Sind sie keine Menschen?


Statue des Antonio de Montesinos in Santo Domingo
Statue des Antonio de Montesinos in Santo Domingo

In der Aus­ein­an­der­set­zung um die spa­ni­sche Ame­ri­ka-Kolo­ni­sa­ti­on im 16. Jahr­hun­derts tru­gen Ordens­theo­lo­gen Ent­schei­den­des zum euro­päi­schen Dis­kurs um Men­schen­wür­de und Völ­ker­recht bei.

Anzei­ge

Ein Gast­bei­trag von Wer­ner Rothenberger

An den bei­den letz­ten Advents­sonn­ta­gen des Jah­res 1511 hielt der Domi­ni­ka­ner­bru­der Anto­nio de Mon­te­si­no eine Droh­bot­schafts­pre­digt in der Haupt­kir­che von San­to Dom­in­go, heu­te Domi­ni­ka­ni­sche Republik.

Der Pre­di­ger klag­te als „Stim­me eines Rufers in der Wüste“ die spa­ni­schen Kolo­ni­sten an, indem er ihnen ihre „Tod­sün­den an den India­nern“ vor Augen führte:
tyran­ni­sche Grau­sam­keit gegen die unschul­di­gen Indi­os, ent­setz­li­che Skla­ve­rei, bedrücken­de Unter­jo­chung, abscheu­li­che Krie­ge. „Die Indi­os ster­ben an der über­mä­ßi­gen Zwangs­ar­beit, nein, ihr tötet sie mit eurem hab­gie­ri­gen Ver­lan­gen, jeden Tag Gold zu för­dern und euch anzu­eig­nen“ – so der geist­li­che Ankläger.

Und dann die berühm­ten Sät­ze: „Sind sie kei­ne Men­schen? Haben die Indi­os kei­ne Ver­nunft und kei­ne Seele?“

Gegen alle Anfein­dun­gen und Erpres­sun­gen erreich­te der Pre­di­ger durch eine Unter­re­dung beim spa­ni­schen König Fer­di­nand erste gesetz­li­che Rege­lun­gen für huma­nen Umgang mit den Indi­os in der Neu­en Welt. Die Domi­ni­ka­ner konn­ten aber kei­ne struk­tu­rel­len Ände­run­gen an dem skla­ven­hal­te­ri­schen System der spa­ni­schen Kolo­ni­sten erwirken.

Gleich­wohl war die­se Pre­digt der Auf­takt zu einem lang andau­ern­den Kampf der Kir­chen­leu­te für Men­schen­wür­de und Gerech­tig­keit, Näch­sten­lie­be und respekt­vol­le Mis­si­on bei den Indios.

Rechtfertigung des Kolonialismus durch Humanisten

Juan Ginés de Sepulveda
Juan Ginés de Sepúlveda

Zur glei­chen Zeit erwuch­sen den kirch­li­chen Mis­si­ons­or­den in Euro­pa mäch­ti­ge ideo­lo­gi­sche Geg­ner, die die Posi­ti­on der spa­ni­schen Kolo­ni­sten unter­stütz­ten. Im Zuge der Renais­sance-Kul­tur mach­te sich ein Über­le­gen­heits­den­ken bei den dama­li­gen „Huma­ni­sten“ breit. Der in Paris leh­ren­de Ari­sto­te­li­ker schot­ti­scher Her­kunft, John Mayor (+1550) hat­te 1509 das fol­gen­de Ver­gleichs­mu­ster vorgegeben:
Die zivi­li­sier­ten Spa­ni­er hät­ten über die Indi­os das glei­che Herr­schafts­recht wie in der Anti­ke die gebil­de­ten Grie­chen über die Bar­ba­ren, da jene Völ­ker „Skla­ven von Natur aus“ sei­en. In Bezug auf die Kolo­ni­sa­ti­on der neu­en Welt war der argu­men­ta­ti­ve Rück­griff auf die anti­ken Skla­ven­hal­ter­kul­tu­ren Kern der Renais­sance als ‚Wie­der­ge­burt der Antike’.

