(Mailand) Die italienische Jesuitenzeitschrift Popoli veröffentlichte in ihrer Dezember-Ausgabe ein ausführliches Interview mit Vatikansprecher Pater Federico Lombardi. Die Zeitschrift entstand 1915 als Missionszeitschrift der italienischen Jesuiten. 1970 begann die Zusammenarbeit mit den Päpstlichen Missionswerken der Kongregation für die Evangelisierung der Völker unter dem neuen Titel Popoli e Missioni (Völker und Missionen), eine Zusammenarbeit, die 1987 beendet wurde. Seither trägt die Zeitschrift ihren heutigen Namen. 1993 wurde der erste Laie Redaktionsmitglied, gleichzeitig entwickelte sich die Zeitschrift immer stärker in Richtung eines Linkskatholizismus, der sich schwerpunktmäßig dem Nord-Süd-Gefälle und struktureller Ungerechtigkeit widmet. Verstärkt wurde auch die interreligiöse Sichtweise, „das Kennenlernen des Anderen, die Inkulturation des Evangeliums in den verschiedenen Kulturen mit besonderer Aufmerksamkeit für ökumenische Aspekte und den Dialog zwischen den Kirchen und den Religionen“. Seit 2006 ist mit Stefanio Femminis der erste Laie Chefredakteur einer italienischen Jesuitenzeitschrift. Die Schwerpunkte liegen heute auf den Themen Migration und multiethnischer gesellschaftlicher Wandel.
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„Franziskus und der Gott der Überraschungen“
Pater Federico Lombardi, 72 Jahre, Jesuit, ist seit 2006 einer der engsten Mitarbeiter der Päpste: zuerst von Benedikt XVI., nun von Franziskus. Man weiß nicht, ob er wegen seines zurückhaltenden Charakters oder seiner heiklen Aufgabe nicht gerne Interviews gibt. Auch deshalb sind wir ihm besonders dankbar für die Zeit, die er uns bei einem Besuch in der Mailänder Redaktion von Popoli zur Verfügung gestellt hat.
Pater Lombardi, beginnen wir am Abend des 13. März 2013: Was waren Ihre ersten Gedanken, als Sie den Namen des neuen Papstes gehört haben und feststellten, daß es der einzige Jesuit war, der am Konklave teilnahm?
Lombardi: Ich gestehe, daß mich die Sache völlig überrascht hat, weil ich nicht auf eine solche Eventualität vorbereitet war. Nie hätte ich gedacht, daß ein Jesuit zum Papst gewählt werden könnte. Ich wußte, daß Kardinal Bergoglio eine geschätzte und maßgebliche Person war. Man sagte auch, daß er im vorherigen Konklave viele Stimmen erhalten habe. Ich wußte, daß er im Laufe der Vorbereitungskongregationen bedeutsame Wortmeldungen geäußert hatte, aber dennoch dachte ich nicht daran, daß er Papst werden könnte.
Ein Jesuit wurde zum neuen Bezugspunkt für die Kirche. Man muß immer bedenken, daß die Jesuiten eine spezielle Beziehung zum Papst haben. Für sie ist der Papst, im Sinne des Heiligen Ignatius von Loyola, der wirkliche Obere der Gesellschaft Jesu. Daß der Papst selbst Jesuit ist, verstärkt diese Beziehung zusätzlich.
Zwei weitere Dinge haben mich zudem tief berührt: Der Name Franziskus und die lateinamerikanische Herkunft. Der Name Franziskus, erstmals in der Papstgeschichte gewählt, stellte ein Zeichen von großem Mut dar und sendete meines Erachtens eine Botschaft aus: Sie bewies sofort die starke Persönlichkeit Bergoglios, der sich nicht bedingt fühlte, durch das was vor ihm war, und daß er durch diese Namenswahl sich auf eine der ausdrucksstärksten Gestalten der christlichen Tradition beruft. Die lateinamerikanische Herkunft beweist zudem, daß die Kirche entschieden hat, einen anderen Gesichtspunkt auf sich selbst und die Welt anzuwenden.
