Die Synode und das ordentliche Lehramt der Kirche – Neo-Modernisten stellen Wahrheit über Lehramt auf den Kopf


Was kann Anspruch auf Unfehlbarkeit erheben, was nicht?
Was kann Anspruch auf Unfehl­bar­keit erhe­ben, was nicht?

von Rober­to de Mattei*

Anzei­ge

(Rom) Wäh­rend die Syn­ode von 2015 sich pro­blem­be­la­den und unvor­her­seh­bar nähert, liegt eine grund­sätz­li­che Fra­ge auf dem Tisch. Wel­che Auto­ri­tät haben kirch­li­che Doku­men­te, die vom ordent­li­chen Lehr­amt eines Pap­stes oder einer Syn­ode her­vor­ge­bracht wer­den können?

Die Pro­gres­si­sten, oder viel­leicht bes­ser Neo-Moder­ni­sten schrei­ben allen Hand­lun­gen des der­zei­ti­gen Pap­stes unfehl­ba­ren Cha­rak­ter zu und eben­so den Ergeb­nis­sen der kom­men­den Syn­ode, wel­che immer es sein mögen. Die­sen Akten, so sagen sie, ist zu gehor­chen, weil – wie im Fal­le des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils – der Papst und die mit ihm ver­bun­de­nen Bischö­fe nicht irren kön­nen. Ande­rer­seits leug­nen die­sel­ben Pro­gres­si­sten den unfehl­ba­ren Cha­rak­ter der Inhal­te der Enzy­kli­ka Hum­a­nae vitae von Paul VI. und behaup­ten, daß die tra­di­tio­nel­le Ehe­mo­ral aktua­li­siert wer­den müs­se, indem sie den „geleb­ten Über­zeu­gun­gen“ jener Katho­li­ken ange­paßt wird, die künst­li­che Ver­hü­tung, künst­li­che Befruch­tung und außer­ehe­li­ches Zusam­men­le­ben praktizieren.

Neo-Modernisten versuchen Glaubenswahrheit über das Lehramt auf den Kopf zu stellen

Im erste­ren Fall schei­nen sie die Unfehl­bar­keit des ordent­li­chen all­ge­mei­nen Lehr­am­tes zu behaup­ten, das sie mit dem Lehr­amt des Pap­stes und der Bischö­fe seit dem Zwei­ten Vati­ca­num gleich­set­zen. Im zwei­ten Fall leug­nen sie hin­ge­gen das wirk­li­che Ver­ständ­nis der Unfehl­bar­keit des ordent­li­chen all­ge­mei­nen Lehr­am­tes, das in der Über­lie­fe­rung der Kir­che zum Aus­druck kommt nach der bekann­ten For­mel von Vin­zenz von Lérins: quod sem­per, quod ubi­que, quod ab omni­bus.

Damit wird offen­kun­dig die Glau­bens­wahr­heit über das kirch­li­che Lehr­amt auf den Kopf gestellt. Die Leh­re der Kir­che besagt näm­lich, daß der Papst, wenn er allei­ne oder in Ein­heit mit den Bischö­fen ex cathe­dra spricht, mit Sicher­heit unfehl­bar ist. Damit eine Ver­laut­ba­rung aber ex cathe­dra erfolgt, müs­sen eini­ge Erfor­der­nis­se gege­ben sein: 1) er muß als Papst und Hir­te der Welt­kir­che spre­chen; 2) das The­ma, zu dem er sich äußert, muß den Glau­ben oder die Sit­ten betref­fen; 3) zur Sache muß er ein fei­er­li­ches und end­gül­ti­ges Urteil aus­spre­chen mit der Absicht, alle Gläu­bi­gen zu verpflichten.

Es ist aller­dings hin­zu­zu­fü­gen, daß sich die Unfehl­bar­keit der Kir­che nicht auf den Aus­nah­me­fall beschränkt, in dem der Papst allein oder in Ein­heit mit den Bischö­fen ex cathe­dra spricht, son­dern auch das ordent­li­che all­ge­mei­ne Lehr­amt umfaßt.

