praktisch schwerer fertig zu werden ist als theoretisch: „Warum läßt Gott das zu?“). Das andere ist, daß Gott in seiner allumspannenden Weisheit, deren souveräner Verfügung nichts entgleitet, auch noch die furchtbarsten Taten menschlicher Eigenmächtigkeiten zu Werkzeugen seiner Gerichte machen kann. (Das Wie und die spekulativen Theorien, die sich seit alters in geringerer und größerer Sophistikation darum ranken, können wir hier getrost auf sich beruhen lassen.)
Mit „unserem“ Gott, dem in Wahrheit allein wahren der einzig wahren Offenbarung, glaubten sie längst fertig geworden zu sein: er schien ihnen auf dem Misthaufen ihres Spotts längst entsorgt. Wenn, dann hatten sie nur noch Angst vor den Jüngern „des Propheten“. Und so kam die Antwort auch aus dieser Richtung; aber, wie mir dünkt, des wahren Gottes Antwort, ganz unerwartet und dazu in diskretest-möglicher Weise, aber vernehmbar für den, der Gottes Sprache versteht. „Diskret“: der Höchste mußte keine eigene Strafintervention bemühen, er ließ nur der Wut der Diener Allahs zum rechten Zeitpunkt ihren freien Lauf, als nämlich das Maß voll war. Warum das Maß voll? Der Römerbrief des heiligen Apostels Paulus weist uns die Richtung: „Oder verachtest du die Reichtümer seiner Güte und Geduld und seines Langmutes, indem du ignorierst, daß Gottes Güte dich zur Buße einlädt?“ (2,4) Was aber dann, wenn man den Sohn Gottes mit Füßen tritt und das Blut des Bundes für gemein erachtet und dem Geist der Gnade Schimpf antut (vgl. Hebr 10,29)? Gottes unfaßbare Geschenke an uns, seinen dahingegebenen Sohn, nicht nur zurückweist, sondern Gabe wie Geber aufs übelste schmäht, den Namen des Dreimal-Heiligen verhöhnt? Hat man sich dann nicht selbst in die Todeszone begeben, wo Gottes Zorn auf einem bleibt (cf. Joh 3,36)? Wenn man sich nämlich die Ehrfurcht mitsamt der Dankbarkeit („pietas“) so radikal aus dem Herzen gerissen hat, daß man dem Höchsten und Heiligsten gegenüber nur noch die Haltung der Gemeinheit übrig hat? Und heißt es nicht, daß Gottes Zorn vom Himmel herab über alle Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit der Menschen offenbart wird, die die Wahrheit in ihrer Ungerechtigkeit niederhalten (cf. Röm 1,18)? Und wenn Gottes Zorn die Menschen dem Laster der widernatürlichen Unzucht preisgibt (ibd. 1,26sq.), was dann, wenn die Niedertracht geistiger Schmutzfinke, für die nur die Gemeinheit des sittenlosen Treibens plausibel ist, den Höchsten mit diesem Laster in Verbindung zu bringen sich erdreistet?
Freilich: Eine posthume Strafpredigt an die Redaktionsmitglieder von Charlie-Hebdo ist für sich sinnlos. Was mich eher erschreckt und ratlos macht, ist, daß man bei uns, in „Kirche und Welt“, nicht mehr erschrecken kann; oder besser, nur noch vor dem, der den Leib töten, nicht aber vor dem, der … (cf. Mt. 10,28) Man beklagt nur das Verbrechen, bringt aber so gar keinen Sinn auf für die eigene Sprache, die das Ganze spricht.
Was mich dabei angeht: Ich stelle nur Fragen, sage unverblümt, was mir dazu durch den Kopf geht. Ich behaupte nicht. Und natürlich bleibt dabei immer die Unverrechenbarkeit des Einzelschicksals, des Einzelschicksals vor Gott. Es wäre vermessen, vom je einzelnen wissen zu wollen, wie es mit ihm (bei aller vermeintlichen Eindeutigkeit des Anscheins) vor Gott steht. Das nimmt der Sache aber nichts von ihrem Geruch, der angesichts des (kirchen-)öffentlichen Verschweigens solcher Abgründe, die sich hier eben auch auftun, angesprochen zu werden verdient.