Kannten Sie Jorge Mario Bergoglio bereits?
Lombardi: Ich erinnere mich, ihn während der 33. Generalkongregation der Jesuiten im Jahr 1983 kennengelernt hatte. Der damalige Pater Bergoglio äußerte einige bedeutsame Wortmeldungen, aber ich hatte damals keine Gelegenheit zu einer persönlichen Begegnung. Umso weniger später, als er zum Bischof geweiht wurde und aus dem normalen Leben der Gesellschaft Jesu ausschied. Eine persönliche Begegnung hatte ich erst während der Vorbereitungskongegrationen zum Konklave 2013.
Und nach der Wahl, wann haben Sie ihn das erste Mal getroffen?
Lombardi: Am Morgen danach trafen wir uns in Santa Maria Maggiore, wohin sich der Papst zum Gebet in privater Form begab. Franziskus wurde von einer kleinen Gruppe von Personen begleitet, zu der auch ich gehörte. Als Direktor des Presseamtes hatte ich die Ereignisse nach dem Konklave möglichst aus der Nähe zu beobachten. Er sah mich und grüßte mich mit großer Freundlichkeit und Herzlichkeit. Es war ein kurzes, aber bedeutsames Gespräch.
Treffen Sie in Ihrer normalen Arbeit häufig den Papst?
Lombardi: Viele denken, daß der Sprecher in enger Vertrautheit mit dem Papst steht, aber dem ist nicht so. So war es nicht mit Benedikt XVI. und so ist es nicht mit Franziskus. Mancher denkt, daß dieses nicht Ständige beim Papst Sein ein Zeichen mangelnder Effizienz meines Dienstes sei oder, daß mein Dienst marginale Bedeutung hätte. In Wirklichkeit habe ich großen Respekt für die Gesamtheit der Struktur, die mit dem Papst arbeitet. Grundsätzlich untersteht das Presseamt, dessen Direktor ich bin, dem Staatssekretariat. Ich denke, daß die ersten Berater des Papstes der Staatssekretär, der Substitut und der Sekretär für die Beziehungen zu den anderen Staaten sind. Dann kommen die Leiter der verschiedenen Dikasterien für die spezifischeren Fragen. Wenn ich etwas zu fragen habe, schicke ich dem Privatsekretär des Papstes eine E‑Mail. Dieser leitet mein Schreiben an den Papst weiter und die Antwort erreicht mich innerhalb kurzer Zeit. Ich telefoniere nie persönlich mit dem Papst noch bitte ich um Gespräche.
Zudem ist klar, daß jeder Papst seine Mitarbeiter einsetzt nach seinem Gutdünken. Papst Wojtyla sagte Navarro-Valls häufig was er tat, ohne den bürokratischen Weg zu gehen, sagen wir so. Benedikt XVI. hingegen bevorzugte es, den institutionellen Weg einzuhalten. Mit Franziskus ist das Verhältnis noch einmal anders: Er fällt aus jedem Schema und bewegt sich in völliger Freiheit. Ein bißchen weil er von einer mehr pastoralen Ausrichtung herkommt, die er auch als Papst beizubehalten versucht, ein bißchen weil er zeigen will, daß er nicht besonders in strukturellen Bindungen verankert ist.
So geschieht es, daß einige Initiativen des Papstes nicht über institutionelle Kanäle laufen, sondern von ihm in totaler Freiheit getroffen werden. Ich erfahre davon, weil er mich direkt kontaktiert oder durch seine Sekretäre, aber ohne daß die klassischen Kanäle damit befaßt werden.
Die Besonderheit eines jeden Pontifikats erkennt man auch zum Beispiel in der Art, in der die Audienzen für Staatsoberhäupter gehandhabt werden, wenn ich die Erklärung für die Medien vorbereiten muß: Benedikt XVI. konzentrierte sich sehr auf die Inhalte der Gespräche, mit einem besonderen Augenmerk für das Detail und die Zusammenfassung, während Franziskus sich sehr um die menschliche und geistliche Seite der Begegnungen kümmert.