Um die­sen Punkt zu erklä­ren, lohnt es, eine Ver­öf­fent­li­chung von Pater Mar­ce­li­no Zal­ba (1908–2009) über „Die Unfehl­bar­keit des ordent­li­chen all­ge­mei­nen Lehr­am­tes und die Ver­hü­tung“ her­an­zu­zie­hen, die in der Aus­ga­be Janu­ar-März 1979 der Zeit­schrift Reno­va­tio (S. 79–90) von Kar­di­nal Giui­sep­pe Siri erschie­nen ist.

Lehre von Humanae vitae kann Unfehlbarkeitscharakter beanspruchen

Der Autor, einer der sicher­sten Moral­theo­lo­gen sei­ner Zeit, erin­ner­te dar­an, daß zwei ande­re bekann­te ame­ri­ka­ni­sche Theo­lo­gen, John C. Ford und Gerald Kel­ly, 1963, und damit genau fünf Jahr vor der Ver­kün­dung der Enzy­kli­ka Hum­a­nae vitae von Paul VI., den Grad der Gewiß­heit und der Wahr­heit stu­dier­ten, der im theo­lo­gi­schen Bereich der über­lie­fer­ten katho­li­schen Leh­re in Sachen intrin­si­scher und schwer­wie­gen­der Amo­ra­li­tät der Ver­hü­tung zuzu­schrei­ben ist (John C. Ford SJ/​Gerald Kel­ly SJ: Con­tem­pra­ry Moral Theo­lo­gy, Bd. 2: Mar­ria­ge Que­sti­ons, New­man, West­min­ster 1964, S. 263–271). Laut den bei­den Jesui­ten­theo­lo­gen han­del­te es sich dabei um eine Leh­re, die für das Ver­hal­ten der Gläu­bi­gen als nor­ma­tiv bin­dend zu betrach­ten ist. Es wäre in der Tat undenk­bar, daß die vom Hei­li­gen Geist zur Bewah­rung der Leh­re und der Moral des Evan­ge­li­ums unter­stütz­te katho­li­sche Kir­che in zahl­rei­chen Stel­lung­nah­men aus­drück­lich fest­ge­stellt hät­te, daß ver­hü­ten­de Hand­lun­gen eine objek­ti­ve Ver­let­zung des Got­tes­ge­set­zes sind, wenn dem nicht wirk­lich so wäre. Mit einer irri­gen Stel­lung­nah­me wäre die Kir­che Ursa­che für unzäh­li­ge Tod­sün­den gewe­sen und hät­te damit die Ver­hei­ßung des gött­li­chen Bei­stan­des durch Jesus Chri­stus widerlegt.

Einer der bei­den Moral­theo­lo­gen, Pater Ford, ver­tief­te in Zusam­men­ar­beit mit dem Phi­lo­so­phen Ger­main Gri­sez die­ses Pro­blem in einer wei­te­ren Schrift: „Con­tracep­ti­on and the Infal­libi­li­ty of the Ordi­na­ry Magi­steri­um“ (Theo­lo­gi­cal Stu­dies, 39, 1978, S. 258–312). Sie kamen zum Schluß, daß die Leh­re von Hum­a­nae vitae als unfehl­bar ver­kün­det betrach­tet wer­den kann, nicht wegen des for­ma­len Aktes der Ver­kün­di­gung (der weni­ger fei­er­lich und kate­go­risch war als zum Bei­spiel jener von Casti Con­nu­bii von Pius XI.), son­dern weil sie das ordent­li­che all­ge­mei­ne Lehr­amt der Päp­ste und der Bischö­fe des Erd­krei­ses bestä­tig­te. Obwohl nicht an sich unfehl­bar, ist Hum­a­nae vitae unfehl­bar gewor­den, indem sie die Ver­hü­tung ver­ur­teil­te und damit eine immer vom ordent­li­chen all­ge­mei­nen Lehr­amt der Kir­che ver­tre­te­ne Leh­re bekräftigte.

