Im Katechismus heißt es über die geeigneten Orte des Gebets (KKK 2691): „In einer christlichen Familie begünstigt eine solche Gebetsstätte das gemeinsame Beten.“ Das Wort Gebetsstätte heißt im Original „parvum oratorium“, was der englische Text besser mit „little oratory“ wiedergibt. „The Little Oratory“ ist auch der Titel eines neuen, bei „Sophia Institute Press“ erschienenen Juwels, das ein Leitfaden für Anfänger ist, um in der Heimstatt zu beten. Auf rund 200 Seiten beantworten die Autoren David Clayton, Professor am Thomas More College, und Leila Marie Lawler von „Like Mother Like Daughter“ die Frage, wie man katholisch lebt zwischen den Gottesdiensten, an denen man in der Kirche teilnimmt. Beide Autoren sind Konvertiten, so daß dieses einheitliche Glaubensleben für sie nicht wie selbstverständlich in der eigenen Familie praktiziert wurde. In unserer immer weltlicheren Gesellschaft ist „The Little Oratory“ eine große Hilfe jedoch auch für solche, die in einem mehr oder weniger christlichen Heim aufgewachsen sind. Es ist für den Nicht-Muttersprachler die Mühe wert, hin und wieder ein Wörterbuch zur Hand zu nehmen, um „The Little Oratory“ zu lesen, wobei simple Schulkenntnisse der englischen Sprache zum Verständnis des Buches genügen sollten.
Clayton und Lawler schreiben: „Mit diesem Buch sind wir daran interessiert, das kleine Oratorium, wie es der Katechismus nennt – Gebetstisch, Hausaltar oder Ikonenecke –, im Heim wiederzubeleben. Es ist eine beinahe verlorene Tradition, die eine einfache und schöne Brücke zwischen diesen beiden Orten – Heim und Kirche – sein kann um des Glaubenslebens der Familie willen, und entsprechend für dieses ganze Projekt, welches das Leben des Christen ist.“ Zunächst beschreiben die Autoren das Verhältnis von Familie und Heimstatt. So sei das Heim eine Schule der Schönheit: „Die Erkenntnis der Schönheit bewegt uns, das zu lieben, was wir sehen. Wir sind davon angezogen, und dann darüber hinaus von der Quelle, Gott.“
Das dritte Kapitel beschäftigt sich sozusagen mit den materiellen Aspekten des kleinen Oratoriums: Von der Frage, ob Tisch oder Regal über welche Decken zu verwenden sind bis hin zum Stil der Bilder und der Verwendung von Weihrauch. Dabei legen die Autoren immer wieder darauf wert, daß es sich nur um Anregungen handelt: „Einige Heimstätten sind groß genug für eine Kapelle! Einige werden nur ein kleines Regal oder die Mitte ihres Eßtischs haben.“ Nicht für jede Familie ist alles machbar, und schon gar nicht von jetzt auf gleich. Schönheit gilt als Maßstab, denn sie vermittle „mehr vom Glauben als alles andere“. Natürlich bedeutet Schönheit nicht Opulenz, vielmehr liegt sie häufig gerade in der Einfachheit.
Um das liturgische Jahr geht es im nächsten Kapitel, wobei hier hauptsächlich auf die liturgischen Jahreszeiten eingegangen wird, während im folgenden fünften Kapitel das Breviergebet, und damit die liturgischen Tageszeiten angesprochen werden. Tatsächlich, die Autoren empfehlen, das Breviergebet in das Familienleben einzubauen. Erneut gilt, nichts zu überstürzen, sondern mit einer einzelnen Gebetszeit, etwa der Komplet, zu beginnen. Clayton und Lawler empfehlen einige englische Ausgaben für die sogenannte ordentliche Form – für den deutschsprachigen Leser weniger relevant –, erwähnen jedoch auch lobend die überlieferte Liturgie, wobei sie einräumen, daß bei täglich sich ändernden Gebeten der Gebrauch der Landessprache mehr Sinn macht als bei der heiligen Messe, die in weiten Teilen gleich bleibt.
Im sechsten Kapitel beschreiben die Autoren in Kürze das Prinzip der „lectio divina“, bevor sie im siebten auf diverse Andachtsübungen zu sprechen kommen. An jedem Tag gibt es ein bestimmtes Geheimnis zu betrachten – am Donnerstag etwa das Priestertum und die Eucharistie –, wie auch jeder Monat einen bestimmten Charakter hat – im Juni ist es beispielsweise das heiligste Herz Jesu. Die populärste Andacht in der Kirche dürfte der Rosenkranz sein, worum es im achten Kapitel geht: „[…] bedenken Sie die wirkliche Bedeutung, Erklärungen und Belehrungen einzuschränken. Diese gehören hauptsächlich in Nicht-Gebetszeiten. Unserer Kultur ist geplagt durch Erklärungen. Wir haben die Fähigkeit verloren, der Erfahrung zu erlauben, der Lehrer zu sein. Und wir haben gewiß jegliche Geduld für jene Art des Lernes verloren, die mit der Praxis kommt. Wir bauen auf Worte in einer technischen Weise, als stumpfe Instrumente zur Unterweisung. Wir bauen nicht auf die Bedeutung, die in rituellen Worten, die man mit der Zeit lernt, beinhaltet ist.“ Während für die heilige Messe ein Priester zwingend notwendig ist, so ist das familiäre Gebet im kleinen Oratorium nicht auf einen solchen angewiesen.
Im neunten Kapitel machen Clayton und Lawler die politisch nicht ganz korrekte Feststellung, daß es Aufgabe des Vaters als Haupt der Familie ist, im Gebet zu führen. Doch auch die Rollen von Mutter und Kindern werden diskutiert. Wertvoll ist das umfangreiche zehnte Kapitel, das sich mit den zahlreichen Schwierigkeiten beschäftigt, die auftreten können und werden, wenn man ein familiäres Gebetsleben aufbaut. Abschließend heben die Autoren den Einfluß hervor, den eine Verwandlung der Heimstatt auf eine Verwandlung der Welt haben kann.
Eine Reihe von Anhängen schließt sich an die „Substanz“ des Buches an, wobei hier besonders lobend jener zum Thema des gregorianischen Gesangs zu erwähnen ist. „Selbst Sie können singen!“, ist der Anhang überschrieben und gibt dem Leser viele praktische Ratschläge. Der Anfang ist die Rezitation eines Textes auf einer Note – recto tono –, und von dort aus können einfache Melodien langsam erlernt werden. „[…] Choral wird hauptsächlich am besten durch Hören und Praxis erlernt.“
Eine letzte Bemerkung zur künstlerischen Gestaltung von „The Little Oratory“: David Clayton ist als Maler bekannt und hat einige Ikonen beigesteuert, die sich am Ende des Buches befinden und herausnehmbar sind. Zudem ist am Beginn jedes Kapitels eine Ikone, die von Kindern ausgemalt werden kann. Im Internet stehen sie interessierten Familien übrigens auch zur Verfügung, um sie selbst auszudrucken. Deirdre M. Folley, Tochter von Leila Marie Lawler, hat viele reizende kleine Bleistift-Illustrationen beigesteuert, die über das ganze Buch verstreut sind. Ein Exemplar von „The Little Oratory“ gehört in jede Familie. Eine deutsche Übersetzung ist nicht nur wünschenswert – sie ist dringend nötig!
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