Inwieweit spielt bei diesem Verhalten des Papstes im Umgang mit den Institutionen sein Charakter eine Rolle und inwieweit handelt es sich um eine „politische“ Entscheidung?
Lombardi: Ich würde nicht sagen, daß es einen Willen zum Abbau der Institutionen gibt. Papst Franziskus sagt häufig, daß er gemäß den Anweisungen handelt, die ihm die Kardinäle während der Vorbereitung des Konklaves gegeben haben: von einer als zentralistisch wahrgenommenen Kirche, in der es ein gewisses Gewicht der Kurie in vielen Bereichen (Disziplin, Glaubenslehre, usw.) gab, zu einer Kirche, in der die verschiedenen Teile mehr gehört werden und ein größeres Gewicht haben bei der Festlegung der Linien, auf denen das Pontifikat sich bewegt. In diesem Kontext ist besonders die Schaffung des Kardinalsrats (der sogenannte Rat der Acht) von Bedeutung, der der Weltkirche mehr Raum in der Kirchenleitung gibt.
Einige sehen in dieser Regierungsmethode eine Übertragung der Regierungsmethode der Gesellschaft Jesu auf die Ebene der Weltkirche. Stimmen Sie dieser Einschätzung zu?
Lombardi: Die vom Vater General der Jesuiten angewandte Methode, seine Berater anzuhören und dann die Entscheidungen auf völlig autonome Weise zu treffen, ist sicher sehr ähnlich. Ich denke aber nicht, daß es sich dabei um eine exklusive Methode der Gesellschaft Jesu handelt. Interessanter und wichtiger finde ich hingegen das Bemühen, die Synode zum Ort des Nachdenkens und der pastoralen Führung der Kirche zu gebrauchen, indem auch sehr wichtige Themen auf partizipative Weise vorgeschlagen werden. Die Synode wurde ja nicht von Papst Franziskus erfunden, er aber versucht, ihr eine wichtigere Rolle zurückzugeben.
Ich unterstreiche jedoch, daß das von Franziskus kein alternatives organisches Modell ist, sondern vielmehr ein in Bewegungsetzen einer komplexen Realität wie der Kirche. Es ist eine Kirche auf dem Weg. Er zwingt nicht seine Sichtweise und seine Art zu handeln auf. Er bittet um die verschiedenen Meinungen und hört sie an. Er weiß nicht, wo es hingehen wird: Er vertraut sich dem Heiligen Geist an. In dieser Sichtweise der Kirchenleitung halte ich die Dimension des Auf dem Wegseins im Glauben und im Vertrauen auf den Beistand des Heiligen Geistes für sehr wichtig. Dieser Aspekt ist wichtig, denn sonst wird es ein im Dunkeln tappen und man fühlt sich verloren.
Worin sehen Sie am deutlichsten die Identität Bergoglios als Jesuit hervor scheinen?
Lombardi: Ich denke, daß man sie vor allem in der Spiritualität erkennt, die seine Art sich auszudrücken und sein Lehramt durchdringt. Ich finde diese Spiritualität vor allem in den Homelien, die er in Santa Marta hält. Er setzt sich in Beziehung mit dem Wort Gottes mit einer Haltung des Hörens um zu verstehen, was ihm persönlich der Herr sagt, was es von ihm verlangt und wie es sich auf seine Art zu leben und zu denken auswirken kann. Es ist eine sehr einfühlsame Art des Hörens, das ihn persönlich anspricht und in einer konkreten Beziehung mit dem täglichen Leben steht. Das finde ich absolut in Übereinstimmung mit den Lehren der geistlichen Exerzitien. So wie seine ständige Aufforderung an die Gläubigen in Übereinstimmung mit den Exerzitien steht, eine persönliche Beziehung mit Jesus zu haben und Gott in allen Dingen zu sehen.
