Rede von Papst Franziskus an das Europäische Parlament


Papst Franziskus im Europäischen Parlament
Papst Fran­zis­kus vor dem Euro­päi­schen Parlament

(Straß­burg) Papst Fran­zis­kus sprach am heu­ti­gen Vor­mit­tag vor dem Euro­päi­schen Par­la­ment in Straß­burg. Par­la­ments­prä­si­dent Mar­tin Schulz begrüß­te das katho­li­sche Kir­chen­ober­haupt mit beton­ter Herz­lich­keit. Nach der Anspra­che an die Voll­ver­samm­lung der Euro­päi­schen Bischofs­kon­fe­renz am 3. Okto­ber han­del­te es sich inner­halb kur­zer Zeit um die zwei­te Anspra­che des Pap­stes über Euro­pa. Die Links­frak­tio­nen beschränk­ten sich wäh­rend der Anspra­che auf Höf­lich­keits­ap­plaus. Kräf­ti­ge Zustim­mung fand dort der Auf­ruf des Pap­stes, das Mit­tel­meer dür­fe im Zusam­men­hang mit der „Migra­ti­ons­fra­ge“ nicht zu einem „gro­ßen Fried­hof“ wer­den. Homo­se­xu­el­le Abge­ord­ne­te auf der Lin­ken demon­strier­ten durch das Tra­gen von Gir­lan­den in den Homo-Far­ben. Den Schluß­ap­plaus spen­de­ten die Abge­or­den­ten aller Frak­tio­nen ste­hend. Der Besuch ver­lief ohne Zwischenfälle.

Anzei­ge

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Ansprache von Papst Franziskus
an die Abgeordneten des Europäischen Parlament

Straß­burg
25. Novem­ber 2014

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Herr Prä­si­dent, mei­ne Damen und Her­ren Vizepräsidenten,
ver­ehr­te Europaabgeordnete
und alle, die in den ver­schie­de­nen Arbeits­be­rei­chen die­ser Ein­rich­tung tätig sind,
lie­be Freunde,

ich dan­ke Ihnen für die Ein­la­dung, vor die­ser Insti­tu­ti­on, die für das Leben der Euro­päi­schen Uni­on grund­le­gend ist, das Wort zu ergrei­fen, und für die Gele­gen­heit, die Sie mir bie­ten, mich über Sie an die über fünf­hun­dert Mil­lio­nen Bür­ger zu wen­den, die Sie in den 28 Mit­glieds­staa­ten ver­tre­ten. Mei­nen beson­de­ren Dank möch­te ich Ihnen, Herr Par­la­ments­prä­si­dent, aus­drücken für die freund­li­chen Wor­te, mit denen Sie mich im Namen aller Mit­glie­der der Ver­samm­lung will­kom­men gehei­ßen haben.

Mein Besuch fin­det in einem zeit­li­chen Abstand von mehr als einem Vier­tel­jahr­hun­dert nach dem von Papst Johan­nes Paul II. statt. Vie­les hat sich seit jenen Tagen in Euro­pa und in der gan­zen Welt ver­än­dert. Es exi­stie­ren nicht mehr die gegen­sätz­li­chen Blöcke, die damals den Kon­ti­nent in zwei Tei­le teil­ten, und lang­sam erfüllt sich der Wunsch, dass „Euro­pa sich sou­ve­rän freie Insti­tu­tio­nen gibt und eines Tages sich in die Dimen­sio­nen ent­fal­ten kann, die die Geo­gra­fie und mehr noch die Geschich­te ihm gege­ben haben“. (Johan­nes Paul II., Anspra­che an das Euro­pa­par­la­ment, 11. Okto­ber 1988, 5.)

Neben einer weit­räu­mi­ge­ren Euro­päi­schen Uni­on gibt es auch eine Welt, die kom­ple­xer gewor­den und stark in Bewe­gung ist. Eine Welt, die immer stär­ker ver­netzt und glo­bal und daher auch immer weni­ger „euro­zen­trisch“ ist. Einer aus­ge­dehn­te­ren, ein­fluss­rei­che­ren Uni­on scheint sich jedoch das Bild eines etwas geal­ter­ten und erdrück­ten Euro­pas zuzu­ge­sel­len, das dazu neigt, sich in einem Kon­text, der es oft nüch­tern, miss­trau­isch und manch­mal sogar arg­wöh­nisch betrach­tet, weni­ger als Prot­ago­nist zu fühlen.

Indem ich mich heu­te an Sie wen­de, möch­te ich auf­grund mei­ner Beru­fung zum Hir­ten an alle euro­päi­schen Bür­ger eine Bot­schaft der Hoff­nung und der Ermu­ti­gung richten.

Eine Bot­schaft der Hoff­nung, die auf der Zuver­sicht beruht, dass die Schwie­rig­kei­ten zu macht­vol­len För­de­rern der Ein­heit wer­den kön­nen, um alle Äng­ste zu über­win­den, die Euro­pa – gemein­sam mit der gan­zen Welt – durch­lebt. Eine Hoff­nung auf den Herrn, der das Böse in Gutes und den Tod in Leben verwandelt.