Die Kon­sti­tu­ti­on Dei Fili­us des Ersten Vati­ka­ni­schen Kon­zils leg­te im drit­ten Kapi­tel fest, daß es Wahr­hei­ten geben kann, die mit gött­li­chem und katho­li­schem Glau­ben geglaubt wer­den müs­sen, ohne daß es einen fei­er­li­chen Lehr­ent­scheid braucht, da sie durch Aus­übung des ordent­li­chen all­ge­mei­nen Lehr­am­tes der Kir­che bereits aus­ge­drückt wur­den. Die not­wen­di­gen Vor­aus­set­zun­gen für die Unfehl­bar­keit des ordent­li­chen all­ge­mei­nen Lehr­am­tes sind also, daß es sich um eine Leh­re han­delt, die den Glau­ben oder die Moral betrifft, die in wie­der­hol­ten Erklä­run­gen der Päp­ste und der Bischö­fe mit Auto­ri­tät, unzwei­fel­haft und ver­bind­lich gelehrt wurde.

„Allgemein“ meint absolut in Raum und Zeit

Das Wort all­ge­mein, für uni­ver­sal, ist nicht nur im syn­chro­nen Sinn zu ver­ste­hen, als welt­weit gül­tig, aber auf eine bestimm­te histo­ri­schen Epo­che beschränkt, son­dern im dia­chro­nen Sinn als zeit­lo­ser Kon­ti­nui­tät, um den Kon­sens aus­zu­drücken, der alle Epo­chen der Kir­che umfaßt (Joseph Kar­di­nal Ratz­in­ger: Lehr­amt­li­che Stel­lung­nah­me zur Pro­fes­sio fidei vom 29. Juni 1998, Anmer­kung 17). Im kon­kre­ten Fall der Gebur­ten­re­ge­lung ver­ur­teil­te die Kir­che seit dem 3. Jahr­hun­dert künst­li­che Metho­den. Als Anfang des 20. Jahr­hun­derts die­ses Pro­blem erneut auf­trat, ver­kün­de­ten die Erklä­run­gen der Bischö­fe in Ein­heit mit dem Papst immer die end­gül­ti­ge und ver­bind­li­che Leh­re der Kir­che, daß die künst­li­che Ver­hü­tung eine Tod­sün­de ist. Die aus­drück­li­chen Erklä­run­gen von Pius XI., Pius XII. und aller ihrer Nach­fol­ger bekräf­tig­ten die über­lie­fer­te Leh­re. Paul VI. bestä­tig­te in Hum­a­nae vitae die­se Leh­ren des ordent­li­chen Lehr­am­tes, „die ihre Grund­la­ge im natür­li­chen Sit­ten­ge­setz haben, das durch die gött­li­che Offen­ba­rung erhellt und berei­chert wird“ (Hum­a­nae vitae, 4) und ver­warf die Fol­ge­run­gen des päpst­li­chen Aus­schus­ses, der die­ses Pro­blem stu­diert hat­te, weil sie „von der Ehe­mo­ral, wie sie vom kirch­li­chen Lehr­amt bestimmt und bestän­dig vor­ge­legt wur­de, abwi­chen“ (Hum­a­nae vitae, 6).

Lehre zur künstlichen Verhütung auf künstliche Befruchtung, wilde Ehre und wiederverheiratet Geschiedene übertragbar

Die Posi­ti­on, die Pater Zal­ba, Pater Kel­ly, Pater Ford und Pro­fes­sor Gri­sez zur künst­li­chen Ver­hü­tung erar­bei­tet haben, kann eben­so auf die künst­li­che Befruch­tung, die wil­den Ehen und die wie­der­ver­hei­ra­tet Geschie­de­nen aus­ge­dehnt wer­den. Auch ohne fei­er­li­che Lehr­ent­schei­de der Kir­che zu die­sen mora­li­schen Pro­ble­men, hat sich das ordent­li­che all­ge­mei­ne Lehr­amt der Kir­che im Lau­fe der Jahr­hun­der­te dazu auf über­ein­stim­men­de, kon­stan­te und ver­bind­li­che Wei­se geäu­ßert: es kann daher als unfehl­bar betrach­tet wer­den. Im Bereich der Moral kann die Pra­xis nie im Wider­spruch mit dem sein, was das all­ge­mei­ne Lehr­amt der Kir­che end­gül­tig fest­ge­legt hat.