Ein weiterer sehr charakteristischer Aspekte seiner Ausbildung als Jesuit ist sein Sprechen über die Mission der Kirche, die an die Grenzen geht und die schaut, worhin sie das Evangelium tragen kann, anstatt auf sich selbst zu schauen. Wenn wir wollen, dann sind auch noch typisch „jesuitisch“ eine gewisse Einfachheit des Lebensstils und die Verweigerung jeder Form von Triumphalismus. Mehr noch sind es natürlich Aspekte in Übereinstimmung mit der Botschaft des Evangeliums, aber es ist war, daß diese in der Tradition der Gesellschaft Jesu sehr gegenwärtig sind, weshalb es mich keineswegs wundert, sie im Verhalten von Papst Franziskus wiederzufinden.
Gibt es historische Etappen der Gesellschaft Jesu oder Jesuiten der Vergangenheit, denen der Papst besonders verbunden ist?
Lombardi: Seit Beginn des Pontifikats hatte der Papst im Sinn, die Gestalt des Petrus Faber herauszustellen. Und von Anfang an setzte er Schritte zu dessen Kanonisierung, die dann am 17. Dezember 2013 erfolgt ist. Faber, ein Gefährte von Ignatius von Loyola ist nicht einmal unter den Jesuiten eine besonders bekannte Gestalt. Der Umstand, daß Franziskus ihn zu den Altären erhob und als Modell für die Weltkirche empfahl, hat uns berührt und war Ausdruck seiner Art, die Erfahrung der Gesellschaft Jesu zu erleben.
Dann ist nicht zu vergessen, daß der Papst auch den Jesuiten José de Anchieta kanonisierte, eine der großen Gestalten der missionarischen Gesellschaft Jesu.
Apropos Jesuitenmissionare: Können Sie uns etwas Neues zur Seligsprechung von Matteo Ricci sagen, von der man seit einiger Zeit spricht?
Lombardi: Ich weiß, daß der Postulator Anton Witwer in diesem Sinn seine Arbeit wiederaufgenommen hat, während es vorher, wie mir schien, einen gewissen Stillstand gab. Persönlich denke ich, daß es sehr schön wäre zu Matteo Ricci auch Xu Guangqi (ein chinesischer Gefährte und Mitarbeiter Riccis, der sich zum Christentum bekehrte, Anm. Popoli) hinzuzunehmen. Mir scheint, daß der Postulator in diese Richtung geht. Ich denke, daß das eine tiefe Aussagekraft bezüglich der Beziehungen mit China hätte. Es wäre eine große Botschaft der Inkulturation.
Inkulturation, Dialog zwischen den Kulturen, Dialog mit den anderen Religionen und den Nichtglaubenden sind weitere „Schlüsselwörter“ der Jesuiten, die dem Papst sehr wichtig scheinen …
Lombardi: Ja, die Jesuiten haben eine bestimmte Art zu handeln: einfach, direkt, nicht zu sehr an institutionelle Aspekte gebunden. Es hat mich die Tatsache berührt, daß Franziskus bereits zweimal die Aussage wiederholte, die Athenagoras und Paul VI. zugeschrieben wird: „Die Theologen schicken wir zum Diskutieren auf eine Insel und wir machen die Ökumene!“ Franziskus trägt einen Dialog der Begegnung voran, einer Begegnung zwischen Personen. Und zudem dieses Thema: Wie seinen Dienst als Bischof von Rom interpretieren, daß er auch von den anderen verstanden und akzeptiert werden kann?
Ein anderer Aspekt, in dem ich sehr das „Jesuitsein“ des Papstes wiederfinde, ist das vom Gott der Überraschungen, wie ich sagen würde: Gott ist immer größer als das, was wir vorhergesehen und mit dem wir gerechnet haben, er überrascht uns immer, er öffnet uns neue Horizonte, er stellt uns vor neue Situationen, er gibt uns das Gefühl auf dem Weg zu sein. Daher rührt die Idee von der Kirche auf dem Weg, der Synodalität, keine bereits fertigen Papiere zu haben, sondern versuchen, der Eingebung und dem Willen Gottes zu folgen und jeden Tag zu suchen. Hier steckt die Idee des Pilgers Ignatius drinnen. Die Gesellschaft Jesu fühlt sich immer auf dem Weg und beim Hören des Wortes Gottes.
