Ein antikatholisches Europa, ein calvinistischer Staatsmann und der Kampf um die Freiheit – Gedanken zu einer Buchneuerscheinung, Viktor Orbán – Ein Stürmer in der Politik


Viktor Orban
Viktor Orban

von Wolf­ram Schrems*

Anzei­ge

In die­ser Advent­zeit war wie­der viel von Demon­stra­tio­nen in Ungarn zu hören. Besorg­te Bür­ger hät­ten in 20 Städ­ten „gegen Kor­rup­ti­on und Freun­derl­wirt­schaft [!]“ (so am 17. Dezem­ber die Nach­rich­ten­spre­che­rin aus­ge­rech­net des Öster­rei­chi­schen Rund­funks in unfrei­wil­li­ger Komik) demon­striert und sogar Stra­ßen blockiert. Denn die dor­ti­ge Regie­rung sei kor­rupt und total undemokratisch.

So, so.

Victor Orban, seit 2010 Ungarns Ministerpräsident
Vik­tor Orban, seit 2010 Ungarns Ministerpräsident

Die­se Art Stim­mungs­ma­che der Mas­sen­me­di­en („Bericht­erstat­tung“ wäre das fal­sche Wort) geht nun schon län­ger so dahin. Wenn man sich zudem im Inter­net zugäng­li­che Video­auf­nah­men von Sit­zun­gen des Euro­päi­schen Par­la­ments, an denen der unga­ri­sche Regie­rungs­chef anwe­send war, ansieht, ist man von der unver­hoh­le­nen Feind­se­lig­keit sei­tens lin­ker und „libe­ra­ler“ Poli­ti­ker äußerst unan­ge­nehm berührt. Gewalt­tä­ti­ge Anti-Orbán-Demon­stra­tio­nen in Buda­pest (wie vor kur­zem – und offi­zi­ell gegen die Inter­net­steu­er) las­sen ana­log zu Far­ben­re­vo­lu­tio­nen aus­län­di­sche Sub­ver­si­on befürchten.

Was hat die­ser Mann nur angestellt?

Die­ses Jahr erschien die deut­sche Über­set­zung eines äußerst lesens­wer­ten Buches des pol­ni­schen Jour­na­li­sten Igor Jan­ke über den der­zei­ti­gen Erz­feind und Buh­mann Num­mer 1 einer media­len Nomen­kla­tu­ra: Vik­tor Orbán – Ein Stür­mer in der Poli­tik.

Biographisches…

Jan­ke zeich­net das Leben Orbáns von der Kind­heit und Jugend über die Zeit des Mili­tär­dien­stes (wäh­rend des­sen er wegen der Aus­ru­fung des Kriegs­rech­tes in Polen 1981 dra­ma­ti­sche Tage erleb­te) und der Stu­den­ten­zeit bis zu sei­nem Ein­tritt in die Poli­tik nach. Dabei ver­wen­det er auf­grund Orbáns Begei­ste­rung für den Fuß­ball (als „Fan“ genau­so wie als akti­ver Spie­ler) häu­fig ein­schlä­gi­ge Meta­phern (woher sich auch der Buch­ti­tel erklärt).

Als jun­ger anti­kom­mu­ni­sti­scher Akti­vist und auf­stre­ben­der Mit­grün­der des „Bun­des jun­ger Demo­kra­ten“ (FIDESZ) war Orbán „libe­ral“. Auf­grund sei­nes cou­ra­gier­ten Auf­tre­tens am 16. Juni 1989 gegen die sowje­ti­sche Besat­zung wur­de er schlag­ar­tig popu­lär. Er und sei­ne Mit­strei­ter waren zum Spott gegen tra­di­tio­nel­le Struk­tu­ren und Wer­te geneigt. Im Par­la­ment benah­men sich die FIDESZ-Man­da­ta­re des­we­gen anfäng­lich betont rüpelhaft.