Doktrinelle Neuheiten des Zweiten Vaticanums hingegen fehlbar und unverbindlich

Ganz anders lie­gen die Din­gen bezüg­lich der dok­tri­nel­len Neu­hei­ten, die in den Doku­men­ten des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils ent­hal­ten sind. In die­sem Fall fehl­te nicht nur eine Ver­kün­di­gung ex cathe­dra durch den Papst in Ein­heit mit den Bischö­fen, son­dern es fehl­te jeg­li­cher dog­ma­ti­scher Anspruch und jede Absicht, eine Glau­bens- oder Moral­wahr­heit zu defi­nie­ren und von den Gläu­bi­gen eine ver­bind­li­che Zustim­mung zu ver­lan­gen. Unfehl­bar kann in jenen Doku­men­ten nur die eine oder ande­re Pas­sa­ge sein, in denen die immer­wäh­ren­de Leh­re der Kir­che bekräf­tigt wird. Katho­lisch, das heißt uni­ver­sal, ist nicht das, was in einem bestimm­ten Moment „an jedem Ort“ von allen geglaubt wird, wie es auf einem Kon­zil oder einer Syn­ode der Fall sein kann, son­dern das, was schon immer und über­all von allen zwei­fels­frei und wider­spruchs­frei geglaubt wur­de. Die her­me­neu­ti­sche Debat­te über die Neu­hei­ten in den Tex­ten des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils, die noch im Gan­ge ist, bestä­tigt deren pro­vi­so­ri­schen und dis­ku­ta­blen Cha­rak­ter, der in kei­ner Wei­se ver­bind­lich ist.

Wie aber kann jemand blin­den und bedin­gungs­lo­sen Gehor­sam für die fehl­ba­ren Neu­hei­ten des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils und der Bischofs­syn­ode über die Fami­lie ein­for­dern, der gleich­zei­tig für sich in Anspruch nimmt, den unfehl­ba­ren Leh­ren des ordent­li­chen all­ge­mei­nen Lehr­am­tes der Kir­che in Sachen Ehe­mo­ral zu widersprechen?

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*Rober­to de Mat­tei, Histo­ri­ker, Vater von fünf Kin­dern, Pro­fes­sor für Neue­re Geschich­te und Geschich­te des Chri­sten­tums an der Euro­päi­schen Uni­ver­si­tät Rom, Vor­sit­zen­der der Stif­tung Lepan­to, Schrift­lei­ter der Monats­zeit­schrift Radi­ci Cri­stia­ne und der Online-Nach­rich­ten­agen­tur Cor­ri­spon­den­za Roma­na, von 2003 bis 2011 stell­ver­tre­ten­der Vor­sit­zen­der des Natio­na­len For­schungs­rats von Ita­li­en, Autor zahl­rei­cher Bücher, zuletzt erschie­nen: Vicario di Cri­sto. Il pri­ma­to di Pie­tro tra nor­ma­li­tà  ed ecce­zio­ne (Stell­ver­tre­ter Chri­sti. Der Pri­mat des Petrus zwi­schen Nor­ma­li­tät und Aus­nah­me), Vero­na 2013; in deut­scher Über­set­zung zuletzt: Das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil – eine bis­lang unge­schrie­be­ne Geschich­te, Rup­picht­eroth 2011; Die Tür­kei in Euro­pa – Gewinn oder Kata­stro­phe?, Grä­fel­fing 2010; Pli­nio Cor­ràªa de Oli­vei­ra – Der Kreuz­rit­ter des 20. Jahr­hun­derts, Wien 2004.

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Über­set­zung: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Cor­ri­spon­den­za Romana

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