Eine Ermu­ti­gung, zur festen Über­zeu­gung der Grün­dungs­vä­ter der euro­päi­schen Uni­on zurück­zu­keh­ren, die sich eine Zukunft wünsch­ten, die auf der Fähig­keit basiert, gemein­sam zu arbei­ten, um die Tei­lun­gen zu über­win­den und den Frie­den und die Gemein­schaft unter allen Völ­kern des Kon­ti­nen­tes zu för­dern. Im Mit­tel­punkt die­ses ehr­gei­zi­gen poli­ti­schen Pla­nes stand das Ver­trau­en auf den Men­schen, und zwar weni­ger als Bür­ger und auch nicht als wirt­schaft­li­ches Sub­jekt, son­dern auf den Men­schen als eine mit tran­szen­den­ter Wür­de begab­te Person.

Es liegt mir vor allem dar­an, die enge Ver­bin­dung her­vor­zu­he­ben, die zwi­schen die­sen bei­den Wor­ten besteht: „Wür­de“ und „tran­szen­dent“.

Die „Wür­de“ ist das Schlüs­sel­wort, das den Auf­schwung der zwei­ten Nach­kriegs­zeit cha­rak­te­ri­siert hat. Unse­re jün­ge­re Geschich­te zeich­net sich dadurch aus, dass die För­de­rung der Men­schen­wür­de zwei­fel­los ein zen­tra­les Anlie­gen war gegen die viel­fäl­ti­ge Gewalt und die Dis­kri­mi­nie­run­gen, an denen es im Lau­fe der Jahr­hun­der­te auch in Euro­pa nicht gefehlt hat. Das Wahr­neh­mungs­ver­mö­gen für die Bedeu­tung der Men­schen­rech­te ent­steht gera­de als Ergeb­nis eines lan­gen, auch aus man­nig­fa­chen Lei­den und Opfern bestehen­den Weges, der dazu bei­getra­gen hat, das Bewusst­sein für die Kost­bar­keit, Ein­zig­keit und Unwie­der­hol­bar­keit jedes ein­zel­nen Men­schen her­an­zu­bil­den. Die­ses kul­tu­rel­le Bewusst­sein hat sei­ne Grund­la­ge nicht nur in den Ereig­nis­sen der Geschich­te, son­dern vor allem im euro­päi­schen Den­ken, das gekenn­zeich­net ist durch ein reich­hal­ti­ges Zusam­men­flie­ßen, des­sen viel­fäl­ti­ge, weit zurück­lie­gen­de Quell­grün­de „aus Grie­chen­land und aus Rom, aus kel­ti­schem, ger­ma­ni­schem und sla­wi­schem Boden und aus dem Chri­sten­tum [stam­men], das sie tief geprägt hat“ (Johan­nes Paul II., Anspra­che an die Par­la­men­ta­ri­sche Ver­samm­lung des Euro­pa­ra­tes, Straß­burg, 8. Okto­ber 1988, 3.) und so zu der Idee der „Per­son“ führte.

Heu­te spielt die För­de­rung der Men­schen­rech­te eine zen­tra­le Rol­le im Enga­ge­ment der Euro­päi­schen Uni­on, mit dem Ziel, die Wür­de der Per­son zu stüt­zen, sowohl inner­halb Euro­pas als auch in der Bezie­hung zu den ande­ren Län­dern. Es han­delt sich um ein wich­ti­ges und bewun­derns­wer­tes Enga­ge­ment, denn es bestehen immer noch zu vie­le Situa­tio­nen, in denen Men­schen wie Objek­te behan­delt wer­den, deren Emp­fäng­nis, Gestal­tung und Brauch­bar­keit man pro­gram­mie­ren und sie dann weg­wer­fen kann, wenn sie nicht mehr nütz­lich sind, weil sie schwach, krank oder alt gewor­den sind.

In der Tat, wel­che Wür­de besteht, wenn die Mög­lich­keit fehlt, frei die eige­ne Mei­nung zu äußern oder ohne Zwang den eige­nen Glau­ben zu beken­nen? Wel­che Wür­de ist mög­lich ohne einen kla­ren juri­sti­schen Rah­men, der die Gewalt­herr­schaft begrenzt und das Gesetz über die Tyran­nei der Macht sie­gen lässt? Wel­che Wür­de kann jemals ein Mensch haben, der zum Gegen­stand von Dis­kri­mi­nie­rung aller Art gemacht wird? Wel­che Wür­de soll jemals einer fin­den, der kei­ne Nah­rung bzw. das Aller­not­wen­dig­ste zum Leben hat und – schlim­mer noch – dem die Arbeit fehlt, die ihm Wür­de verleiht?

Die Wür­de des Men­schen zu för­dern, bedeu­tet anzu­er­ken­nen, dass er unver­äu­ßer­li­che Rech­te besitzt, deren er nicht nach Belie­ben und noch weni­ger zugun­sten wirt­schaft­li­cher Inter­es­sen von irgend­je­man­dem beraubt wer­den kann.

