Pakt von Umar: Kopfsteuer oder Auswanderung – Haben Syriens Christen eine Zukunft?


Christliches Mädchen in Syrien: Wird die junge Christin eine Zukunft in Syrien haben?(Damas­kus) Das zwei­ein­halb Jah­re alte christ­li­che Mäd­chen mit der Ker­ze in der Hand bekreu­zigt sich in einer Kir­che von Damas­kus. Wird die jun­ge Chri­stin noch eine Zukunft in Syri­en haben? Eine ban­ge Fra­ge, die seit Aus­bruch des Bür­ger­kriegs die zehn Pro­zent Chri­sten des nah­öst­li­chen Lan­des quält. 

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Die Chri­sten der „isla­mi­schen“ Levan­te ste­hen unter bru­ta­lem Assi­mi­lie­rungs- oder Ver­drän­gungs­druck durch isla­mi­sti­sche Kräf­te. Die Isla­mi­sten stel­len sie vor eine radi­ka­le Opti­on: Wenn sie im Land ihrer Väter blei­ben wol­len, müs­sen sie zum Islam kon­ver­tie­ren oder eine Kopf­steu­er an die neu­en isla­mi­schen Macht­ha­ber zah­len oder aus­wan­dern. Die Optio­nen sind kei­ne Neu­erfin­dung der in Syri­en um die Macht kämp­fen­den Isla­mi­sten­ver­bän­de, son­dern gehen auf die Früh­zeit des Islam zurück. Von Umar ibn al-Chat­tab, dem zwei­ten Kali­fen stammt der unsäg­li­che Pakt des Umar, der Chri­sten und Juden als Ange­hö­ri­ge der Buch­re­li­gio­nen zwar aner­kennt, ihnen jedoch den Sta­tus von Dhim­mis, von Bür­gern zwei­ter Klas­se zuweist, die eine Kopf­steu­er zu bezah­len haben.

Zukunft für Syriens Christen Auswanderung oder Dhimmi-System?

Die­ses isla­mi­sche Dhim­mi-System aus der Kali­fen­zeit befin­det sich in Syri­en auf dem Wege der Durch­set­zung. In den Lan­des­tei­len, die unter der Kon­trol­le der Isla­mi­sten­mi­li­zen ste­hen, wird es bereits ange­wandt. Beson­ders radi­kal setzt der Isla­mi­sche Staat im Irak und der Levan­te (ISIS) die Scha­ria durch. Die Isla­mi­sten­mi­liz ist mit der Ter­ror­or­ga­ni­sa­ti­on Al-Qai­da ver­bun­den. Die zwei­te mit Bin-Ladens-Ter­ror­netz­werk ver­knüpf­te, in Syri­en kämp­fen­de Ein­heit, Al-Nus­ra, eine Sala­fi­sten­mi­liz geht in ihrem Ter­ri­to­ri­um etwas prag­ma­ti­scher vor, zumin­dest solan­ge der End­sieg nicht gesi­chert ist, wie Beob­ach­ter in Syri­en sagen.

Kein Lebenszeichen von verschleppten Ordensfrauen

Am 2. Dezem­ber 2013 erober­te Al-Nus­ra die christ­li­che Stadt Maa­lu­la zum zwei­ten Mal. Die Dschi­ha­di­sten dran­gen in die Stadt ein, die sie bereits ein­mal besetzt hat­ten, aber vom syri­schen Mili­tär wie­der ver­trie­ben wor­den waren. In der Stadt wird von den Chri­sten noch Ara­mä­isch, die Spra­che Jesu gespro­chen. Nach dem ersten Angriff harr­ten neben weni­gen ande­ren Aus­nah­men vor allem die 40 Ordens­frau­en des grie­chisch-ortho­do­xen Klo­sters der Hei­li­gen Thek­la in Maa­lu­la aus und betreu­ten dort Kriegs­wai­sen und eltern­lo­se Kin­der. Bei ihrem Angriff ver­schlepp­ten die Kämp­fer drei­zehn Ordens­frau­en. Bis heu­te ist deren Schick­sal unklar. Eine Woche nach ihrer Ver­schlep­pung über­mit­tel­te Al-Nus­ra ein Video mit den Ordens­frau­en. Seit­her gibt es kein Lebens­zei­chen mehr von ihnen.

