Macht Papst Franziskus den Täter zum Opfer? Und den Priester zum Caritas-Angestellten?


Papst Franziskus über Sünder und Verwundete(Vati­kan) Sagt der Papst „Wun­den“ und meint Sün­den? Ver­wech­selt er Sün­der mit „Ver­wun­de­te“? Oder sagt er Prie­ster und Beicht­va­ter, meint aber Sozi­al­ar­bei­ter und Cari­tas-Ange­stell­ter? Am 6. März hielt Papst Fran­zis­kus vor den Prie­stern sei­ner Diö­ze­se Rom eine län­ge­re Anspra­che, die er zum Beginn der Fasten­zeit in der Audi­enz­hal­le Pauls VI. zusam­men­ge­ru­fen hat­te. Das The­ma der Anspra­che war die Fra­ge, wie ein Prie­ster sein müs­se, um ein „guter Hirt“ zu sein. Dazu eini­ge zag­haf­te Über­le­gun­gen und noch viel mehr Fra­gen von einer ein­fa­chen Katholikin.

Anzei­ge

.

Der Sünder als Verwundeter?

Ver­such eines unfer­ti­gen Kom­men­tars von Mar­tha Weinzl

Die Anspra­che war, für Papst Fran­zis­kus typisch, in drei Punk­te geglie­dert. „In der gan­zen Kir­che ist die Zeit der Barm­her­zig­keit.“ „Was bedeu­tet Barm­her­zig­keit für die Prie­ster?“ Und: „Barm­her­zig­keit bedeu­tet weder zu wei­te Ärmel noch Starrheit.“

27 Mal Barmherzigkeit, kein Mal Schuld

Zunächst der Ver­such einer empi­ri­schen Text­ana­ly­se. Im Text gebraucht Papst Fran­zis­kus 27 Mal das Wort Barm­her­zig­keit, zwölf­mal das Wort Herz, zehn­mal das Wort Wun­den, sechs­mal das Wort Fleisch, je fünf­mal spricht er vom Sakra­ment der Ver­söh­nung und vom Beicht­va­ter, drei­mal gebraucht er die Wor­te Mit­leid, beich­ten und Beich­te, nur ein­mal die Wor­te Sün­de, Sün­der, ver­söh­nen und los­spre­chen. Die Wor­te Schuld, Buße und Beicht­stuhl kom­men nicht vor, eben­so wenig Erlö­sung, Erlö­ser, Ret­ter, Hei­land, Heil, See­len­heil oder Lossprechung.

Was sagt uns die­se Auf­stel­lung? Papst Fran­zis­kus ging es dar­um, über die Beich­te zu spre­chen und die Rol­le des Prie­sters als Beicht­va­ter. Vor­aus­set­zung für die Beich­te, möch­te man anneh­men, sind die Sün­de und der Sün­der, der die Sün­de began­gen hat. Wir alle sind Sün­der, sol­len uns aber vor der Sün­de hüten. Ein lebens­lan­ges Rin­gen, für das uns die Kir­che kost­ba­re Hilfs­mit­tel zur Ver­fü­gung stellt. Zunächst die Unter­wei­sung, die ent­schei­dend zur Gewis­sens­bil­dung bei­trägt. Dann aber vor allem die sakra­men­ta­len Gna­den­mit­tel, ins­be­son­de­re das von Jesus Chri­stus gestif­te­te Beicht­sa­kra­ment. Denn schließ­lich geht es um das ewi­ge See­len­heil, dar­um, ob wir vor Got­tes Gerech­tig­keit und Barm­her­zig­keit bestehen wer­den können.

Sün­de und Sün­der kom­men als Begrif­fe in der päpst­li­chen Anspra­che aller­dings jeweils nur ein ein­zi­ges Mal vor. Die Sün­de wird indi­rekt im Zusam­men­hang mit einer Kri­tik an zu laxen Prie­stern genannt, die die Sün­de „mini­mie­ren“, also her­un­ter­spie­len. Eine wich­ti­ge Aussage.
Der Sün­der, um genau zu sein, „die Sün­der“ wer­den in der ein­zi­gen Erwäh­nung ohne wei­te­re Erklä­rung zusam­men mit den „Kran­ken“ genannt, „um die sich nie­mand küm­mert“. Sün­der und Kran­ke wer­den vom Papst im sel­ben Satz als „Aus­ge­schlos­se­ne“ bezeich­net. „Beson­ders“ für sie emp­fin­de der Prie­ster „Zärt­lich­keit“.

