Der Marx, der dem Papst gefällt


Karl-und-Reinhard-Marx(Rom) Der römi­sche Vati­ka­nist Gian­ni Valen­te ver­faß­te das fol­gen­de Por­trait von Rein­hard Kar­di­nal Marx, für den der Monat März zwei Beför­de­run­gen brach­te. Die deut­schen Bischö­fe wähl­ten ihn zum Vor­sit­zen­den der Bischofs­kon­fe­renz und Papst Fran­zis­kus berief ihn zum Koor­di­na­tor des neu­ge­schaf­fe­nen Wirt­schafts­rats des Vati­kans. Der Teil von Valen­tes Ana­ly­se zur Lage der Kir­che in Deutsch­land ist reich­lich unzu­tref­fend. Der sozi­al­po­li­ti­sche Teil wäre dif­fe­ren­ziert zu betrach­ten. Wir doku­men­tie­ren den­noch die­se Ana­ly­se, um zu zei­gen, wie in Tei­len Roms, die sich Papst Fran­zis­kus beson­ders nahe füh­len, Kar­di­nal Marx und die deut­sche Kir­che gese­hen wer­den. Inter­es­sant scheint die Anspie­lung auf “Wahl­ver­wandt­schaf­ten“ zwi­schen dem Nach­fol­ger Petri und dem neu­en Vor­sit­zen­den der deut­schen Bischö­fe, da Marx als Wäh­ler des  argen­ti­ni­schen Kar­di­nals gilt.

Wenn dem Papst Marx gefällt

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Von Gian­ni Valente

Die “Wahl­ver­wandt­schaf­ten“ zwi­schen dem Nach­fol­ger Petri und dem neu­en Vor­sit­zen­den der deut­schen Bischö­fe: „Ihr habt 40 Jah­re auf Marx gewar­tet. Nun ist er da und ist ein katho­li­scher Prie­ster.“ Dem jun­gen Rein­hard gefiel es, so sei­ne Anspra­chen zu begin­nen, wenn er den Eiser­nen Vor­hang über­schritt und vor dem Mau­er­fall die DDR berei­ste. Heu­te scheint der Kar­di­nal mit dem glei­chen Namen des Mit­ver­fas­sers des Kom­mu­ni­sti­schen Mani­fests im Kar­di­nals­kol­le­gi­um und unter den Gro­ßen der deut­schen Kir­che jener zu sein, der sich am besten, spon­tan­sten und offen­sten auf der­sel­ben Wel­len­län­ge evan­ge­li­scher Kon­kret­heit befin­det, die die Kir­che unter Papst Fran­zis­kus bewegt.

Koordinator des Wirtschaftsrats im Vatikan und DBK-Vorsitzender

Vor dem Kon­kla­ve gab es nur wenig Kon­takt zwi­schen Marx und Berg­o­glio. Der argen­ti­ni­sche Papst muß sofort die Ener­gie und die gerin­ge Nei­gung zu einer jam­mern­den Opfer­hal­tung geschätzt haben, durch die sich der jovia­le und extro­ver­tier­te Sohn West­fa­lens abhebt. Einen Monat nach Beginn des Pon­ti­fi­kats wur­de Marx in den C8-Rat beru­fen (den Rat von acht Kar­di­nä­len, den Fran­zis­kus zur Reform der Kurie und der gan­zen Kir­che bestell­te). Jetzt im März ernann­te ihn Papst Fran­zis­kus zum Koor­di­na­tor des neu­en Wirt­schafts­rats, der die Auf­ga­be haben wird, alle wirt­schaft­li­chen und admi­ni­stra­ti­ven Akti­vi­tä­ten des Vati­kans „zu len­ken, zu koor­di­nie­ren und zu über­wa­chen“. Am 12. März schließ­lich, wähl­ten ihn die deut­schen Bischö­fe zum Vor­sit­zen­den der Bischofs­kon­fe­renz. Sie bestä­tig­ten damit „von unten“ sei­ne Funk­ti­on als Garant der neu­en Bezie­hun­gen zwi­schen der deut­schen Kir­che und dem Hei­li­gen Stuhl.