Man muss aber Acht geben, nicht Miss­ver­ständ­nis­sen zu ver­fal­len, die aus einem fal­schen Ver­ständ­nis des Begrif­fes Men­schen­rech­te und deren wider­sin­ni­gem Gebrauch her­vor­ge­hen. Es gibt näm­lich heu­te die Ten­denz zu einer immer wei­ter rei­chen­den Bean­spru­chung der indi­vi­du­el­len Rech­te, hin­ter der sich ein aus jedem sozia­len und anthro­po­lo­gi­schen Zusam­men­hang her­aus­ge­lö­stes Bild des Men­schen ver­birgt, der gleich­sam als „Mona­de“ (μονάς) zuneh­mend unsen­si­bel wird für die ande­ren „Mona­den“ in sei­ner Umge­bung. Mit der Vor­stel­lung des Rech­tes scheint die eben­so wesent­li­che und ergän­zen­de der Pflicht nicht mehr ver­bun­den zu sein, so dass man schließ­lich die Rech­te des Ein­zel­nen behaup­tet, ohne zu berück­sich­ti­gen, dass jeder Mensch in einen sozia­len Kon­text ein­ge­bun­den ist, in dem sei­ne Rech­te und Pflich­ten mit denen der ande­ren und zum Gemein­wohl der Gesell­schaft selbst ver­knüpft sind.

Ich mei­ne daher, dass es über­aus wich­tig ist, heu­te eine Kul­tur der Men­schen­rech­te zu ver­tie­fen, die wei­se die indi­vi­du­el­le, oder bes­ser die per­sön­li­che Dimen­si­on mit der des Gemein­wohls – mit jenem „’Wir alle’, das aus Ein­zel­nen, Fami­li­en und klei­ne­ren Grup­pen gebil­det wird, die sich zu einer sozia­len Gemein­schaft zusam­men­schlie­ßen“ (Bene­dikt XVI., Enzy­kli­ka Cari­tas in veri­ta­te, 7; vgl. Zwei­tes Vati­ka­ni­sches Kon­zil, Past. Konst. Gau­di­um et spes, 26.) – zu ver­bin­den ver­steht. Wenn näm­lich das Recht eines jeden nicht har­mo­nisch auf das grö­ße­re Wohl hin aus­ge­rich­tet ist, wird es schließ­lich als unbe­grenzt auf­ge­fasst und damit zur Quel­le von Kon­flik­ten und Gewalt.

Von der tran­szen­den­ten Wür­de des Men­schen zu spre­chen, bedeu­tet also, sich auf sei­ne Natur zu beru­fen, auf sei­ne ange­bo­re­ne Fähig­keit, Gut und Böse zu unter­schei­den, auf jenen „Kom­pass“, der in unse­re Her­zen ein­ge­schrie­ben ist und den Gott dem geschaf­fe­nen Uni­ver­sum ein­ge­prägt hat. (Vgl. Kom­pen­di­um der Sozi­al­leh­re der Kir­che, 37.) Vor allem bedeu­tet es, den Men­schen nicht als ein Abso­lu­tes zu betrach­ten, son­dern als ein rela­tio­na­les Wesen. Eine der Krank­hei­ten, die ich heu­te in Euro­pa am mei­sten ver­brei­tet sehe, ist die beson­de­re Ein­sam­keit des­sen, der kei­ne Bin­dun­gen hat. Das wird spe­zi­ell sicht­bar bei den alten Men­schen, die oft ihrem Schick­sal über­las­sen sind, wie auch bei den Jugend­li­chen, die kei­ne Bezugs­punk­te und kei­ne Zukunfts-Chan­cen haben; es wird sicht­bar bei den vie­len Armen, die unse­re Städ­te bevöl­kern; es wird sicht­bar in dem ver­lo­re­nen Blick der Migran­ten, die hier­her­ge­kom­men sind, auf der Suche nach einer bes­se­ren Zukunft.

Die­se Ein­sam­keit ist dann durch die Wirt­schafts­kri­se ver­schärft wor­den, deren Wir­kun­gen noch andau­ern mit Kon­se­quen­zen, die unter gesell­schaft­li­chem Gesichts­punkt dra­ma­tisch sind. Zudem kann man fest­stel­len, dass im Lau­fe der letz­ten Jah­re mit dem Pro­zess der Erwei­te­rung der Euro­päi­schen Uni­on eine Stei­ge­rung des Miss­trau­ens der Bür­ger gegen­über Insti­tu­tio­nen ein­her­geht, die als fern betrach­tet wer­den, damit beschäf­tigt, Regeln auf­zu­stel­len, die als weit­ab von der Sen­si­bi­li­tät der ein­zel­nen Völ­ker, wenn nicht sogar als schäd­lich wahr­ge­nom­men wer­den. Von meh­re­ren Sei­ten aus gewinnt man den Gesamt­ein­druck der Müdig­keit und der Alte­rung, die Impres­si­on eines Euro­pas, das Groß­mutter und nicht mehr frucht­bar und leben­dig ist. Dem­nach schei­nen die gro­ßen Idea­le, die Euro­pa inspi­riert haben, ihre Anzie­hungs­kraft ver­lo­ren zu haben zugun­sten von büro­kra­ti­schen Ver­wal­tungs­ap­pa­ra­ten sei­ner Institutionen.