Der spa­ni­sche Huma­nist und Phi­lo­soph Juan Ginés de Sepúl­ve­da (+ 1573) ver­tief­te die­sen angeb­lich ‚huma­ni­sti­schen’ Ansatz. Sei­ne Argu­men­ta­ti­on soll­te die Recht­fer­ti­gungs­ba­sis für den spa­ni­schen Kolo­nia­lis­mus wer­den. Sepul­ve­da führ­te vier Begrün­dun­gen für die Not­wen­dig­keit der spa­ni­schen Kolo­ni­al­herr­schaft an:

  • Die Indi­os sei­en als rohe und infe­rio­re Men­schen an die (euro­päi­sche) Zivi­li­sa­ti­on heranzuführen.
  • Der Göt­zen­dienst der Indi­os müs­se als bar­ba­ri­sche Reli­gi­on über­wun­den werden.
  • Tau­sen­de von Unschul­di­ge sei­en vor Unter­drückung und dem Men­schen­op­fer­kult zu bewahren.
  • Und schließ­lich hät­ten die Kolo­ni­sten das Recht und die Pflicht, mit der welt­li­chen Herr­schaft über die Indi­os den Boden für die Ver­kün­di­gung der christ­li­chen Heils­leh­re zu bereiten.

Die­ses Begrün­dungs­mu­ster für den spa­nisch-por­tu­gie­si­schen Kolo­nia­lis­mus aus der Mit­te des 16. Jahr­hun­derts hat­te prä­gen­de Aus­wir­kun­gen auch für die spä­te­ren Kolo­ni­al­mäch­te West- und Mit­tel­eu­ro­pas. Noch zu Ende des 19. Jahr­hun­derts recht­fer­tig­te man den euro­päi­schen Kolo­ni­al-Impe­ria­lis­mus als Recht und „Bür­de des wei­ßen Man­nes“. Ver­schie­de­ne Auf­klä­rer des 18. Jahr­hun­derts hat­ten die­sen Ansatz noch ver­schärft, indem sie die nicht-wei­ßen Völ­ker zu min­der­wer­ti­gen Skla­ven­ras­sen erklärten.

Kampf der Dominikaner für Menschenrechte der Indios

Bartolomé de Las Casas
Bar­to­lo­mé de Las Casas

Der kirch­lich-theo­lo­gi­sche Gegen­spie­ler von Sepul­ve­da war der Domi­ni­ka­ner­pa­ter Bar­tho­lo­mé de Las Casas (+1566). Er war wie sein Mit­bru­der Mon­te­si­no über mehr als 50 Jah­re ein uner­müd­li­cher Anklä­ger gegen die Ver­skla­vung, Unter­drückung und Aus­beu­tung der Indi­os durch die spa­ni­schen Kolonisten.
In der berühm­ten Dis­pu­ta­ti­on von Val­la­do­lid 1550 ent­fal­te­te der Domi­ni­ka­ner sei­ne „Apo­lo­gia“, die in einem ‚Mani­fest der Mensch­heit’ gipfelt:
Die Indi­os sei­en eben­so ver­nunft- und glau­bens­fä­hig wie die Spa­ni­er. „Alle Men­schen sind ein­an­der gleich, was ihre Schöp­fung und natür­li­che Bedin­gun­gen betrifft“, denn sie sind mit Ver­stand und frei­em Wil­len aus­ge­stat­tet. In sei­nem Testa­ment schrieb Las Casas, er habe dafür gekämpft, „die ursprüng­li­chen Frei­hei­ten der Indi­os wie­der­her­zu­stel­len, die man ihnen unrecht­mä­ßig genom­men hat“.

Die­se Gedan­ken und The­sen eines Kir­chen­manns im 16. Jahr­hun­dert soll­ten weg­wei­send wer­den für die wei­te­re Ent­fal­tung der all­ge­mei­nen Men­schen­rech­te im Euro­pa des 17. und 18. Jahrhunderts.

Zu Leb­zei­ten jedoch hat­te der Ordens­prie­ster Las Casas kei­ne Chan­ce bei der poli­ti­schen Durch­set­zung sei­ner Ideen. Er konn­te zwar mit sei­nen stän­di­gen Brie­fen und Appel­len an die spa­ni­sche Kro­ne maß­geb­lich Ein­fluß neh­men auf die ‚Neu­en Geset­ze’ von 1542, die dem Wüten der spa­ni­schen Kolo­ni­sten Gren­zen set­zen soll­ten. Aber selbst den könig­li­chen Beam­ten und Gou­ver­neu­ren gelang es nicht, die­sen neu­en Reg­lun­gen zum Schutz der Indi­os flä­chen­deckend Gel­tung zu verschaffen.