Marx naturaliter Wojtylianer, Ratzingerianer  – und nun Bergoglianer

Marx und Berg­o­glio sind ver­schie­den an Alter und Tem­pe­ra­ment. Sie tei­len aber den pasto­ra­len Sen­sus, der dabei hilft, die Din­ge so zu sehen, wie sie sind, ohne Nai­vi­tät und ohne para­ly­sie­ren­de End­zeit­stim­mung. Jene, die ger­ne poli­ti­sche Eti­ket­ten auch auf die Kir­che anwen­den und mit dem Pon­ti­fi­kat Berg­o­gli­os in Ver­wir­rung gera­ten sind, ver­su­chen ihm das Stig­ma eines „Pro­gres­si­ven“ anzu­hef­ten. Eine Des­in­for­ma­ti­ons­ar­beit im Dienst pathe­ti­scher und zor­ni­ger ideo­lo­gi­scher Kam­pa­gnen. In der deut­schen Kir­che, die seit Jahr­zehn­ten von Kon­flik­ten gegen­sätz­li­cher ideo­lo­gi­scher Les­ar­ten des Kon­zil­ser­bes geschüt­telt wird, war Marx als Bischof immer natu­ra­li­ter Woj­ty­lia­ner und dann Ratz­in­ge­ria­ner, ganz ohne Zur­schau­stel­lung. Im Unter­schied zu ande­ren ist sei­ne Beru­fung in das Kar­di­nals­kol­le­gi­um nicht das Ergeb­nis von Lager­lo­gi­ken oder demon­stra­ti­vem Lager­wech­sel, wie sie depri­mie­ren­der Aus­druck kirch­li­cher Seil­schaf­ten sind.

Marx steht zu Kardinal Kasper

Es war Papst Ratz­in­ger, der ihn an die Spit­ze der Erz­diö­ze­se Mün­chen und Frei­sing berief, die er selbst von 1978 bis 1981 gelei­tet hat­te. Er zog ihn ande­ren deut­schen Prä­la­ten vor, die ihr erst jüngst erwor­be­nes „Ratzinger“-Zertifikat schwan­gen, um sich selbst als Kan­di­da­ten ins Spiel zu brin­gen. Jetzt, im Krieg von Blogs und neo­ri­go­ri­sti­schen Publi­ka­tio­nen gegen Kar­di­nal Wal­ter Kas­per wegen des­sen Rede über die Fami­lie, die er beim jüng­sten Kon­si­sto­ri­um hielt, ergriff Marx Par­tei für den alten Pur­pur­trä­ger und Lands­mann. Und die von ihm mit dem gewohn­ten Frei­mut vor­ge­brach­ten Argu­men­te („das theo­lo­gi­sche Fun­da­ment der Rede von Kar­di­nal Wal­ter Kas­per kann nicht bestrit­ten wer­den“) sind selbst­be­wußt und über­zeu­gend, auch weil sie nicht als Lamen­to eines fru­strier­ten Epi­go­nen einer kle­ri­kal-pro­gres­si­ven Archäo­lo­gie abge­tan wer­den können.

Hoffnung der deutschen Kirche führt über Marx

Die Hoff­nung, daß die deut­sche Kir­che mit der von Papst Fran­zis­kus emp­foh­le­nen „Rück­kehr zu den Quel­len“ zu neu­en Kräf­ten kom­men könn­te, indem sie sich auch von der ermat­ten­den Dia­lek­tik eman­zi­piert, die sie seit Jahr­zehn­ten umgibt, führt auch über den ener­gi­schen Sen­sus eccle­siae von Rein­hard Marx. Er ist sich bewußt, daß in eini­gen Län­dern Ost­deutsch­lands die Nicht-Getauf­ten mehr als 80 Pro­zent aus­ma­chen, wäh­rend sich katho­li­sche Krei­se in rück­wärts­ge­wand­ten Zän­ke­rei­en zwi­schen „Pro­gres­si­ven“ und „Kon­ser­va­ti­ven“ blockieren.

Alle sozia­len Schich­ten kön­nen heu­te wäh­len, was sie wol­len, auch wel­che Reli­gi­on sie beken­nen oder wie oft sie hei­ra­ten wol­len, auch fünf oder sechs Mal. Das sei ein prä­ze­denz­lo­ser, schwin­del­erre­gen­der Weg, und für die ein­zel­nen, betrof­fe­nen Tei­le, auch für die Bischö­fe, kön­ne er anstren­gend und schmerz­haft sein. Aber die­se Pha­se sei nicht mit Slo­gans über die Schlech­tig­keit der Gesell­schaft oder ver­meint­li­che Feh­ler des Pap­stes oder den Prie­ster­zö­li­bat oder ande­re neben­säch­li­che Fra­gen zu bestehen, so Marx vor eini­gen Jahren.

Kritik an Neoliberalismus eint Bergoglio und Marx

In einem Punkt sticht eine Über­ein­stim­mung der Sicht­wei­se zwi­schen dem Erz­bi­schof von Mün­chen und dem der­zei­ti­gen Bischof von Rom beson­ders ins Auge: die gemein­sa­me, gefühl­te pasto­ra­le Sen­si­bi­li­tät wegen der schmerz­li­chen Fol­gen für gan­ze Völ­ker, die von der mes­sia­ni­schen neo­li­be­ri­sti­schen Ideo­lo­gie ver­ur­sacht wer­den. Es ist die instink­ti­ve Abnei­gung gegen jene, die das Chri­sten­tum zu einer reli­giö­sen Unter­stüt­zungs­ideo­lo­gie für die Markt­wirt­schaft redu­zie­ren wol­len. Wie der eben­falls bär­ti­ge, in Lon­don begra­be­ne Phi­lo­soph glei­chen Namens, gab Rein­hard Marx sei­nem bekann­te­sten, 2008 ver­öf­fent­lich­ten Buch den Titel „Das Kapi­tal“. Ein Buch, das noch heu­te eine über­zeu­gen­de „christ­li­che Kri­tik an der Logik des Mark­tes“ dar­stellt. Es han­delt sich um ein Fund­gru­be ana­ly­ti­scher Denk­an­stö­ße, die kei­nes­wegs selbst­ver­ständ­lich sind, vor allem im Ver­gleich zur mora­li­sie­ren­den Abstrakt­heit, die in vie­len Bei­trä­gen selbst­er­nann­ter Exper­ten der kirch­li­chen Sozi­al­leh­re vorherrschen.