Jan­ke berich­tet von der Ein­fluß­nah­me des US-Mil­li­ar­därs und „Phil­an­thro­pen“ Geor­ge Sor­os auf die FIDESZ-Bewe­gung im Jahr 1993: „[Sor­os] ver­such­te sie davon zu über­zeu­gen, dass die Welt heut­zu­ta­ge von einer libe­ra­len Eli­te beherrscht wer­de. (…) Er sag­te, dass Euro­pa alles ableh­ne, was christ­lich, tra­di­tio­nell oder natio­nal sei. Sei­ne Gäste wies er dar­auf hin, dass die Beru­fung auf tra­di­tio­nel­le Wer­te ihnen ein­brin­gen wer­de, dass man sie des Natio­na­lis­mus, Faschis­mus und Anti­se­mi­tis­mus beschul­di­gen werde.“

Der Mil­li­ar­där ver­such­te, FIDESZ zu einer Koali­ti­on mit dem „Bund frei­er Demo­kra­ten“ (SzDSz) und den Post­kom­mu­ni­sten (!) zu über­re­den, was Orbán ablehn­te: „Das wider­sprä­che dem, was wir ver­tre­ten“ (147).

Er wird immer „kon­ser­va­ti­ver“ und bringt die Par­tei auf einen patrio­ti­schen und christ­li­chen Kurs. Der cal­vi­ni­sti­sche Pastor Zol­tán Balog wird zum geist­li­chen Men­tor Orbáns.

Jan­ke zeigt an vie­len Bei­spie­len, daß Orbán star­ken Gestal­tungs­wil­len und gro­ße Durch­set­zungs­kraft besitzt: Auch die Abwahl 2002 nach vier Jah­ren als Mini­ster­prä­si­dent und die knap­pe Wahl­nie­der­la­ge 2006 konn­ten ihn nicht demo­ti­vie­ren. Der Zwei­drit­tel-Erd­rutsch­sieg bei den Par­la­ments­wah­len 2010 war die Frucht gedul­di­ger (und an die Gren­ze der Selbst­aus­beu­tung gehen­der) Arbeit. Seit­dem gestal­tet Orbán das Land mit einem star­ken Man­dat des unga­ri­schen Volkes.

…Brisantes…

Höchst auf­schluß­reich ist das 21. Kapi­tel, in dem über die Ereig­nis­se des Herb­stes 2006 berich­tet wird:

„Die west­li­chen Medi­en ver­wei­sen bis heu­te nicht gern auf die Akti­vi­tä­ten der Regie­rung Gyurc­sá­ny, wel­che die unga­ri­sche Wirt­schaft in den Abgrund und die Ungarn in tie­fe Fru­stra­ti­on gestürzt hat­ten. Sie schrei­ben nicht über die all­um­fas­sen­de Kor­rup­ti­on, den Filz und die Lügen, die sich unter der vor­an­ge­gan­ge­nen Füh­rung als Last auf die Gesell­schaft gelegt hat­ten. Sie erin­nern nicht dar­an, wie bru­tal die Poli­zei 2006 gegen die von den Wor­ten des sozia­li­sti­schen Mini­ster­prä­si­den­ten auf­ge­brach­ten Demon­stran­ten vor­ge­gan­gen war“ (291).

…und Grundsätzliches

Jan­ke zeich­net Orbáns Über­zeu­gun­gen nach, die sich von einem tota­li­tär auf­tre­ten­den euro­päi­schen Kon­for­mi­täts­druck und des­sen Lieb­lings-Gess­ler­hut, dem soge­nann­ten „Anti­fa­schis­mus“, der bil­lig und blind für die Greu­el des Kom­mu­nis­mus ist, entfernten:

„Orbán ver­wehr­te sich stets von Neu­em dage­gen, daß Men­schen als Faschi­sten beschimpft wer­den, die unga­ri­sche Patrio­ten sind, die Tra­di­tio­nen pfle­gen, die die Erin­ne­rung an die unga­ri­sche Ver­gan­gen­heit am Leben erhal­ten. ‚Beson­ders, weil die Anschul­di­gung des Faschis­mus von sol­chen erho­ben wird, die [bei der Nie­der­schla­gung der Befrei­ungs­be­we­gung 19]56 vie­le Ungarn ermor­det haben‘, sagt er heu­te. Auf die­se Äng­ste und Ver­dach­te baut sich die gegen­sei­ti­ge Anti­pa­thie auf, die dar­in gip­fel­te, daß die Libe­ra­len, die sich anfangs als har­te Anti­kom­mu­ni­sten gezeigt hat­ten, 1994 eine Koali­ti­on mit den Post­kom­mu­ni­sten schlos­sen, nur um den, ihrer Mei­nung nach, in der Wie­der­kehr befind­li­chen Nazis­mus auf­zu­hal­ten“ (130f).

