„Vom Papst erwarte ich mir mehr als von Renzi oder Merkel“


Papst Franziskus auf dem Rückflug von Korea
Papst Fran­zis­kus auf dem Rück­flug von Korea

(Rom) Der katho­li­sche Publi­zist Anto­nio Soc­ci wur­de für sei­ne Kri­tik am Schwei­gen von Papst Fran­zis­kus zur Tra­gö­die der Chri­sten im Nahen Osten hart ange­grif­fen. Ähn­li­che Kri­tik kommt jedoch auch von „unver­däch­ti­ger“ Sei­te und wird vom Phi­lo­so­phen Mas­si­mo Cac­cia­ri, von 1993–2000 und 2005–2010 Bür­ger­mei­ster von Vene­dig, geäu­ßert. Cac­cia­ri begann sei­nen Weg als radi­ka­ler Links­au­ßen. Gegen­über der Tages­zei­tung La Repubbli­ca, die Papst Fran­zis­kus wie kein ande­res Medi­um bevor­zugt, sag­te Cacciari:

Anzei­ge

„Es han­delt sich um eine radi­ka­le Wen­de in der poli­ti­schen Theo­lo­gie der Kir­che…, das aber ist ein ordent­li­ches Pro­blem … Fran­zis­kus betrach­tet eine Inter­ven­ti­on, wenn sie die UNO beschließt für legi­tim – das aber ist eine Ver­welt­li­chung der katho­li­schen Idee des „gerech­ten Krie­ges“… Der Stand­punkt von Fran­zis­kus ist äußerst schwach. Sein Stand­punkt ist eigent­lich einer, den ein Ren­zi oder eine Mer­kel ver­tre­ten könn­ten. Ver­zei­hen Sie mir, aber vom Papst erwar­te ich mir etwas mehr, das heißt, daß er mir sagt, daß es not­wen­dig ist, auf der Grund­la­ge von für abso­lut gehal­te­nen Wer­ten zu intervenieren.“

„Schluß mit Schweigen“ – Eindringliche Worte der Heiligen Katharina von Siena

Anto­nio Soc­ci stellt zur Bekräf­ti­gung Cac­cia­ris Aus­sa­ge Wor­te der hei­li­gen Katha­ri­na von Sie­na (1347–1380) zur Seite:

Heilige Katharina von Siena, mit einem brennenden Glauben und einem freien Herzen
Hei­li­ge Katha­ri­na von Sie­na, mit einem bren­nen­den Glau­ben und einem frei­en Herzen

„Ach, Schluß mit dem Schwei­gen! Ruft es mit hun­dert­tau­send Zun­gen. Ich sehe, daß die Welt wegen des Schwei­gens krank ist, die Braut Chri­sti ist erbleicht.“ Mit die­sen kraft­vol­len Wor­ten wand­te sich die Hei­li­ge an einen hohen Kirchenvertreter.

Und was Anto­nio Soc­ci sonst noch am 20. August in der Tages­zei­tung Libe­ro zum The­ma schrieb:

„Auch heu­te ver­spürt man die Not­wen­dig­keit in der Kir­che, daß sich Frau­en und Män­ner mit bren­nen­dem Glau­ben und frei­em Her­zen wie die hei­li­ge Katha­ri­na an einen ängst­li­chen Papst (Gre­gor XI.) wen­den, der nicht tat, was er tun soll­te: ‚Ich an Eurer Stel­le wür­de befürch­ten, daß das gött­li­che Gericht über mich kommt.‘

Aber in unse­rer Zeit eines selt­sa­men Kle­ri­ka­lis­mus und der Schmei­che­lei gibt es die Stim­men der gro­ßen Hei­li­gen oder frei­er Män­ner und Frau­en nicht oder sie wer­den nicht gehört.

Es ist sehr schwer und für einen Katho­li­ken sehr schmerz­haft, die Hal­tung des Vati­kans von Papst Berg­o­glio ange­sichts der Tra­gö­die der Chri­sten und der ande­ren Min­der­hei­ten im Irak zu ver­ste­hen und zu akzep­tie­ren, die von blut­rün­sti­gen Isla­mi­sten des Kali­fats auch in die­sen Stun­den gejagt und getö­tet werden.

