(Vatikan) Kardinal Camillo Ruini, der von Papst Benedikt XVI. eingesetzte Vorsitzende der internationalen Medjugorje-Untersuchungskommission wurde von Papst Franziskus in Audienz empfangen. Bei dieser Gelegenheit übergab der Kardinal dem Papst persönlich den Abschlußbericht der Kommission, die seit 2010 das Phänomen der „Erscheinungen“ von Medjugorje untersuchte. Papst Franziskus gab das noch streng geheime Dokument an die Glaubenskongregation weiter. Dort befindet sich bereits zahlreiches Material zum Ort in der Herzegowina, an dem seit mehr als 30 Jahren die Gottesmutter erscheinen soll, und der zum Ziel zahlreicher Pilger geworden ist. Die „Erscheinungen“ dauern nach wie vor an und ein Ende ist nicht abzusehen. Argentinien kennt zwei ähnliche Phänomene, die Papst Franziskus aus unmittelbarer Nähe kennt. Welche Auswirkungen kann ihr Beispiel für eine Entscheidung zu Medjugorje haben?
Glaubenspräfekt Müller: kirchliche Entscheidung zu Medjugorje respektieren
Der Präfekt der Glaubenskongregation, der ernannte Kardinal Gerhard Ludwig Müller hatte vor wenigen Monaten für Aufsehen gesorgt, als er die amerikanischen Bischöfe anhielt, die Gläubigen an die geltenden kirchlichen Stellungnahmen zu Medjugorje zu erinnern. Solange es keine andere Entscheidung gebe, gelte die Erklärung der ehemaligen Jugoslawischen Bischofskonferenz von 1991, die zum Schluß kam, daß dem Phänomen Medjugorje keine Übernatürlichkeit zugeschrieben werden könne. Aus diesem Grund sei jede öffentliche Erklärung, die eine Authentizität des Phänomens annimmt, für Katholiken untersagt. Spaniens Bischöfe folgten kurz darauf und riefen ebenfalls die geltende kirchliche Ablehnung in Erinnerung.
Im September und November 2013 sorgten zudem Aussagen von Papst Franziskus im Rahmen seiner morgendlichen Kurzpredigten für Unruhe unter Medjugorje-Anhängern. Im September sprach er von einer Sucht nach Neuigkeiten und mehr wissen zu wollen, als durch die Offenbarung den Menschen von Gott bekanntgemacht und davon, daß Menschen deshalb da und dorthin ziehen würden, um [bei „Erscheinungen] Neues zu erfahren. Als Beispiel nannte er Medjugorje. Der Hinweis wurde allerdings weder von Radio Vatikan noch vom Osservatore Romano in die Kurzzusammenfassung aufgenommen. Am 14. November sagte der Papst, daß Maria keine „Leiterin eines Postamtes“ sei, die „jeden Tag Botschaften verschickt“ und die Zukunft voraussage. Die Worte wurden als Anspielung auf die bereits mehr als 30.000 „Erscheinungen“ und „Botschaften“ von Medjugorje verstanden.
Umfangreiches Material und Abschlußbericht zu Medjugorje liegen vor
Der Glaubenskongregation liegen nun umfangreiche Anhörungsprotokolle vor. Dazu gehören jene der „Seher“, die von der Untersuchungskommission einzeln vernommen wurden, von Franziskanern, von denen die Seelsorge in Medjugorje betreut wird und zahlreichen anderen Personen, darunter auch der Ortsbischof von Mostar.
Laut dem Vatikanisten Andrea Tornielli seien keine sicheren Beweise für Betrug und Manipulation gefunden worden. Dennoch seien bei einigen Kommissionsmitgliedern entsprechende Zweifel nicht zerstreut worden. Einen zentralen Punkt der Untersuchung stellt auch die Frage nach den geistlichen Früchten dar.
Die Glaubenskongregation prüft derzeit die Unterlagen und wird die Sache wahrscheinlich noch in diesem Frühjahr in der Vollversammlung behandeln. Das Ergebnis wird Papst Franziskus mitgeteilt, bevor dieser eine Entscheidung in der Angelegenheit treffen wird.
Keine Entscheidung „beste“ Entscheidung?
