Clemens Victor Oldendorf, von dem wir jüngst den anderswo zensurierten Beitrag Doktrinelle Präambel versus Gnadenstreit 2.0 veröffentlicht haben, dürfen wir hiermit als neuen Autor dieser Seite begrüßen. In seinem neuen Beitrag greift Oldendorf noch einmal die Wiederaufnahme der Gespräche zwischen dem Heiligen Stuhl und der Piusbruderschaft auf, um einige Aspekte zu vertiefen. Gleichzeitig provoziert er mit einigen Überlegungen im Zusammenhang mit der in den kommenden beiden Wochen in Rom tagenden Bischofssynode über die Familie. Überlegungen, die wir zur Diskussion stellen wollen.
Von Clemens Victor Oldendorf.
Vor einigen Tagen hat Katholisches.info einen Text von mir übernommen, in dem ich, ausgehend von den Pressemitteilungen des Heiligen Stuhles und des Generalhauses der Priesterbruderschaft St. Pius X. zum jüngsten Zusammentreffen von Bischof Bernard Fellay mit Kardinal Gerhard L. Müller in Rom die Vermutung ausgesprochen hatte, daß die conditio sine qua non der Annahme der sogenannten Doktrinellen Präambel einer offeneren Lösung Platz gemacht habe. Dabei gab ich, anknüpfend an eine mir bekanntgewordene Aussage Fellays bei der Pressekonferenz anläßlich der Zaitzkofener Priesterweihen 2009, als mögliches Vorbild einer solchen Lösung den Gnadenstreit des 17. Jahrhunderts an. Dies nicht deshalb, weil es meine eigene Idee gewesen wäre, mit der man schon aus diesem Grund gerne liebäugelt, sondern, weil Bischof Fellay höchstpersönlich bei der genannten Pressekonferenz dieser Perspektive durchaus Substanz abgewinnen konnte.
Interview vom 3. Oktober 2014
Gestern nun wurde ein Interview veröffentlicht, das der Generalobere dem Pressedienst der Priesterbruderschaft, DICI, gegeben hat und in dem er auf das Treffen mit der Glaubenskongregation eingeht. Die dabei gemachten Aussagen müssen hier nicht nochmals vollständig aufgelistet werden, ich möchte aber ausgewählte Aspekte herausgreifen und näher beleuchten. Dem schicke ich voraus, daß ich meine Überlegungen selbstverständlich nicht mit dem Anspruch anstelle, mit der Prophetengabe ausgestattet zu sein, daß ich sie aber dennoch von völlig willkürlichen, unbeweisbaren Annahmen entschieden abgrenzen muß. Denn wie in der Mathematik anhand bekannter Größen eine Unbekannte ermittelt werden kann, so kann man legitimerweise aus bekannten Tatsachen und nachprüfbaren Zitaten begründete Schlußfolgerungen ziehen, zumal wenn die Fakten und Stellungnahmen, von denen man ausgeht, nicht bloß vereinzelt oder unzusammenhängend aufgetreten sind.
Doktrinelle Präambel: Comeback und doch nicht
Aus der Nichterwähnung der Präambel in den Pressemitteilungen des Heiligen Stuhles und des Generalhauses hatte ich geschlossen, sie sei gar nicht mehr thematisiert worden. Mit seinem Interview korrigiert mich Bischof Fellay in diesem Punkt, und zugleich gibt es Feinheiten, die mich bestätigen. Conditio sine qua non für weitere Kontakte ist die Präambel nämlich offensichtlich nicht mehr, von einem Ultimatum ist ebensowenig mehr die Rede, wie von negativen Konsequenzen, wenn die Präambel bis zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht unterschrieben wird. Interessant ist überdies, daß Fellay wieder von der Präambel von 2011 spricht, also anscheinend von ihrer Erstfassung. Ob das eine Ungenauigkeit der Ausdrucksweise ist, oder aber auch in puncto des Wortlauts gewissermaßen wieder an den Anfang zurückgekehrt wird und redaktionelle Bearbeitungen daran erneut möglich werden, kann nur durch den Generaloberen selbst oder gegebenenfalls durch Kardinal Müller präzisiert werden. Jedenfalls fehlt eine Deadline, bis zu der unterschrieben sein muß und widrigenfalls neue Sanktionen drohen.
Die Parallele zum Gnadenstreit mag also nicht ausformuliert worden sein, doch auch der weitere und mehr informelle Rahmen der künftigen Kontakte, ohne konkret terminierten Zeitplan, deutet faktisch eine Neuauflage dieses Modells an. Persönlich gehe ich sogar davon aus, daß es für Papst Franziskus als einigermaßen generelles Zukunftsmodell denkbar und favorisiert sein könnte, um innerkirchliche Konflikte zu entschärfen und ökumenische Einigungsprozesse zu erleichtern.
