„Die Klarheit, die wir uns vom Papst erwarten“ – Lebensrecht und „ideologische“ Christen


Papst Franziskus Rede vor katholischen Ärzten
Papst Fran­zis­kus: Rede vor katho­li­schen Ärzten

(Rom) Am 15. Novem­ber hielt Papst Fran­zis­kus vor mehr als 7.000 Ärz­ten der Katho­li­schen Ärz­te­ver­ei­ni­gung Ita­li­ens (AMCI) eine auf­fal­lend kla­re Rede. „Es gibt kein Men­schen­le­ben das hei­li­ger ist, als ein ande­res: jedes Men­schen­le­ben ist hei­lig!“ Der Papst sprach in sei­ner „ein­fa­chen“, kol­lo­quia­len Art dar­über, aber er hat gespro­chen. Eine not­wen­di­ge und fäl­li­ge Klar­stel­lung. Anlaß war der 70. Grün­dungs­tag der Ärz­te­ver­ei­ni­gung. Die Inter­net­sei­te Tre Sen­tie­ri weist nicht nur auf die wich­ti­gen Wor­te des Pap­stes zum Lebens­recht hin, son­dern stellt eini­ge grund­sätz­li­che Über­le­gun­gen zu der miß­ver­ständ­li­chen Voka­bel der „ideo­lo­gi­schen“ Chri­sten hin, die auf den argen­ti­ni­schen Papst zurückgeht.

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Die katho­li­schen Ärz­te for­der­te er auf, in Wort und Bei­spiel zu bezeu­gen, „daß das mensch­li­che Leben immer hei­lig, gül­tig und unver­letz­lich ist und als sol­ches zu lie­ben, zu ver­tei­di­gen und zu pfle­gen ist“. Der Papst erin­ner­te an den Eid des Hip­po­kra­tes und die Ver­pflich­tung der Ärz­te, „immer Die­ner des Lebens“ sein zu sol­len. Eben­so wand­te sich das katho­li­sche Kir­chen­ober­haupt gegen das „fal­sche Mit­leid“ des vor­herr­schen­den Den­kens, das die För­de­rung der Abtrei­bung für eine Hil­fe für Frau­en, die Eutha­na­sie für einen Akt der Wür­de und die „Erzeu­gung“ eines Kin­des durch künst­li­che Befruch­tung für eine „wis­sen­schaft­li­che Errun­gen­schaft“ hält. Fal­sches Mit­leid sei es eben­so, wenn „Men­schen­le­ben wie Ver­suchs­ka­nin­chen im Labor gebraucht wer­den, um angeb­lich ande­re zu retten“.
Die­sem irri­gen Den­ken stell­te Papst Fran­zis­kus das Bei­spiel des „guten Sama­ri­ters“ gegen­über (Lk 10,33). Die „Treue zum Evan­ge­li­um des Lebens und dem Respekt vor ihm als Geschenk Got­tes ver­langt manch­mal muti­ge Ent­schei­dun­gen gegen den Strom, die in beson­de­ren Umstän­den bis zur Gewis­sens­ver­wei­ge­rung rei­chen können.

Töten bedeutete zu allen Zeiten töten

Katholische Ärztevereinigung
Katho­li­sche Ärztevereinigung

„Wir erle­ben eine Zeit der Expe­ri­men­te mit dem Leben, aber ein schlech­tes Expe­ri­men­tie­ren. Kin­der machen, statt sie als Geschenk anzu­neh­men, wie ich sag­te. Spie­len mit dem Leben. Gebt acht, denn das ist eine Sün­de gegen den Schöp­fer, gegen den Schöp­fer­gott, der die Din­ge so geschaf­fen hat. Wenn ich vie­le Male in mei­nem Prie­ster­le­ben den Ein­spruch hör­te: ‚Sag mir, war­um wider­setzt sich die Kir­che der Abtrei­bung zum Bei­spiel? Ist das ein reli­giö­ses Pro­blem?‘ – ‚nein, nein. Es ist kein reli­giö­ses Pro­blem. – ‚Ist es ein phi­lo­so­phi­sches Pro­blem?‘ – Nein, es ist kein phi­lo­so­phi­sches Pro­blem‘. Es ist ein wis­sen­schaft­li­ches Pro­blem, denn dort ist ein Men­schen­le­ben und es ist falsch, es zu töten, um ein Pro­blem zu lösen. ‚Aber nicht doch, das moder­nen Den­ken …‘ ‚Also hör mal, sowohl im alten wie im moder­nen Den­ken bedeu­tet das Wort töten das­sel­be!‘ Das Glei­che gilt für die Eutha­na­sie: Wir alle wis­sen, daß mit vie­len Alten in die­ser Weg­werf­kul­tur, die ver­steck­te Eutha­na­sie prak­ti­ziert wird. (…) Das ist eine Sün­de gegen den Schöpfergott.“