Kapitalistischer Messianismus ein später Sieg für Karl Marx

Laut Rein­hard Marx ist vor allem die von der Sozi­al­leh­re der Kir­che durch­tränk­te Sozia­le Markt­wirt­schaft das Haupt­op­fer der Anfang der 90er Jah­re ein­set­zen­den kapi­ta­li­sti­schen Beschleu­ni­gung, sie, die mit den Fak­ten die Unhalt­bar­keit der mar­xi­sti­schen Vor­her­sa­ge vom system­im­ma­nen­ten Kol­laps des Kapi­ta­lis­mus wie­der­legt zu haben schien. So schei­nen die Ana­ly­sen sei­nes Namens­vet­ters aus Trier eine postu­me Revan­che zu erle­ben. Marx schreibt in sei­nem Buch an „Herrn Marx“, und ver­weist, wie die­ser bereits vor 150 Jah­ren dar­leg­te, daß schritt­wei­se alle Völ­ker in das Netz der Markt­wirt­schaft ein­ge­bun­den wer­den und sich dadurch der inter­na­tio­na­le Cha­rak­ter des kapi­ta­li­sti­schen Regimes immer stär­ker ent­fal­te. Gera­de im homo oeco­no­mic­us des kapi­ta­li­sti­schen Mes­sia­nis­mus ver­wirk­licht sich der Öko­no­mis­mus von Karl Marx mit sei­ner Redu­zie­rung allen Mensch­li­chen auf öko­no­mi­sche Kategorien.

Der deut­sche Bischof geht mit pasto­ra­ler Lei­den­schaft und „Berg­o­glia­ni­schen“ Akzen­ten die kon­kre­ten, zer­set­zen­den Fol­gen für Mil­lio­nen von Men­schen an, die durch eine Spe­ku­la­ti­ons­spi­ra­le und die unge­hemm­te Anhäu­fung von Reich­tum aus­ge­löst wer­den. Er spricht mit Kom­pe­tenz über die Glo­bal Play­ers und die Ver­wü­stung des Detail­han­dels. Er erzählt mit leben­di­gen Bil­dern die täg­li­che Ero­si­on der Gehäl­ter und des Sozi­al­staats, den Umbau der Arbeit in ein uni­ver­sa­les Pre­ka­ri­at und die erschrecken­de Zunah­me von Working poors in den USA, von Per­so­nen, die über eine feste Arbeit ver­fü­gen und den­noch unter­halb der Armuts­gren­ze leben. Er doku­men­tiert mit erschüt­tern­den Zah­len die Kapi­tal­an­häu­fung einer super­rei­chen Olig­ar­chie. Vor allem greift er jene an, die die Kir­che ger­ne in der Rol­le eines „Moral­pro­du­zen­ten“ sehen, der die „mit­füh­len­de“ Kor­rek­tur des Neo­ka­pi­ta­lis­mus garantiert.

McKinsey und Ernst&Young im Vatikan bei gleichzeitiger Kapitalismuskritik?

Trotz aller Kri­tik an der Kir­che erwar­te man sich von ihr, man­gels ande­rer Insti­tu­tio­nen, so Marx, eine „mora­li­sche Auf­rü­stung“. So als kön­ne man die Moral auf­tau­en, wie die Bröt­chen. Und gera­de so, als wäre die Moral das Wich­tig­ste im Chri­sten­tum. So als hät­te Jesus vor allem dar­an gedacht, unse­re Gesell­schaft durch die Moral zu festi­gen. Doch im Evan­ge­li­um kön­ne er „beim besten Wil­len“ nichts der­glei­chen fin­den, wie Marx betonte.

Sicher ist, daß jene, die in der Ver­wal­tung der vati­ka­ni­schen Wirt­schafts­an­ge­le­gen­hei­ten bereits den Tri­umph der Com­pa­nies des glo­ba­len Kapi­ta­lis­mus vor­her­sag­ten (und dies als Wider­spruch der von Papst Fran­zis­kus ein­ge­lei­te­ten Refor­men stig­ma­ti­sier­ten), mit Marx als Koor­di­na­tor des vati­ka­ni­schen Wirt­schafts­rats ihre Vor­her­sa­gen über­den­ken wer­den müssen.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Wikicommons

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