von Wolfram Schrems*
Im Anschluß an meine Ausführungen über Fatima auf dieser Seite soll aufgrund entsprechender Anfragen einerseits als auch rezenter Ereignisse andererseits noch einmal das Thema Fatima und dessen Implikationen, diesmal bezüglich Selig- und Heiligsprechungen, aufgegriffen und in drei kurzen Teilen behandelt werden.
Die Absicht dahinter ist, zu einer weiteren Bewußtseinsbildung innerhalb der Kirche beizutragen und dadurch die dringende Umsetzung der Anweisungen von Fatima auf individueller und kollektiver Ebene zu fördern. Die damit verbundene Hoffnung ist, daß sich die kirchlichen Autoritäten besinnen und ihrerseits das Notwendige tun: Verbreitung der Sühnesamstage, Verkündigung der Bekehrung und der Glaubenswahrheit von der Möglichkeit ewiger Verwerfung, Weihe Rußlands an die Immaculata durch den Papst und den Weltepiskopat, explizit, ohne Ausflüchte und Ausreden und rasch, und die Behebung der doktrinären und liturgischen Verwüstungen im Gefolge des Konzils.
Die Zeit drängt, wir leben in einer ablaufenden Frist. Viele spüren das mit steigerndem Unbehagen. Aufmerksame Menschen guten Willens erkennen die „Zeichen der Zeit“: „Weil die Mißachtung von Gottes Gesetz überhandnimmt, wird die Liebe bei vielen erkalten“ (Mt 24,12) und „Die Menschen werden selbstsüchtig sein, habgierig, prahlerisch, überheblich, bösartig (…), hochmütig, mehr dem Vergnügen als Gott zugewandt“ (2 Tim 3,2ff). Wir sehen das praktisch überall.
Dabei gäbe es grundsätzlich immer noch die Möglichkeit, durch eine entschlossene Umkehr „von Haupt und Gliedern“ im Sinn von Fatima die drohenden Folgen der Apostasie abzuwenden.
In diesem Zusammenhang also zum Thema der letztens oft sehr merkwürdigen Heiligsprechungen:
Wenn man erstens mitverfolgen mußte, wie überfallsartig die Heiligsprechung von Papst Johannes XXIII. unter Umgehung des üblichen Prozedere (d. h. weder ein zweites Wunder noch signifikante Verehrung im Kirchenvolk wurden verlangt) durchgezogen wurde (auch bei Papst Johannes Paul II. war man unüblich schnell) und wenn man zweitens zudem weiß, daß zwei der drei Seherkinder, nämlich die Cousins von Sr. Lucia, Jacinta und Francisco Marto, längst seliggesprochen sind (13. Mai 2000), dann fragt man sich, warum es noch keine Seligsprechung von Sr. Lucia selbst gegeben hat. Nicht einmal gesprochen wird davon, nicht ein einziges Wort über ein solches Vorhaben konnte man bis jetzt hören. Dabei liegt das Ableben von Sr. Lucia jetzt schon länger zurück.
Mir ist auch kein Wort des derzeitigen Papstes erinnerlich, das auf Sr. Lucia Bezug nehmen würde. Auch die offiziellen Fatima-Apostolate treten mit einer Forderung nach Seligsprechung meinem Kenntnisstand nach nicht in Erscheinung.
In der Wiener Franziskanerkirche, in der sich die Grabstätte des Ehrwürdigen Dieners Gottes P. Petrus Pavlicek, Gründer des Rosenkranzsühnekreuzzuges, befindet, ist bei der gegenüber des Grabes aufgestellten Fatima-Statue von P. Petrus, das bekannte Photo der Seherkinder angebracht, das aber lediglich die beiden jüngeren Seher Jacinta und Francisco zeigt. Lucia ist offensichtlich, wenn man das Photo aus Büchern und dem Internet kennt, wegretuschiert worden. Der bei den Franziskanern angesiedelte Rosenkranzsühnekreuzzug, der in Österreich so gut wie keine Rolle mehr spielt, hat m. W. ebenfalls eine Seligsprechung der letzten Seherin nie thematisiert, geschweige denn postuliert.