Sehr erfreu­lich und im heu­ti­gen Haupt­strom­jour­na­lis­mus völ­lig unüb­lich ist die Wür­di­gung für die gei­sti­ge Ent­wick­lung Orbáns in Rich­tung des christ­li­chen Glau­bens: „Einer­seits wur­de er immer kon­ser­va­ti­ver, wobei sei­ne Ehe­frau Ani­kó Lévai eine gewis­se Rol­le spiel­te, die aus einer tra­di­tio­nel­len, katho­li­schen Fami­lie stamm­te. Orbán wand­te sich mit wach­sen­dem Inter­es­se der Kir­che als Insti­tu­ti­on zu und mit der Zeit auch dem Glau­ben“ (137).

Orbán, selbst Cal­vi­nist, hat­te eben erkannt, daß es die Wei­chen­stel­lun­gen des Staats­grün­ders König Ste­phan des Hei­li­gen waren, näm­lich Tau­fe und Glau­be, durch die sich grau­sa­me Bar­ba­ren zu einem hoch­ste­hen­den Kul­tur­volk ent­wickel­ten. (In die­sem Zusam­men­hang ist es erwäh­nens­wert, daß genau die­ser Zusam­men­hang in künst­le­ri­scher Frei­heit in der 1983 in Buda­pest urauf­ge­führ­ten und im unga­ri­schen Kul­tur­raum sehr popu­lä­ren Rock­oper Ist­ván a kirá­ly, „König Ste­phan“, unbe­fan­gen und ohne Berüh­rungs­äng­ste the­ma­ti­siert wird.)

Beson­ders gegen die christ­li­chen Bezü­ge der neu­en unga­ri­schen Ver­fas­sung wird ja bekannt­lich erbit­tert Sturm gelaufen.

Resümee

„Ich hat­te mehr als ein Jahr lang die Gele­gen­heit, aus näch­ster Nähe einen der inter­es­san­te­sten Poli­ti­ker unse­rer Zeit zu beob­ach­ten“ (343).
Jan­ke ist aber bei aller Sym­pa­thie für sei­nen Gesprächs­part­ner nicht unkri­tisch, was ein­zel­ne Maß­nah­men der Regie­rung Orbán betrifft. Inso­fern ist das Buch kei­ne Lobhudelei.

Auch der Rezen­sent möch­te nicht den Ein­druck einer Vor­ab-Hei­lig­spre­chung o. ä. erwecken. „Bonum est spe­r­a­re in Domi­no quam spe­r­a­re in prin­ci­pi­bus – Bes­ser, sich zu ber­gen beim Herrn, als auf Für­sten zu bau­en“ (Ps 117,9 Vg).

Das muß man heu­te lei­der schon immer dazu­sa­gen, weil in einem Umfeld fast flä­chen­decken­der Het­ze gegen einen patrio­ti­schen Poli­ti­ker jedes Wohl­wol­len und jede Fair­neß die­sem gegen­über mit Nasen­rümp­fen und Augen­ver­dre­hen häu­fig so kom­men­tiert wird: „Er ist aber auch nicht der Messias.“

Wis­sen wir schon.

Aber ehr­li­cher­wei­se muß man sagen, daß hier ein cal­vi­ni­sti­scher Christ vie­le katho­li­sche Kir­chen­füh­rer, von Poli­ti­kern gar nicht zu reden, beschämt, was christ­li­chen Beken­ner­mut und patrio­ti­sche Pflicht­treue betrifft.

Ein gro­ßes Ver­dienst Jan­kes ist die Publi­ka­ti­on eines aus­führ­li­chen Inter­views mit Orbán am Ende des Buches, in dem sich beher­zi­gens­wer­te Aus­sa­gen finden:

„Euro­pa muß sich aus der Fal­le der Geld­märk­te her­aus­win­den. Das bezieht sich in erster Linie auf die Euro­zo­ne. In den letz­ten Jahr­zehn­ten haben die Geld­märk­te die Poli­tik beherrscht“ (340).

Und:

„Die euro­päi­sche Kri­sen­si­tua­ti­on kön­nen nur die star­ken Natio­nal­staa­ten lösen. Natio­na­le Füh­rer­per­sön­lich­kei­ten, die über eine star­ke poli­ti­sche Posi­ti­on ver­fü­gen. So muß man das Wahl­er­geb­nis in Ungarn 2010 auf­fas­sen. Die Ungarn haben die Situa­ti­on gut erkannt und mir daher eine so star­ke Ermäch­ti­gung gege­ben“ (342).