Klarheit nach irritierend „geräuschvollem“ Schweigen

Man­che sto­ßen sich, nicht zu unrecht, an dem wenig fei­er­li­chen Rede­stil von Papst Fran­zis­kus. Meist ist es aber nicht der Stil, der in sei­nen Reden irri­tiert. In den 20 Mona­ten sei­nes Pon­ti­fi­kats irri­tier­te mehr sein geräusch­vol­les Schwei­gen zu bestimm­ten The­men, beson­ders zu den nicht ver­han­del­ba­ren Wer­ten. Im Gespräch mit dem Schrift­lei­ter der Jesui­ten­zeit­schrift La Civil­tà  Cat­to­li­ca sag­te Papst Fran­zis­kus im Sep­tem­ber 2013, er habe die For­mu­lie­rung „nicht ver­han­del­ba­re Wer­te“ nie ver­stan­den. Damit stand die Fra­ge im Raum, ob das katho­li­sche Kir­chen­ober­haupt nur die Wort­wahl nie ver­stan­den hat oder auch den Inhalt ablehn­te. Die For­mu­lie­rung ohne wei­te­re Erklä­rung muß­te in der Welt gera­de­zu als eine Distan­zie­rung vom Lebens­schutz ver­stan­den wer­den und wur­de es auch. Erst recht, nach­dem der neue Papst sich in den Mona­ten zuvor zum The­ma Lebens­recht aus­ge­schwie­gen hat­te, was inner­kirch­lich schon zu einer ver­nehm­ba­ren Unru­he geführt hat­te. Da Papst Fran­zis­kus ein intui­ti­ves Gespür dafür hat, was gewünscht ist, war nicht anzu­neh­men, er habe die Trag­wei­te sei­ner Aus­sa­ge nicht erkannt.

Strategie, Gleichgültigkeit oder Nachlässigkeit?

Glei­ches hat­te er bereits zuvor mit der Aus­sa­ge „Wer bin ich, um zu urtei­len?“ zur Homo­se­xua­li­tät gesagt. Obwohl dem Vati­kan und auch Papst Fran­zis­kus nicht ver­bor­gen blieb, daß sich Poli­ti­ker in ver­schie­de­nen Län­dern bei der Lega­li­sie­rung von „Homo-Rech­ten“ und der „Homo-Ehe“ aus­drück­lich auf die­se Papst-Wor­te stütz­ten, erfolg­te vom Vati­kan bis heu­te kei­ne Rich­tig­stel­lung. Ein stra­te­gi­sches, sprich beab­sich­tig­tes Han­deln des Pap­stes muß daher ange­nom­men wer­den. So kann auch nicht über­se­hen wer­den, daß der Papst sei­ne Ver­tei­di­gung des Lebens­rechts vor der katho­li­schen Ärz­te­schaft äußer­te, wo Wider­spruch kaum zu erwar­ten war, aller­dings auch die Brei­ten­wir­kung gerin­ger ist. Die ber­vor­ste­hen­den Reden vor dem Euro­päi­schen Par­la­ment und der UNO-Voll­ver­samm­lung wären geeig­ne­te Anlässe.

