(Rom) Papst Franziskus nahm am Sonntag, den 1. Juni am 37. Jahrestreffen der katholischen charismatischen Erneuerung in Italien teil, die dort als Gemeinschaft Rinnovamento nello Spirito Santo (RnS, Erneuerung im Heiligen Geist) organisiert ist. Es war das erste Mal, daß ein Papst an einem solchen Treffen teilnahm. Im Olympiastadion von Rom waren unter den mehr als 50.000 Teilnehmern auch die weltweite Leitung der charismatischen Erneuerung. Die charismatische Bewegung ist in allen Ländern der Erde vertreten. Laut eigenen Angaben, gehören 100 Millionen Katholiken dieser Richtung an. Den Charismatikern empfahl Papst Franziskus zwei Vorbilder: Leo Kardinal Suenens und Helder Câmara. In welches Lager will der Papst die charismatische Erneuerung treiben?
Die Rede des Papstes im Stadio Olimpico verdient nach den offiziellen und inofiziellen Treffen mit evangelikalen Delegationen im Juni und seinem „Privatbesuch“ beim evangelikalen Pastor Giovanni Traettino am 28. Juli in Caserta neue Aufmerksamkeit. Jorge Mario Bergoglio war bereits als Erzbischof von Buenos Aires in der Argentinischen Bischofskonferenz für die charismatische Bewegung zuständig.
Salvatore Martinez, seit 1997 Vorsitzender des RnS sagte zur Begrüßung: „Wir sind geboren unter Paul VI., wir sind herangewachsen und herangereift unter Johannes Paul II. und mit ihnen beginnt nun diese außergewöhnliche missionarische Saison.“ Benedikt XVI. war offenbar für die charismatische Bewegung kein Anstoß, jedenfalls kein erwähnenswerter.
Einige Auszüge aus der Papst-Ansprache:
„In den Mechelner Dokumenten habt ihr eine Leitlinie, einen sicheren Weg, um nicht in die Irre zu gehen. Das erste Dokument ist eine Theologische und Pastorale Orientierung. Das zweite – ‚Charismatische Erneuerung und ökumenische Bewegung‘ – ist aus der Feder von Kardinal Suenens, dem großen Protagonisten des Zweiten Vatikanischen Konzils. Das dritte ist: ‚Erneuerung im Geist und Dienst am Menschen‘, von Kardinal Suenens und Bischof Helder Câmara.“
„Ich erwarte von euch, dass ihr mit allen in der Kirche die Gnade der ‚Geisttaufe‘, der Taufe mit dem Heiligen Geist teilt – ein Ausdruck, der sich in der Apostelgeschichte findet (vgl. 1,5; 11,16).“
„Ihr sollt Zeugnis geben von einer geistlichen Ökumene mit all jenen Brüdern und Schwestern anderer Kirchen und kirchlicher Gemeinschaften, die an Jesus als den Herrn und Erlöser glauben.“
„Erinnert euch: ‚Die Charismatische Erneuerung ist von Natur aus ökumenisch … Die katholische Erneuerungsbewegung freut sich über das, was der Heilige Geist in den anderen Kirchen wirkt‘ (1 Mecheln 5,3).“
„Das freut mich sehr. Ich möchte ihnen auch danken, weil sie bereits das große Jubiläum von 2017 organisieren.“
„Und ich erwarte euch alle, ihr Charismatiker der Welt, um gemeinsam mit dem Papst euer großes Jubiläum am Pfingstfest 2017 auf dem Petersplatz zu feiern! Danke!“
Zwei Modernisten als Vorbilder? – Suenens: „Sei Apostel wie Camara und Mohammed“
Papst Franziskus erwähnte das 1974 auf Anregung von Erzbischof Leon-Joseph Kardinal Suenens von Mecheln-Brüssel zustandegekommene „Mechelner Dokument“. Er nannte als Bezugspersonen für die charismatischen Katholiken mit dem Belgier Kardinal Suenens (1904–1996) und dem linksgerichteten brasilianischen Befreiungstheologen Erzbischof Helder Câmara von Olindo und Recife (1909–1999) zwei umstrittene Kirchenvertreter der jüngsten Kirchengeschichte. Erzbischof Marcel Lefebvre bezeichnete sie 1986 in einem Offenen Brief als „verwirrte Katholiken“.