Dazu kom­men eini­ge etwas ego­isti­sche Lebens­sti­le, die durch einen mitt­ler­wei­le unhalt­ba­ren Über­fluss gekenn­zeich­net und oft ihrer Umge­bung, vor allem den Ärm­sten gegen­über gleich­gül­tig sind. Mit Bedau­ern ist fest­zu­stel­len, dass im Mit­tel­punkt der poli­ti­schen Debat­te tech­ni­sche und wirt­schaft­li­che Fra­gen vor­herr­schen auf Kosten einer authen­ti­schen anthro­po­lo­gi­schen Ori­en­tie­rung. (Vgl. Evan­ge­lii gau­di­um, 55.) Der Mensch ist in Gefahr, zu einem blo­ßen Räder­werk in einem Mecha­nis­mus her­ab­ge­wür­digt zu wer­den, der ihn nach dem Maß eines zu gebrau­chen­den Kon­sum­gu­tes behan­delt, so dass er – wie wir lei­der oft beob­ach­ten – wenn das Leben die­sem Mecha­nis­mus nicht mehr zweck­dien­lich ist, ohne viel Beden­ken aus­ge­son­dert wird, wie im Fall der Kran­ken im End­sta­di­um, der ver­las­se­nen Alten ohne Pfle­ge oder der Kin­der, die vor der Geburt getö­tet werden.

Es ist das gro­ße Miss­ver­ständ­nis, das geschieht, „wenn sich die Ver­ab­so­lu­tie­rung der Tech­nik durch­setzt“, (Bene­dikt XVI., Cari­tas in veri­ta­te, 71.) die schließ­lich zu einer »Ver­wechs­lung von Zie­len und Mit­teln“ (Ebd.) führt. Das ist ein unver­meid­li­ches Ergeb­nis der „Weg­werf-Kul­tur“ und des „hem­mungs­lo­sen Kon­su­mis­mus“. Dage­gen bedeu­tet die Men­schen­wür­de zu behaup­ten, die Kost­bar­keit des mensch­li­chen Lebens zu erken­nen, das uns unent­gelt­lich geschenkt ist und des­halb nicht Gegen­stand von Tausch oder Ver­kauf sein kann. Sie sind in Ihrer Beru­fung als Par­la­men­ta­ri­er auch zu einer gro­ßen Auf­ga­be aus­er­se­hen, die viel­leicht unnütz erschei­nen mag: sich der Gebrech­lich­keit der Völ­ker und der ein­zel­nen Men­schen anzu­neh­men. Sich der Gebrech­lich­keit anzu­neh­men bedeu­tet Kraft und Zärt­lich­keit, bedeu­tet Kampf und Frucht­bar­keit inmit­ten eines funk­tio­nel­len und pri­va­ti­sti­schen Modells, das unwei­ger­lich zur „Weg­werf-Kul­tur“ führt. Sich der Gebrech­lich­keit der Men­schen und der Völ­ker anzu­neh­men bedeu­tet, das Gedächt­nis und die Hoff­nung zu bewah­ren; es bedeu­tet, die Gegen­wart in ihrer neben­säch­lich­sten und am mei­sten beäng­sti­gen­den Situa­ti­on auf sich zu neh­men und fähig zu sein, sie mit Wür­de zu sal­ben. (Vgl. Evan­ge­lii gau­di­um, 209.)

Wie kann man also der Zukunft wie­der Hoff­nung ver­lei­hen, so dass – ange­fan­gen bei den jun­gen Gene­ra­tio­nen – das Ver­trau­en wie­der­ge­won­nen wird, das gro­ße Ide­al eines ver­ein­ten und fried­vol­len, krea­ti­ven und unter­neh­mungs­freu­di­gen Euro­pas zu ver­fol­gen, das die Rech­te ach­tet und sich der eige­nen Pflich­ten bewusst ist?

Um die­se Fra­ge zu beant­wor­ten, gestat­ten Sie mir, auf ein Bild zurück­zu­grei­fen. Eine der berühm­te­sten Fres­ken Raf­fa­els im Vati­kan stellt die soge­nann­te Schu­le von Athen dar. In ihrem Mit­tel­punkt ste­hen Pla­ton und Ari­sto­te­les. Der erste deu­tet mit dem Fin­ger nach oben, zur Welt der Ideen, zum Him­mel, könn­ten wir sagen; der zwei­te streckt die Hand nach vor­ne, auf den Betrach­ter zu, zur Erde, der kon­kre­ten Wirk­lich­keit. Das scheint mir ein Bild zu sein, das Euro­pa und sei­ne Geschich­te gut beschreibt, die aus der fort­wäh­ren­den Begeg­nung zwi­schen Him­mel und Erde besteht, wobei der Him­mel die Öff­nung zum Tran­szen­den­ten, zu Gott beschreibt, die den euro­päi­schen Men­schen immer gekenn­zeich­net hat, und die Erde sei­ne prak­ti­sche und kon­kre­te Fähig­keit dar­stellt, die Situa­tio­nen und Pro­ble­me anzugehen.

Die Zukunft Euro­pas hängt von der Wie­der­ent­deckung der leben­di­gen und untrenn­ba­ren Ver­knüp­fung die­ser bei­den Ele­men­te ab. Ein Euro­pa, das nicht mehr fähig ist, sich der tran­szen­den­ten Dimen­si­on des Lebens zu öff­nen, ist ein Euro­pa, das in Gefahr gerät, all­mäh­lich sei­ne See­le zu ver­lie­ren und auch jenen „huma­ni­sti­schen Geist“, den es doch liebt und verteidigt.

