Die auf den Kopf gestellte Kirche – Erste Analyse des Pontifikats von Papst Franziskus


Papst Franziskus mit Angela Merkel
Papst Fran­zis­kus mit Ange­la Merkel

(Rom) Kann es sein, daß ein „eme­ri­tier­ter Papst“, so sehr er ein Ver­tre­ter des Kon­zils sein mag, ruhi­gen Gewis­sens die Ver­un­stal­tung des Herrn, der Kir­che, des Papst­tums und des sen­sus fidei des treu­en Vol­kes mit­an­se­hen kann, wie jene des Fron­leich­nams­fe­stes, nach­dem wir bereits jene des Grün­don­ners­tags und von Pfing­sten erle­ben muß­ten? Kann es sein, daß Bischö­fe und Prie­ster wei­ter­hin schwei­gen? Ein Leser schrieb: „Es ist eine Schan­de, daß kein Prä­lat, kei­ner, weder einer im Dienst noch einer in Pen­si­on, laut sei­ne Stim­me erhebt und sagt: Schluß damit!“ Statt des­sen sind alle flei­ßig dabei, die­sel­be Rich­tung ein­zu­schla­gen und sich als füg­sa­me und gehor­sa­me Lini­en­treue zu erklä­ren. Ob das aus Furcht oder aus Zustim­mung geschieht, wird in den Augen Got­tes wenig ändern.

Laien erheben Stimme, Prälaten schweigen

Anzei­ge

Statt den Prä­la­ten und Prie­stern erhe­ben immer­hin Lai­en ihre Stim­me und schrei­ben, den­ken und machen Vor­schlä­ge. Eine der ersten, kräf­tig­sten und bedeu­tend­sten war die zu früh ver­stumm­te Stim­me des Rechts­phi­lo­so­phen Mario Palmaro.

Eine ande­re Stim­me ist jene von Enri­co Maria Radael­li, einem Schü­ler des Theo­lo­gen Roma­no Ame­rio. Peri­tus beim Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil des Bischofs von Luga­no und Bera­ter von Kar­di­nal Giu­sep­pe Siri, wur­de Ame­rio immer mehr zu einem kraft­vol­len Kri­ti­ker des kam­pa­gnen­haft zum „neu­en Weg“ sti­li­sier­ten „Aggior­na­men­to“. Der Phi­lo­soph Radael­li leg­te soeben sein neu­es Buch „Die auf den Kopf gestell­te Kir­che“ vor, mit dem Unter­ti­tel „Meta­phy­si­sche Unter­su­chung über die Theo­lo­gie, die Form und die Spra­che des Lehr­am­tes von Papst Fran­zis­kus“. Das Vor­wort stammt vom Phi­lo­so­phen und Prie­ster Anto­nio Livi, Grün­der der Inter­na­tio­nal Sci­ence and Com­mon­sen­se Asso­cia­ti­on (ISCA).

Kann man die Liebe Gottes ohne Sein Gesetz lehren?

„Der Herr, wie wir aus der Offen­ba­rung wis­sen, hat das Gesetz der Lie­be auf die Erde gebracht. Nun kann man sich die Fra­ge stel­len: Gibt es einen Unter­schied zwi­schen dem, daß man das Gesetz der Lie­be lehrt oder die Lie­be ohne ihr Gesetz lehrt?“, schreibt Radaelli.

Die chronik­haf­ten, häu­fig ober­fläch­li­chen und inter­es­sen­ge­lei­te­ten Hur­ra-Schrif­ten über das neue Pon­ti­fi­kat lie­gen im Dut­zend auf dem Bücher­tisch. Radael­li leg­te nun die erste umfas­sen­de Ana­ly­se der ersten neun Mona­te des Lehr­am­tes von Papst Fran­zis­kus vor. Er stellt dabei die Fra­ge, für „wel­che Reform“ Papst Fran­zis­kus steht. Im ersten Teil sei­ner Unter­su­chung zeigt der Phi­lo­soph auf, daß die „Barm­her­zig­keit“, die in der Spra­che des Pap­stes omni­prä­sent ist, im lan­gen Leben der Kir­che durch die Jahr­hun­der­te immer üppig vor­han­den und wirk­sam war. Der Schü­ler Ame­ri­os führt jedoch den Beweis, daß eine Lie­be ohne ihr Gesetz – wenn es mög­lich wäre, was es aber nicht ist – Gefahr läuft, sogar das Wesen der Kir­che umzu­stür­zen und auf den Kopf zu stellen.

Radaelli Die auf den Kopf gestellte Kirche
Radael­li Die auf den Kopf gestell­te Kirche

Der Autor plä­diert für eine ganz ande­re Lösung, um die Kir­che in der wah­ren Form ihrer Leh­re zu bewah­ren: der Barm­her­zig­keit sei das Maxi­mum ein­zu­räu­men, wie es in der Kir­chen­ge­schich­te immer der Fall war und nicht das Mini­mum, wie es Papst Berg­o­glio leicht zur Hand gehend anbietet.