Die naturrechtlichen Grundrechte und Freiheiten der Indios

In ähn­li­chen Natur­rechts­ka­te­go­rien wie Las Casas hat­te schon der Domi­ni­ka­ner­pa­ter Fran­cis­co de Vito­ria (+1546) in sei­nen „Vor­le­sun­gen über die Indi­os“ an der Uni­ver­si­tät von Sala­man­ca 1532 argu­men­tiert: Nach der Schöp­fungs­ord­nung stän­den alle Men­schen glei­cher­ma­ßen im Sta­tus natür­li­cher Freiheiten.

De Vito­ria bekämpf­te alle Ver­su­che der spa­ni­schen Kolo­ni­sten, die natur­recht­li­chen Frei­hei­ten der Indi­os im Namen einer über­le­ge­nen euro­päi­schen Zivi­li­sa­ti­on zu ver­let­zen. Eben­falls wies er die Posi­ti­on des Huma­ni­sten Sepul­ve­da zurück, nach der die christ­li­che Reli­gi­on der Wahr­heit ein Recht auf prä­ven­ti­ve Herr­schafts­über­nah­me zwecks Erleich­te­rung der Chri­stia­ni­sie­rung habe.

Als Schü­ler des hl. Tho­mas von Aquin bekräf­tig­te der spa­ni­sche Domi­ni­ka­ner die kirch­li­che Leh­re, dass der Glau­be vom Wil­len abhängt und daher die Glau­bens­an­nah­me nur ein frei­heit­li­cher Akt ohne Zwangs­be­din­gun­gen sein kann. Posi­tiv aus­ge­drückt in den Wor­ten von Papst Paul III. von 1537: Die Indi­os und die ande­ren Völ­ker sei­en allein „durch die Ver­kün­di­gung des Wor­tes Got­tes und das Bei­spiel eines guten Lebens zum Glau­ben an Chri­stus eingeladen“.

In die­sem Sin­ne mis­sio­nier­ten Tau­sen­de von glau­bens­eif­ri­gen Ordens­leu­ten der Domi­ni­ka­ner, Fran­zis­ka­ner und spä­ter Jesui­ten in Süd- und Mit­tel­ame­ri­ka. Doch die christ­li­che Mis­si­ons­ar­beit wur­de durch die Zwangs­pra­xis der spa­ni­schen Grund­her­ren kon­ter­ka­riert. In den Schutz­ge­bie­ten – den Reduc­tionen­es – der lan­des­in­ne­ren Regio­nen Süd­ame­ri­ka dage­gen, wo man kei­ne Zugrif­fe von aus­beu­te­ri­schen Kolo­ni­sten und hab­gie­ri­gen Skla­ven­jä­gern fürch­ten muss­te, war die christ­li­che Mis­si­on im Sin­ne des Evan­ge­li­ums tief­grei­fend und fruchtbar.

Die Idee der spa­ni­schen Huma­ni­sten um Sepul­ve­da, durch poli­ti­sche Herr­schafts­über­nah­me die Chri­stia­ni­sie­rung der Indi­os vor­zu­be­rei­ten, hat­te sich als schwer­wie­gen­des Mis­si­ons­hin­der­nis erwiesen.

Kritik am feudalen Encomienda-System

Fresko von 1876 zu Las Casas im Kapitol von Washington
Fres­ko von 1876 zu Las Casas im Kapi­tol von Washington

Ein öko­no­mi­sches Hin­der­nis für alle poli­ti­schen Refor­men war das Enco­mien­das-System. Die spa­ni­sche Kro­ne hat­te seit Beginn der Kolo­ni­sie­rung den Sied­lern gro­ße Gebie­te samt Ein­woh­nern über­tra­gen, die sie nach feu­da­len Prin­zi­pi­en ver­wal­ten sollten:Die Grund­her­ren über­nah­men die Pflicht zur Für­sor­ge der Gebiets­un­ter­ta­nen, dafür konn­ten sie von den Indio-Gemein­den Arbeits­lei­stun­gen for­dern und auch erzwin­gen. For­mal waren die Indi­os ‚Höri­ge’ oder Leib­eig­ne der Grund­her­ren, fak­tisch lief das Enco­mien­da-System auf Skla­ven­hal­tung hin­aus – und Krieg, wenn sich die Indi­os wehrten.