Gera­de aus­ge­hend von der Not­wen­dig­keit einer Öff­nung zum Tran­szen­den­ten möch­te ich die Zen­tra­li­tät des Men­schen bekräf­ti­gen, der andern­falls zum Spiel­ball der Moden und der jewei­li­gen Mäch­te wird. In die­sem Sin­ne hal­te ich nicht nur das Erbe, wel­ches das Chri­sten­tum in der Ver­gan­gen­heit der sozio­kul­tu­rel­len Gestal­tung des Kon­ti­nen­tes über­las­sen hat, für grund­le­gend, son­dern vor allem den Bei­trag, den es heu­te und in der Zukunft zu des­sen Wachs­tum zu lei­sten gedenkt. Die­ser Bei­trag stellt nicht eine Gefahr für die Lai­zi­tät der Staa­ten und für die Unab­hän­gig­keit der Ein­rich­tun­gen der Uni­on dar, son­dern eine Berei­che­rung. Das zei­gen uns die Idea­le, die Euro­pa von Anfang an geformt haben, wie der Frie­de, die Sub­si­dia­ri­tät und die wech­sel­sei­ti­ge Soli­da­ri­tät – ein Huma­nis­mus, in des­sen Zen­trum die Ach­tung der Wür­de der Per­son steht.

Dar­um möch­te ich erneut die Bereit­schaft des Hei­li­gen Stuhls und der katho­li­schen Kir­che beto­nen, durch die Kom­mis­si­on der Euro­päi­schen Bischofs­kon­fe­ren­zen (COMECE) einen gewinn­brin­gen­den, offe­nen und trans­pa­ren­ten Dia­log mit den Insti­tu­tio­nen der Euro­päi­schen Uni­on zu pfle­gen. Eben­so bin ich über­zeugt, dass ein Euro­pa, das fähig ist, sich die eige­nen reli­giö­sen Wur­zeln zunut­ze zu machen, indem es ihren Reich­tum und ihre inne­ren Mög­lich­kei­ten zu ergrei­fen ver­steht, auch leich­ter immun sein kann gegen die vie­len Extre­mis­men, die sich in der heu­ti­gen Welt ver­brei­ten – auch auf­grund des gro­ßen ideel­len Vaku­ums, das wir im soge­nann­ten Westen erle­ben, denn „es ist gera­de die Gott­ver­ges­sen­heit und nicht sei­ne Ver­herr­li­chung, die Gewalt erzeugt“. (Bene­dikt XVI., Anspra­che an die Mit­glie­der des Diplo­ma­ti­schen Korps, 7. Janu­ar 2013.)

Wir kön­nen hier die zahl­rei­chen Unge­rech­tig­kei­ten und Ver­fol­gun­gen nicht uner­wähnt las­sen, die täg­lich die reli­giö­sen und beson­ders die christ­li­chen Min­der­hei­ten in ver­schie­de­nen Tei­len der Welt tref­fen. Gemein­schaf­ten und Ein­zel­ne, die sich bar­ba­ri­scher Gewalt aus­ge­setzt sehen: aus ihren Häu­sern und ihrer Hei­mat ver­trie­ben; als Skla­ven ver­kauft; getö­tet, ent­haup­tet, gekreu­zigt und leben­dig ver­brannt – unter dem beschä­men­den und begün­sti­gen­den Schwei­gen vieler.

Das Mot­to der Euro­päi­schen Uni­on ist Ein­heit in der Ver­schie­den­heit, doch Ein­heit bedeu­tet nicht poli­ti­sche, wirt­schaft­li­che, kul­tu­rel­le oder gedank­li­che Uni­for­mi­tät. In Wirk­lich­keit lebt jede authen­ti­sche Ein­heit vom Reich­tum der Ver­schie­den­hei­ten, die sie bil­den: wie eine Fami­lie, die umso eini­ger ist, je mehr jedes ihrer Mit­glie­der ohne Furcht bis zum Grund es selbst sein kann. In die­sem Sinn mei­ne ich, dass Euro­pa eine Fami­lie von Völ­kern ist, wel­che die Insti­tu­tio­nen der Uni­on als nah emp­fin­den kön­nen, falls die­se es ver­ste­hen, das ersehn­te Ide­al der Ein­heit wei­se mit der je ver­schie­de­nen Eigen­art eines jeden zu ver­bin­den, indem sie die ein­zel­nen Tra­di­tio­nen zur Gel­tung brin­gen, sich der Geschich­te und der Wur­zeln die­ses Kon­ti­nents bewusst wer­den und sich von vie­len Mani­pu­la­tio­nen und Äng­sten befrei­en. Den Men­schen ins Zen­trum zu set­zen bedeu­tet vor allem zuzu­las­sen, dass er frei sein eige­nes Gesicht und sei­ne eige­ne Krea­ti­vi­tät aus­drückt, sowohl auf der Ebe­ne des Ein­zel­nen als auch auf der des Volkes.

Ande­rer­seits bil­den die Eigen­ar­ten eines jeden in dem Maß, wie sie in den Dienst aller gestellt wer­den, einen ech­ten Reich­tum. Man muss sich immer an die beson­de­re Struk­tur der Euro­päi­schen Uni­on erin­nern, die auf den Prin­zi­pi­en der Soli­da­ri­tät und der Sub­si­dia­ri­tät grün­det, so dass die gegen­sei­ti­ge Hil­fe vor­herrscht und man, beseelt von gegen­sei­ti­gem Ver­trau­en, vor­an­ge­hen kann.

