(Rom) Papst Franziskus sagte in seinem Aschermittwochs-Interview, den Begriff „nicht verhandelbare Werte“ von Benedikt XVI. „nie verstanden“ zu haben. Ein Begriff, den er nicht brauche und daher auch nicht verwende. Giuliano Ferrara, der Chefredakteur der Tageszeitung „Il Foglio“ forderte den Papst auf, ihn sich einfach von Benedikt XVI. erklären zu lassen, wo sie doch so nahe beeinander wohnen.
Der katholische Kunst- und Kulturkritiker Francesco Colafemmina stellte Aussagen von Papst Benedikt XVI. zu den unveräußerlichen, nicht verhandelbaren Grundsätzen zusammen. Und stellt diesen die niederwalzende Aussage von Papst Franziskus gegenüber. Hier die ergänzte Zusammenstellung. Das jeweilige Originaldokument kann über das Datum aufgerufen werden. Nur das erste Zitat von 2006, die Ansprache an Vertreter der Europäischen Volkspartei, liegt nicht in einer vatikanischen Übersetzung ins Deutsche vor.
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Gewiß, gewiß… es herrscht Kontinuität
Benedikt XVI.
Was die Katholische Kirche betrifft, so konzentriert sich ihr Hauptinteresse im öffentlichen Leben auf den Schutz und die Förderung der Menschenwürde. Aus diesem Grund schenkt sie den nicht verhandelbaren Grundsätzen besondere Aufmerksamkeit. Unter diese ragen heute eindeutig folgende hervor: der Schutz des Lebens in allen seinen Phasen vom ersten Augenblick der Zeugung bis zum natürlichen Tod; die Anerkennung und Förderung der natürlichen Struktur der Familie als einer auf die Ehe gegründeten Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau, und ihre Verteidigung gegen die Versuche, sie rechtlich radikal verschiedenen Formen von Verbindungen gleichzustellen, die sie in Wirklichkeit schädigen und zu ihrer Destabilisierung beitragen, indem sie ihren besonderen Charakter und ihre sozial unersetzbare Rolle verdunkeln; den Schutz des Rechts der Eltern, ihre Kinder zu erziehen.
Diese Grundsätze sind nicht Glaubenswahrheiten, auch wenn sie vom Glauben erleuchtet und bestätigt sind; sie sind direkt in der menschlichen Natur verwurzelt und sind damit der gesamten Menschheit gemeinsam. Das Handeln der Kirche zu ihrer Förderung richtet sich daher an alle Menschen unabhängig von ihrer religiösen Zugehörigkeit. Dieses Handeln ist um so notwendiger, je mehr dieses Grundsätze geleugnet und mißverstanden werden, weil damit ein Angriff auf die Wahrheit der menschlichen Person erfolgt und der Gerechtigkeit eine schwerwiegende Wunde zugefügt wird.
Der Gott wohlgefällige Gottesdienst ist nämlich niemals ein nur privater Akt ohne Auswirkungen auf unsere gesellschaftlichen Beziehungen. Er verlangt das öffentliche Zeugnis für den eigenen Glauben. Das gilt selbstverständlich für alle Getauften, erscheint jedoch besonders dringend für diejenigen, die wegen ihrer gesellschaftlichen oder politischen Position Entscheidungen im Zusammenhang mit fundamentalen Werten zu treffen haben, wie die Achtung und der Schutz des menschlichen Lebens von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod, die auf die Ehe zwischen Mann und Frau gegründete Familie, die Erziehungsfreiheit für die Kinder und die Förderung des Allgemeinwohls in all seinen Formen. Diese Werte sind unveräußerlich.
Eure Initiative im Petitionsausschuß des Europäischen Parlaments – darin bekräftigt ihr die Grundwerte des Rechts auf Leben von der Empfängnis an, auf eine auf die Ehe zwischen einem Mann und einer Frau gegründeten Familie, des Rechts jedes empfangenen Menschen darauf, in einer Familie von Eltern geboren und erzogen zu werden – bestätigt weiter den soliden Charakter eures Engagements und die volle Gemeinschaft mit dem Lehramt der Kirche, das von jeher diese Werte als „nicht verhandelbar“ verkündet und verteidigt.
In der Konkurrenz der verschiedenen Auffassungen vom Menschen, von denen es in der heutigen Gesellschaft noch mehr gibt als zur Zeit Papst Pauls VI., hat die christliche Sichtweise die Besonderheit, den unveräußerlichen Wert des Menschen und den Sinn seines Wachsens zu bekräftigen und zu rechtfertigen.
Ist nicht das Naturrecht diese Grundlage, mit den nicht verhandelbaren Werten, auf die es verweist? Der ehrwürdige Diener Gottes Johannes Paul II. schrieb in seiner Enzyklika Evangelium vitae Worte, die auch heute noch große Aktualität besitzen: „Im Hinblick auf die Zukunft der Gesellschaft und die Entwicklung einer gesunden Demokratie ist es daher dringend notwendig, das Vorhandensein wesentlicher, angestammter menschlicher und sittlicher Werte wiederzuentdecken, die der Wahrheit des menschlichen Seins selbst entspringen und die Würde der Person zum Ausdruck bringen und schützen: Werte also, die kein Individuum, keine Mehrheit und kein Staat je werden hervorbringen, verändern oder zerstören können, sondern die sie nur anerkennen, achten und fördern werden müssen“.
Anderseits ist jeder Katholik, ja in Wahrheit jeder Mensch dazu aufgerufen, mit geläutertem Gewissen und großzügigem Herzen zu handeln, um jene Werte zu fördern, die ich wiederholt als „nicht verhandelbar“ bezeichnet habe.
Im Dialog mit dem Staat und mit der Gesellschaft hält die Kirche für die einzelnen Fragen gewiß keine fertigen Lösungen bereit. Sie wird mit den anderen gesellschaftlichen Kräften um die Antworten ringen, die am meisten dem rechten Maß des Menschseins entsprechen. Was sie als konstitutive und nicht verhandelbare Grundwerte des Menschseins erkannt hat, dafür muß sie mit aller Klarheit eintreten. Sie muß alles tun, um Überzeugung zu schaffen, die dann zu politischem Handeln werden kann.
Franziskus
Ich habe den Begriff nicht verhandelbare Werte nie verstanden. Die Werte sind Werte und fertig. Daher verstehe ich nicht, welchen Sinn verhandelbare Werte haben sollten.
Die Ehe ist die Verbindung von einem Mann und einer Frau. Die laizistischen Staaten wollen die zivilen Partnerschaften rechtfertigen, um verschiedene Situationen des Zusammenlebens zu regeln. Dazu werden sie durch die Bedürfnisse gedrängt, ökonomische Aspekte zwischen den Menschen zu regeln. (…) Es handelt sich um Verträge des Zusammenlebens unterschiedlicher Natur, deren verschiedene Formen ich nicht aufzählen könnte. Es gilt die einzelnen Fälle zu sehen und in ihrer Verschiedenheit zu bewerten.
Zusammenstellung: Francesco Colafemmina/Giuseppe Nardi
Bild: Fides et Forma