Eine wochenlange Illusion

Zuerst wochen­lang ein Wider­wil­le dar­über zu spre­chen. Sogar die Gebets­in­itia­ti­ve der Ita­lie­ni­schen Bischofs­kon­fe­renz vom 15. August bedach­te der Papst, im offe­nen Gegen­satz zu sei­nen Vor­gän­gern mit Schwei­gen. Offen­sicht­lich hegt er eine Abnei­gung gegen die ita­lie­ni­sche Kirche.

Dann, end­lich, nach 20 Tagen der Mas­sa­ker unter Män­nern, Frau­en und Kin­dern und nach tau­send­fa­chem Druck, vor allem durch die Bischö­fe jenes Lan­des und der vati­ka­ni­schen Diplo­ma­ten, ent­schloß sich Papst Berg­o­glio jene schick­sals­schwe­ren Wor­te aus­zu­spre­chen, wenn er es auch sehr lei­se tat: ‚Es ist legi­tim einen unge­rech­ten Angrei­fer zu stoppen‘.

Was für eine Lei­stung… Das hät­te noch gefehlt, daß er gesagt hät­te, es sei legi­tim, daß der Angrei­fer unschul­di­ge Men­schen tötet, die ‚Fein­de des Islam‘ kreu­zigt, Kin­der leben­dig begräbt und Frau­en ver­ge­wal­tigt und als Skla­vin­nen verkauft.

Die Haltung von Johannes Paul II. und Benedikt XVI.

Mit ande­rem Tem­po und Ener­gie rief Johan­nes Paul II. dazu auf, die Unschul­di­gen zu ver­tei­di­gen: ‚Wenn ich sehe, daß mein Nach­bar ver­folgt wird, muß ich ihn ver­tei­di­gen: Das ist ein Akt der Näch­sten­lie­be. Das ist für mich huma­ni­tä­re Ein­mi­schung‘. Mit Nach­druck wand­te er sich hin­ge­gen 2003 mit letz­ter Kraft gegen die nicht UNO-gestütz­te US-Mili­tär­in­ter­ven­ti­on Ope­ra­ti­on Iraqi Free­dom im Irak. Eben­so wand­te sich Bene­dikt XVI. 2011 gegen die UNO-gestütz­te US-Mili­tär­in­ter­ven­ti­on Opé­ra­ti­on Harmat­tan gegen Libyen.

Doch weder Johan­nes Paul II. noch Bene­dikt XVI. sit­zen mehr auf dem Stuhl Petri. Papst Berg­o­glio beeil­te sich sei­nen Wor­ten sofort nach­zu­schie­ben, daß es ‚legi­tim‘ sei, den Angrei­fer zu stop­pen, aber ‚ohne zu bom­bar­die­ren‘ und ohne ‚Krieg zu füh­ren‘. So stellt man sich die bit­te­re Fra­ge, ob er eigent­lich sein Gesicht wah­ren oder das Leben Unschul­di­ger ret­ten will. Wie soll eine bru­ta­le Mör­der­ban­de ohne Waf­fen gestoppt wer­den? Was schlägt der Papst Berg­o­glio vor, um die Schläch­ter zu ‚stop­pen‘? Es wird jene geben, die sofort sagen wer­den, ein Papst kön­ne nicht zur Gewalt auf­ru­fen, selbst dann nicht, wenn es um die Ret­tung Unschul­di­ger geht. Falsch. Seit Jahr­hun­der­ten lehrt die katho­li­sche Glau­bens­leh­re das Recht auf Selbst­ver­tei­di­gung gegen einen unge­rech­ten Angreifer.

Es waren die Theo­lo­gen der Juri­sten­schu­le von Sala­man­ca, wie der Domi­ni­ka­ner Fran­cis­co de Vito­ria, die im frü­hen 16. Jahr­hun­dert genau auf die­ser Grund­la­ge des Natur­rechts das moder­ne Inter­na­tio­na­le Recht begründeten.