In die­ser Dyna­mik von Ein­heit und Eigen­art ist Ihnen, mei­ne Damen und Her­ren Euro­pa­ab­ge­ord­ne­te, auch die Ver­ant­wor­tung über­tra­gen, die Demo­kra­tie der Völ­ker Euro­pas leben­dig zu erhal­ten. Es ist kein Geheim­nis, dass eine ver­ein­heit­li­chen­de Auf­fas­sung der Glo­ba­li­tät der Vita­li­tät des demo­kra­ti­schen Systems scha­det, indem es dem rei­chen frucht­ba­ren und kon­struk­ti­ven Gegen­satz der Orga­ni­sa­tio­nen und der poli­ti­schen Par­tei­en unter­ein­an­der sei­ne Kraft nimmt. So läuft man Gefahr, im Reich der Idee, des blo­ßem Wor­tes, des Bil­des, des Sophis­mus zu leben… und schließ­lich die Wirk­lich­keit der Demo­kra­tie mit einem neu­en poli­ti­schen Nomi­na­lis­mus zu ver­wech­seln. Die Demo­kra­tie in Euro­pa leben­dig zu erhal­ten erfor­dert, vie­le „Glo­ba­li­sie­rungs­ar­ten“ zu ver­mei­den, die die Wirk­lich­keit ver­wäs­sern: die engel­haf­ten Puris­men, die Tota­li­ta­ris­men des Rela­ti­ven, die geschichts­wid­ri­gen Fun­da­men­ta­lis­men, die Ethi­zis­men ohne Güte, die Intel­lek­tua­lis­men ohne Weis­heit. (Vgl. Evan­ge­lii gau­di­um, 231.)

Die Wirk­lich­keit der Demo­kra­tien leben­dig zu erhal­ten ist eine Her­aus­for­de­rung die­ses geschicht­li­chen Momen­tes: zu ver­mei­den, dass ihre rea­le Kraft – die poli­ti­sche Aus­drucks­kraft der Völ­ker – ver­drängt wird ange­sichts des Drucks mul­ti­na­tio­na­ler nicht uni­ver­sa­ler Inter­es­sen, die sie schwä­chen und in ver­ein­heit­li­chen­de Syste­me finan­zi­el­ler Macht im Dienst von unbe­kann­ten Impe­ri­en ver­wan­deln. Das ist eine Her­aus­for­de­rung, die Ihnen die Geschich­te heu­te stellt.

Euro­pa Hoff­nung geben bedeu­tet nicht nur die Zen­tra­li­tät des Men­schen anzu­er­ken­nen, son­dern schließt auch ein, sei­ne Bega­bun­gen zu för­dern. Es geht des­halb dar­um, in ihn und in die Berei­che zu inve­stie­ren, in denen sei­ne Talen­te sich ent­wickeln und Frucht brin­gen. Der erste Bereich ist gewiss der der Erzie­hung, ange­fan­gen von der Fami­lie, wel­che die grund­le­gen­de Zel­le und ein kost­ba­rer Bestand­teil jeder Gesell­schaft ist. Die geein­te, frucht­ba­re und unauf­lös­li­che Fami­lie bringt die fun­da­men­ta­len Ele­men­te mit sich, um Zukunfts­hoff­nung zu geben. Ohne die­se Festig­keit baut man letzt­lich auf Sand, mit schwe­ren gesell­schaft­li­chen Fol­gen. Ande­rer­seits dient die Beto­nung der Bedeu­tung der Fami­lie nicht nur dazu, den neu­en Gene­ra­tio­nen Aus­sich­ten und Hoff­nung zu ver­mit­teln, son­dern auch den zahl­rei­chen alten Men­schen, die oft gezwun­gen sind, in Situa­tio­nen der Ein­sam­keit und der Ver­las­sen­heit zu leben, weil es nicht mehr die Wär­me einer häus­li­chen Gemein­schaft gibt, die imstan­de ist, sie zu beglei­ten und zu unterstützen.

Neben der Fami­lie gibt es das Erzie­hungs­we­sen: Schu­len und Uni­ver­si­tä­ten. Die Erzie­hung darf sich nicht dar­auf beschrän­ken, eine Ansamm­lung von tech­ni­schen Kennt­nis­sen zu ver­mit­teln, son­dern muss den äußerst kom­ple­xen Wachs­tums­pro­zess des Men­schen in sei­ner Ganz­heit för­dern. Die Jugend­li­chen von heu­te ver­lan­gen, eine ange­mes­se­ne und voll­stän­di­ge Aus­bil­dung erhal­ten zu kön­nen, um mit Hoff­nung in die Zukunft zu schau­en und nicht mit Ent­täu­schung. Zahl­reich sind zudem die krea­ti­ven Mög­lich­kei­ten Euro­pas auf ver­schie­de­nen Gebie­ten der wis­sen­schaft­li­chen For­schung, von denen eini­ge noch nicht ganz erkun­det sind. Man den­ke bei­spiels­wei­se nur an die alter­na­ti­ven Ener­gie­quel­len, deren Ent­wick­lung dem Umwelt­schutz von gro­ßem Nut­zen wäre.