Im Kommentarbereich zu diesem Beitrag hatten einige Leser sogleich Bedenken gegenüber einer solchen Lösung vorgetragen, weil sie meinen, damit würde die Kritik am Modernismus und den konkreten, nachkonziliaren Reformen mundtot gemacht werden. Diese Befürchtung ist nicht begründet, denn auch im historischen Gnadenstreit durften Argumente gesammelt und weiterhin ausgetauscht werden, nur als Häretiker durften und dürfen (!) Jesuiten und Dominikaner, Molinisten und Thomisten, einander nicht disqualifizieren. Auf unsere Gegenwart übertragen heißt das natürlich, daß die Argumente zivilisiert ausgetauscht werden müssen, eben ohne die zelotisch geschwungene Häresiekeule. Daß es Traditionalisten gibt, die sich dieser Etikette nicht fügen könnten, ist ziemlich offensichtlich, doch habe ich die Zuversicht, daß solche, die ja zumeist weder Theologen, noch Kanonisten sind, von Bischof Fellay nicht an relevanten Verhandlungen beteiligt und auch von Rom in ihrer repräsentativen Bedeutung richtig eingeschätzt werden.
Die Anwendbarkeit einer Gnadenstreitlösung hängt sehr weitgehend davon ab, daß wir im Kontakt der Piusbruderschaft zu Rom das lebende Beispiel eines klassischen theologischen Disputs vor uns haben, in dem sozusagen Positionen verschiedener, theologischer Schulen aufeinandertreffen. Ob diese Art der Argumentation sonst überhaupt noch vorkommt, bezweifele ich zunehmend, und man konnte teilweise sogar den Eindruck gewinnen, daß selbst in Rom die Gesprächspartner schwinden, die sich in diese klassische Methode der Diskussion hineinversetzen und daran teilnehmen können oder wollen. Deshalb glaube ich meinerseits erst recht nicht, daß gnadenstreitanaloge Lösungen zum Beispiel im Dialog des Lehramts mit besonders progressiven Gruppen von Katholiken überhaupt geeignet sein könnten, die Konflikte beizulegen, beziehungsweise bis auf weiteres auf sich beruhen zu lassen.
Lehrmäßige Klärung vor kirchenrechtlicher Lösung
Das Interview, das Fellay gegeben hat, enthält weiter die Information, daß die Gesprächspartner sich trotz Fehlens eines Zeitplans oder Ultimatums darüber einig waren, daß die theologischen Differenzen ausgeräumt sein müssen, bevor es zu einer kanonischen Lösung kommt. Da dies im Moment nicht der Fall ist, rechne ich bis auf weiteres nicht mit einer kirchenrechtlichen (Wieder-)Errichtung der Piusbruderschaft durch Rom, gleichgültig, in welcher konkreten Rechtsform.
Wenn man von einer Strategie sprechen darf, könnte ich mir eher vorstellen, daß Rom bewußt einen Schwebezustand beibehalten und tolerieren will und zwar nicht ganz ohne jeden Eigennutz. Fast zeitgleich zu der überraschend positiv verlaufenen Begegnung Fellays mit Müller wurden Maßnahmen bekannt, die sich innerhalb der offiziellen kirchlichen Strukturen gegen Bischöfe oder Gruppen richten, die sich als besonders traditions- oder kontinuitätsfreundlich profiliert haben oder eine spezielle Bevorzugung der sogenannten außerordentlichen Form der Römischen Liturgie erkennen lassen. Tatsächlich ist ja die Zuordnung von ordentlich und außerordentlich im Motu Proprio Summorum Pontificum kirchenrechtlich eindeutig und das Außerordentliche im Kirchenrecht stets die Ausnahme. Somit kann an sich auf Summorum Pontificum kein exklusiver Gebrauch der liturgischen Bücher von 1962 gestützt werden.
Auch angesichts des Priestermangels glaube ich, daß diese augenzwinkernde Inkonsequenz mittelfristig innerhalb der offiziellen, institutionellen Strukturen der Kirche nicht mehr aufrechterhalten werden wird, weder für einzelne Priester oder Gläubige, noch – und möglicherweise insbesondere nicht – für ganze Gemeinschaften.
Wer also exklusiv an der alten Liturgie festhalten will und/oder theologische Probleme im Zweiten Vaticanum benennt, der wird an die Piusbruderschaft verwiesen oder zumindest durch die praktischen Umstände dorthin faktisch gedrängt werden. Um diese pragmatische Koexistenz rechtfertigen zu können, würde ich Papst Franziskus sogar zutrauen, im Falle künftiger Bischofsweihen in der Piusbruderschaft dazu pro forma die Erlaubnis zu geben. Das Problem, daß die Kleriker der Piusbruderschaft de iure suspendiert und nicht rechtmäßig inkardiniert sind, stellt sich wahrscheinlich aus römischer Sicht solange nicht drängend, als die Bruderschaft kanonistisch betrachtet als Körperschaft gar nicht existiert. Dies wäre eben der sozusagen organisatorische Aspekt der vorläufig tolerierten Schwebe und könnte Konflikte Roms mit den Ortsbischöfen vermeiden helfen, die einer Gemeinschaft, die es gar nicht gibt, auch keine Niederlassungserlaubnis in ihren Diözesen geben müssen.