Da das Phänomen weiterhin andauert, die „Erscheinungen“ je nach „Seher“ täglich, wöchentlich, monatlich stattfinden, ist eine Entscheidung schwer möglich, sofern nicht offensichtliche Beweise für Betrug oder negative Früchte erbracht werden konnten. Es ist daher nicht auszuschließen, daß der Papst eine Entscheidung bis zum Abschluß des Phänomens aufschiebt. Kritiker behaupten, die „Erscheinungen“ würden sich bis ans Lebensende der „Seher“ fortsetzen, weil damit eine Letztentscheidung durch die Kirche solange verzögert werde.
Allerdings bliebe damit die Ablehnung der Übernatürlichkeit durch die Bischöfe Jugoslawiens von 1991 in Gültigkeit, die sich negativ über Medjugorje äußerten. Da dies jedoch keine signifikanten Einschränkungen mit sich brachte, könnten die Anhänger der „Erscheinung“ damit zufrieden sein. Eine Option, für die Wiens Erzbischof Christoph Kardinal Schönborn, in der Vollversammlung der Glaubenskongregation eintreten dürfte nach dem Motto: Keine Entscheidung ist die beste Entscheidung.
Der Medjugorje-freundliche Vatikanist Andrea Tornielli macht in diesem Zusammenhang auf zwei Phänomene in Argentinien aufmerksam, die für Papst Franziskus ein Orientierungspunkt sein könnten. Ein Phänomen erreignete sich in San Nicolas, das andere in Salta. An dieser Stelle kann nicht näher auf die beiden Phänomene eingegangen werden. Wenige Hinweise müssen genügen.
„Erscheinungen“ von San Nicolás – positives Urteil des Ortsbischofs
San Nicolás de los Arroyos liegt rund 250 Kilometer nordwestlich von Buenos Aires und ist der Hauptort eines eigenen Bistums der Kirchenprovinz Rosario. Seit 1983 soll dort die Gottesmutter Maria der Familienmutter und inzwischen schon Großmutter Gladys Quiroga de Motta erscheinen. Die einfache Frau weist die Wundmale Jesu auf. Sie unterwarf sich von Anfang der kirchlichen Autorität und befolgte deren Anweisungen. Jährlich wiederholt sich am selben Tag eine „Erscheinung“, zu der sich zuletzt mehr als 250.000 Gläubige versammelten.
Gladys Quiroga de Motta lebt in größter Zurückgezogenheit und verbringt die meiste Zeit des Tages im Gebet. Der amtierende Bischof von San Nicolás de los Arroyos, Msgr. Hector Sabatino Cardelli zelebrierte bereits Heilige Messen und führte Prozessionen zu dem Ort am Fluß Paraná an, an dem eine große Kirche gebaut wird, wie es die „Erscheinung“ verlangt hatte. An dem besagten Ort wurde, wie von der „Erscheinung“ angegeben, eine Quelle gefunden. Die Kirchengeschichte kennt zahlreiche solche Visionen, in denen die Gottesmutter Gläubigen erschien, die Errichtung einer Kirche verlangte und den genauen Bauplatz benannte.
Die kirchliche Autorität erkannte auch ein weißes Skapulier an, das – laut „Erscheinung“ besonders für die an Körper und Seele Leidenden bestimmt ist. Pater Carlos Pérez, der Seelenführer der „Seherin“, ist von der Echtheit ihrer Aussagen überzeugt. Bisher wurden mehr als 1.800 Botschaften veröffentlicht, die der „Seherin“ übermittelt worden seien. Die Herausgabe wurde vom damaligen Bischof von San Nicolas, Domingo Salvador Castagna, Bischof von 1984–1994, autorisiert. Bischof Castagna erklärte damals: „Ich glaube fest, daß es sich um ein Ereignis der Jungfrau Maria handelt.“
„Erscheinungen“ von Salta – negatives Urteil des Ortsbischofs
Das zweite Phänomen betrifft „Erscheinungen“ in Salta, der Hauptstadt der gleichnamigen Provinz rund 1.500 Kilometer nordwestlich von Buenos Aires. Im Unterschied zu San Nicolas steht der Ortsbischof, Erzbischof Mario Carniello, wie im Fall Medjugorje, den „Erscheinungen“ kritisch gegenüber. Ein Verteidiger des Phänomens Salta ist hingegen der bekannte französische Mariologe René Laurentin. Laurentin war bereits der wichtigste Verbreiter des Phänomens Medjugorje außerhalb des einstigen Jugoslawien.