Euro­pa hat in einem lobens­wer­ten Ein­satz zugun­sten der Öko­lo­gie immer in der vor­der­sten Rei­he gestan­den. Die­se unse­re Erde braucht tat­säch­lich eine stän­di­ge Pfle­ge und Auf­merk­sam­keit, und jeder trägt eine per­sön­li­che Ver­ant­wor­tung in der Bewah­rung der Schöp­fung, die­ses kost­ba­ren Geschen­kes, das Gott in die Hän­de der Men­schen gelegt hat. Das bedeu­tet einer­seits, dass die Natur uns zur Ver­fü­gung steht, wir uns an ihr freu­en und sie in rech­ter Wei­se gebrau­chen kön­nen. Ande­rer­seits bedeu­tet es jedoch, dass wir nicht ihre Her­ren sind. Hüter, aber nicht Her­ren. Wir müs­sen sie des­halb lie­ben und ach­ten, statt­des­sen sind wir „oft vom Hoch­mut des Herr­schens, des Besit­zens, des Mani­pu­lie­rens, des Aus­beu­tens gelei­tet; wir ‚hüten’ sie nicht, wir ach­ten sie nicht, wir betrach­ten sie nicht als unent­gelt­li­ches Geschenk, für das wir Sor­ge tra­gen müs­sen.“ (Papst Fran­zis­kus, Gene­ral­au­di­enz, 5. Juni 2013.) Die Umwelt ach­ten bedeu­tet aber nicht nur, sich dar­auf zu beschrän­ken, sie nicht zu ver­der­ben, son­dern auch, sie für das Gute zu nut­zen. Ich den­ke vor allem an den land­wirt­schaft­li­chen Sek­tor, der beru­fen ist, dem Men­schen Unter­stüt­zung und Nah­rung zu lie­fern. Es ist nicht tole­rier­bar, dass Mil­lio­nen von Men­schen in der Welt den Hun­ger­tod ster­ben, wäh­rend jeden Tag Ton­nen von Lebens­mit­teln von unse­ren Tischen weg­ge­wor­fen wer­den. Außer­dem erin­nert uns die Ach­tung gegen­über der Natur dar­an, dass der Mensch selbst ein grund­le­gen­der Teil von ihr ist. Neben der Öko­lo­gie der Umwelt bedarf es daher jener Öko­lo­gie des Men­schen, die in der Ach­tung der Per­son besteht, die ich heu­te in mei­nen Wor­ten an Sie ins Gedächt­nis rufen wollte.

Der zwei­te Bereich, in dem die Talen­te des Men­schen zur Blü­te kom­men, ist die Arbeit. Es ist Zeit, die Beschäf­ti­gungs­po­li­tik zu för­dern, vor allem aber ist es not­wen­dig, der Arbeit wie­der Wür­de zu ver­lei­hen, indem man auch ange­mes­se­ne Bedin­gun­gen für ihre Aus­übung gewähr­lei­stet. Das schließt einer­seits ein, neue Metho­den zu fin­den, um die Fle­xi­bi­li­tät des Mark­tes mit der Not­wen­dig­keit von Sta­bi­li­tät und Sicher­heit der Arbeits­per­spek­ti­ven zu ver­bin­den, die für die mensch­li­che Ent­wick­lung der Arbei­ter uner­läss­lich sind. Ande­rer­seits bedeu­tet es, einen ange­mes­se­nen sozia­len Kon­text zu begün­sti­gen, der nicht auf die Aus­beu­tung der Men­schen aus­ge­rich­tet ist, son­dern durch die Arbeit die Mög­lich­keit garan­tiert, eine Fami­lie auf­zu­bau­en und die Kin­der zu erziehen.

Glei­cher­ma­ßen ist es not­wen­dig, gemein­sam das Migra­ti­ons­pro­blem anzu­ge­hen. Man kann nicht hin­neh­men, dass das Mit­tel­meer zu einem gro­ßen Fried­hof wird! Auf den Käh­nen, die täg­lich an den euro­päi­schen Küsten lan­den, sind Män­ner und Frau­en, die Auf­nah­me und Hil­fe brau­chen. Das Feh­len gegen­sei­ti­ger Unter­stüt­zung inner­halb der Euro­päi­schen Uni­on läuft Gefahr, par­ti­ku­la­ri­sti­sche Lösun­gen des Pro­blems anzu­re­gen, wel­che die Men­schen­wür­de der Ein­wan­de­rer nicht berück­sich­ti­gen und Skla­ven­ar­beit sowie stän­di­ge sozia­le Span­nun­gen begün­sti­gen. Euro­pa wird imstan­de sein, die mit der Ein­wan­de­rung ver­bun­de­nen Pro­blem­krei­se zu bewäl­ti­gen, wenn es ver­steht, in aller Klar­heit die eige­ne kul­tu­rel­le Iden­ti­tät vor­zu­le­gen und geeig­ne­te Geset­ze in die Tat umzu­set­zen, die fähig sind, die Rech­te der euro­päi­schen Bür­ger zu schüt­zen und zugleich die Auf­nah­me der Migran­ten zu garan­tie­ren; wenn es kor­rek­te, muti­ge und kon­kre­te poli­ti­sche Maß­nah­men zu ergrei­fen ver­steht, die den Her­kunfts­län­dern der Migran­ten bei der sozio-poli­ti­schen Ent­wick­lung und bei der Über­win­dung der inter­nen Kon­flik­te – dem Haupt­grund die­ses Phä­no­mens – hel­fen, anstatt Poli­tik der Eigen­in­ter­es­sen zu betrei­ben, die die­se Kon­flik­te stei­gert und nährt. Es ist not­wen­dig, auf die Ursa­chen ein­zu­wir­ken und nicht nur auf die Folgen.