Vor Ort klag­ten die Domi­ni­ka­ner­brü­der wie Mon­te­si­no und Las Casas gegen die Zwangs­ar­beit und Aus­beu­tung der Indi­os an. An den spa­ni­schen Uni­ver­si­tä­ten ent­wickel­ten die Ordens­theo­lo­gen grund­le­gen­de Ant­wor­ten auf die neu­en kolo­ni­al­ethi­schen Fra­gen. Allen vor­an kämpf­te der Domi­ni­ka­ner-Leh­rer Fran­cis­co de Vito­ria gegen die Bar­ba­ren-Theo­rie der dama­li­gen Ari­sto­te­li­ker und Huma­ni­sten, nach denen nicht-zivi­li­sier­te Völ­ker „Skla­ven von Natur“ aus seien.

Die Domi­ni­ka­ner festig­ten die christ­li­che Leh­re von Augu­sti­nus und Tho­mas von Aquin, daß alle Men­schen nach der Schöp­fungs­ord­nung – also „von Natur aus“ – gleich sei­en. Wenn aber die Indi­os im natur­recht­li­chen Sta­tus auf der glei­chen Stu­fe stan­den wie die Spa­ni­er, dann waren sie auch Eigen­tü­mer ihres bewohn­ten Lan­des – so die Fol­ge­rung des Theologen.

Mit die­ser Argu­men­ta­ti­on bestritt de Vito­ria die Rechts­grün­de für die spa­ni­sche Zutei­lung von India­ner­land und damit das Enco­mien­da-System. Außer­dem müss­ten die Spa­ni­er die india­ni­schen Häupt­lin­ge und Für­sten als legi­ti­me Herr­scher über ihre Län­der und Völ­ker anerkennen.

Völkerrechtliche Anerkennung der Indo-Stämme und Fürsten

Francisco de Vitoria vor San Esteban in Salamanca
Fran­cis­co de Vito­ria vor San Este­ban in Salamanca

Damit kri­ti­sier­te der Domi­ni­ka­ner nichts weni­ger als zwei päpst­li­che Edik­te von 1493/​1495, in denen der Bor­gia-Papst Alex­an­der VI. der spa­ni­schen Kro­ne Besitz und Herr­schaft über Süd­ame­ri­ka zuge­spro­chen hat­te. Der Papst habe kei­ne direk­te Gewalt über heid­ni­sche Herr­scher, kri­ti­sier­te de Vito­ria, also kön­ne er an christ­li­che Köni­ge nur einen Evan­ge­li­sie­rungs­auf­trag geben, aber kei­ne Herrschaftsübertragung.

Das Neue an de Vito­ri­as Rechts­dis­kurs bestand dar­in, dass er den natur­recht­li­chen Gleich­heits­sta­tus der Ein­zel­men­schen auch auf die Für­sten­tü­mer und Staa­ten anwand­te – gleich ob christ­lich oder heid­nisch. Damit waren aber auch die Staa­ten an die natur­recht­li­chen Prin­zi­pi­en gebun­den – etwa die gegen­sei­ti­ge Rech­te-Respek­tie­rung oder die restrik­ti­ven Regeln vom gerecht­fer­ti­gen Krieg.

Mit die­sen Grund­sät­zen des moder­nen Völ­ker­rechts stell­te sich de Vito­ria in schar­fen Gegen­satz zu einem andern Staats­theo­re­ti­ker der Renais­sance, Nic­colò Machia­vel­li (+1527). Der Poli­ti­ker aus Flo­renz lehr­te, dass der Staat an kei­ne mora­li­schen Prin­zi­pi­en gebun­den sei sowohl im Han­deln gegen­über den Bür­gern wie auch gegen­über den ande­ren Staa­ten. Die­ser unmo­ra­li­sche Anspruch staat­li­cher Selbst­herr­lich­keit und auto­kra­ti­scher Staats­rai­son soll­te bis ins 20. Jahr­hun­dert viel Leid und Krieg über die Völ­ker brin­gen. Der Theo­lo­ge Fran­cis­co de Vito­ria dage­gen hat als ‚Vater des moder­nen Völ­ker­rechts’ zur Ver­recht­li­chung und Befrie­dung der Völ­ker­be­zie­hun­gen beigetragen.