Der Mariologe erklärte am Ende einer Erkundungswoche in der argentinischen Provinz Ende 2011: „Es ist alles sehr positiv“. „Seherin“ von Salta ist Maria Livia de Obeid. Die „Erscheinungen“ erfolgen in der Marienwallfahrtskirche Virgen del Cerro von Salta. Mehr als eine Million Menschen suchen jedes Jahr den Ort auf, um mit der „Seherin“ zu beten. Jeden Samstag zwischen März und Dezember besteigen zwischen 30.000 und 40.000 Menschen den 300 Meter hohen Hügel, auf dem sich die Marienwallfahrtskirche befindet, die auf Wunsch der „Erscheinung“ im Jahr 2000 eingeweiht wurde. Wie in Medjugorje, bestätigen auch in Salta zahlreiche Priester, daß am Cerro nicht praktizierende Katholiken ihren Glauben wiederfinden und Ungläubige zum Glauben kommen.
Erzbischof Carniello kam nach dreijähriger Untersuchung allerdings, wie seinerzeit der Bischof von Mostar und dann die ganze Bischofskonferenz zum Schluß, daß „es keinen Beweis oder objektives Zeugnis für die Übernatürlichkeit der angeblichen Erscheinungen der Jungfrau Maria“ gebe. Wie im Fall Medjugorje entschied die zuständige kirchliche Autorität auch im Fall Salta „non constat de supernaturalitate“.
Dementsprechend forderte Jorge Mario Bergoglio als Erzbischof von Buenos Aires seine Priester im Zusammenhang mit Salta zur Vorsicht auf und dazu, sich immer mit dem Ortsklerus gemäß den Anweisungen des zuständigen Erzbischofs zu verhalten. Allerdings wurden auch im Fall Salta, trotz der negativen Stellungnahme der zuständigen kirchlichen Autorität keine Maßnahmen ergriffen, den Zustrom der Pilger zu behindern oder gar zu verbieten. „Im Vordergrund steht die seelsorgliche Betreuung der Pilger“, heißt es auch in der Erzdiözese Salta.
Kirchliche Einbindung durch Errichtung einer Gebetsstätte?
Die Ablehnung von „Erscheinungen“ durch die Kirche, manchmal verbunden mit drastischen Maßnahmen, ging immer einher mit der Seelsorge für die Gläubigen, die von der Kirche geleitet und geführt werden, notfalls von falschen Wegen abgehalten und wieder auf den rechten Weg zurückgeführt werden müssen. Angebliche „Erscheinungsorte“ wurden deshalb zu Gebetsstätten erhoben und damit zu Orten des Gebets und der Wallfahrt für die Volksfrömmigkeit gemacht, ohne daß „Erscheinungsbotschaften“ jedoch eine Rolle spielen.
Zu welchem Zeitpunkt?
Diesen Weg für Medjugorje oder Salta zu gehen, gilt jedoch als schwierig. Die Tatsache, daß die „Erscheinungen“ fortdauern, steht einer solchen kirchlichen Nicht-Anerkennung als Erscheinungsort, aber kirchenrechtlichen Eingliederung und damit offizielle „Verkirchlichung“ eines umstrittenen Ortes mit kirchlicher Rechtgläubigkeitskontrolle im Weg. Sollte das Phänomen Medjugorje nicht echt sein, und gemäß kirchlichem Urteil kann seit der Erklärung von Zara von 1991 nichts anderes behauptet werden, würde zwar durch die Fortdauer der „Erscheinungen“ eine endgültige Entscheidung durch den Papst verhindert und hinausgezögert werden, damit aber auch eine kirchliche „Normalisierung“ durch die Errichtung einer Gebetsstätte verhindert werden. Der Verweis auf eine „endgültige“ Entscheidung bezieht sich auf die unter Medjugorje-Anhängern verbreitete, allerdings irrige Meinung, die Kirche habe solange nicht über eine „Erscheinung“ geurteilt, solange nicht der Papst dazu entschieden hat. In dieser Sicht der Dinge wird das negative Urteil des Bischofs von Mostar zuerst und der Jugoslawischen Bischofskonferenz dann ignoriert und nicht anerkannt. Kirchenrechtlich ist die Situation jedoch umgekehrt. Die Kirche hat durch die zuständige Autorität bereits eine Entscheidung getroffen und die ist im Falle Medjugorjes negativ ausgefallen. Dieses negative Urteil gilt bis auf Widerruf.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: ACI Prensa/Traditio Catholica