Herr Prä­si­dent, Exzel­len­zen, mei­ne Damen und Her­ren Abge­ord­ne­te,

das Bewusst­sein der eige­nen Iden­ti­tät ist auch not­wen­dig, um kon­struk­tiv mit den Staa­ten zu ver­han­deln, die gebe­ten haben, in Zukunft der Uni­on bei­zu­tre­ten. Ich den­ke vor allem an jene aus dem bal­ka­ni­schen Raum, für die der Ein­tritt in die Euro­päi­sche Uni­on dem Frie­dens­ide­al ent­spre­chen kann, in einer Regi­on, die unter den Kon­flik­ten der Ver­gan­gen­heit so sehr gelit­ten hat. Und schließ­lich ist das Bewusst­sein der eige­nen Iden­ti­tät uner­läss­lich in den Bezie­hun­gen zu den ande­ren Nach­bar­län­dern, beson­ders zu denen, die ans Mit­tel­meer gren­zen, von denen vie­le auf­grund inne­rer Kon­flik­te und unter dem Druck des reli­giö­sen Fun­da­men­ta­lis­mus und des inter­na­tio­na­len Ter­ro­ris­mus leiden.

Ihnen, ver­ehr­te Mit­glie­der des Par­la­ments, kommt als gesetz­ge­ben­de Instanz die Auf­ga­be zu, die euro­päi­sche Iden­ti­tät zu bewah­ren und wach­sen zu las­sen, damit die Bür­ger wie­der Ver­trau­en in die Insti­tu­tio­nen der Uni­on und in den Plan des Frie­dens und der Freund­schaft gewin­nen, der das Fun­da­ment der Uni­on ist. „Je mehr […] die Macht der Men­schen wächst, desto mehr wei­tet sich ihre Ver­ant­wor­tung, sowohl die der Ein­zel­nen wie die der Gemein­schaf­ten.“ (Zwei­tes Vati­ka­ni­sches Kon­zil, Past. Konst. Gau­di­um et spes, 34.) In die­sem Wis­sen appel­lie­re ich daher an Sie, dar­an zu arbei­ten, dass Euro­pa sei­ne gute See­le wiederentdeckt.

Ein anony­mer Autor des 2. Jahr­hun­derts schrieb, dass „die Chri­sten in der Welt das sind, was die See­le im Leib ist“. (Vgl. Brief an Dio­gnet, 6.) Die Auf­ga­be der See­le ist es, den Leib auf­recht zu erhal­ten, sein Gewis­sen und sein geschicht­li­ches Gedächt­nis zu sein. Und eine zwei­tau­send­jäh­ri­ge Geschich­te ver­bin­det Euro­pa mit dem Chri­sten­tum. Eine Geschich­te, die nicht frei von Kon­flik­ten und Feh­lern, immer aber beseelt war von dem Wunsch, am Guten zu bau­en. Das sehen wir an der Schön­heit unse­rer Städ­te und mehr noch an der Schön­heit der viel­fäl­ti­gen Wer­ke der Lie­be und des gemein­schaft­li­chen Auf­baus, die den Kon­ti­nent über­zie­hen. Die­se Geschich­te ist zum gro­ßen Teil erst noch zu schrei­ben. Sie ist unse­re Gegen­wart und auch unse­re Zukunft. Sie ist unse­re Iden­ti­tät. Und Euro­pa hat es drin­gend nötig, sein Gesicht wie­der­zu­ent­decken, um – nach dem Geist sei­ner Grün­dungs­vä­ter – im Frie­den und in der Ein­tracht zu wach­sen, denn es selbst ist noch nicht frei von Konflikten.

Lie­be Euro­pa­ab­ge­ord­ne­te, die Stun­de ist gekom­men, gemein­sam das Euro­pa auf­zu­bau­en, das sich nicht um die Wirt­schaft dreht, son­dern um die Hei­lig­keit der mensch­li­chen Per­son, der unver­äu­ßer­li­chen Wer­te; das Euro­pa, das mutig sei­ne Ver­gan­gen­heit umfasst und ver­trau­ens­voll in die Zukunft blickt, um in Fül­le und voll Hoff­nung sei­ne Gegen­wart zu leben. Es ist der Moment gekom­men, den Gedan­ken eines ver­äng­stig­ten und in sich selbst ver­krümm­ten Euro­pas fal­len zu las­sen, um ein Euro­pa zu erwecken und zu för­dern, das ein Prot­ago­nist ist und Trä­ger von Wis­sen­schaft, Kunst, Musik, mensch­li­chen Wer­ten und auch Trä­ger des Glau­bens ist. Das Euro­pa, das den Him­mel betrach­tet und Idea­le ver­folgt; das Euro­pa, das auf den Men­schen schaut, ihn ver­tei­digt und schützt; das Euro­pa, das auf siche­rem, festem Boden vor­an­schrei­tet, ein kost­ba­rer Bezugs­punkt für die gesam­te Menschheit!

Dan­ke.

Ein­lei­tung: Giu­sep­pe Nardi
Bild: CTV (Screen­shot)

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