Beide gehören zu jenem neomodernistischen Teil, der mehr einem ominösen „Geist des Konzils“ verpflichtet war, als dem Konzil selbst. Dabei war Suenens einer der führenden Moderatoren des Konzils und hinter den Kulissen einer der Hauptstrategen der meinungsmachenden progressiven Rheinischen Allianz. Suenens wiederum sagte über seinen „großen Freund“ Camara, dieser habe beim Konzil „hinter den Kulissen eine zentrale Rolle gespielt, obwohl er während der Konzilssessionen nie das Wort ergriff“ (Suenens: Erinnerung & Hoffnung, 2000).
Kardinal Suenens als Verfechter eines „theologischen Pluralismus“ bezeichnete das Zweite Vatikanische Konzil als „Französische Revolution in der Kirche“. Im Sommer 1982 sagte Kardinal Suenens bei einer Bischofsweihe zum neuen Bischof: „Sei ein Apostel wie Gandhi, Helder Câmara und Mohammed!“
Helder Câmaras Agitationspotential: vom Faschisten bis Marxisten
Helder Câmara war in den 1930er Jahren, obwohl bereits Priester, einer der führenden Köpfe des brasilianischen Faschismus, der es gegen den Willen seines Bischofs bis ins Amt des Generalsekretärs der Açâo Integralista Brasileira (AIB), der faschistischen Partei Brasiliens brachte. Ein Unikum, das es sonst weltweit nirgends gab. Ein Kapitel, das er selbst später und die meisten seiner Biographen stillschweigend unterschlugen oder minimierten. 1937 wurde dem brasilianischen Faschismus durch ein Verbot das Ende bereitet, ein Putschversuch 1938 scheiterte. Doch Camara war aufgrund seiner charismatischen Fähigkeiten imstande sich schnell neu zu erfinden, auch innerhalb der Kirche. Seine faschistische Vergangenheit erklärt vielleicht seinen schnellen Schwenk zum Marxismus. Sein Agitationspotential hatte er hinreichend unter Beweis gestellt und die Extreme berühren sich zuweilen.
Der brasilianische Katholik Plinio Correa de Oliveira schrieb zu Câmara: Der brasilianische Episkopat hatte sich „bis 1948 als entschiedener Gegner des Marxismus erwiesen. Doch dann war es im Episkopat zu einem Linksschwenk gekommen, der sich 1952 mit der Bildung einer ominösen „Nationalen Brasilianischen Bischofskonferenz“ und der Wahl Helder Câmaras zu ihrem ersten Generalsekretär noch verstärken sollte. Die Früchte dieser Kehrtwendung ließen nicht lange auf sich warten: Priester bei Demonstrationen, Ordensschwestern im Minirock und führende Linkskatholiken, die sich für die kommunistisch-janguistische Agitation aussprachen.“ Wegen seiner Linkslastigkeit wurde Câmara im Westen hingegen schnell zum unkritisch umjubelten Säulenheiligen. Seine faschistische Vergangenheit, meist ohnehin nicht bekannt, hatte er durch seinen Marxismus reingewaschen.
Camara schaffte es 1948, geistlicher Assistent der Katholischen Aktion zu werden und gründete zu einer Zeit, als es noch keine Bischofskonferenzen gab, eine „Nationale Brasilianische Bischofskonferenz“ (CNBB) und wurde zu deren Generalsekretär. Obwohl diese CNBB letztlich nur aus seiner Person bestand und vom damaligen Nuntius und von acht von mehr als 150 Bischöfen unterstützt wurde, verstand es Câmara in den Medien geschickt den Eindruck zu vermitteln, als würden Stellungnahmen, Vorschläge, Programmprojekte der CNBB die Meinung der brasilianischen Bischöfe wiedergeben. Paul VI. löste 1964 die CNBB auf, machte dafür aber Câmara zum Erzbischof von Olinda und Recife.
