Die Görres-Gesellschaft veranstaltete Ende 2012 im Vatikan eine Tagung zum Thema der römischen Liturgiereformen „von Trient bis zum Vaticanum II“. Inzwischen wurde der fast 400 Seiten starke Tagungsband mit dem Titel „Operation am lebenden Objekt“ von Stefan Heid im „be.bra wissenschaft verlag“ herausgegeben. Ziel des Buches sei es, schreibt Heid, Direktor des Römischen Instituts der Görres-Gesellschaft in seinem Vorwort, „Selbstverklärungen zu hinterfragen und das Zweite Vatikanische Konzil nicht als vom Himmel gefallenen Meteor und überhaupt als erste Liturgiereform, die den Namen verdient, zu sehen. Vielmehr soll das Vatikanische Konzil in seinem Bezug zum Trienter Konzil betrachtet werden, an dessen Liturgiereform es anknüpft und ohne das es nicht zu verstehen ist.“ Nach dem Konzil von Trient habe es eine „Säuberung bisheriger liturgischer Gewohnheiten“ gegeben, während das Zweite Vatikanum „eine beispiellose, tief einschneidende Liturgiereform“ hervorgerufen habe.
Insgesamt für Beiträge sind in „Operation am lebenden Objekt“ aufgenommen worden, die in vier Hauptteile untergliedert sind. Zunächst geht es unter dem Stichwort „Quelle & Höhepunkt“ um „die theologische Herausforderung einer jeden Reform“, angefangen mit einem Aufsatz von Kurt Kardinal Koch, Präsident des Päpstliches Rates zur Förderung der Einheit der Christen, mit einer Diskussion der Liturgiereformen aus ökumenischer Sicht. Es sei deutlich, so Koch, daß „die Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils noch keineswegs abgeschlossen ist, daß es vielmehr auch heute einer liturgischen Erneuerung bedarf, die heute erst recht in einer ökumenischen Perspektive zu verwirklichen“ sei. Die Liturgie müsse orthodoxer werden, wobei er damit den ursprünglichen Wortsinn meine, wonach „‚doxa‘ in erster Linie nicht ‚Meinung‘, sondern ‚Herrlichkeit‘ bedeutet, so daß unter ‚Orthodoxie‘ die rechte Weise, Gott zu verherrlichen, zu verstehen ist.“ Mit jenem „Lernen der rechten Weise der Anbetung“ stehe und falle jede Liturgie.
Im zweiten Abschnitt, „Barock & Antibarock“, geht es im Prinzip um künstlerische Gesichtspunkte der Liturgiereformen. Hier ist besonders der Beitrag von Christian Hecht zu erwähnen, der wohl von allen Autoren zu dem vernichtendsten Urteil kommt. Denn nach einer Diskussion der nachtridentinischen Entwicklung stellt er fest: „Hier könnte man enden. Jedoch sei noch ein kleiner Ausblick gewagt, denn es drängt sich auf, die nachtridentinischen Verhältnisse mit den Verhältnissen nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil zu vergleichen. […] An dieser Stelle soll nur versucht werden, über den – unübersehbaren – Bruch nachzudenken, den es nach dem Konzil in der katholischen Bild- und Kunstpraxis gab. Dieser Bruch kam nicht unerwartet, er hatte sich spätestens seit der Zeit der Aufklärung vorbereitet.“ Zwar hätten die Konzilsväter den nachkonziliaren „Bildersturm“ nicht explizit gefordert: „Sie haben ihn aber dadurch begünstigt, daß die Liturgiekonstitution kein klares Bekenntnis zur Bewahrung der Tradition der Bilder enthält.“ Es bestehe jedoch Hoffnung, daß der Bruch noch heilbar sei. Rückblickend schließt Hecht, „daß die sakrale Kunst seit den 1960er Jahren vergeblich den jeweils aktuellen Trends nachfolgte, die immer schon vorüber waren, bevor man sich ihnen anpassen konnte“.
Teil drei von „Operation am lebenden Objekt“ steht unter dem Motto „Rubriken & höhere Prinzipien“ und beschäftigt sich mit der „Reformdynamik“ im Umfeld des Zweiten Vatikanums. Dort findet sich auch ein Beitrag des legendären Alcuin Reid, der in traditionalistischen Kreisen sehr geschätzt ist und die Rubriken kennt wie kaum jemand sonst. Reid schreibt über zwei zentrale Punkte in der Liturgiekonstitution „Sacrosanctum Concilium“, jenen nämlich der Teilnahme und jenen der Bildung: „Wenn wir nun 50 Jahre nach dem Konzil zu den Wurzeln der liturgischen Reform zurückkehren, tun wir gut daran, weiter die Geschichte der liturgischen Teilnahme zu erforschen und zu untersuchen, wie die zur aktiven Teilnahme notwendige Bildung im Lauf der Geschichte gewährleistet wurde. Daraus könnten sich hilfreiche Hinweise auf Wege ergeben, die sich für die Kirche des beginnenden 21. Jahrhunderts zu beschreiten lohnten; oder auch Hinweise auf Wege, die man besser nicht gegangen wäre und die man in Zukunft vermeiden sollte.“
Schließlich wird innerhalb des Abschnitts „Erneuerung & Entsorgung“ ein kritischer Blick auf exemplarische Baustellen von Liturgiereformen geworfen, sei es auf die Entwicklung der Ostervigil oder auf das Offertorium. Der letzte Beitrag stammt vom Herausgeber des Buches, Stefan Heid, und beschäftigt sich mit der Frage, ob die heilige Messe in der Frühkirche auf einem Tisch oder einem Altar zelebriert wurde und welche Auswirkungen dies auf die heutige Liturgie hat oder haben sollte. Sogenannten modernen Theologen müsse man häufig eine „Minimalisierung des kultischen Charakters des Christentums“ vorwerfen: „Das Christentum sei ursprünglich eine religiöse Bewegung ohne Kult gewesen. Entsprechend habe der eucharistische Tisch genauso wenig wie der Abendmahlstisch einen sakralen Charakter besessen. Erst als man einen bestimmten Tisch dauernd für die Eucharistie benutzte, sei er sakralisiert worden.“ Demgegenüber ist Heid in der Lage, sogar mit der Heiligen Schrift auf eine Sakralität des „eucharistischen Tischs“ hinzudeuten. Auch die vor einigen Jahrzehnten als wissenschaftlich angesehene Behauptung, die frühen Christen hätten einen Volksalter verwendet, kann Heid mit neuesten archäologischen Erkenntnissen widerlegen. Entsprechend urteilt er: „Man hätte zuweilen mehr auf die gesunde Tradition […] als auf den letzten Schrei der Wissenschaft hören sollen.“
Andere bekannte Autoren, die zu „Operation am lebenden Objekt“ beigetragen haben, sind etwa Manfred Hauke, Helmut Hoping, Harm Klueting und Uwe Michael Lang. Es bleibt zu erwähnen, daß einige Beiträge nicht so leicht zu lesen sind wie etwa jener von Stefan Heid. Nichtsdestotrotz sind sie allesamt lesenswert, auch wenn nicht jeder, der sich als Traditionalist betrachtet, allen Thesen und Schlussfolgerung zustimmen wird.
Heid, Stefan: Operation am lebenden Objekt. Roms Liturgiereformen von Trient bis zum Vaticanum II, 392 Seiten, 32,- €