Dimension der Sünde und Status des Sünders bleiben unbeachtet

Den päpst­li­chen Aus­füh­run­gen kann bis hier­her noch eini­ger­ma­ßen gefolgt wer­den, wenn man sich feh­len­de Tei­le ein­fach dazu­denkt. Den­noch fällt auf, wie unter­be­lich­tet die Dimen­si­on der Sün­de und der Sta­tus des Sün­ders blei­ben, obwohl sie ange­sichts des The­mas eigent­lich im Mit­tel­punkt ste­hen sollten.

Der Sün­der wird zum Kran­ken, doch nicht im Sin­ne einer geist­li­chen Krank­heit. Das läßt den Ver­dacht auf­kom­men, der Papst könn­te den Prie­ster – über­spitzt for­mu­liert – nicht als Beicht­va­ter sehen, son­dern als Kran­ken­pfle­ger oder Caritas-Mitarbeiter.

Keine Täter (Sünder), nur Opfer?

Tat­säch­lich spricht der Papst nicht von Sün­den und Sün­dern, son­dern von Wun­den und Kran­ken. Wun­den aber sind kei­ne Sün­den, son­dern ein Per­spek­ti­ven­wech­sel. Der Papst meint ohne jeden Zwei­fel Ver­wun­de­te, Men­schen, die ver­letzt sind. Die Sün­de ist eine Wun­de. Der Sün­der ist aber durch die Sün­de der Ver­ur­sa­cher der Wun­de und nicht der Ver­wun­de­te. Daß der Sün­der auch Ver­wun­de­ter sein kann und der Ver­wun­de­te auch Sün­der, ist eine ande­re Fra­ge, auf die der Papst aller­dings nicht einging.

Papst Fran­zis­kus legt den Prie­stern in der Rol­le des Beicht­va­ters in sei­ner Anspra­che nur die Ver­wun­de­ten ans Herz. Der Beicht­va­ter aber hat sich um die Sün­der zu küm­mern. Er hat die Sün­de zu ver­ur­tei­len, ein The­ma, das der Papst nicht ein­mal streift, und den Sün­der zur Umkehr zu bewe­gen. Dem Buß­fer­ti­gen, der bereut, hat er – dar­in ist Papst Fran­zis­kus in sei­ner Defi­ni­ti­on nur zuzu­stim­men – auf sei­nem mit Gott ver­söhn­ten Weg zu beglei­ten, aller­dings damit er nicht mehr fällt, zudem unter Ein­schluß einer ihm auf­zu­er­le­gen­den Buße. Aspek­te, die nicht erwähnt werden.

Bei Papst Fran­zis­kus sind die Sün­der nicht Ver­wun­der, son­dern offen­sicht­lich ein Syn­onym für Ver­wun­de­te. Das ist erklä­rungs­be­dürf­tig, wenn nicht ange­nom­men wer­den soll, daß Grund­le­gen­des auf den Kopf gestellt wird. Täter und Opfer als aus­tausch­ba­re Grö­ßen? Der Sün­der ist ein Täter, der Ver­wun­de­te ein Opfer. Die Prie­ster haben sich, laut Papst Fran­zis­kus, um die Ver­wun­de­ten zu küm­mern, also um Opfer, die aber in Wirk­lich­keit – folgt man den päpst­li­chen Aus­füh­run­gen – Täter sind, denn wozu sonst bedürf­te es eines Beicht­va­ters. Der Sün­der wird dem­nach in einer neu­en Dia­lek­tik vom Täter zum ver­wun­de­ten Opfer. Zum Opfer der eige­nen Sün­de? Zum Opfer des Bösen? Zum Opfer des Teu­fels, des ewi­gen Ver­su­chers und Ver­füh­rers? Das aber erklärt der Papst nicht.

Sünde? „Materielle Probleme, Skandale, Illusionen der Welt“

Er spricht von der Kir­che als „Feld­la­za­rett“ und ver­mit­telt den Ein­druck, als gebe es in ganz beson­de­rer Wei­se in die­ser heu­ti­gen Zeit eine „Not­wen­dig­keit die Wun­den zu hei­len, vie­le Wun­den! Vie­le Wun­den!“ Das aber hie­ße, die Prie­ster hät­ten sich vor allem um jene zu küm­mern, die durch die Sün­de ver­wun­det wur­den. Genau das geht aus den wei­te­ren Aus­füh­run­gen jedoch nicht her­vor. War­um aber soll­te unse­re Zeit mehr „Wun­den“ zu hei­len haben, als frü­he­re Zei­ten, sodaß der Kir­che eine neue Rol­le als „Feld­la­za­rett“ zuteil wird?

