Wie mißverständliche Signale des Papstes allgemeiner Sprachgebrauch werden


Besuch von Papst Franziskus bei Italiens Staatspräsident Napolitano(Rom) Am 14. Novem­ber stat­te­te Papst Fran­zis­kus dem ita­lie­ni­schen Staats­ober­haupt einen Staat­be­such ab. Die Rede von Staats­prä­si­dent Gior­gio Napo­li­ta­no bestä­tigt, wie eini­ge umstrit­te­ne Aus­sa­gen von Papst Fran­zis­kus in den all­ge­mei­nen Sprach­ge­brauch Ein­gang gefun­den haben. Für Katho­li­ken kein Grund zur Freu­de, meint Fran­cis­co Alvez. Es geht um die kon­kre­ten Aus­wir­kun­gen die­ses Pon­ti­fi­kats. Erschreckend sei bereits gewe­sen, daß sich am 5. Novem­ber nach lan­gem Tau­zie­hen im Par­la­ment des US-Bun­des­staa­tes Illi­nois eine Mehr­heit für die Lega­li­sie­rung der „Homo-Ehe“ fand.  Eini­ge katho­li­sche Abge­ord­ne­te der Demo­kra­ti­schen Par­tei, die bis­her das Gesetz abge­lehnt hat­ten, stimm­ten plötz­lich unter Beru­fung auf Papst Fran­zis­kus und sei­ne Aus­sa­gen zur Homo­se­xua­li­tät für das Gesetz und ver­schaff­ten ihm die ent­schei­den­de Mehr­heit.

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Das Pro­blem, so Alvez sei­en nicht die Aus­sa­gen eines welt­li­chen Staats­ober­haup­tes, das – wie Gior­gio Napo­li­ta­no – aus einer kom­mu­ni­sti­schen Tra­di­ti­on kommt. Das Pro­blem lie­ge viel­mehr in der „pasto­ra­len“ Auf­fas­sung des Papst­am­tes durch Fran­zis­kus. „Man kann sich nur wün­schen, daß sei­ne Mit­ar­bei­ter ihn gele­gent­lich an der Sou­ta­ne neh­men und zu Vor­sicht und Zurück­hal­tung anhal­ten“. Wenn Napo­li­ta­no als Staats­prä­si­dent zwei­fel­haf­te Schlüs­se zieht, dann wur­de das nur mög­lich, weil der Papst zwei­fel­haf­te Aus­sa­gen mach­te. In sei­ner Rede hät­te der Papst zudem die Mög­lich­keit gehabt, bestimm­te Miß­ver­ständ­nis­se zu kor­ri­gie­ren, was aber nicht gesche­hen ist.
Es gehe auch dar­um, nicht zu ver­ges­sen, daß sich der „pasto­ra­le“ Ein­satz des Pap­stes nicht nur an ein „ein­fa­ches Volk“ zu rich­ten habe, son­dern auch an ein aka­de­misch gebil­de­tes Publi­kum, das mensch­lich zwar nicht anders sei, als das „ein­fa­che Volk“, aber bewußt oder unbe­wußt nach einer ande­ren Spra­che ver­langt. Glei­ches gilt für die Ent­schei­dungs­ebe­ne in Staat, Wirt­schaft und Gesell­schaft. Ein „wir haben uns alle gern“ genü­ge nicht allen und wer­de auch dem Ver­kün­di­gungs­auf­trag der Kir­che nicht gerecht. „Papst Fran­zis­kus macht als Pre­di­ger das, was jeder gute Pfar­rer tun soll­te. Er ist aber der Papst, wes­halb sei­ne Rol­le und der dazu­ge­hö­ren­de Stil, inzwi­schen ein ande­rer sein sollte.“

Napolitano-Rede bestätigt Ausbreitung umstrittener Aussagen des Papstes

von Fran­cis­co Alvez

Die Rede des Staats­ober­haup­tes wur­de auf der Inter­net­sei­te des Qui­ri­nals, dem Amts­sitz des ita­lie­ni­schen Prä­si­den­ten ver­öf­fent­licht. Sie ent­hält eini­ge schwer­wie­gen­de Pas­sa­gen, wenn man bedenkt, daß die Reden sol­cher Höf­lich­keits­be­su­che gemäß diplo­ma­ti­schen Gepflo­gen­hei­ten bereits vor­her aus­ge­tauscht wer­den. Der Papst oder auch sei­ne eng­sten Mit­ar­bei­ter hat­ten Gele­gen­heit, bestimm­te Schluß­fol­ge­run­gen Napo­li­ta­nos bereits vor­ab zu lesen, die zei­gen, wie durch die Medi­en ver­brei­te­te umstrit­te­ne, miß­ver­ständ­li­che und sogar nicht katho­li­sche Aus­sa­gen von Papst Fran­zis­kus in den all­ge­mei­nen Sprach­ge­brauch Ein­gang gefun­den haben. Den­noch scheint der Hei­li­ge Stuhl kei­nen Anlaß und kei­ne Not­wen­dig­keit gese­hen zu haben, die­se Pas­sa­gen durch die Rede des Pap­stes zu kor­ri­gie­ren. Han­delt es sich nur um Schlam­pe­rei oder um zustim­men­des Gewährenlassen?