„Aus die­sem Grund tut es wohl, wenn Papst Fran­zis­kus klar spricht. Wenn schon nicht klar im Stil, so zumin­dest im Inhalt“, kom­men­tier­te die katho­li­sche Inter­net­sei­te I Tre sen­tie­ri. Es gehe aber noch um mehr: „Der Papst sag­te Wor­te, die die Welt sich nicht sagen las­sen will“. Den­noch äußert die Sei­te einen Wunsch: „Die Klar­heit, von der die Rede ist, wür­den wir uns als Kon­stan­te des päpst­li­chen und bischöf­li­chen Lehr­am­tes wün­schen. Die Klar­heit zu reden, auf­zu­zei­gen, anzu­kla­gen und das ohne Furcht vor dem Urteil der Welt. Die Ver­welt­li­chung ist eine häß­li­che Sache, beson­ders in der Kir­che. Sie ist der Ver­rat am Kir­che­sein selbst. Wenn von Ver­welt­li­chung die Rede ist, denkt man auto­ma­tisch an Reich­tum, an prunk­vol­le Resi­den­zen von Bischö­fen und Kar­di­nä­len, an eine Ver­quickung der Kir­che mit den nie­de­ren welt­li­chen Besit­z­in­ter­es­sen. Eine sol­che Form der Ver­welt­li­chung mag ärger­lich sein, sie ist aber kei­nes­wegs die schlimm­ste. Die schlim­me­re Ver­welt­li­chung ist das Reden um des Redens Wil­len, nicht um die Welt zu bekeh­ren, son­dern um sich der Welt anzu­pas­sen. Es gibt kei­ne schlim­me­re Ver­welt­li­chung als die Angst vor dem Urteil der Welt.“

Wer sind die wirklichen ideologischen Christen?

Kardinal, Schönborn, Kardinal Baldisseri, Erzbischof Nosiglia: Warum fällt es so schwer, die katholische Lehre zu verteidigen?
Kar­di­nal, Schön­born, Kar­di­nal Bal­dis­se­ri, Erz­bi­schof Nosi­glia: War­um fällt es so schwer, die katho­li­sche Leh­re zu verteidigen?

Dar­aus fol­gert Tre Sen­tie­ri in Anspie­lung auf Wor­te von Papst Fran­zis­kus bei ande­ren Gele­gen­hei­ten, was die „wirk­li­che ideo­lo­gi­sche Abir­rung“ ist:

„Die ideo­lo­gi­schen Chri­sten sind jene, die nicht sehen wol­len, die der Mei­nung sind, daß alles gut läuft, wie es läuft, die sogar davon fabu­lie­ren, daß zwei zusam­men­le­ben­de Homo­se­xu­el­le sich gegen­sei­tig hel­fen kön­nen. Oder um es noch mehr auf die Spit­ze zu trei­ben, wie der Erz­bi­schof von Wien, Kar­di­nal Chri­stoph Schön­born, daß die Homo­se­xu­el­len als Homo­se­xu­el­le „vor­bild­haft“ für ande­re sein kön­nen. Wor­in sol­len sie sich gegen­sei­tig hel­fen? Gemein­sam zur Höl­le zu fah­ren? Sagt der Kate­chis­mus nicht, daß die Homo­se­xua­li­tät ein Sün­dengräu­el ist, das nach der Rache Got­te schreit?

Die ideo­lo­gi­schen Chri­sten sind jene, die die Bot­schaft Chri­sti auf eine welt­im­ma­nen­te und sozio­lo­gi­sche Per­spek­ti­ve redu­zie­ren. Die den Kern des Chri­sten­tums von der Heils­not­wen­dig­keit in eine uto­pi­sche Lie­be umdeu­ten. Die den christ­li­chen Hori­zont fak­tisch durch den Tod begren­zen ohne authen­ti­sche Sehn­sucht nach Ret­tung und Ewi­gem Leben.

Die ideo­lo­gi­schen und neo­pha­ri­säi­schen Chri­sten sind jene, die die Zen­tra­li­tät des Gna­den­le­bens ver­ges­sen haben und die nicht ein­mal mehr ver­ste­hen, daß es ohne die Gna­de gar kein christ­li­ches Leben gibt. Sie haben es ver­ges­sen, weil sie ver­ges­sen haben, daß die Sün­de das schlimm­ste Unglück auf Erden ist. Eine ein­zi­ge Tod­sün­de ist schlim­mer als alle Kriege.

