„Der Papst ist kein Linker, aber er spricht wie ein Linker“ – Franziskus empfing radikale Linke Europas


Alexis Tsirpas vor dem Treffen mit Papst Franziskus auf dem Petersplatz
AlexisT­si­pras vor dem Tref­fen mit Papst Fran­zis­kus auf dem Petersplatz

(Rom) „Der Papst ist kein Lin­ker, aber er spricht wie ein Lin­ker.“ Unter die­sem Titel wid­me­te die links­li­be­ra­le öster­rei­chi­sche Tages­zei­tung Der Stan­dard Papst Fran­zis­kus in der Aus­ga­be vom 19. Sep­tem­ber eine gan­ze Sei­te nicht in den Rubri­ken Reli­gi­on oder Feuil­le­ton, son­dern Inter­na­tio­na­le Politik.

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Anlaß ist in der Tat eine „Pre­mie­re“ im Vati­kan. Die radi­ka­le euro­päi­sche Lin­ke wur­de vom Papst emp­fan­gen. Daß die „nicht ver­han­del­ba­ren Wer­te“ durch Papst Fran­zis­kus für die Welt ver­nehm­bar in der Prio­ri­tä­ten­li­ste zurück­ge­stuft wur­den, erleich­tert den Gesprächs­zu­gang. Eine wei­te­re Begeg­nung an allen offi­zi­el­len Pro­to­kol­len vorbei. 

Kein gerin­ge­rer als AlexisT­si­pras , der Vor­sit­zen­de der durch den Zusam­men­bruch der Sowjet­uni­on ent­stan­de­nen „reform­kom­mu­ni­sti­schen“ Nach­fol­ge­par­tei der Kom­mu­ni­sti­schen Par­tei Grie­chen­lands Syn­as­pis­mos (SYN), wur­de von Papst Fran­zis­kus in San­ta Mar­ta emp­fan­gen. 2004 bil­de­te Tsir­pas zusam­men mit ande­ren radi­ka­len Links­grup­pen die von SYN geführ­te Koali­ti­on der Radi­ka­len Lin­ken, kurz SYRIZA genannt, deren Vor­sit­zen­der er eben­falls ist.

Alexis Tsirpas führte Europas Linksradikale bei Europawahl

Nach dem Staats­bank­rott Grie­chen­lands und der Implo­si­on der Sozia­li­sti­schen Par­tei (PASOK) schaff­te die radi­ka­le Lin­ke bei den Par­la­ments­wah­len 2012 mit fast 27 Pro­zent der Wäh­ler­stim­men und 71 von 300 Par­la­ments­sit­zen den Auf­stieg zur zweit­stärk­ste poli­ti­schen Kraft des Landes.

Bei den Euro­pa­wah­len im Mai 2014 war Tsir­pas der Kan­di­dat für das Amt des Prä­si­den­ten der Euro­päi­schen Uni­on der Euro­päi­sche Lin­ken, wie sich der Zusam­men­schluß kom­mu­ni­sti­scher und ande­rer links­ra­di­ka­ler Par­tei­en nennt, der aus acht EU-Mit­glieds­staa­ten Abge­ord­ne­te in das Euro­päi­sche Par­la­ment ent­sen­den konn­te, dar­un­ter aus Deutsch­land Die Lin­ke.

Alexis Tsi­pras, so Der Stan­dard, „will mit Fran­zis­kus – trotz kom­plett gegen­sätz­li­cher Welt­an­schau­ung – gegen Wirt­schafts­kri­se und Kriegs­ge­fahr kämpfen“.

„Angespannt“ in den Vatikan, „gelöst“ heraus

Tsipras nach dem Wahlerfolg 2012
Tsi­pras nach dem Wahl­er­folg 2012

Wie Stan­dard-Kor­re­spon­dent Peter Mayr berich­tet, traf die links­ra­di­ka­le Dele­ga­ti­on um 9.45 Uhr im Vati­kan ein. Tsir­pas, der von sich selbst sagt, Athe­ist zu sein, wirk­te laut Mayr beim Ein­tritt in den Vati­kan „ange­spannt“. Nach zwei Stun­den ver­ließ ein „gelöst wir­ken­der“ Tsir­pas den Vati­kan. Die Rede ist von einem „histo­ri­schen Tref­fen“. 30 Minu­ten habe die Pri­vat­au­di­enz gedau­ert. Die grie­chi­sche Regie­rung habe Druck aus­ge­übt, das Tref­fen abzu­sa­gen. Doch Papst Fran­zis­kus emp­fing den Chef der euro­päi­schen Links­ra­di­ka­len. „Die grie­chi­sche Regie­rung mag nichts, was ich mache“, sag­te Tsir­pas anschlie­ßend im Stan­dard-Gespräch.

Da die Begeg­nung in der der von Papst Fran­zis­kus bevor­zug­ten „inof­fi­zi­el­len“ Form statt­fand, gibt es kei­ne Erklä­rung des Vati­kans. Es blei­ben damit nur die Anga­ben Tsi­pras. Im Gespräch mit dem Papst sei die The­men­pa­let­te „sehr breit“ gewe­sen. Sie habe „Armut, Migra­ti­on, Wirt­schafts­kri­se und die herr­schen­de Kriegs­ge­fahr“ umspannt. „Der Dia­log zwi­schen der Lin­ken und der Kir­che ist wich­tig. Zwar gibt es unter­schied­li­che Ideo­lo­gien, in vie­len Punk­ten wol­len wir aber das­sel­be“, zitiert Der Stan­dard Tsir­pas wörtlich.