Abu Sar­kis, der Vor­sit­zen­de des regie­rungs­treu­en Natio­na­len Ver­tei­di­gungs­ko­mi­tees erklär­te im Sen­der Al-Akhbar, daß die Dschi­ha­di­sten mit dem Schlacht­ruf „Allah ist groß“ und „Chri­sten, bekehrt euch zum Islam und wir scho­nen euer Leben“ in die Chri­sten­or­ten ein­drin­gen. Sobald sie einen von Chri­sten bewohn­ten Ort oder Stadt­teil unter ihre Kon­trol­le gebracht haben, wür­den sie den Chri­sten drei Optio­nen las­sen: „Bekeh­rung zum Islam, Zah­lung der Dschi­zya, der Kopf­steu­er für Chri­sten und Juden, oder der Ver­lust ihrer Häu­ser und die Abwan­de­rung“, so Abu Sarkis.

„Alawiten ins Grab, Christen nach Beirut“ – Überhörte Islamistenparole

Mit der ersten Erobe­rung von Maa­lu­la Anfang Sep­tem­ber 2013 war man erst­mals wirk­lich welt­weit auf das Schick­sal der Chri­sten Syri­ens auf­merk­sam gewor­den. Die syri­schen Rebel­len hat­ten jedoch von Anfang ein anti­christ­li­ches Pro­gramm. Der Westen woll­te es nur nicht hören. Noch vor Aus­bruch des Bür­ger­kriegs lau­te­te die Paro­le: „Die Ala­wi­ten ins Grab, die Chri­sten nach Bei­rut“. Doch die Paro­le wur­de in der poli­ti­schen Kom­man­do­zen­tra­le der USA ein­fach über­hört. Ein Bür­ger­krieg in Syri­en war momen­tan gewis­sen Krei­sen wich­ti­ger. Das Schick­sal der Chri­sten des Lan­des inter­es­sier­te weder Washing­ton noch Tel Aviv oder Paris.

Den Nicht-Mos­lems bleibt nur die Flucht oder die Unter­wer­fung unter die Erobe­rer, in der Hoff­nung im Gegen­zug „Schutz“ zu erhal­ten. Als im August 2012 Isla­mi­sten unter der Füh­rung von Abdul Salam Har­beh den Ort Reb­leh bei Homs erober­ten, for­der­te er die Chri­sten auf, die Stadt zu ver­las­sen. Wer der Auf­for­de­rung nicht Fol­ge lei­ste­te, wur­de getö­tet. Zahl­rei­che Häu­ser von Chri­sten, die dem Tod die Flucht vor­zo­gen, wur­den nie­der­ge­brannt, um eine Rück­kehr zu verhindern.

In den von Isla­mi­sten kon­trol­lier­ten Stadt­tei­len Alep­pos müs­sen christ­li­che Kauf­leu­te bis zur Hälf­te ihrer täg­li­chen Ein­nah­men an die dschi­ha­di­sti­schen „Her­ren“ ablie­fern. Kir­chen und Klö­ster wer­den ange­grif­fen, Kreu­ze und christ­li­che Sym­bo­le zer­stört und ent­fernt. Immer wie­der wird mit Spreng­stoff nach­ge­hol­fen, um voll­ende­te Tat­sa­chen zu schaf­fen. So befin­den sich die Kir­chen in den christ­li­chen Vier­teln Bab Tou­ma und Bab Shar­qi von Damas­kus immer wie­der unter Mör­ser­be­schuß, so jüngst auch die evan­ge­li­sche Kir­che. Jeder Angriff for­dert unter den Chri­sten Todes­op­fer, die sich in den Kir­chen oder in ihrer Umge­bung aufhielten.

