(Vatikan) Ein Phänomen des Pontifikats von Papst Franziskus sind freimütige 360 Grad-Wortmeldungen von Kirchenvertretern. Nach Begegnungen mit dem Papst unter Ausschluß der Öffentlichkeit treten sie vor die Kameras, um für ihre persönliche Agenda zu werben, tun dies jedoch unter Berufung auf den Papst. Was davon Papst Franziskus tatsächlich teilt oder unterstützt, läßt sich nicht überprüfen. Die Vorgangsweise, die das Gegenteil der einst gerühmten kirchlichen Diskretion ist, stiftet jedenfalls gehörig Verwirrung. Zwei der jüngsten Beispiele. Am 4. April wurde Bischof Erwin Kräutler und am 10. April der brasilianischen Befreiungstheologe Frei Betto vom Papst empfangen. Beide waren anschließend sehr gesprächig.
Bischof Kräutler zum Priestermangel: Verheiratete Männer weihen
Am 4. April wurde der österreichische Missionsbischof Erwin Kräutler von Papst Franziskus empfangen. Msgr. Kräutler (Jahrgang 1939) ist seit 1981 Bischof der Territorialprälatur Xingu im brasilianischen Amazonas, wo er seinem Onkel Erich Kräutler aus demselben Orden nachfolgte. Erwin Kräutler ist zudem Vorsitzender des Indianermissionsrats der Brasilianischen Bischofskonferenz. Der Bischof gehört dem Orden der Missionare vom Kostbaren Blut (CPPS) an. Der Bischof, dessen Orden im deutschen Sprachraum gute Priester hervorgebracht hat, ist wegen seines Einsatzes für den Regenwald und die Amazonasindianer Liebkind der linken Schickeria. Er soll Papst Franziskus bei der Abfassung einer Enzyklika zum Thema Ökologie behilflich sein.
Nach der Privataudienz beim Papst trat Bischof Kräutler vor die Öffentlichkeit und erklärte in den Salzburger Nachrichten vom 8. April, er und der Papst hätten über die Zulassung von viri probati, von verheirateten Männern zum Priestertum gesprochen. Laut Kräutler habe ihm Papst Franziskus zugestimmt und gesagt, daß er sich durchaus vorstellen könne, daß verheiratete Männer zu Priestern geweiht werden, wenn die Bischöfe damit einverstanden sind. Damit brachte Kräutler erneut eine Diskussion in Gange, die eigentlich als erledigt betrachtet wurde. Seit dem argentinischen Pontifikat tauchen diese und andere Themen der progressiven Wunschliste immer wieder auf. Im vergangenen Sommer war es der damalige Nuntius für Venezuela, der soeben von Papst Franziskus zum neuen Staatssekretär ernannte Erzbischof Pietro Parolin, der die Diskussion um die Abschaffung eines verpflichtenden Zölibats lostrat, ohne selbst Partei zu ergreifen.
Papst: Bischöfe sollen sich einigen und Lösungen vorschlagen
Laut Kräutlers Worten würde Papst Franziskus den Bischofskonferenzen in dieser Frage eine entscheidende Rolle zukommen lassen. Sie sollten entscheiden, ob sie es für angemessen erachten, auch verheiratete Männer zu weihen. Er, Kräutler, habe in seiner flächenmäßig großen Diözese viel zu wenig Priester zur Verfügung. An vielen Orten könne lediglich zwei, drei Mal im Jahr eine Heilige Messe zelebriert werden. Immer laut Kräutlers Darstellung habe der Papst zu verstehen gegeben, daß nicht Rom alles entscheiden könne, sondern die „nationalen und regionalen Bischofskonferenzen“ sich auf Reformen einigen und Rom Vorschläge zur Lösung unterbreiten sollten. Der Papst habe Kräutler von einer mexikanischen Diözese erzählt, in der es nur wenige Priester, aber 330 Diakone gebe, die aber keine Heilige Messe zelebrieren können. Die Frage sei, wie sie in dieser Situation weitermachen sollen.
Bei der Diözese, was Kräutler nicht sagte, handelt es sich um die mexikanische Diözese San Cristobal de las Casas. Eine Problemdiözese außerhalb jeder Norm, in der es wirklich an allem mangelt, außer an Diakonen.