Was könnte der Grund für dieses verblüffende Schweigen sein? Immerhin geht es um die bedeutendste „Privatoffenbarung“ des 20. Jahrhunderts, die noch dazu von der kirchlichen Hierarchie anerkannt worden ist.
Nun, zum einen ist Fatima seit der Eröffnungsrede von Papst Johannes XXIII. am Konzil (Gaudet Mater Ecclesia, vom 11.10.62), als er sich gegen die „Unheilspropheten“ wandte, evidenterweise ohnehin kein Anliegen der amtlichen kirchlichen Lehrverkündigung mehr. Das ist nichts neues.
Daher zur jüngsten Heiligsprechungspolitik als solcher, dabei etwas weiter ausholend:
Warum die Heiligsprechung von Johannes XXIII.?
Im Informationsblatt der Petrusbruderschaft 07/2014 wird man mit einem Artikel „Warum unfehlbar heilig?“ von P. lic. Sven Leo Conrad FSSP überrascht. Dieser beabsichtigt (aus dem Zusammenhang und der Bebilderung ersichtlich) eine Untermauerung der Legitimität der Heiligsprechung der Päpste Johannes XXIII. und Johannes Paul II. Die eingangs gestellte Frage „Wird man ein Heiliger wegen der Kirchenpolitik? Die Medien haben zur Heiligsprechung von Papst Johannes XXIII. und Papst Johannes Paul II. genau diesen Eindruck vermittelt. Zurecht?“ wird nach Konsultierung aktueller Lehrentscheidungen und verschiedener Theologen, u. a. des hl. Thomas von Aquin (Quodl. 9, 16) am Ende so beantwortet: „Ein Heiliger wird man also nicht aus politischen Gründen, sondern allein wegen der Heiligkeit, und gerade dies garantiert die Unfehlbarkeit der Kirche.“
Na ja.
Irgendwie ist das typisch für unsere Zeit: Man geht auf die Probleme gar nicht inhaltlich ein, sondern beschränkt sich auf formale Fragen. Das wirkt irgendwie fideistisch.
Grundsätzlich stimmt das zuletzt Gesagte ja, man fragt sich aber nur, ob es auf den gegenständlichen Fall anwendbar ist.
Die Gültigkeit eines kirchlichen Rechtsaktes ist in aller Regel ohnehin von dessen äußeren, politischen Umständen unabhängig. Mit seiner Argumentation kommt P. Conrad zumindest in die Nähe des genetischen Trugschlusses, also der Ableitung der Gültigkeit einer Aussage, Meinung, Weltanschauung o. a. von den Umständen von deren Entstehung.
Daß es politische Interessen bei einer Heiligsprechung gibt, macht diese eo ipso ja ohnehin nicht ungültig.
Außer man hätte zugunsten politischer Interessen das vorgeschriebene Procedere nicht eingehalten. Papst Franziskus hat, wie schon oben erwähnt, genau das gemacht und die Kanonisierung dem gläubigen Volk oktroyiert, ohne daß es besonders begeistert gewesen wäre.
Von diesem Offenkundigen erfährt man aber in dem genannten Artikel nichts.
Die Frage ist daher, ob der Autor wirklich von dem überzeugt ist, was er schreibt.
Denn es waren auch keineswegs nur „die Medien“, die in diesem Fall den Eindruck der kirchenpolitisch motivierten Heiligsprechungen vermittelt haben, sondern es war der Papst selbst.
Sagen wir es ganz offen:
Die Heiligsprechung von Papst Johannes XXIII. hatte ganz offenkundig ausschließlich kirchenpolitische und keine spirituellen Ziele: In Zeiten, da die desaströsen Folgen des II. Vatikanischen Konzils sich in und außerhalb der Kirche immer noch stärker ausbreiten und immer weniger geleugnet werden können, will sich die derzeitige Hierarchie, die sich dem Konzil verpflichtet weiß, gegen zunehmend laut werdende und sachlich bestens begründete Kritik an den Konzilstexten immunisieren.