Schariaräte der Islamisten diskutieren islamisch korrekte Zukunft der „Nazarener“

Saidnaya im Schnee 2013Wäh­rend Ende Janaur in Genf die zwei­te Syri­en-Kon­fe­renz statt­fand, grif­fen die Isla­mi­sten die christ­li­che Stadt Said­na­ya an.

Die Scha­ria­rä­te der isla­mi­sti­schen Orga­ni­sa­tio­nen befas­sen sich ernst­haft mit der Fra­ge, wie künf­tig mit den „Naza­re­nern“, den Chri­sten umzu­ge­hen sei. Dis­ku­tiert wird der künf­ti­ge Sta­tus der Chri­sten in einem isla­mi­schen Staat. Die Fra­ge lau­tet, kön­nen Nicht-Mos­lems in einem isla­mi­schen Staat über­haupt als Staats­bür­ger betrach­tet wer­den. Unter­schie­de in der der­zei­ti­gen Pra­xis zwi­schen ISIS und Al-Nus­ra inter­pre­tie­ren christ­li­che Ver­tre­ter in Syri­en als Tak­tik wäh­rend der Dau­er der Kampf­hand­lun­gen. Aller­dings gebe es zwi­schen den bei­den Grup­pen hef­ti­ge Aus­ein­an­der­set­zun­gen über die Fra­ge nach dem Umgang mit Chri­sten und wie der Pakt des Umar aus der Kali­fen­zeit anzu­wen­den sei. Die Fra­ge wur­de lan­ge zwi­schen bei­den Ver­bän­den dis­ku­tiert, bevor es jüngst zu Kämp­fen gegen­ein­an­der kam.

ISIS ver­tritt den Stand­punkt, daß der Wort­laut des Pak­tes genau umzu­set­zen sei, wäh­rend Al-Nus­ra eine weni­ger radi­ka­le Hand­ha­be anwen­det und erklär­te, die Fra­ge auf die Zeit „nach der Erobe­rung des Lan­des“ zu ver­schie­ben. Al-Nus­ra ori­en­tiert sich dabei an isla­mi­schen Gelehr­ten, die eine Anpas­sung der Scha­ria an moder­ne Gege­ben­hei­ten ver­su­chen. Das bedeu­tet an sich noch kei­ne Erleich­te­rung für Christen.

Kommandant der Islamischen Front: „Syrer wollen islamischen Staat“

Zahr­an All­o­ush, der Füh­rer der Rebel­len­grup­pe Ban­ner des Islam, der jüngst zum mili­tä­ri­schen Kom­man­dan­ten der Syri­schen Isla­mi­schen Befrei­ungs­front (kurz Isla­mi­sche Front) wur­de, behaup­te­te in einem jüng­sten Inter­view mit Blick auf die Frie­dens­kon­fe­renz Genf II, daß „die Syrer“ einen isla­mi­schen Staat wol­len. Für die Chri­sten Syri­ens eine erschrecken­de Per­spek­ti­ve, die ihnen laut Scha­ria drei Optio­nen läßt, tat­säch­lich jedoch nur zwei: Bür­ger zwei­ter Klas­se zu wer­den und Kopf­steu­er zu bezah­len oder ihre tau­send­jäh­ri­ge Hei­mat zu ver­las­sen und aus­zu­wan­dern. Wird die jun­ge Chri­stin aus Damas­kus noch eine Zukunft in Syri­en haben? Die Ant­wort ist ein ban­ges Unent­schie­den. Nicht zuletzt, weil die USA die Isla­mi­sche Front offi­zi­ell als „gemä­ßig­te“ Grup­pe einstufen.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Can­tua­le Antonianum/​Pro Syria

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