Die ideo­lo­gi­schen Chri­sten sind jene, die feig die Medi­en und Lob­bys fürch­ten. Sind jene, die aben­teu­er­lich­ste Ver­ren­kun­gen voll­zie­hen, nur um nicht die Wahr­heit ver­kün­den zu müs­sen. Sie las­sen den Pfar­rer oder Lai­en im Stich, der es wagt, die Wahr­heit aus­zu­spre­chen, daß eine kurz­zei­ti­ge Sün­de ver­ge­ben wer­den kann, aber nicht ein anhal­ten­der sünd­haf­ter Zustand, wie das Zusam­men­le­ben. Man den­ke an den Prie­ster der Diö­ze­se Nova­ra, der sogar vom Gene­ral­se­kre­tär der Bischofs­syn­ode Loren­zo Kar­di­nal Bal­dis­se­ri öffent­lich gemaß­re­gelt wur­de (sie­he Kirch­li­che Ehe­leh­re für Kar­di­nal Bal­dis­se­ri „Wahn­sinn“?). Oder jene, die sich an der Lynch­ju­stiz gegen Reli­gi­ons­leh­rer betei­li­gen, die es gewagt haben, die Leh­re der Kir­che zur Homo­se­xua­li­tät auf­zu­zei­gen. Wenn Logik nicht nur eine Opti­on ist, dann ermah­nen die­se ideo­lo­gi­schen Chri­sten in Wirk­lich­keit den Apo­stel­für­sten Pau­lus, ja Chri­stus selbst und sogar den Hei­li­gen Geist. Man den­ke an den jüng­sten Fall einer Reli­gi­ons­leh­re­rin in Turin. Was fiel dem Erz­bi­schof von Turin dazu ein? „Ich fin­de, daß die sexu­el­len Ent­schei­dun­gen der Per­so­nen nicht in Fra­ge gestellt wer­den soll­ten, schon gar nicht in einem erzie­he­ri­schen Bereich wie der Schu­le.“ Er woll­te offen­sicht­lich vor allem sei­nen eige­nen Kopf vor der Lynchschlin­ge bewah­ren, ließ die Reli­gi­ons­leh­re­rin im Stich und ver­mit­tel­te den Men­schen, ein­schließ­lich den Gläu­bi­gen einen völ­lig fal­schen Ein­druck von der katho­li­schen Lehre.

Die ideo­lo­gi­schen Chri­sten sind jene, die im Namen eines poli­tisch, bes­ser gesagt ideo­lo­gisch kor­rek­ten Mit­leids nur an die den­ken, die sich ohne­hin weh­ren und die eige­nen „Rech­te“ laut­stark durch­set­zen kön­nen. Wenn sie sich um wirk­li­che Schwa­che küm­mern, dann meist um sol­che, die weit, weit weg sind und bei denen die Hil­fe nur auf Distanz erfolgt. Man wird ein­wen­den, ja und die „Flücht­lin­ge“, für die sie sich ein­set­zen. Eben, der gesam­te Zeit­geist­chor singt für die „Flücht­lin­ge“. Sie sin­gen nur im Chor mit und heim­sen leich­ten Applaus. Sie schwei­gen aber betre­ten oder empö­ren sich sogar, wenn sie für das Recht der eben­so wehr­lo­sen wie allein­ge­las­se­nen unge­bo­re­nen Kin­der die Stim­men erhe­ben soll­ten. Wie klein­laut sie dann doch wer­den. So „laut“, daß man nichts mehr von ihnen hört. Und jene, von denen man noch etwas hört, haben sich auf die Sei­te der Star­ken geschla­gen, der Kin­des­mör­der, und bekämp­fen „im katho­li­schen Namen“ die Lebensschützer.

Die Wor­te von Papst Fran­zis­kus vom Sams­tag waren klar. Klar in Bezug auf die Wahr­heit, die gekom­men ist, um die Welt zu ret­ten und nicht, um sich auf deren Sei­te zu schlagen.“

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: AMCI/​RC

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