Päpstliches Verbot von Sklavenhaltung

Papst Paul III.
Papst Paul III.

Bedeut­sam war de Vito­ri­as Ein­fluss auch auf Theo­lo­gie und Kir­che. In der berühm­ten Bul­le „Sub­li­mis Deus“ (1537) folg­te Papst Paul III. der scho­la­sti­schen Argu­men­ta­ti­on des Domi­ni­ka­ners, die er in sei­nen „Vor­le­sun­gen über die Indi­os“ von 1532 ent­wickelt hatte:

Es sei eine List des Teu­fels und sei­ner Hel­fers­hel­fer zu behaup­ten, die Völ­ker Ame­ri­kas und ande­rer Natio­nen sei­en kei­ne wirk­li­chen Men­schen und hät­ten des­halb nicht die Fähig­keit zur Glau­bens­an­nah­me. Mit die­ser Begrün­dung wür­den die genann­ten Völ­ker „wie Tie­re zu Skla­ven­dien­ste“ ein­ge­spannt. Tat­säch­lich aber begehr­ten die Kolo­ni­sten nur, mit der Skla­ven­hal­tung ihre Hab­sucht zu befriedigen.

Wir dage­gen – so der Papst – erklä­ren in Über­ein­stim­mung mit der Leh­re Chri­sti, dass die Indi­os „als wirk­li­che Men­schen die Fähig­keit zum christ­li­chen Glau­ben besitzen“.
„Kraft unse­rer apo­sto­li­schen Auto­ri­tät bestim­men wir“:

1. Die Indi­os und alle ande­ren Völ­ker, ob heid­nisch oder gläu­big, dür­fen nicht ver­sklavt werden.
2. Die heid­ni­schen Völ­ker dür­fen ihrer Frei­heit und ihres Besit­zes nicht beraubt werden.
3. „Viel­mehr sol­len sie unge­hin­dert und erlaub­ter­wei­se das Recht auf Besitz und Frei­heit ausüben.“

Die spanische Spätscholastik inspirierte den europäischen Menschenrechtsdiskurs

Die fol­gen­de Gene­ra­ti­on der spa­ni­schen Theo­lo­gen – etwa Luis de Moli­na („  1600) und Fran­cis­co Sua­rez („  1617) – führ­ten den Ansatz von de Vito­ri­as wei­ter. Die­se Ver­tre­ter der soge­nann­ten spa­ni­schen Barock-Scho­la­stik hat­ten ent­schei­den­den Ein­fluss auf die mit­tel­eu­ro­päi­schen Früh­auf­klä­rer und Völkerrechtler.

Die Phi­lo­so­phen Hugo Gro­ti­us aus den Nie­der­lan­den („  1645), Tho­mas Hob­bes aus Eng­land („  1679) und Samu­el von Pufen­dorf aus Deutsch­land („  1694) stütz­ten sich in den Fra­gen von Völ­ker­recht und Men­schen­rech­ten auf die Leh­ren der spa­ni­schen Spätscholastik.

Lite­ra­tur: Tho­mas E. Woods jr: Stern­stun­den statt dunk­les Mit­tel­al­ter, Die katho­li­sche Kir­che und der Auf­bau der abend­län­di­schen Zivi­li­sa­ti­on, MM-Ver­lag 2006

Dokument:

Papst Paul III.

Bulle „Sublimis Deus“ vom 9. Juni 1537
über die Glaubensfähigkeit der Indianer und ihr Recht auf Freiheit und Besitz