Und so bleibt mir für die Toten (von Charlie-Hebdo) nur die Solidarität des Erschreckens, vor Gottes Gericht nämlich, unter dem auch ich stehe. Wenn ich daher keine Sympathie für sie hege (das ist nun mal so), so versuche ich doch, in der Kraft christlicher Liebe zu beten, daß (in bezug auf den einzelnen jedenfalls) entgegen allem Anschein doch nicht wahr ist, was ich oben angedeutet habe; jedenfalls nicht so zutreffend, daß da nicht vielleicht doch noch etwas Verschüttetes gewesen wäre, das aus was-weiß-ich-welchen Gründen keine Chance hatte, vor-zu-kommen; daß dementsprechend Gott der Herr verzeihen möge, was jetzt noch vergebbar ist … Mögen auch sie in Frieden ruhen!
Torheit der Welt in der Kirche
Von den Toten zu den verrückten Lebenden: Ich habe kein Verständnis für solche Retter des Abendlands gegen den Islam im In- und Ausland, die jetzt mit Charlie-Hebdo die Werte unserer Kultur angegriffen sehen. Was soll ich davon nur halten? Daß ich mich über das langsame, aber stetige(?) Anwachsen der Jünger Mohammeds (zumal) bei uns nicht freue, habe ich schon anderswo überdeutlich kundgetan. Und daß ich mit meinen Ausführungen Aktionen wie die bei Charlie-Hebdo nicht billige, versteht sich von selbst: Schwerstverbrechen bleibt Schwerstverbrechen. Und jedem, der sich zum Rächerarm von Allahs Zorn machen will, sage ich: du machst den, den du als den Erhabenen hochhältst, gerade damit zur Karikatur, du ziehst ihn auf das Niveau deines kleinen, verletzten Stolzes herab. Gott spricht am wirkungsvollsten, wenn man seine Gerichte ihm selber überläßt. – Allerdings: Ich erkläre mich solidarisch mit den Muslimen, die ihre religiösen Gefühle verletzt wissen. Man muß auch mal die andere Seite sehen: Da gerieren sich welche als Herrenmenschen des öffentlichen Diskurses, deren spitzer Feder, derer sie sich ja so rühmen, alles unterworfen sein soll, und sind obendrein gutsituiert; andere sind dagegen die ewigen Loser, die sich von diesen selbstinthronisierten Halbgöttern des gesellschaftlichen Lebens auch noch ihre heiligsten Werte in den Schmutz ziehen lassen müssen. Kein Wunder, daß das böses Blut gibt. – Da ich auch nicht so genau weiß, was ich mir auf unsere Abendlandsretter für einen Reim machen soll, halte ich es erst einmal für eine Geschmacksache, ob man am Kölner Dom die Lichter brennen oder ausgehen läßt. Wenn man aber die Glocken von Notre-Dame in Paris, jenem Gotteshaus also, das zu Ehren „Unserer Lieben Frau“ geweiht ist, läuten läßt für die Lästerer ihrer jungfräulichen Gottesmutterschaft: das schlägt dem Faß den Boden aus! Das heißt, Gottes Zorn erneut herausfordern. Es ist einfach nur eine Schande, wenn die, die dazu bestellt sind, Lehrer und Hirten der Kirche zu sein, sich einreihen lassen in den hohen Chor derer, die die Werte unserer „offenen Gesellschaft“ beschwören. Es gibt kein Recht zur Blasphemie, laßt euch das klar gesagt sein! Und kommt mir nicht mit so Feinheiten wie „zwar kein Recht der Lästerung, aber des Lästerers etc.“: ich bilde mir ein, das Differenzierungen und komplexe Sachverhalte bei mir ganz gut aufgehoben sind (verstehe davon was); aber die neunmalklugen Windungen dieser Sophistereien kann ich nicht mehr hören. Man kann das Offenkundige nicht bestreiten: Die Heilige Schrift schlägt euch das Recht des Gotteslästerers um die Ohren.