Papst Bene­dikt XVI. erin­ner­te 2008 die Ver­ein­ten Natio­nen dar­an: ‚Das Prin­zip der Schutz­ver­ant­wor­tung wur­de vom anti­ken ius gen­ti­um (Völ­ker­recht) als das Fun­da­ment jeder Hand­lung ange­se­hen, die von den Regie­ren­den gegen­über den Regier­ten vor­ge­nom­men wird.‘ Und ver­wies dar­auf, daß der ‚domi­ni­ka­ni­sche Ordens­mann Fran­cis­co De Vito­ria zu Recht als Vor­läu­fer der Idee der Ver­ein­ten Natio­nen ange­se­hen wird‘.

So stell­te Johan­nes Paul II. 1995 in sei­ner Enzy­kli­ka Evan­ge­li­um vitae fest: ‚Ande­rer­seits »kann die Not­wehr für den, der für das Leben ande­rer oder für das Wohl sei­ner Fami­lie oder des Gemein­we­sens ver­ant­wort­lich ist, nicht nur ein Recht, son­dern eine schwer­wie­gen­de Ver­pflich­tung sein«. [1]Kate­chis­mus der Katho­li­schen Kir­che, Nr. 2265 Es geschieht lei­der, daß die Not­wen­dig­keit, den Angrei­fer unschäd­lich zu machen, mit­un­ter sei­ne Tötung mit sich bringt. In die­sem Fall wird der töd­li­che Aus­gang dem Angrei­fer zur Last gelegt, der sich ihm durch sei­ne Tat aus­ge­setzt hat, auch für den Fall, daß er aus Man­gel an Ver­nunft­ge­brauch mora­lisch nicht ver­ant­wort­lich wäre.‘ [2]Hl. Tho­mas von Aquin: Sum­ma Theo­lo­giae, II-II, q. 64, a. 7; Hl. Alfons von Liguo­ri: Theo­lo­gia Mora­lis, 1. III, tr. 4, dub 3

Was Papst Fran­zis­kus wenn schon in den Fuß­stap­fen sei­ner Vor­gän­ger ver­lan­gen müß­te, wäre der ver­hält­nis­mä­ßi­ge und geziel­te Ein­satz von Gewalt, um den Angrei­fer zu ent­waff­nen und das Leben der Ver­folg­ten zu ret­ten. Nicht aber für ande­re Interessen.

Schweigen ein Kind der katho-progressiven Ideologie

Im übri­gen fin­det man in kei­ner ein­zi­gen Stel­lung­nah­me des Pap­stes zum isla­mi­sti­schen Gemet­zel auch nur ein­mal das Wort Islam, Isla­mi­sten oder Mos­lems. Wenn jemand nur die Wor­te des Pap­stes zur Ver­fü­gung hät­te, wür­de er nicht im gering­sten ver­ste­hen, wer für die­se ‚huma­ni­tä­re Tra­gö­die‘ ver­ant­wort­lich ist.

Die­ser schwer­wie­gen­de Wider­wil­le, ist das Ergeb­nis der katho-pro­gres­si­ven Ideo­lo­gie, für die der Dia­log mit den Mos­lems fälsch­li­cher­wei­se als Kapi­tu­la­ti­on ver­stan­den und betrie­ben wird, auch auf psy­cho­lo­gi­scher Ebe­ne. Das geht soweit, daß es katho-pro­gres­si­ve Kom­men­ta­to­ren gibt, die so weit gehen mit Eifer zu wie­der­ho­len, daß die Schläch­ter des Kali­fen nichts mit dem ‚eigent­li­chen‘ Islam zu tun hät­ten und der ‚wah­re‘ Islam etwas ganz ande­res sei. Nur: Die Schläch­ter des Kali­fen zwin­gen ihre Opfer zum Islam über­zu­tre­ten, wenn sie nicht ver­trie­ben oder getö­tet wer­den wollen.

Es ist ver­ständ­lich und rich­tig, daß die Kir­chen­füh­rung nicht den Kon­flikt, die Pole­mik oder gar einen Reli­gi­ons­krieg sucht. Es ist aber auch Pflicht, die Wahr­heit zu sagen und den Gläu­bi­gen ein ernst­haf­tes kul­tu­rel­les Urteil dar­über in die Hand zu geben, was heu­te in der Welt den Chri­sten geschieht. Das gilt vor allem ange­sichts der kul­tu­rel­len Unter­wür­fig­keit vie­ler Katho­li­ken, wo eini­ge es ernst­lich sogar für bedenk­lich, ja ver­werf­lich hal­ten, über­haupt von ‚ver­folg­ten Chri­sten‘ zu spre­chen. Dabei sind die Chri­sten die am stärk­sten ver­folg­te Grup­pe über­haupt weltweit.