Camaras subversive Konzilsbeeinflussung
Câmara, als begnadeter Agitator, verstand es sich im Hintergrund zu halten, während Vertreter der Rheinischen Allianz in der Öffentlichkeit auftraten. Bereits zwei Tage nach Beginn der ersten Konzilssession stellte Camara den von Johannes XXIII. vorbereiteten Texten einen „Geist des Konzils“ entgegen. Nach dem Konzil sollte er das gleiche auch gegen die Konzilsdokumente tun.
Im Hintergrund war es seine Formulierungsgabe, die über den Informationsdienst International Documentation on the Catholic Church (IDOC) maßgeblich beeinflußte, wie die Medien das Konzil wahrnahmen. Und über die Medien wiederum nicht unwesentlich das Konzil beeinflußte. Câmara schuf eine Art subversive Einrichtung zur Beeinflussung des Konzils. Er koordinierte aus der Deckung privilegierte Medienkontakte, organisierte Stimmen für Abstimmungen bei den Konzilssessionen und entwickelte dafür eigene Codierungen, da man nie wisse, wer am Telefon alles mithöre. Kardinal Suenens etwa wurde immer mit dem Codenamen „Pater Miguel“ genannt.
Câmaras Opus Angeli – Modernistische Denkschmiede
Dazu bildete Câmara bis heute ziemlich im Dunkeln liegende Institutionen, wie das ominöse Opus Angeli, als Denkschmiede des Modernismus, dessen Sekretärin Elisabeth Hollants gleichzeitig auch persönliche Sekretärin Câmaras war. Um das Opus kreisten Gestalten wie Hans Küng, der italienische Priester und Politiker Giuseppe Dossetti, der deutsche Moraltheologe Bernard Häring, der österreichische Theologe Ivan Illich. Alles Gestalten des sogenannten „demokratischen Katholizismus“. Die meisten in der Werkstatt des Opus Angeli entwickelten Ideen (zur Kollegialität, Bischofskonferenzen, Kurienreform, Wahl des Papstes durch die Bischofssynode, Beziehungen zu den anderen Religionen, Ökumene, Frauendiakonat, dann auch Frauenpriestertum, Abschaffung des Priesterzölibats) waren so radikal, daß sie auf dem Konzil nicht durchsetzbar waren.
Sofort „mit Vorbereitung des Dritten Vatikanums beginnen“
Auch die Ernennung Câmaras zum Kardinal, die 1965 bereits von seinen Freunden als „notwendig, ja unverzichtbar“ bezeichnet wurde, sollte nie Wirklichkeit werden. Dies, obwohl ein „alter österreichischer Erzbischof“ ihm gesagt habe: „Mir wurde geoffenbart, daß Du einmal Kardinal sein wirst“.
Die größte Niederlage, laut eigenem Bekunden, sah Câmara in der Weigerung Papst Pauls VI., das Konzil zum Thema Verhütungsmittel Stellung nehmen zu lassen. Eine Weigerung, die bereits die Enzyklika Humanae vitae vorwegnahm. Kaum war das Konzil von Paul VI. abgeschlossen worden, forderte Câmara in einem geheimen Rundschreiben seine Freunde und Mitstreiter auf, sofort mit „der Vorbereitung des Dritten Vatikanums zu beginnen“. Da ihm seine Anhänger ein „prophetisches Charisma“ zuschrieben, traf er sich bereits am 13. Oktober 1965 mit hohen Vertretern des Jesuitenordens, um über das Dritte Vatikanische Konzil zu sprechen. Dabei sagte er zu ihnen: „Wenn ihr mich Prophet nennt, müßt ihr es akzeptieren, Lehrer zu sein: Sagt mir also bitte, gibt es irgendein wirklich entscheidendes Argument, das Frauen den Zugang zum Priestertum verbietet, oder handelt es sich nur um ein männliches Vorurteil, das vom Dritten Vatikanum zerschlagen werden kann?“
Camaras Wahn vom „künstlichen Leben“ und sein Kampf gegen Humanae vitae
Bei gleicher Gelegenheit prognostizierte der „Prophet“, daß der Mensch innerhalb von zehn Jahren den Weltraum durchdringen werde mit allen Überraschungen: „Da ich nicht an einen eifersüchtigen Gott glaube, der Angst vor dem eigenen Schatten hat und die Macht fürchtet, die er seinem Mit-Schöpfer gewährt hat, glaube ich, daß der Mensch künstliches Leben schaffen wird, daß ihm die Auferweckung der Toten gelingen wird und er den alten Traum von Voronoff verwirklichen wird“. (Serge Voronoff, 1866–1951, ein russischer Arzt, der französischer Staatsbürger wurde, und der behauptete, mirakulöse Erfolge bei der Verjüngung von männlichen Patienten erreicht zu haben durch Verabreichung von Genitalextrakten von Affen.)