Ein anderer Papst, Paul VI. bezeichnete die Jesuiten als „Menschen an den Grenzen“. Sehen Sie eine Parallele zum Beharren Bergoglios auf dem Thema der Ränder?
Lombardi: Natürlich, das was Franziskus im Sinn hat, wenn er von den Rändern spricht, ist eine andere Art zu sagen, daß die Kirche eine Mission hat und nicht auf sich selbst zentriert ist. Und es gibt noch einen weiteren, ein bißchen lateinamerikanischen Aspekt, und die Jesuiten haben es stark erlebt zur Zeit von Arrupe (Pedro Arrupe war faktisch von 1965–1981 offiziell bis 1983 Generaloberer des Jesuitenordens, Anm. Katholisches.info): Von welchem Blickwinkel aus ist die Realität der Beziehung Glauben-Gerechtigkeit zu lesen und zu interpretieren? Der Blickwinkel ist die Solidarität mit den Armen. Wenn du ein Mächtiger bist, im Mittelpunkt der Wirtschaft und des Systems, wirst du nie verstehen, was in der Welt nicht funktioniert. Wenn du solidarisch bist, denen nahe, die leiden, die die negativen Folgen des Übels der Welt tragen, verstehst du besser, was zu ändern ist. Entscheidend ist der Blickwinkel, von dem aus man die Welt sieht. Und die Idee der „Ränder“ drückt diese Dimension besser aus als die der „Grenze“.
Das zu den Rändern gehen dient dazu und der Papst bestätigt es mit seinen Reisezielen: von Lampedusa bis Albanien. Es ist interessant, daß er Albanien als erstes europäisches Land für einen Besuch auswählte. Der Papst hat nicht in Berlin begonnen, sondern in Tirana.
Ein Thema, das nicht nur die Jesuiten betrifft, sondern alle religiösen Orden ist der Rückgang an Berufungen besonders im Westen. Hat es Sinn zu denken, daß die Wahl eines Jesuitenpapstes die Eintritt in die Gesellschaft Jesu „ankurbeln“ könnte?
Lombardi: Ich denke nicht, daß das automatisch ist. Der Papst leistet einen Dienst für die Weltkirche und nicht für die Gesellschaft Jesu. Der zahlenmäßige Rückgang ist eine Tatsache, zumindest im Westen, aber ich denke, es ist schwierig, eine Erklärung zu finden. Natürlich ist es ein Problem, daß das gesamte Ordensleben betrifft, alle Kongregationen sind davon berührt. Das hat mit der Art der konkreten Lebensform zu tun, in der das christliche Zeugnis verkörpert wird. In bestimmten Jahrhunderten war das Ordensleben im klassischen Sinn der natürliche Schlußpunkt einer bestimmten Intensität des christlichen Lebens. Jetzt hingegen kann sich diese in verschiedenen Formen ausdrücken. Sicher, wir befinden uns in einem Klima der Säkularisierung, eines Fehlens des Gottesverständnisses, der persönlichen Beziehung zu Gott. Die Zahl der Jesuiten nimmt auch ab, weil die Zahl der Christen und der Gläubigen abnimmt. Der Papst sprach von einem „müden“ Europa, von einem Europa, das keine Kinder mehr zeugt. Ich denke, daß das der Gedanken des Papstes ist: der Kirche in Europa wieder Leben und Schwung zurückzugeben im Dienst für ein Volk, das sich müde zeigt und wenig begierig, mit Begeisterung in die Zukunft zu schauen.
Abgesehen von einigen Dingen, die Sie uns bereits erzählt haben, welche Ähnlichkeiten und Unterschiede machen Sie zwischen Franziskus und Benedikt XVI. aus?
Lombardi: Um bei den Ähnlichkeiten zu beginnen: bei Benedikt XVI. hat mich immer seine persönliche Beziehung zu Jesus berührt, die er in den Büchern, die er geschrieben hat, zum Ausdruck brachte. Mir scheint es ein wunderschönes Zeugnis: Ein Papst, der zeigt, daß im Mittelpunkt seines Lebens Jesus Christus ist, den er studiert und zu dem er eine persönliche Beziehung sucht. Diesen Aspekt finden wir auch bei Franziskus, wenn auch auf andere Weise in den Predigten in Santa Marta, in der Art, wie er sich ausdrückt, lehrt und betet, auffordert zu beten. Hier sehe ich also eine absolute Kontinuität zwischen den Pontifikaten, wenn auch auf unterschiedliche Weise ausgedrückt.