Ein Resü­mee des Buches wird sein, daß sich an der unga­ri­schen Geschich­te zeigt, was auch sonst histo­ri­scher Erfah­rungs­wert und inner­li­ches Gesetz gleich­zei­tig ist, näm­lich daß die „Libe­ra­len“ Weg­be­rei­ter und Steig­bü­gel­hal­ter der Sozia­li­sten waren und sind. Sie arbei­ten, ob sie es wis­sen oder nicht, dem tota­li­tä­ren Will­kür­re­gime zu. Der Libe­ra­lis­mus hat nicht die inne­re Kraft, die system­sta­bi­li­sie­ren­den Wer­te Wohl­wol­len, Wahr­heits­lie­be, Treue, Ver­läß­lich­keit u. a. gegen die Will­kür der mensch­li­chen Lei­den­schaf­ten und die Sub­ver­si­on sub­ver­si­ver Zir­kel zu verteidigen.

Dar­um hat­ten Papst Leo XIII., Dono­so Cor­tés und Eric Voe­gel­in schon recht, daß nur eine kon­ser­va­ti­ve, selbst­be­wuß­te und star­ke Regie­rung ein Abrut­schen in das revo­lu­tio­nä­re Cha­os mit unver­meid­lich anschlie­ßen­der Dik­ta­tur ver­hin­dern kann.

Der inne­re Zusam­men­hang von pro-kom­mu­ni­sti­scher, pro-libe­ra­ler und pro-kapi­ta­li­sti­scher Hal­tung wird in der Per­son von Geor­ge Sor­os (sie­he oben) brenn­punkt­ar­tig dar­ge­stellt. Orbán hat­te den Mut und die Auf­rich­tig­keit, des­sen Ein­fluß­nah­me zu widerstehen.

Ein klei­ner Kri­tik­punkt ist – und das hat der Rezen­sent dem Ver­lag schon mit­ge­teilt – die Ober­fläch­lich­keit des Lek­to­rats, dem vie­le Inter­punk­ti­ons- und Syn­tax­feh­ler ent­gan­gen sind, was das Buch manch­mal als „Exi­lan­ten­li­te­ra­tur“ erschei­nen läßt. Das gibt dem Buch fast ein Sami­z­dat-Geprä­ge – damit aller­dings auch einen ein­schlä­gi­gen Charme.

Ein ande­rer Punkt der Bean­stan­dung ist, daß ein im süd­deut­schen Raum, an der Gren­ze zu Öster­reich, ange­sie­del­ter Ver­lag ohne wei­te­res die übli­che deut­sche Topo­no­mastik für unga­ri­sche Städ­te­na­men hät­te ver­wen­den kön­nen. Dem unga­risch­stäm­mi­gen Ver­le­ger wäre kein Stein aus der Kro­ne gefal­len, wenn er „Szé­kes­fehérvár“ ein­mal ein­führt und dann wei­ter­hin „Stuhl­wei­ßen­burg“ schreibt.

An man­chen Stel­len erschei­nen auch die Fuß­ball­me­ta­phern etwas des Guten zuviel.

Schließ­lich muß der Leser im Auge behal­ten, daß ein pol­ni­scher Autor ver­mehrt pol­ni­sche Bezü­ge her­stellt. Den ein­schlä­gig ver­sier­ten poli­ti­schen Beob­ach­tern wer­den die ent­spre­chen­den Namen und Fak­ten ver­traut sein, den ande­ren wird man wei­te­re Kon­sul­tie­run­gen emp­feh­len müssen.
Die­se Klei­nig­kei­ten kön­nen das Gesamt­bild des inter­es­san­ten und gut les­ba­ren und für unse­re Zeit wich­ti­gen Buches nicht trüben.

Es sei beson­ders allen emp­foh­len, denen ein Euro­pa frei­er Natio­nen am Her­zen liegt. Daher gebührt dem Autor Dank wie auch dem Ver­le­ger – und natür­lich Herrn Orbán selbst.

Igor Jan­ke, Vik­tor Orbán – Ein Stür­mer in der Poli­tik, Schenk Ver­lag, Pas­sau 2014 (Ori­gi­nal­aus­ga­be bei Demart SA, War­schau 2012), Deutsch von Karl­heinz Schweit­zer, 344 S., 19.50 [D] https://​www​.schenk​buch​ver​lag​.de/

*MMag. Wolf­ram Schrems, Linz und Wien, katho­li­scher Theo­lo­ge, Phi­lo­soph, Kate­chist, Ama­teur der unga­ri­schen Sprache

Bild: Infor­mar­eX­Re­si­ste­re

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