Verschärfte Kirchenkrise und Bischofssynode
Als Neuigkeit nennt Bischof Fellay den Vorstoß Kardinal Kaspers, auf der Bischofssynode zu Ehe und Familie eine Zulassung zivil wiederverheirateter Geschiedener zur heiligen Kommunion zu erreichen. Kardinal Kasper habe argumentiert, man müsse sich fragen, ob man nicht in solchen zivilen Verbindungen „Elemente der sakramentalen Ehe“ erkennen könne und durch Zulassung zum Kommunionempfang auch anerkennen könne. Das sei, so Fellay, eine Übertragung und Anwendung der ökumenischen Konzeption von „Elementen der Kirchlichkeit“ außerhalb der sichtbaren Strukturen der (römisch-)katholischen Kirche auf die Ehe.
Ich bin kein Bischof, sondern einfacher, übrigens verheirateter Laie und nicht in die Bischofssynode eingebunden. Doch, wenn man eventuell einer Zulassung von zivil wiederverheirateten, geschiedenen Gläubigen zum Sakrament der Eucharistie erreichen will, sollte man meines Erachtens genau umgekehrt wie Kardinal Kasper argumentieren. Die Frage ist nicht, ob man in einer standesamtlich erfolgten Wiederheirat (oder einfach im faktischen Zusammenleben, wäre grundsätzlich zu ergänzen) Elemente der sakramentalen Ehe erkennen, sondern, ob man im heutigen, konkreten Staat den naturrechtlichen Staat und somit in der aktuellen, staatlichen Ehe überhaupt noch die naturrechtliche Ehe erkennen kann. Ich glaube, man muß das fortschreitend deutlicher verneinen.
Zunächst ist für eine standesamtliche Ehe der Vollzug der Ehe kein rechtliches Thema, wohingegen nur die vollzogene, sakramentale Ehe absolut unauflöslich ist, die bloß geschlossene nicht. Aus dieser Überlegung würde sich sodann ergeben, daß die Zivilehe nicht per se ein sozusagen institutionalisierter Ehebruch, somit nicht automatisch ein fortgesetzter „Zustand schwerer Sünde“ wäre. Geht aus einer solchen Verbindung keine Nachkommenschaft hervor, kann man das Bestehen einer Geschlechtsgemeinschaft, die das aufgrund der ersten, kirchlichen Eheschließung bestehende, sakramentale Eheband und die eheliche Treue verletzt, überhaupt nicht beweisen und darf sie vielleicht wirklich nicht pauschal voraussetzen. Gibt es Kinder, liegen höchstens einzelne Ehebrüche vor, die man wie alle Todsünden bereuen und beichten und anschließend wieder zur heiligen Kommunion gehen kann, ja sogar soll, um nicht erneut in die schwere Sünde zu fallen.
Mir ist die Provokation bewußt, die ich mit einem solchen Vorschlag setze, und deswegen füge ich hinzu, daß ich selbst es weitaus weltfremder finden würde, würde man bei einer zivilen Wiederheirat keine sexuellen Kontakte annehmen. Doch, daß der aktuelle staatliche Ehebegriff mit dem des Naturrechts und des Sakraments nur noch den Namen gemeinsam hat, finde ich tatsächlich evident. Ich spitze die Provokation noch zu: Ringt man sich zu dieser evidenten Einsicht durch, kann man selbst nichts mehr einwenden, wenn eingetragene, gleichgeschlechtliche Partnerschaften staatlicherseits als Ehe bezeichnet oder so behandelt werden. Da aus solchen Verbindungen naturgemäß keine Nachkommenschaft hervorgehen kann, könnte man in diesen Fällen das Bestehen einer Sexualgemeinschaft oder einzelner Sexualkontakte nie beweisen, es sei denn, die Betreffenden äußern dies expressis verbis, oder man wird Augenzeuge. Da auch Homosexuelle bereuen und beichten können, müßten folglich auch Personen, die in solch eingetragenen Partnerschaften leben, zum Kommunionempfang prinzipiell zugelassen werden. Die Lehre und Praxis über die sakramentale Ehe würde das tatsächlich nicht tangieren. Lassen wir diese extrem erscheinenden Konsequenzen beiseite, bleibt die Frage, wieviele kirchliche Hochzeiten heute überhaupt noch eine sakramentale Ehe gültig zustandekommen lassen.
Das scheint mir die eigentliche Herausforderung für die Bischofssynode zu sein, und die Piusbruderschaft müßte sich meines Erachtens mit der Frage konfrontieren, inwiefern die Religionsfreiheit und die Aufgabe des Katholizismus als Staatsreligion überhaupt bleibende Probleme darstellen, wenn die real existierenden Staaten keine Staaten im Sinne des Naturrechts mehr sind und auf jeden metaphysischen Anspruch verzichten. Müssen nicht sogar in einem solchen Staat Staat und Kirche zwangsläufig getrennt sein?
Einleitung: Giuseppe Nardi
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