Der erha­be­ne Gott neig­te sich unse­rem Geschlecht mit sol­cher Lie­be zu und schuf den Men­schen der­ge­stalt, dass die­ser nicht bloß wie die ande­ren Geschöp­fe am Guten teil­neh­men, son­dern das unzu­gäng­li­che und unsicht­ba­re höch­ste Gut selbst ver­ko­sten und von Ange­sicht zu Ange­sicht schau­en darf. Da nun, nach dem Zeug­nis der Hl. Schrift, der Mensch für das ewi­ge Leben und die Glück­se­lig­keit bestimmt ist, die­ses ewi­ge Leben und die Selig­keit aber nur durch den Glau­ben an unsern Herrn Jesus Chri­stus erlangt wer­den kön­nen, muss man dem Men­schen eine der­ar­ti­ge Beschaf­fen­heit und Natur zuer­ken­nen, dass er die­sen Glau­ben an Chri­stus zu emp­fan­gen imstan­de sei und dass, wer immer die mensch­li­che Natur sich zu eigen nennt, auch die Fähig­keit zu glau­ben besit­ze. Denn es wird wohl nie­mand so beschränkt sein, um anneh­men zu wol­len, ein Ziel las­se sich ohne den Ein­satz der dazu not­wen­di­gen Mit­tel ver­wirk­li­chen. Wie wir wis­sen, sprach des­halb die Wahr­heit selbst – und sie kann ja weder irren noch jeman­den in Irr­tum füh­ren -, als sie die Pre­di­ger des Glau­bens zum Amte der Ver­kün­di­gung aus­er­kor, die Wor­te: Eun­tes doce­te omnes gen­tes. Alle, sag­te sie, ohne Aus­nah­me, sind doch alle fähig, im Glau­ben unter­wie­sen zu wer­den. Schee­len Blickes sah dies der Riva­le des Men­schen­ge­schlech­tes, der stets allem Guten ent­ge­gen­wirkt und es zu ver­nich­ten trach­tet. Dar­auf­hin ersann er eine bis­lang nie gehör­te List, um die Ver­kün­di­gung des Wor­tes Got­tes an die Völ­ker und damit deren Heil zu hin­ter­trei­ben: Er ver­an­lass­te näm­lich eini­ge sei­ner Hel­fers­hel­fer, die nichts ande­res begehr­ten, als ihre Hab­sucht zu befrie­di­gen, dass sie unab­läs­sig dar­auf­hin arbei­te­ten, die Bewoh­ner West- und Süd­in­di­ens und ande­re Natio­nen, von denen wir Kun­de erhal­ten haben, wie Tie­re zum Skla­ven­dienst ein­zu­span­nen. Sie schütz­ten dabei vor, die­se Leu­te könn­ten des katho­li­schen Glau­bens nicht teil­haf­tig wer­den. Als Stell­ver­tre­ter Chri­sti, unse­res Herrn, wie­wohl des­sen unwür­dig, suchen wir mit all unse­ren Kräf­ten, die Scha­fe sei­ner Her­de, die uns anver­traut sind und sich außer­halb sei­ner Her­de befin­den, in sei­nen Schaf­stall hin­ein zu füh­ren. Wir wis­sen wohl, dass die India­ner als wirk­li­che Men­schen nicht allein die Fähig­keit zum christ­li­chen Glau­ben besit­zen, son­dern zu ihm in aller­größ­ter Bereit­schaft her­bei­ei­len, wie man es uns wis­sen ließ. Aus dem Ver­lan­gen, in die­se Ange­le­gen­heit Ord­nung zu brin­gen, bestim­men und erklä­ren wir mit die­sem Schrei­ben und kraft unse­rer apo­sto­li­schen Auto­ri­tät, unge­ach­tet all des­sen, was frü­her in Gel­tung stand und etwa noch ent­ge­gen­steht, dass die India­ner und alle andern Völ­ker, die künf­tig mit den Chri­sten bekannt wer­den, auch wenn sie den Glau­ben noch nicht ange­nom­men haben, ihrer Frei­heit und ihres Besit­zes nicht beraubt wer­den dür­fen; viel­mehr sol­len sie unge­hin­dert und erlaub­ter Wei­se das Recht auf Besitz und Frei­heit aus­üben und sich des­sen erfreu­en kön­nen. Auch ist es nicht erlaubt, sie in den Skla­ven­stand zu ver­set­zen. Alles, was die­sen Bstim­mun­gen zuwi­der­läuft, sei null und nich­tig. Die Indi­os aber und die andern Natio­nen mögen durch die Ver­kün­di­gung des Wor­tes Got­tes und das Bei­spiel eines guten Lebens zum Glau­ben an Chri­stus ein­ge­la­den werden.

Deut­sche Über­set­zung nach J. Baum­gart­ner, Mis­si­on und Lit­ur­gie in Mexi­ko, Bd. 1, Schöneck-Becken­ried 1971, S. 122, aus: Con­qui­sta und Evan­ge­li­sa­ti­on (Mainz 1992), S. 475 f.

Text: Wer­ner Rothenberger
Bild: Wikicommons

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