Frei Betto fordert Rehabilitierung des Häretikers Giordano Bruno
Am 10. April wurde der brasilianische Dominikaner Frei Betto Libanio Christo von Papst Franziskus in Audienz empfangen. Der Krawattendominikaner (Jahrgang 1944) gilt als einer der führenden Befreiungstheologen Lateinamerikas mit ausgezeichneten Kontakten zu Linksregierungen, darunter auch zu den Brüdern Castro auf Kuba. Unter seinem Freund Lula da Silva, dem sozialistischen Staatspräsidenten Brasiliens (2003–2011), war Bruder Betto mehrere Jahre Regierungsberater. Sozialpolitischer Einsatz stand für Frei Betto immer an erster Stelle, weshalb er nicht wegen seines Glaubens, sondern für seinen politischen Kampf gegen die Militärregierung vier Jahre im Gefängnis saß und auch gefoltert wurde. Zu den Freunden Bettos gehört auch der nicht minder starrsinnige Leonardo Boff.
Frei Betto ist Autor des „Neuen Credo“, in dem er bekundet: „Ich glaube an den vom Vatikan und von allen heute und künftig existierenden Religionen befreiten Gott. Den Gott, der vor allen Taufen, vor allen Sakramenten ist und der über alle religiösen Doktrinen hinausgeht. Frei von den Theologen verbreitet er sich uneigennützig in den Herzen aller, der Gläubigen und der Atheisten, der Guten und der Bösen, jener, die sich für gerettet halten und jener, die sich für Kinder der Verdammnis halten und auch jener, die dem Geheimnis, was nach dem Tod sein wird, gleichgültig gegenüberstehen. Ich glaube an den Gott, der keine Religion hat […] Ich glaube an den Gott, der sich auf der Kehrseite der atheistischen Vernunft versteht […].“
Papst: „Werde für Giordano Bruno beten“
Wie bereits bei der Privataudienz für Gustavo Gutierrez gibt es keine Fotos von der Begegnung des Papstes mit Frei Betto. Bruder Betto stellte sich anschließend vor die Presse und erklärte der spanischen Presseagentur EFE, er habe Papst Franziskus aufgefordert, den italienischen Philosophen, Astronomen und Häretiker Giordano Bruno zu rehabilitieren. In einem Interview für die italienische Tageszeitung La Repubblica sagte Betto, er sei von Papst Franziskus im Gästehaus Santa Marta empfangen worden. „Ich habe den Papst zum Bruder gefragt, der auf dem Scheiterhaufen gelandet ist und ihn aufgefordert, offiziell Giordano Bruno zu rehabilitieren. Ich denke, daß die Kirche endlich Gerechtigkeit schaffen sollte. Papst Franziskus habe ihm geantwortet, daß er für Giordano Bruno „beten“ werde.
Der „progressive Theologe aus Brasilien“ (La Repubblica) zeigte eine sichtliche Genugtuung darüber, daß ihm der Papst auf seinen Vorstoß zur Rehabilitierung Giordano Brunos keine negative Antwort gegeben habe, den Frei Betto für einen „Humanisten“ hält.
Atheistischer „Anti-Heiliger“ für Theologie bald „wichtig wie Thomas von Aquin“
Betto zeigte sich überzeugt davon, daß die Schriften von Giordano Bruno wie jene des heiligen Thomas von Aquin „in einiger Zeit noch zu einem wichtigen Beitrag für die Theologie werden“.
Giordano Bruno war am 17. Februar 1600 als einer der wenigen Ketzer von der römischen Inquisition auf dem Scheiterhaufen auf dem Campo dei Fiori in Rom verbrannt worden. Nach der italienischen Einigung errichtete die italienische Freimaurerei ein Denkmal für Giordano Bruno. Der militante Atheismus, in Selbstdefinition „kirchenkritische Humanisten“, verehrt den ehemaligen Dominkanerbruder als seinen „ketzerischen Anti-Heiligen“. Dazu zählt auch die atheistische Giordano-Bruno-Stiftung in Deutschland und Österreich, der Karlheinz Deschner angehörte, der am 8. April verstorben ist.
Papst als „liebender Vater für die Befreiungstheologie“
Zudem gab Frei Betto bekannt, mit dem Papst auch über die Befreiungstheologie gesprochen zu haben. „Ich habe ihm gesagt, daß der Papst für die Befreiungstheologie ein liebender Vater sein muß, so wie er es tatsächlich ist, weil alle wir Theologen Kinder der Kirche sind.“ Für Betto gibt es eine klare Schuldzuweisung, denn nie seien Progressive oder Befreiungstheologen in der Kirche für „Brüche“ verantwortlich gewesen: „Wir haben niemals Brüche innerhalb der Kirche provoziert. Alle Spaltungen, Häresien und Brüche seit dem 20. Jahrhundert wurden von den Rechten verursacht, von den Konservativen und Traditionalisten“.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Wikicommons/La Repubblica (Screenshot)