Tat­säch­lich dürf­te der Papst recht haben. Es gab noch nie so vie­le Men­schen wie heu­te, wes­halb die Zahl der Sün­den allein schon des­halb an Zahl grö­ßer sein dürf­te als je zuvor. Da der Papst aber die Sün­de nicht benennt und nie wirk­lich von Sün­dern spricht, bleibt sei­ne Aus­sa­ge vage und wirft zahl­rei­che Fra­gen auf, die unbe­ant­wor­tet blei­ben. Denn zu den Ursa­chen der Ver­wun­dun­gen, die Beicht­vä­ter brau­chen, also zur Sün­de, sagt Papst Fran­zis­kus ledig­lich: „Vie­le Men­schen sind ver­wun­det, durch mate­ri­el­le Pro­ble­me, durch Skan­da­le, auch in der Kir­che… Men­schen, die durch die Illu­sio­nen der Welt ver­wun­det sind…“.

Man reibt sich ungläu­big die Augen: „mate­ri­el­le Pro­ble­me“, „Skan­da­le“, „auch in der Kir­che“, „Illu­sio­nen der Welt“? Was ist das? Ist das die Dimen­si­on der Sün­de, vor der wir uns hüten sol­len? Ver­wun­dun­gen durch sozia­le Unge­rech­tig­keit? Soll­ten die Mar­xi­sten am Ende viel­leicht doch recht haben, daß Straf­tä­ter, nur des­halb in unse­ren Gefäng­nis­sen sit­zen, weil sie Opfer struk­tu­rel­ler sozia­ler Unge­rech­tig­kei­ten sind? Sozio­lo­gi­sche und psy­cho­lo­gi­sche Über­le­gun­gen? Dafür braucht es den Beicht­va­ter, die Beich­te, das Sakra­ment der Ver­söh­nung? Das ist doch etwas ganz ande­res: Die Umdeu­tung des Beicht­va­ters zum Lebens­be­ra­ter? Zum Psy­cho­the­ra­peu­ten? Zum Freund? Die Ver­wechs­lung der Sün­de mit Sor­gen und Pro­ble­men der Men­schen? Die Fra­ge wäre dann berech­tigt, ob ande­re Beru­fe auf­grund ihrer pro­fes­sio­nel­len Aus­bil­dung nicht doch geeig­ne­ter sind, sol­che Pro­bel­me zu lösen, als die „beru­fe­nen“ Prie­ster. Soll­te Gott tat­säch­lich eine Art Ober­be­rufs­be­ra­ter für Sozi­al­be­ru­fe sein?

Der Priester als Caritas-Mitarbeiter?

Läßt sich die Bot­schaft des Pap­stes an die Prie­ster sei­ner Diö­ze­se und damit an alle Prie­ster fol­gen­der­ma­ßen zusam­men­fas­sen: Geht hin­aus, scheut und ziert euch nicht, euch schmut­zig zu machen, um den Men­schen bei ihren Lebens­sor­gen und All­tags­nö­ten zur Sei­te zu ste­hen. Eine Auf­for­de­run­gen unter meh­re­ren für jeden Chri­sten. Auch eine per­fek­te Stel­len­be­schrei­bung für einen Cari­tas-Mit­ar­bei­ter. Ist das aber eine Defi­ni­ti­on für das Prie­ster­tum? Vor allem im Zusam­men­hang mit dem Beicht­sa­kra­ment? Fra­gen über Fragen.

Bild: Avve­ni­re

Print Friendly, PDF & Email
Anzei­ge

Hel­fen Sie mit! Sichern Sie die Exi­stenz einer unab­hän­gi­gen, kri­ti­schen katho­li­schen Stim­me, der kei­ne Gel­der aus den Töp­fen der Kir­chen­steu­er-Mil­li­ar­den, irgend­wel­cher Orga­ni­sa­tio­nen, Stif­tun­gen oder von Mil­li­ar­dä­ren zuflie­ßen. Die ein­zi­ge Unter­stüt­zung ist Ihre Spen­de. Des­halb ist die­se Stim­me wirk­lich unabhängig.

Katho­li­sches war die erste katho­li­sche Publi­ka­ti­on, die das Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus kri­tisch beleuch­te­te, als ande­re noch mit Schön­re­den die Qua­dra­tur des Krei­ses versuchten.

Die­se Posi­ti­on haben wir uns weder aus­ge­sucht noch sie gewollt, son­dern im Dienst der Kir­che und des Glau­bens als not­wen­dig und fol­ge­rich­tig erkannt. Damit haben wir die Bericht­erstat­tung verändert.

Das ist müh­sam, es ver­langt eini­ges ab, aber es ist mit Ihrer Hil­fe möglich.

Unter­stüt­zen Sie uns bit­te. Hel­fen Sie uns bitte.

Vergelt’s Gott!