Ich mag hier wirklich nicht das Faß mit dem Zweiten Vatikanum und „seiner“ Religionsfreiheit aufmachen. Wie es auch immer mit der Interpretation von „Dignitatis humanae“ bestellt ist: Der erste Artikel dieser Erklärung stellt klar, daß die Freiheit von Zwang in religiösen Dingen, um die es der Deklaration zu tun ist, die überlieferte katholische Lehre von der moralischen Pflicht des einzelnen und der Gesellschaften gegen die wahre Religion und einzige Kirche Christi unberührt läßt. Und das impliziert doch an allererster Stelle die Wahrung von Gottes Ehre, auch in der Öffentlichkeit, eine Anerkennung, die (in negativer Instanz) auch rechtlich durchzusetzen ist. Wir, die wir zu katholischen Kirche gehören, können ein Recht des Blasphemikers absolut nicht anerkennen. Der katholische Christ bleibt nicht Katholik, ja nicht einmal Christ, wenn er Gott, das „Bonum commune separatum“, – und damit die Anerkennung Gottes – als Grundlage und letzten Bezugspunkt des Gemeinwohls ersetzen will durch das Ideal der „offenen Gesellschaft“, in der auch, noch dazu hemmungslos, gelästert werden darf. Gegenteiligen Erklärungen, wer auch immer sie abgibt, trotze ich: Abrenuntio. Abrenuntio. Abrenuntio.
Es ist nicht Überlegenheit, sondern dümmliche Sophisterei, wenn man erklärt, daß „unser Gott“ das ja gar nicht nötig habe. Man sieht die Früchte dieser Einstellung … In Wahrheit hat man den Bezug zur Ehre Gottes verloren, die Leidenschaft dafür fehlt, weil man unseren Herrn Jesus Christus nicht mehr im Herzen heilig hält (vgl. 1 Petr 3,15). Offensichtlich ist den kirchenamtlichen Patronen der „offenen Gesellschaft“ das Pater-noster hin zur gedankenlos aufgesagten Floskel entglitten: Lehrt uns unser göttlicher Meister nicht, gleich zu Beginn um die Heiligung des Gottesnamens zu bitten? Und wer das ehrlichen Herzens tut, der solidarisiert sich auch mit Lästerern?
Ausklang – der ewig bleibende Lobgesang
Zum Schluß: Die passendste Antwort auf die Charlie-Hebdo-Tragödie und der unbestechlichste Spiegel (weitaus treffender als all die Schimpfkanonaden) sind die feierlichen Worte des ambrosianischen Lobgesangs, mit denen ich denn auch auszugsweise schließen möchte:
TE DEUM LAUDAMUS, TE DOMINUM CONFITEMUR.
TIBI CHERUBIM ET SERAPHIM INCESSABILI VOCE PROCLAMANT:
SANCTUS
SANCTUS
SANCTUS
DOMINUS DEUS SABAOTH.
TE PER ORBEM TERRARUM SANCTA CONFITETUR ECCLESIA:
PATREM IMMENSAE MAIESTATIS – VENERANDUM TUUM VERUM
ET UNICUM FILIUM – SANCTUM QUOQUE PARACLITUM SPIRITUM.
TU REX GLORIAE, CHRISTE. TU PATRIS SEMPITERNUS ES FILIUS. TU
AD LIBERANDUM suscepturus HOMINEM NON HORRUISTI
VIRGINIS UTERUM.
IN TE, DOMINE, SPERAVI: NON CONFUNDAR IN AETERNUM.
Amen.
*Dr. theol. Klaus Obenauer ist Privatdozent für Dogmatische Theologie an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Bonn.
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