Der Heiligsprechung widerstreiten materialiter die Fakten der Roncalli-Vita: Prägung durch den liberalen Bischof Giacomo Radini-Tedeschi, der seinerseits Schüler des modernismusaffinen und logennahen Kardinals und (aufgrund des österreichischen Vetos 1903) Nicht-Papstes Mariano Rampolla del Tindaro war, als Nuntius in Paris Ungehorsam gegenüber Papst Pius XII. in der Frage der Arbeiterpriester, sowie – als Papst – Konzilsfolgen, Ostpolitik, Unterminierung der christlichen Zivilisation in Europa, Aufweichung der Resistenz gegen die kommunistische Infiltration in Italien und weltweit, erste (noch geringe, aber symbolträchtige) Eingriffe in die überlieferte Liturgie, Förderung zweifelhafter Personen in der vatikanischen Hierarchie und die Unterdrückung der Fatima-Botschaft.
Da das derzeitige Pontifikat große Verunsicherung verbreitet und einen präzedenzlosen Konformitätsdruck aufgebaut hat, fühlen sich offenbar sogar die Ecclesia-Dei-Gemeinschaften, zumindest diese eine, zu umso vorauseilenderen Loyalitätsbekundungen genötigt. (Ich wurde heuer im Juni in einer Kirche der Bruderschaft Ohrenzeuge einer entsprechenden Predigt, die ich ohne Umschweife als „papalistisch“ bezeichnen würde. Die war eindeutig zu dick aufgetragen. Der katholische Glaube verlangt bitteschön nicht, das Hirn auszuschalten.)
Angesichts der intellektuellen Qualitäten der Priester der Bruderschaft erscheint es mir ausgeschlossen, daß man ausgerechnet dort nicht die Absurdität dieser Heiligsprechung spüren sollte. Und dennoch macht man gute Miene zum bösen Spiel.
Damit beweist der Artikel ungewollt das, was zu widerlegen er vorgibt, nämlich, daß die Kanonisierung des Roncalli-Papstes ein Politikum war.
Wer aber diese Kanonisierung nicht gut fände und das öffentlich ausspräche, müßte unter dem derzeitigen Pontifikat sehr wahrscheinlich mit schmerzhaften Konsequenzen rechnen. (Die Franziskaner der Immaculata und Ex-Diözesanbischof Rogelio Livieres Plano von Ciudad del Este in Paraguay sind – in anderem Zusammenhang – erste prominente Opfer der Konformitätspolitik von Papst Franziskus – von den Umbesetzungen in den römischen Dikasterien noch ganz abgesehen. Die Ecclesia-Dei-Gemeinschaften könnten die nächsten sein.)
Denn dieses Pontifikat wirft den – leider ohnehin viel zu zögerlichen – Restaurationskurs von Papst Benedikt über den Haufen und greift gnadenlos auf die verheerendsten Tendenzen das II. Vaticanums zurück. Für dieses – gleichsam gewaltsame – revival des Konzils brauchte es u. a. eine Kanonisierung von dessen Protagonisten.
Ein notorischer Progressist bestätigt: Kanonisierungen sind ein Politikum
Der emeritierte Wiener Weihbischof DDr. Helmut Krätzl, der es bis heute nicht verwunden hat, 1985 nicht als Nachfolger von Kardinal König zum Wiener Erzbischof bestellt worden zu sein und deshalb seitdem mit seinen unzähligen larmoyanten Vorträgen, Interviews und Büchern den Leuten auf die Nerven geht, bestätigte im aktuellen Pfarrblatt der Wiener Dompfarre (69. Jg., Nr. 2, Herbst 2014, S. 36f) genau diesen Zusammenhang und belegt auf seine Weise den besonders politischen Charakter mancher Kanonisierungen.