Dasselbe würde ich auch sagen wegen der Aufmerksamkeit für die Kirchenleitung, die der Gemeinschaft in ihrer Gesamtheit Rechnung trägt. Franziskus versucht die Arbeitsmethode der Synode zu erneuern, aber auch Benedikt hatte das versucht, wenn auch vielleicht schüchterner. Er versuchte auch persönliche Wortmeldungen einfließen zu lassen. Auch er ließ den Konsistorien Aufmerksamkeit zukommen als Gelegenheiten, in denen die Kardinäle sich begegnen und sprechen können. Eine Aufmerksamkeit für die Kollegialität im Dienst der Kirche also: das findet sich bei Franziskus, war aber auch bei Benedikt.
Die Unterschiede liegen in der Persönlichkeit. Die hängen auch von der Geschichte ab und vom Charakter der Person. Benedikt ist ein großer Theologe, ein Kulturmensch und tendenziell ein Intellektueller, auch was seine Interessen und seinen Lebensstil betrifft. Er war für kurze Zeit Erzbischof von München, während Franziskus für viele Jahre Erzbischof von Buenos Aires war mit einer intensiveren pastoralen Teilhabe. Ein Theologenpapst und ein Hirtenpapst. Das merkt man auch deutlich in ihrer Art sich auszudrücken, in der Gliederung ihrer Ansprache und ihrer Unterweisung. Benedikt ist ein Papst, der anzuhören, zu lesen und erneut zu lesen ist, um ihn bis in die Tiefe zu verstehen. Franziskus ist keineswegs oberflächlich, aber er hat eine große Fähigkeit zur Direktheit. Er versteht es mit effizienten Formulierungen zu berühren, was für Benedikt schwieriger war.
Das hat übrigens auch direkten Einfluß auf meine Arbeit, weil Papst Franziskus die Kommunikationsmittel regelrecht „gestürmt“ hat, vor allem die Sozialen Medien. Natürlich ist Franziskus der ideale Papst für die Welt der Kommunikation. Wir alle, die wir in den vatikanischen Medien arbeiten, wissen aber gut, daß man nicht denken kann, daß die Evangelisierung der Welt und die Kommunikation des Vatikans nur mit diesen Instrumenten zu machen sind. Wir nützen sie ausgiebig, aber wir denken nicht, daß das der einzige Weg sei.
Vom Blickwinkel der Art, wie der Papst von den Medien wahrgenommen und über ihn berichtet wird: Was hat sich nach der schwierigen Zeit von Vatileaks geändert?
Lombardi: Es gab die große Wirkung von Franziskus, diese seine außergewöhnliche Anziehungskraft hatte einen positiven Effekt, oder anders gesagt, seine Fähigkeit sehr vielen Menschen dabei zu helfen, zu verstehen, daß im Mittelpunkt des Dienstes der Kirche die christliche Botschaft von der Liebe Gottes steht, die Barmherzigkeit, die Vergebung, die Rettung für alle. Vorher wütete jeder, der eine reduzierte oder negative Sicht der Kirche und des Christentums hatte, indem er immer den Eindruck erweckte, als sei die einzige Sache, mit der sich ein Papst beschäftigte, Nein zu den Homosexuellen zu sagen, Nein zur Abtreibung, so als gebe es nichts anderes. Natürlich war das nicht wahr, sondern eine Verzerrung, aber de facto wurde die christliche Botschaft auf diese Weise reduziert. Franziskus hat es auf unglaubliche Weise geschafft, diese Situation umzukehren und die Kirche ist für sehr viele Menschen zu einem positiven Bezugspunkt geworden.
