(Buenos Aires/Rom) Am heutigen 17. Dezember feiert Papst Franziskus seinen 78. Geburtstag. Am Vormittag erfreute ihn ein Tango, der von Tausenden seiner „Aficionados“ ihm zu Ehren auf dem Petersplatz getanzt wurde. Der Osservatore Romano veröffentlichte eine Seite aus einer in Argentinien erschienenen Papst-Biographie, auf die Jorge Mario Bergoglio besonderen Wert legt und an deren Zustandekommen und Niederschrift er selbst Hand anlegte.
Das Buch mit dem Titel Aquel Francisco wurde von zwei argentinischen Journalisten, Javier Cámara und Sebastian Pfaffen geschrieben (siehe eigenen Bericht Als Bergoglio als „brillant, aber verrückt“ ins „Exil“ geschickt wurde). Beide stammen aus Cordoba in Argentinien, wo auch der Verlag seinen Sitz hat. Der Schwerpunkt des Buches liegt in der Rekonstruktion der beiden Phasen im Leben des amtierenden Papstes, die er in der argentinischen Provinzstadt verbrachte. Das waren die beiden Jahre des Noviziats von 1958–1960 und die zwei Jahre des Exils ohne jeden Auftrag, in das er von seinen Ordensoberen von 1990–1992 verschickt worden war. Ein Exil, das Papst Bergoglio heute gerne als „innere Reinigung“ bezeichnet.
Aquel Francisco – die autobiographische Biographie
Im Dezember 2013 war der Papst vom Erzbischof von Cordoba bei einem Rom-Besuch informiert worden, daß die beiden Journalisten dabei waren, zu dieser Doppelperiode ein Buch zu schreiben. Papst Franziskus griff zum Telefonhörer und rief die beiden an. „Nicht einmal, sondern mehrfach, und ließ den Griff nicht mehr locker“, so der Vatikanist Sandro Magister zur Episode. Der Papst begann mit Cámara und Pfaffen einen intensiven Schriftverkehr über E‑Mail, schilderte seine Erinnerungen und machte aus der Biographie eine Art Autobiographie. Von einer „autobiografia cordobana“ spricht Magister, da das Buch gespickt ist mit direkten Aussagen unter Anführungszeichen. Dabei handelt es sich um Erzählungen und Bewertungen.
„Es sind vor allem zwei Punkte des Buches, die neugierig machen“, so Magister. Das betrifft einmal die wirklichen Gründe, die dazu führten, daß der ehemalige argentinische Jesuitenprovinzial Bergoglio bei seinen Mitbrüdern in Ungnade fiel. An der Spitze der Jesuiten in Argentinien stand der heutige Papst in den 70er Jahren, um genau zu sein von 1973–1979. Ins Exil geschickt wurde er 1990 von Pater Victor Zorzin, der Pater Bergoglio aus nächster Nähe kannte. Pater Zorzin war nämlich Bergoglios Vize, als dieser Ordensprovinzial war. 1986 wurde Zorzin zum Provinzial. Ein Amt, das er bis 1991 bekleidete.
Warum wollten seine Mitbrüder Bergoglio loswerden?
Zwischen Zorzin und Bergoglio gab es große Meinungsverschiedenheiten über die Art der Ordensleitung. Dasselbe galt zwischen Bergoglio und Zorzins Nachfolger, Pater Ignacio Garcàa‑Mata, der von 1991–1997 Provinzial war und damit zu einer Zeit, als Bergoglios neue Karriere außerhalb seines Ordens bereits im Gange war. 1992 ernannte ihn Papst Johannes Paul II. zum Weihbischof von Buenos Aires, 1997 zum Erzbischof-Koadjutor, acht Monate später, im Februar 1998, zum Erzbischof von Buenos Aires und Primas von Argentinien.
Laut den beiden Buchautoren artikulierten sich die ordensinternen Meinungsverschiedenheiten in einer hämmernden „Verleumdungskampagne“ gegen Pater Bergoglio. Eine Kampagne, deren Echo bis nach Rom zu hören war und bis zum damaligen Ordensgeneral, dem Holländer Peter Hans Kolvenbach vordrang. Man habe das Gerücht in Umlauf gesetzt, wie unter anderem Pater àngel Rossi, der derzeitige Obere der Jesuitenniederlassung in Cordoba im Buch bestätigt, daß der „einmal so brillante“ Ex-Provinzial exiliert worden war, „weil er krank, verrückt“ geworden sei.
Der „Parallel-Obere“ Bergoglio
Der 1979 auf Bergoglio gefolgte Provinzial, Pater Andrés Swinnen, der seinem Vorgänger immer verbunden blieb, liefert eine substantiellere Erklärung der Exilierung. Die „Schuld“ Bergoglios sei es gewesen, daß er auch nach dem Ende seines Mandats als Provinzial weiterhin als Anführer einer Fraktion innerhalb der Ordensprovinz auftrat und Einfluß auszuüben versuchte.