Hier ein Auszug seines, wie üblich giftigen, Beitrages – nur um exemplarisch zu zeigen, wie die Totengräber der Kirche Österreichs denken:
„Erst am 3. September 2000 wurde Johannes XXIII. selig gesprochen, aber mit einem diplomatischen Kompromiss gemeinsam mit Pius IX. Offenbar hatten sich jene Kreise in Rom durchgesetzt, die Johannes XXIII. das Konzil noch immer nicht ‚verzeihen‘ konnten. Pius IX. aber sollte zeigen, dass das II. Vatikanische Konzil nur zusammen mit dem I. Vatikanum zu sehen sei, die Kirche also nichts Neues sagen, sondern nur das Althergebrachte in neue Worte fassen wollte. Pius IX. hatte 1864 im Syllabus 80 angebliche [sic] Irrtümer der Zeit geächtet. Damit begann der unselige [sic] Kampf gegen den sogenannten Modernismus, der die Weiterentwicklung der Theologie empfindlich störte. Übrigens war Giuseppe Roncalli selbst in frühen Jahren des Modernismus verdächtigt worden. (…) Die Konzilsväter ließen sich von vormals zensurierten aufgeschlossenen [sic] Theologen beraten und gaben gemeinsam mit dem Papst der Kirche ein neues Bild. (…) Johannes XXIII. gelang es in nur vier Jahren die Kirche in eine ganz neue Ära [sic] zu führen. Seinen Nachfolgern und uns allen ist es bis heute aufgetragen, sein Erbe noch [sic] fruchtbarer zu machen. Am 27. April 2014 wurde der selige Papst Johannes XXIII. heiliggesprochen, diesmal nicht gemeinsam mit Pius IX, sondern mit Johannes Paul II. Wie ist das kirchenpolitisch zu bewerten? [Ende]“
Hier wird der Bruch ganz offen zelebriert, der Modernismus glorifiziert und Papst Johannes XXIII. als Neuerer gefeiert. Zuletzt wird offen nach der kirchenpolitischen Dimension der Heiligsprechung von Johannes Paul II., die ihm offenbar nicht gefällt, gefragt.
Wenn es also bei Pius IX. um Kirchenpolitik ging, wird es bei Johannes XXIII. nicht anders sein, wenn man der Logik des Weihbischofs folgt.
Wenn Weihbischof Krätzl recht hat, daß mit dem Konzil etwas neues gesetzt werden sollte, dann hat auch Erzbischof Lefebvre recht, der dasselbe sagte.
Was kränkend ist, ist, daß ein in seinem Hirtenamt zutiefst gescheiterter Mann einen Großen der Papstgeschichte anschwärzt. Weihbischof Krätzl kann Papst Mastai-Ferretti, einer exzeptionellen Gestalt der jüngeren Papstgeschichte, in keiner Hinsicht das Wasser reichen. Wie auch immer: Angesichts dieser fatalen Einstellung kommen einem die Worte des hl. Petrus an Saphira in den Sinn, die – leicht abgewandelt – lauten: „Siehe, die Füße derer, die dich hinaustragen werden, stehen schon vor der Tür“ (Apg 5, 9).
Resümee
Mit seinen Ausführungen beweist Weihbischof Krätzl, was ohnehin evident ist, nämlich, daß Selig- und Heiligsprechungen ein Politikum sind. Die Kirche hat als göttliche und menschliche Institution immer eine politische Dimension. Päpste müssen nach der Opportunität ihrer Handlungen fragen, auch bei Kanonisierungen.
Selbstverständlich. Die Heiligsprechung des hl. Thomas Morus durch Papst Pius XI. 1935 beispielsweise wird man als politische Ansage gegen den Totalitarismus der Zeit interpretieren können, insofern als Politikum. Und doch wird niemand, der seine Sinne beisammen hat, diesem Heiligen die Heiligkeit absprechen können.
Bei Johannes XXIII. bleibt aber ein äußerst unbehagliches Gefühl, wenn nicht gar ein offenes Ärgernis.
Und währenddessen kein Wort von Sr. Lucia.
Der zweite Teil wird auf die geplante Seligsprechung von Papst Paul VI. Bezug nehmen.
*MMag. Wolfram Schrems, Linz und Wien, katholischer Theologe und Philosoph, kirchlich gesendeter Katechist
Bild: Pastorinhos/Wikicommons