Auch Ihre Beziehungen zu den Medien haben vielleicht daraus Nutzen gezogen. Wir haben Sie in den vergangenen Monaten gelassener gesehen …
Lombardi: Das hängt mit der Klimaveränderung zusammen. Papst Franziskus diktiert die Agenda der Kommunikation. Es sind die anderen, die ihm folgen müssen und sie erhalten schöne Material, das sie zufrieden kommunizieren. In den Phasen des Stillstandes oder der Schwierigkeiten oder negativer Vorurteile konzentrierten sich die Journalisten mehr auf die Skandale. Was die Beziehung zu den Medien betrifft, ist das Schöne, daß es dir in diesen positiven Phasen möglich ist, die professionelle Berufung des Kommunikators wiederzuentdecken. Denn der Kommunikator, der schöne Dinge sagen kann, ist normalerweise zufrieden, er muß keine häßliche Sache sagen, sich irgend etwas erfinden, eine Polemik vom Zaun brechen.
Sie sprechen nicht wie einer, der bald die Ruder einzieht, wie manche behaupten …
Lombardi: Keine Ahnung … Im Alter bin ich schon einigermaßen fortgeschritten, ich bin 72, weshalb ich nicht damit rechnen kann, noch sehr lange weiterzumachen, auch weil meine Aktivität sehr anspruchsvoll ist. Abgesehen davon aber, bin ich meinen Oberen immer zur Verfügung gestanden. Alle Dinge, die ich gemacht habe, habe ich gemacht, weil sie mir aufgetragen wurden.
Ich muß auch sagen, daß es ehrlicherweise nicht so einfach sein wird, schnell einen Ersatz zu finden. Nicht weil ich mich selbst für besonders fähig halten würde, sondern weil es eine gewisse konzentrierte Erfahrung braucht und die Beziehungen zu den verschiedenen Akteuren auf der Bühne … Kurzum, noch fühle ich mich auf dem Weg im Dienst des Papstes und des Evangeliums.
Zum Abschluß möchten wir Sie genau das fragen: Aus Ihrer Sicht als Priester, als Jesuit, als jemand, der im Kommunikationsbereich tätig ist: Was bedeutet es, im Dienst des Papstes zu stehen?
Lombardi: Ich habe die Kommunikation immer als empfangene und nicht gesuchte Aufgabe gesehen, das galt bereits in meiner Zeit bei La Civiltà Cattolica. Es ist also nicht so, daß ich mich persönlich zum Journalisten berufen fühlte. Ich habe hart gearbeitet, um zu lernen, den Dienst der Kommunikation in Kontinuität mit dem Dienst der Verkündigung des Evangeliums zu leben, und damit die Aufgabe der Kirche als Kommunikation des Wortes Gottes. Die Kirche kann von Natur aus als Kommunikation gesehen werden, die Apostel sind Personen, die das Evangelium verkünden. Die Missionare sind keine Journalisten, aber sie sind mit Sicherheit Kommunikatoren. Die Kontinuität zwischen dem Auftrag der Verkündigung des Evangeliums und der Kommunikation im professionellen Sinn zu vertiefen und immer spontaner zu empfinden, war ein bißchen der rote Faden in meinem Leben.
Und dann ist da natürlich noch der spezifischere Aspekt der Arbeit im Vatikan: Das ist der Aspekt des Dienstes an der Einheit der kirchlichen Gemeinschaft und der Menschheit. Was macht der Papst? Der Papst ist ein Diener der Einheit der Kirche und der christlichen Gemeinschaft. Deshalb bin ich als dem Papst nahestehender Kommunikator meinerseits ein Diener – durch die Kommunikation – der Einheit der Kirche. Die Idee der Kommunikation für die Gemeinschaft, für den Dialog, für die Einheit ist absolut radikal. Ich betrachte mich als überzeugter Gegner einer Kommunikation um zu spalten, um einen gegen den anderen zu stellen, um der Polemik willen. Die Kommunikation dient dem Gemeinsamen oder – wie Franziskus es zu sagen liebt – der Begegnung.
Einleitung/Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Popoli/Vatican Insider/CR/MiL (Screenshots)