Zuerst hatte man ihn zum Rektor des Colegio Maximo von San Miguel gemacht. Dann schickte man ihn zum Doktoratsstudium nach Deutschland. Doch in Frankfurt am Main blieb er nur ganz kurz. In den wenigen Monaten, die er sich in Deutschland aufhielt, reiste er viel und besuchte die verschiedenen Jesuitenniederlassungen. Man hatte ihn aus Argentinien abzuschieben versucht. Das erklärt auch, weshalb es nie zum Studium, dem offiziellen Aufenthaltsgrund kam. Doch nach kurzer Zeit gelang ihm die Rückkehr in seine Heimat. Nun schickte man ihn an das Colegio del Salvador, wo er Theologie unterrichtete. Doch wo immer er auch hingeschickt wurde, trat er „wie ein Parallel-Oberer“ auf, so Pater Swinnen. Auf diese Weise beeinflußte er viele Jesuiten, vor allem jüngere Mitbrüder. Innerhalb eines Jahrzehnts von 1979, dem Ende von Bergoglios Amtszeit als Provinzial, bis zu seiner Exilierung 1990 verließen mehr als 100 junge argentinische Jesuiten den Orden und gaben ihr Priestertum auf.
Exodus aus dem Orden, der Bergoglio angelastet wurde
Der Exodus wurde Bergoglio angelastet. Ein „Großteil der Ausgetretenen gehört der Gruppe an, die nicht auf der Seite Bergoglios standen, sondern sich vielmehr seiner entledigen wollten“, so Pater Swinnen. Ob an seiner Seite oder gegen ihn, der ehemalige Provinzial spielte eine zentrale Rolle im provinzinternen Konflikt.
Das Buch liefert keine näheren Hintergründe über die Gründe des Konfliktes. Lag es lediglich an der Persönlichkeitsstruktur Bergoglios und anderer Akteure oder ging es um inhaltliche Fragen von Glaubenslehre und Kirchenordnung? Weder der amtierende Papst noch die im Buch zitierten Jesuiten scheinen die damaligen Streitpunkte, die zu so handfesten Konflikten führten, „aufwärmen“ zu wollen.
Cordobaner Exilschriften
Bisher ist bekannt, daß Papst Franziskus in seinem Leben kein Buch geschrieben hat. Seine schriftliche Hinterlassenschaft beschränkt sich auf kürzere Beiträge und Vorwörter für einige Bücher von anderen sowie zwei Borschüren, die erschienen, nachdem er im Konklave 2005 zum Gegenspieler Joseph Ratzingers wurde. Bereits in dieser Zeit als Erzbischof von Buenos Aires bediente er sich Manuel Fernandez‘ als Ghostwriter. Ihn machte er zum Rektor der Päpstlichen Universität von Buenos Aires, Titularerzbischof, Synodalen der Bischofssynode über die Familie und zum offiziellen päpstlichen Texteschreiber. Auch das Apostolische Schreiben Evangelii Gaudium stammt maßgeblich aus seiner Feder. Das ist an sich nicht ungewöhnlich für Staatsmänner und führende Persönlichkeiten.
Um so mehr aber erstaunt, daß Papst Franziskus im Buch sagt, in seinem Cordobaner Exil zwei Bücher geschrieben zu haben. Die Bücher tragen den Titel „Reflexiones en esperanza“ (Gedanken über die Hoffnung) und vor allem „Corrupción y pecado“ (Korruption und Sünde) und meinen die Broschüren. Letzterer Text habe seinen Ausgang wegen einer Tragödie genommen, der Ermordung einer 17-Jährigen im Jahr 1990 durch Angehörige der hohen Gesellschaft. 2014 erschien er auch in deutscher Übersetzung.
Evangelii gaudium und Romano Guardini
Die „Korruption“ ist ein Thema, das Papst Franziskus in seinen Predigten immer wieder aufgreift. Das katholische Kirchenoberhaupt sagt, im Exil das Studium von Romano Guardini wiederaufgenommen zu haben, um seine Dissertation über den deutschen Religionsphilosophen zu vollenden. „Es ist mir nicht gelungen, sie abzuschließen, aber dieses Studium hat mir sehr geholfen bei dem, was danach auf mich zukam, einschließlich der Niederschrift des Apostolischen Schreibens Evangelii gaudium, dessen Teil über die sozialen Kriterien zur Gänze aus meiner Doktorarbeit über Guardini entnommen ist“.
Die nie vollendete Dissertation ist nicht bekannt, aber in Evangelii gaudium findet sich tatsächlich ein ausführliches Zitat von Guardini aus dessen 1950 erschienener Arbeit „Das Ende der Neuzeit“. Das Zitat findet sich in den Absätzen 217–237, in denen der Papst die Kriterien darlegt, die befolgt werden sollen, um die Förderung des Allgemeinwohls und des sozialen Friedens voranzubringen.
Inwieweit seine Art der Amtsführung, ob als Provinzial, als „Parallel-Oberer“, als Erzbischof oder Papst mit den Kriterien Guardinis in Zusammenhang stehen, bedürfte einer eigenen Untersuchung.
Text: Settimo Cielo/Giuseppe Nardi
Bild: MiL