(Brüssel) Heute stimmt das belgische Abgeordnetenhaus über die Ausweitung der Euthanasie auf Kinder ab. Eine Mehrheit scheint sicher. Die befürwortenden Parteivertreter sprechen von einem „Akt der Menschlichkeit“ für Kinder, die „schreckliche Schmerzen leiden“. Ein „unzutreffender Euphemismus, der an den Fakten vorbeigeht“ so Joan Marston, Direktorin des internationalen Netzwerks der Palliativmedizin für Kinder: „Die Euthanasie ist unnötig, da die Palliativmedizin bereits die Schmerzen lindert und eine gute Lebensqualität sichert. Die Regierung soll das Gesetz zurückziehen“. Noch deutlicher sagt es Roger Wouters von der Initiative Nein zur Euthanasie: „Reden wir nicht drumherum: Das Gesetz soll dazu dienen, behinderte Kinder umbringen zu können“.
Der Senat und der Justizausschuß des Abgeordnetenhauses haben bereits grünes Licht für das „Recht den eigenen Tod selbst bestimmen zu können“ gegeben. Heute wird das Abgeordnetenhaus folgen. Die Parteien, die sich dafür ausgesprochen haben, verfügen über eine deutliche Mehrheit. Ein Teil der belgischen Gesellschaft mobilisierte gegen das Gesetz und forderte von der Regierung das Gesetz zurückzunehmen oder die Abstimmung zumindest aufzuschieben. Beides gilt dennoch als sehr unwahrscheinlich.
Das internationale Netzwerk der Palliativmedizin für Kinder forderte ebenfalls in einer Erklärung die belgische Regierung auf, das Gesetz zurückzuziehen. „Heute braucht es keine Euthanasie mehr“, so Joan Marston. „Die Palliativmedizin kann auf effiziente Weise auch bei sogenannten unerträglichen Schmerzen von Kindern Linderung verschaffen.“
Verlängert die Palliativmedizin aber nicht nur das Leiden der Patienten, wird die Direktorin des Netzwerks gefragt. „Nein, sie sind eine effiziente Antwort auf die Euthanasie, die unnötig ist. Wir können die Leiden der Kinder lindern und den Familien helfen, diese schwierige Zeit zu bewältigen. Wir verfügen über die Kenntnisse, die Fähigkeiten und die Medikamente, um auf die Bedürfnisse der Kranken zu antworten. Die Fakten sprechen heute eindeutig für die Palliativmedizin und gegen die Euthanasie“, so Marston.
Warum aber will Belgien dann unbedingt die Euthanasie ausweiten und verkauft dies als „Akt der Menschlichkeit“ und als „Recht“? Um die „unerträglichen Schmerzen“ geht es dabei jedenfalls nicht. Die seien nur ein vorgeschobenes Argument, wie die Euthanasiegegner sagen. Erzbischof André-Joseph Leonard von Mecheln-Brüssel rief zum Gebet gegen das Gesetz auf. „Man suggeriert den Menschen, daß es ein ‚Recht‘ gibt, den eigenen Todeszeitpunkt zu bestimmen. So soll auch das Kind ein ‚Recht‘ haben zu sterben. Dem ist aber nicht so: Ein Kind hat ein Recht zu leben.“ Marston ergänzt: „Die Palliativmedizin verlängert nicht auf ungebührliche Weise das Leben, sondern ermöglicht dem Patienten, in Würde und ohne Schmerzen zu leben.“
Die Verabschiedung des neuen Gesetzes sei „äußerst gefährlich“, sagte Erzbischof Leonard. Das Gesetz sehe einerseits keine Altersgrenze vor, andererseits sind Kinder gar nicht entscheidungsfähig. Das Gesetz schreibt ihnen in der Frage um Leben und Tod eine Fähigkeit zu, selbst dem Kleinstkind, die derselbe Gesetzgeber ansonsten bis zur Volljährigkeit in allen wesentlichen Dingen verweigert, selbst bei Straftaten.
„Reden wir nicht drum herum: das Gesetz soll dazu dienen, behinderte Kinder umbringen zu können. Wird ein Kind, das nicht den gewünschten Effizienz-Normen entspricht, nicht schon im Mutterleib durch Abtreibung getötet, soll es lebend getötet werden können. Darauf läuft die ganze Sache hinaus. Nicht das Kind soll von einem Leiden, sondern die Eltern oder Erziehungsverantwortlichen von einer Last befreit werden. So sagt es natürlich niemand, aber darauf zielt das Gesetz ab. Nur nicht reden soll man darüber. Und morgen wird es heißen: Es ist alles vom Gesetz erlaubt!“ Es werde durch „trügerische“ Begriffe wie „Sterbehilfe“ in den Menschen ein Denken des „schnellsten Ausweges“ gefördert. Niemand möchte leiden und daher neigt der Mensch dazu, das, was er als Bedrohung empfindet zu verdrängen. „Euthanasie ist ein solcher Verdrängungsmechanismus und zwar für die Nicht-Betroffenen: Verschwindenlassen, was nicht ins Bild paßt. Allerdings auf tödliche Weise für die Betroffenen“, so Wouters.
Marston fordert stattdessen von der belgischen Regierung „Zugang für alle Kinder zur Palliativmedizin und dadurch Respekt vor dem Recht auf Leben. Die Euthanasie löst nichts, sondern raubt den Betroffenen nur das wirkliche Recht zu leben durch ein trügerisches ‚Recht‘ zu sterben.“
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Initiative Nein zur Euthanasie