Staats­prä­si­dent Napo­li­ta­no sag­te: Und alle – Gläu­bi­gen und Nicht-Gläu­bi­gen – haben durch ein­fa­che und star­ke Wor­te, Ihre Vor­stel­lung von der Kir­che und vom Glau­ben gehört. Beein­druckt hat uns das Feh­len von jedem Dog­ma­tis­mus, die Distan­zie­rung von „Posi­tio­nen die nicht von einem Hauch von Unsi­cher­heit gestreift wer­den“, die Ermah­nung „dem Zwei­fel Raum zu las­sen“, wie er den „gro­ßen Füh­rern des Got­tes­vol­kes“ eigen ist.

Die Kir­che lehrt aber, daß wir durch sie siche­re Kennt­nis der offen­bar­ten Wahr­heit haben, die nicht bezwei­felt wer­den kann, da sie auf dem Wort Jesu Chri­sti beruht, der nicht betrügt und den man nicht betrü­gen kann. Alar­mie­rend ist die Fest­stel­lung vom „Feh­len des Dog­ma­tis­mus“. Eine Fest­stel­lung, die einer Ver­un­rei­ni­gung des Glau­bens durch den Athe­is­mus gleich­kommt. Und die offen­bar das Ergeb­nis eini­ger Wor­te und Gesten des amtie­ren­den Pap­stes ist, die Anlaß für Ver­wir­rung sind. Blie­be noch die Fra­ge, wer die­se unge­nann­ten „gro­ßen Füh­rer des Got­tes­vol­kes“ wären, die zum Zwei­fel an der Wahr­heit auf­for­dern und mit denen Napo­li­ta­no gera­de wegen der För­de­rung des Zwei­fels Papst Fran­zis­kus ver­glich. Durch den Hin­weis auf den feh­len­den Dog­ma­tis­mus meint das Staats­ober­haupt offen­sicht­lich den struk­tu­rel­len Zwei­fel, der das indi­vi­du­el­le Gewis­sen ver­ab­so­lu­tiert und damit die Wahr­heit rela­ti­viert und nicht an ein gele­gent­li­ches Zwei­feln in Form einer Anfech­tung oder einer Fra­ge, die zur Ver­tie­fung des Glau­bens aus der Wahr­heit veranlaßt.

Die moderne Welt im Licht des Evangeliums lesen oder das Evangelium im Licht der modernen Welt?

Napo­li­ta­no: Wir haben in Ihren Wor­ten den Geist des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils vibrie­ren hören, als „ein neu­es Lesen des Evan­ge­li­ums im Licht der moder­nen Kul­tur“. Und wir sehen so neue sich abzeich­nen­de Per­spek­ti­ven jenes „Dia­logs mit allen, auch den Ent­fern­te­sten und den Geg­nern“, die Euer Hei­lig­keit ange­regt hat und die eben den grö­ße­ren Hori­zont dar­stel­len, auf den man heu­te not­wen­di­ger­wei­se abzie­len muß.

Aus katho­li­scher Sicht wäre es wün­schens­wert gewe­sen zu hören, daß die moder­ne Kul­tur im Licht des Evan­ge­li­ums gele­sen wird und nicht umge­kehrt, wor­auf bereits meh­re­re katho­li­sche Kri­ti­ker auf­merk­sam gemacht haben, nach­dem das Inter­view der Civil­tà  Cat­to­li­ca mit Papst Fran­zis­kus erschie­nen ist, dem Napo­li­ta­no das Zitat ent­nom­men hat. Soll das Evan­ge­li­um im Licht der jeweils moder­nen Kul­tur gele­sen wer­den, ist es das Ziel, das Evan­ge­li­um im Kon­text einer bestimm­ten histo­ri­schen Situa­ti­on zu ändern. Ist also auch die unver­än­der­li­che und immer gül­ti­ge Wahr­heit in stän­di­ger Evolution?

Anthropologische Herausforderung

(…) Die in der Welt von heu­te anzu­neh­men­den Her­aus­for­de­run­gen sind auch „anthro­po­lo­gi­scher“ Natur. „Der Mensch ändert mit der Zeit die Wei­se, sich zu ver­ste­hen“, „Der Mensch ist auf der Suche nach sich selbst“, haben Sie gesagt, und Sie haben uns gewarnt vor einem Den­ken, das „das Mensch­li­che aus dem Auge verliert“.

In der päpst­li­chen Ant­wort fehlt der not­wen­di­ge Hin­weis, daß die­se „Suche“ und das ver­än­der­te Ver­ständ­nis in die Irre füh­ren kann, wenn es den Rah­men des Natur­rechts ver­läßt. Abge­se­hen davon ist eine Ände­rung der Wahr­heit nicht mög­lich, deren Hüter, Trä­ger und Ver­kün­der die Kir­che ist.