Leise Worte des Papstes widerlegen „zumindest“ lautstarke Schwätzer

Trotz allem sind die Wor­te des Pap­stes auf dem Rück­flug von Korea ein Schritt vor­wärts, stets mit der Hoff­nung ver­bun­den, daß ange­sichts der dra­ma­ti­schen Situa­ti­on bald, mög­lichst bald, noch deut­li­che­re und ent­schie­de­ne­re Wor­te fol­gen werden.

Die Wor­te soll­ten unter­des­sen bereits dazu die­nen, eini­gen beim Ord­nen ihrer Gedan­ken zu hel­fen. Auch jenen, die in den ver­gan­ge­nen Tagen sofort mit schar­fen Wor­ten jeden zum Schwei­gen brin­gen woll­ten, der es wag­te, das päpst­li­che Schwei­gen beim Namen zu nen­nen. Und jene, die nicht ver­le­gen waren, gleich­zei­tig zu unter­stel­len, die For­de­rung, die Angrei­fer zu stop­pen, hie­ße, einen Krieg oder gar einen Kreuz­zug zu fordern.

Die päpst­li­chen Wor­te, so lei­se sie auch sein mögen, wider­le­gen zumin­dest auch jene, die laut­stark posaun­ten, daß ‚das Schwei­gen des Pap­stes bedeu­te, daß er noch schlim­me­re Reak­tio­nen ver­mei­den‘ wol­le. Oder ganz gefin­kelt: ‚Wenn der Papst nichts sagt, dann bedeu­tet das, daß er im Gehei­men han­delt‘. Wie­viel Geschwätz, aus­ge­spro­chen von wohl­mei­nen­den und weni­ger wohl­mei­nen­den Leuten.

In Wirk­lich­keit gab man sich im Vati­kan wochen­lang der Illu­si­on hin, daß es noch einen diplo­ma­ti­schen Weg gibt. Doch die Schläch­ter des Kali­fen wol­len nur erobern, zwangs­kon­ver­tie­ren und mas­sa­krie­ren. Genau das haben die mit der wirk­li­chen Lage bestens ver­trau­ten ira­ki­schen Bischö­fe gesagt und dem Vati­kan mit­ge­teilt, der jedoch nicht hören woll­te. Die Bischö­fe teil­ten mit, daß die Schläch­ter nicht ein­mal wüß­ten, was die Wor­te ‚Dia­log‘ oder Diplo­ma­tie bedeuten.

Ein Nachtrag

Und noch ein Nach­trag: In sei­nen Reden wäh­rend des Korea-Besu­ches for­der­te Papst Fran­zis­kus berech­tig­ter­wei­se die gan­ze Kir­che auf, über das Bei­spiel der Mär­ty­rer von gestern und heu­te nach­zu­den­ken und zum Gebet. Völ­lig rich­tig. Die Auf­for­de­rung ist jedoch sehr schwach, wenn er nicht gleich­zei­tig die gan­ze Kir­che auf­for­dert, den Opfern zu Hil­fe zu eilen. Und sie ist schwach ohne jenes tie­fe kul­tu­rel­le Bewußt­sein, das Bene­dikt XVI. jenen zu geben wuß­te, die bereit waren, zuzu­hö­ren. Heu­te hin­ge­gen herrscht die Verwirrung.

Einleitung/​Übersetzung: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Ris­cos­sa Christiana/​Fresko in der Kir­che San Pie­tro di Car­pigna­no Sesi (Nova­ra)

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1 Kate­chis­mus der Katho­li­schen Kir­che, Nr. 2265
2 Hl. Tho­mas von Aquin: Sum­ma Theo­lo­giae, II-II, q. 64, a. 7; Hl. Alfons von Liguo­ri: Theo­lo­gia Mora­lis, 1. III, tr. 4, dub 3
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