Papst Franziskus und eine Kirche nach dem Geschmack der Welt

Radael­li stellt zunächst Über­le­gun­gen zum päpst­li­chen Lehr­amt in sei­ner Gesamt­heit an, dann zu sei­nen Aus­wir­kun­gen im lit­ur­gi­schen Ritus (lex cre­den­di, lex oran­di) und schließ­lich zu den vier bedeu­tend­sten Hand­lun­gen in den ersten neun Mona­ten des Pon­ti­fi­kats: der Enzy­kli­ka Lumen Fidei (von Papst Fran­zis­kus unter­zeich­net, aber in Wirk­lich­keit von Papst Bene­dikt XVI. ver­faßt); dem Inter­view mit der Civil­tà  Cat­to­li­ca, dem Inter­view mit Euge­nio Scal­fa­ri und dem Apo­sto­li­schen Schrei­ben Evan­ge­lii Gau­di­um. Dar­aus, so der Autor, gehe eine deut­li­che Dys­to­nie zwi­schen der Kir­che, die Papst Fran­zis­kus ganz nach dem Geschmack der Welt baut, und der frü­he­ren Kir­che her­vor, die immer­hin die Kir­che Chri­sti ist.

Großer Kampf zwischen den „neuen Starken“ und den „immer Schwächeren“

Es sei offen­sicht­lich, daß die Kir­che heu­te auf einen Kampf zusteu­ert, der jenem des Gro­ßen Krie­ges ähnelt: ein tota­ler Kampf im Schüt­zen­gra­ben zwi­schen den Ver­tei­di­gern der Rech­te der „neu­en Star­ken“ (wie­der­ver­hei­ra­tet Geschie­de­ne, Homo­se­xu­el­le, Gen­der-Peo­p­le, die „Eltern um jeden Preis“) und den Ver­tei­di­gern der Rech­te der „immer Schwä­che­ren“ (die Kin­der der Wie­der­ver­hei­ra­te­ten, die von Homo­se­xu­el­len adop­tier­ten Kin­der, die Kin­der aus dem Reagenz­glas, die unge­bo­re­nen Kin­der, die abge­trie­ben wer­den), also zwi­schen Papst Berg­o­glio und den Ver­tei­di­gern der Tra­di­ti­on und des Dog­mas. Der Schüt­zen­gra­ben ist das Kat­echon, die Schnur des Geset­zes und des Dog­mas, die der Gno­sti­ker Mas­si­mo Cac­cia­ri [1]Phi­lo­soph, 1993–2000 und 2005–2010 Bür­ger­mei­ster von Vene­dig, Trä­ger des Groß­of­fi­ziers­kreu­zes des Ver­dienst­or­dens des Sou­ve­rä­nen Mal­te­ser­or­dens durch­tren­nen möch­te. Soll­te Papst Berg­o­glio sein Vor­ha­ben gelin­gen, so der Autor, wäre das das Ende der Kir­che. Radael­li weist jedoch nach, daß es einen, nur einen ein­zi­gen Weg gibt, damit das auch die­ses Mal nicht gelingt – ja nicht ein­mal die­ses Mal.

Die Inhalts­an­ga­be des Buches im Auszug:

  • Das schnel­le (und aus dem Gleich­ge­wicht brin­gen­de) Lehr­amt von Papst Franziskus
  • Der statt­fin­den­de „Krieg der For­men“. Wie­der ein­mal Kir­che gegen Kir­che, wie in Niz­äa und in Kon­stanz. Dies­mal jedoch in ihrer Form
  • Kann der Apo­sto­li­sche Stuhl kri­ti­siert wer­den: Mög­lich­keit, Bedin­gun­gen und Grenzen
  • Die Gna­de, der Grund­satz des Nicht-Wider­spruchs, die For­men des Lehr­amts und ihre mög­li­chen Unter­las­sun­gen gegen den Hei­li­gen Geist
  • Die Gna­de des Hei­li­gen Gei­stes und Papst Franziskus
  • „Anders Fran­zis­kus“ und „anders Papst“
  • Das „Anders­sein“ von Fran­zis­kus als Matrix für ein par­al­le­les, ver­steck­tes, infor­mel­les Lehr­amts das das offi­zi­el­le kontrolliert
  • Das „Lehr­amts­sy­stem“ von Papst Fran­zis­kus: nicht mehr nur Wor­te, son­dern Gesten, Sym­bo­le, Mime­sis, Schweigen
  • Das Lehr­amt von Papst Fran­zis­kus: aus Geist oder Fleisch?
  • „Weder gegen Rom noch ohne Rom, son­dern mit Rom und in Rom“: ob und wie man auf die Kir­che von innen, inner­halb ihrer eige­nen (dog­ma­ti­schen) Mau­ern schie­ßen kann.
  • Ist die „pasto­ra­le“ Form des Zwei­ten Vati­ka­nums ein Miß­brauch und kann sie als sol­cher einen gefähr­li­chen Prä­ze­denz­fall darstellen?
  • „Weder gegen die Lie­be noch ohne die Lie­be, son­dern mit der Lie­be und in der Lie­be“: der Beginn der „Dis­lo­zie­rung der gött­li­chen Monotriade“
  • Die fünf stra­te­gi­schen Kom­po­nen­ten, an denen das End­ziel des Lehr­am­tes von Papst Fran­zis­kus erkenn­bar wird
  • War­um der so geschätz­te Anti­re­la­ti­vist Papst Bene­dikt XVI. ein hal­bier­ter Anti­re­la­ti­vist ist
  • Der zwei­te Teil des Buches befaßt sich mit der Enzy­kli­ka Lumen fidei.
  • Der drit­te Teil befaßt sich mit der Fra­ge: „Wenn schon lex minus cre­den­di, dann auch lex minus orandi“
  • Die seit 50 Jah­ren zu weni­ger Wahr­heit gezwun­ge­ne Kir­che, bringt auch weni­ger Schön­heit und weni­ger Anbe­tung hervor
  • Zwei­tes Vati­ka­num und Novus Ordo Mis­sae als Letzt­fol­gen der in den 20er Jah­ren begon­ne­nen lit­ur­gi­schen Eiszeit
  • War­um kann das Recht auf „immer­wäh­ren­de Zele­bra­ti­on“ des Römi­schen Ritus nicht ein­mal vom Papst abge­schafft werden?
    Es gehört zur Gehor­sams­pflicht gegen­über der gött­li­chen Wirk­lich­keit, unge­rech­ten Befeh­len eines Vor­ge­setz­ten zu wider­ste­hen, und sei es der Papst selbst
  • Wenn in der Kir­che die Vor­ge­setz­ten Gott (der Wirk­lich­keit) nicht gehor­chen, müs­sen zumin­dest die Unter­ge­be­nen gehorchen
  • Der vier­te Teil befaßt sich mit dem Lehr­amt in den ersten neun Mona­ten des Pon­ti­fi­kats von Papst Franziskus
  • Die lehr­amt­li­che Metho­de der „auf­ge­ris­se­nen Fen­ster“ der Inter­views von Papst Franziskus
  • Civil­tà  Cat­to­li­ca-Inter­view: Was heißt „Chri­stus im Mit­tel­punkt haben“
  • Civil­tà  Cat­to­li­ca-Inter­view: Die Kir­che als „Feld­la­za­rett“
  • Civil­tà  Cat­to­li­ca-Inter­view: Die Kir­che und die „sozia­len Verwundeten“
  • Civil­tà  Cat­to­li­ca-Inter­view: Die Kir­che und die „Restau­ra­tio­ni­sten“
  • Zwei leich­te Schmet­ter­lin­ge flie­gen glück­lich von Blu­me zu Blu­me: das Nicht-Inter­view von Papst Scal­fa­ri mit Papst Bergoglio
  • Das Nicht-Inter­view von Papst Scal­fa­ri: „Das größ­te Pro­blem, das die Kir­che vor sich hat“
  • Das Nicht-Inter­view von Papst Scal­fa­ri: „Jeder hat sei­ne Vor­stel­lung von Gut und Böse“
  • Das Nicht-Inter­view von Papst Scal­fa­ri: „Sich der moder­nen Kul­tur öffnen“
  • Das Nicht-Inter­view von Papst Scal­fa­ri: „Es gibt kei­nen katho­li­schen Gott. Es gibt Gott.“
  • Evan­ge­lii gau­di­um: Soll­te das Dog­ma für die Kir­che nicht ein Gut sein?
  • Evan­ge­lii gau­di­um: „Offe­ne“ Leh­re einer „offe­nen“ Kir­che für „offe­ne“ Sakramente
  • Evan­ge­lii gau­di­um: Der „öku­me­ni­sche Dialog“
  • Evan­ge­lii gau­di­um: Die Kir­che und die bei­den „rei­nen“ Mono­the­is­men – das tal­mu­di­sche Juden­tum und der Islam
  • Der fünf­te Teil umfaßt die Schluß­fol­ge­run­gen des Autors.

Anga­ben zum Buch: Enri­co Maria Radael­li: La Chie­sa ribal­ta­ta, Edi­zio­ne Gon­do­lin, Vero­na 2014, S. 313 + XXI. € 22,50, als e‑Book € 15,00
Das Buch kann auch direkt beim Autor bestellt wer­den: info [a] enri​co​ma​ri​a​radael​li​.it

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Con­ci­lio e Postconcilio

 

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1 Phi­lo­soph, 1993–2000 und 2005–2010 Bür­ger­mei­ster von Vene­dig, Trä­ger des Groß­of­fi­ziers­kreu­zes des Ver­dienst­or­dens des Sou­ve­rä­nen Malteserordens
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Katho­li­sches war die erste katho­li­sche Publi­ka­ti­on, die das Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus kri­tisch beleuch­te­te, als ande­re noch mit Schön­re­den die Qua­dra­tur des Krei­ses versuchten.

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