Kirche nur ein Sozialverein?

Napo­li­ta­no beschwor dann einen „neu­en Geist der Soli­da­ri­tät und der gemein­sa­men Ver­ant­wor­tung, in dem es gilt, sich – gelei­tet von der Hoff­nung – die schlimm­sten Übel, die die Welt von heu­te bedrän­gen, zu über­win­den.“ Napo­li­ta­no sprach wei­ters von den „Rän­dern“ und dem sozia­lem Ein­satz, den auch die Kir­che erbrin­ge, „indem sie sich von jedem Über­bleib­sel von Ein­mi­schung in die poli­ti­schen Ange­le­gen­hei­ten befreit“.

Das ita­lie­ni­sche Staats­ober­haupt zeich­ne­te damit das Bild einer Kir­chen-AG, die zu einer huma­ni­tä­ren NGO redu­ziert wird. Die Kir­che hat sich selbst­ver­ständ­lich in die Poli­tik ein­zu­mi­schen, zu mah­nen und ein­zu­for­dern. Der Hori­zont des Glau­bens, der Offen­ba­rung, der exi­sten­ti­el­len Fra­gen jedes Men­schen, der Gesell­schaf­ten und Natio­nen, die Kir­che als Sakra­ment und Trä­ge­rin der Wahr­heit muß in der Rede eines welt­li­chen Staats­ober­haup­tes nicht vor­kom­men. In sei­ner Rede hät­te der Papst, wie bereits in eini­gen Pre­dig­ten, die­se Redu­zie­rung der Kir­che durch die welt­li­che Auto­ri­tät zurück­wei­sen kön­nen und sol­len. Statt des­sen wur­de der huma­ni­tä­re NGO-Cha­rak­ter auf sym­bo­li­scher Ebe­ne bestärkt durch die bei­den Bron­ze­fi­gu­ren, die der Papst Napo­li­ta­no schenk­te. Eine zeigt den Ein­satz für die Not­lei­den­den, die ande­re einen soli­da­ri­sche Welt des Frie­dens gegrün­det auf der Gerechtigkeit.

Die Welt einschließlich der Kirche als grenzenloser „Vorhof der Völker“?

Napo­li­ta­no: Ich glau­be, daß in die­sem Sin­ne, Euer Hei­lig­keit, die Poli­tik einen neu­en Anstoß aus Ihrer Bot­schaft und Ihren Wor­ten zie­hen kann. Eine Bot­schaft, die, wie Sie selbst sag­ten, „sich nicht nur an die Katho­li­ken wen­det, son­dern an alle Men­schen guten Wil­lens“, und die daher an einen bis­her wegen sei­ner Wei­te und sei­ner Tie­fe noch nicht gekann­ten Dia­log zwi­schen Gläu­bi­gen und Nicht-Gläu­bi­gen den­ken läßt, an einen Art sym­bo­li­schen, gren­zen­lo­sen „Vor­hof der Völker“.

In Assi­si wur­de eine neue über­ar­bei­te­te und aktua­li­sier­te Ver­si­on jener Theo­lo­gie des Zwei­fels in Sze­ne gesetzt, die soviel Anklang fand dank Kar­di­nal Mar­ti­ni und sei­ner Kathe­dra der Nicht-Gläu­bi­gen. Es ist kein Zufall, daß nun ein Kar­di­nal wie Gian­fran­co Rava­si, der in der Schu­le Mar­ti­nis groß wur­de, im Regie­raum sitzt. Die Aus­rich­tung ist offen­sicht­lich und das schon ab der Home­page des Vor­hofs der Völ­ker. „Der Vor­hof der Völ­ker will den oft stil­len Ruf des moder­nen Men­schen nach Gott auf­fan­gen und ihm Form ver­lei­hen, der für eine wach­sen­de Zahl von Men­schen ein ‚unbe­kann­ter Gott‘ bleibt“. Oder: „Auf der prak­ti­schen Ebe­ne strebt Kar­di­nal Rava­si, der Prä­si­dent des Päpst­li­chen Kul­tur­ra­tes, an, aus dem ‚Duell‘ zwi­schen den zwei unter­schied­li­chen Auf­fas­sun­gen ein ‚Duett‘ zu machen, in dem zwei Stim­men har­mo­nie­rend ihre Ansich­ten mit­tei­len, ohne dabei ihre Eigen­art auf­zu­ge­ben.“ Gewis­ser­ma­ßen eine ver­bes­ser­te Ver­si­on von Mar­ti­nis Erfin­dung, die ein­mal los­ge­las­sen, die Katho­li­zi­tät zur Selbst­auf­lö­sung führt.

Ein­lei­tung und Über­set­zung: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Prä­si­di­al­kanz­lei Quirinal

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