Der Papst habe die „Wich­tig­keit der Initia­ti­ven, um gegen Unge­rech­tig­kei­ten anzu­kämp­fen“ erkannt. Kurz sei es auch um grie­chi­sche Innen­po­li­tik gegan­gen: „Die Rei­chen wur­den noch rei­cher, die Armen ärmer. Wir haben Ban­ken geret­tet, nicht die Men­schen“, schil­dert  Tsi­pras sei­ne Zusam­men­fas­sung gegen­über dem Papst.

Papst-Audienz vom ehemaligen KPÖ-Vorsitzenden Walter Baier eingefädelt

Walter Baier, 1994-2006 KPÖ-Vorsitzender
Wal­ter Bai­er, 1994–2006 KPÖ-Vorsitzender

„Ein­ge­fä­delt“, wie der Stan­dard schreibt, wur­de das Tref­fen vom öster­rei­chi­schen Kom­mu­ni­sten Wal­ter Bai­er. Bai­er ist kom­mu­ni­sti­sches Urge­stein. Aus einer kom­mu­ni­sti­schen Fami­lie stam­mend, wur­de der Wie­ner 1977 Vor­sit­zen­der des Kom­mu­ni­sti­schen Stu­den­ten­ver­ban­des (KSV) und ZK-Mit­glied der Kom­mu­ni­sti­schen Par­tei Öster­reichs (KPÖ). 1987 stieg er ins Polit­bü­ro auf und blieb sei­ner Ideo­lo­gie auch nach dem Zusam­men­bruch des Ost­blocks treu. 1991–1994 war er Bun­des­se­kre­tär und von 1994–2006 Bun­des­vor­sit­zen­der der KPÖ. Seit­her ist Bai­er Koor­di­na­tor von trans­form! einem Netz­werk von 25 kom­mu­ni­sti­schen und links­ra­di­ka­len Zeit­schrif­ten in 18 euro­päi­schen Län­dern. Für die­ses Netz­werk sitzt er auch im inter­na­tio­na­len Rat des 2001 als lin­ker Gegen­ver­an­stal­tung zum Davo­ser Welt­wirt­schafts­fo­rum und den Welt­wirt­schafts­gip­feln gegrün­de­ten Welt­so­zi­al­fo­rums (WSF).

Sie­ben Mona­te hät­ten die Vor­be­rei­tun­gen bis zum Tref­fen mit dem Papst gedau­ert. Damit sei die radi­ka­le Lin­ke aber „schnel­ler“ gewe­sen, als Wiens sozi­al­de­mo­kra­ti­scher Bür­ger­mei­ster Micha­el Häupl. Des­sen Emp­fang beim Papst steht noch aus, gibt sich der radi­ka­le Lin­ke Bai­er über den Pre­sti­ge­er­folg über die gemä­ßig­te Lin­ke im ewi­gen Kampf zwi­schen Bol­sche­wi­ken und Men­sche­wi­ken zufrieden.

„Papst steht Anliegen der Linken aufgeschlossen gegenüber“

Tsirpas blieb auch nach Ende der Sowjetunion seiner Ideologie treu
Tsir­pas blieb auch nach Ende der Sowjet­uni­on sei­ner Ideo­lo­gie treu

Wal­ter Bai­er ist seit 15 Jah­ren im „Dia­log“ mit der katho­li­schen, aber auch evan­ge­li­schen Kir­che aktiv und fin­det immer wie­der offe­nen Ohren und Türen für gemein­sa­me „sozia­le“ Initia­ti­ven. Auch „der Papst steht den Anlie­gen der Lin­ken – sozia­le Gerech­tig­keit, Kapi­ta­lis­mus­kri­tik – auf­ge­schlos­sen gegen­über“, so Bai­er gegen­über dem Stan­dard. Bai­er sieht in der „herr­schen­den Kri­se der insti­tu­tio­na­li­sier­ten Poli­tik- und Par­tei­en­land­schaft“ zwei Insti­tu­tio­nen in einer beson­de­ren Rol­le: „die Reli­gi­ons­ge­mein­schaf­ten und die Gewerkschaften“.

„Bot­schaf­ten wie Hand­lun­gen von Fran­zis­kus las­sen die­se Les­art zu“, sekun­diert der Stan­dard-Kor­re­spon­dent. In Evan­ge­lii Gau­di­um habe der Papst ein „Nein zur sozia­len Ungleich­heit – die Gewalt her­vor­bringt“ gesagt. Zudem habe er eine „Ver­göt­te­rung des Gel­des“ kritisiert.

Evangelii gaudium ist „beißende Kapitalismuskritik“

Bai­er und Tsi­pras sind sich dar­in einig: In Evan­ge­lii Gau­di­um lesen die bei­den Kom­mu­ni­sten „bei­ßen­de Kapi­ta­lis­mus­kri­tik“. Dar­in will die radi­ka­le Lin­ke einen „neu­en Ton“ erken­nen. Ex-KP-Chef und trans­form!-Koor­di­na­tor Bai­er träumt bereits von einer „breit auf­ge­stell­ten Alli­anz“. Die­se kön­ne „mehr Druck auf­bau­en“. Als Nagel­pro­be hat die radi­ka­le Lin­ke bereits den Welt­kli­ma­gip­fel 2015 in Paris im Auge.

Wie es mit dem Dia­log zwi­schen Links­ra­di­ka­len und Papst Fran­zis­kus wei­ter­ge­he, wis­se Tsi­pras nicht. Die­ser Dia­log sei aber „wich­tig“, denn eines sei ihm durch die Begeg­nung klar­ge­wor­den, sag­te Tsi­pras dem Stan­dard: „Der Papst ist kein Lin­ker, aber er spricht wie ein Linker“.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Syriza/​KPÖ/​Esatchos (Screen­shots)

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