Die Enzyklika Humanae vitae kritisierte Câmara als „Fehler“ und „auf ihre Art als neue Verurteilung Galileis“, ja sogar als „Mord des Konzils“, als „praktische Leugnung der Kollegialität“, als „faktische Annullierung der Ökumene“. Câmara verfaßte ein Spottgedicht gegen die katholische Lehre über die Frauen als „Opfer“ derselben, weil sie „gezwungen“ seien, Kinder zur Welt zu bringen. Der Spott beginnt mit den Versen:
„Kinder, Kinder, Kinder…
Wenn es die Freude ist, die du willst
(aber was bleibt dir Arme anderes übrig?)
du mußt zeugen,
du mußt zeugen!“
Das „dichterische“ Schaffen Câmaras endet mit einer Anrufung der Gottesmutter, Gott Vater zu bitten, „nicht an der Geburt von Monstern mitzuwirken“.
Die Spottreime des „profiliertesten brasilianischen Kirchenvertreters des 20. Jahrhunderts“ zeigen, welch tiefer und radikaler Widerspruch sich kirchenintern gegen Humanae vitae formierte.
Camaras Interpretation von Fatima
Im Gegensatz zu den meisten seiner progressiven europäischen Mitstreiter im Bischofsamt glaubte Câmara an die Botschaften von Fatima (1917). Allerdings interpretierte er sie in seinem Sinn. Die von der Gottesmutter erwähnte Bekehrung Rußlands verstand er nicht als Ende der Sowjetunion, sondern nur als Ende der atheistischen, aber nicht der kommunistischen Sowjetunion. Câmara schrieb: „Die kommunistischen Massen werden jubeln am Tag, an dem sie erkennen werden, daß sie Gott und das ewige Leben nicht leugnen müssen, um die Menschen lieben und die Gerechtigkeiten im irdischen Leben verteidigen zu können.“ Die Zitate von Câmara sind dem Aufsatz „Come i progressisti non vinsero al Concilio“ (Wie die Progressiven das Konzil nicht gewannen) des Rechtssoziologen Massimo Introvigne entnommen.
Papst Franziskus und Gioacchino da Fiore
Tatsache ist, daß Leo Suenens und Helder Câmara jene beiden Teilnehmer am Zweiten Vatikanischen Konzil waren, die am häufigsten von „charismatisch“, „Pfingstbewegung“ und „Neuem Pfingsten“ sprachen. Eine Richtung, der eine ungeklärte Nähe zur Häresie eines Joachim da Fiore anhaftet (siehe eigenen Bericht Das neue Zeitalter des Geistes? – Pater Cantalamessa, Papst Franziskus und Joachim da Fiore. Suenens und Camara wurden den charismatischen Katholiken von Papst Franziskus als einzige namentliche genannte Vorbilder hingestellt.
Das „Jubiläum“ im Jahr 2017, für dessen Vorbereitung der Papst bereits dankte, bezieht sich auf 50 Jahre katholischer Charismatismus. 1967 ereignete sich bei einem Treffen an der Universität Duquesne in Pennsylvania jene Initialzündung, die unter protestantischer Anleitung zur Gründung der Charismatischen Erneuerung in der Katholischen Kirche führte.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Wikicommons (Montage)