Franziskus oder Die Welt ist eine Scheibe – Verbiegungen II


Der Esel mit den drei OhrenFranziskus oder Die Welt ist eine Scheibe

In ihrem neu­en Gast­kom­men­tar befaßt sich die frei­schaf­fen­de Schrift­stel­le­rin und Künst­le­rin Han­na Jüng­ling erneut mit „Ver­bie­gun­gen“. Auch  im neu­en Auf­satz geht es um „Ver­bie­gun­gen“, die den Zustand der katho­li­schen Kir­che cha­rak­te­ri­sie­ren. Die Autorin geht der Fra­ge nach, was Papst Fran­zis­kus eigent­lich mit den „Rän­dern der Exi­stenz“ meint, einer häu­fig in den päpst­li­chen Anspra­chen wie­der­keh­ren­den For­mu­lie­rung, die sein Pon­ti­fi­kat zu prä­gen scheint. Von der sprach­li­chen Umschrei­bung aus­ge­hend wen­det sich Jüng­ling dem inhalt­li­chen Ver­ständ­nis zu und ver­sucht eine Veri­fi­zie­rung der päpst­li­chen Andeu­tun­gen und Auf­for­de­run­gen. Sie stößt dabei auf zahl­rei­che Fragezeichen.
Zuletzt ver­öf­fent­lich­ten wir von Han­na Jüng­ling den Bei­trag: Vor dem Aller­hei­lig­sten – Ver­bie­gun­gen I.

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Verbiegungen II:
Der Esel mit den drei Ohren

Anzei­ge

Von Han­na Jüngling *

„Wir müs­sen aus uns her­aus­ge­hen, um ande­ren ent­ge­gen zu gehen, uns an die Rän­der der Exi­stenz zu bege­ben, als erstes auf unse­re Brü­der und Schwe­stern zuzu­ge­hen, vor allem die Ent­fern­ten und Ver­ges­se­nen.“ [1]https://www.domradio.de/themen/papst-franziskus/2013–03-27/papst-franziskus-feiert-erste-generalaudienz (abge­ru­fen am 21.10.2013)

Fran­zis­kus spricht ger­ne von „Rän­dern“. Von „Rän­dern der Exi­stenz“. Oder dem „Rand eines Gebotes“.
„Rän­der der Exi­stenz“? Kann die „Exi­stenz“ einen Rand oder meh­re­re „Rän­der“ haben? Hat die „Exi­stenz“ eine „Mit­te“?
Exi­stenz heißt Dasein.
In der Welt jeden­falls gibt es kei­ne „Rän­der“. Nirgends.
War­um? Die Erde ist rund. Nur eine Schei­be hat Ränder…
Gäbe es auf dem Glo­bus „Rän­der“, müss­te man bestim­men, wo eine Mit­te auf der Ober­flä­che sein kann. Gin­ge man vom Erd­mit­tel­punkt aus, leb­ten alle Erd­be­woh­ner glei­cher­ma­ßen auf dem „Rand“.
Man könn­te ver­mu­ten, dass F. meint, die Mit­te sei da, wohin die Auf­merk­sam­keit gerich­tet ist. Die Rän­der sei­en da, wo nie­mand hin­schaut. Das wäre aber genau genom­men nicht der Rand der Exi­stenz, son­dern der Rand des Fokus, des Brenn­punk­tes, in ver­such­tem genaue­rem Deutsch des „Blick­win­kels“. Aber wes­sen Blick­win­kel eigent­lich? Dei­ner? Mei­ner? Und der Blick­win­kel worauf?
Wo ist „die“ Mit­te „der“ fokus­sier­ten Welt?

Vom Blick­win­kel wel­cher Per­so­nen und wohin also spricht er? Will er sagen, es gebe einen Mehr­heits­blick­win­kel? Viel­leicht einen rein öko­no­mi­schen Fokus? Aber spielt der in der Kir­che wirk­lich eine Rol­le? Wenn ja, wo und seit wann? Oder meint er gar nicht die Kir­che, son­dern die Welt im all­ge­mei­nen? Wo und mit wel­chem Blick­win­kel soll sich die Kir­che in der Welt – womög­lich sogar mit ihr ver­schmol­zen – positionieren?
Hält nicht der stol­ze Mensch sich selbst stets für den Mit­tel­punkt der Welt und ver­sucht, sich in sei­nem „sozia­len Seg­ment“ mög­lichst ins Zen­trum der Macht zu rücken – die Stra­te­gie dazu sei ein­mal dahin­ge­stellt? Es sei aber nur soviel gesagt: Auch das fei­ge Schwei­gen ist eine Form der Macht­si­che­rung, und hand­le es sich dabei auch nur die klei­ne unbe­deu­ten­de Macht des zähen Überlebens.

Aber was genau ist die­ses „In-der-Mit­te-Sein“? Man­che hal­ten sich, obwohl sie im Zen­trum ihrer per­sön­li­chen Wahr­neh­mung ste­hen, doch für „Außen­sei­ter in der Gesell­schaft“ oder wer­den dafür gehal­ten. Oder fin­den es „schick“, eine „Aus­nah­me­exi­stenz“ zu sein. Es ist ein­fach so schrill und cool, eine „Min­der­heit“ zu sein, noch dazu, wenn es eine lob­by­istisch eta­blier­te Min­der­heit ist, die damit koket­tiert, dass sie viel­leicht in Wahr­heit gar kei­ne Min­der­heit, son­dern der Nor­mal­fall sei. Mir fal­len da spon­tan Per­so­nen mit – aus ihrer Sicht – schutz­be­dürf­ti­gen, „abwei­chen­den“ sexu­el­len Ori­en­tie­run­gen ein. Sie wer­den an den Rand gedrängt, sagt man. Bloß an wel­chen Rand? Sie ste­hen immer­hin seit Jahr­zehn­ten im Mit­tel­punkt der poli­ti­schen und media­len Auf­merk­sam­keit. Damit mei­ne ich, dass ihre Inter­es­sen sta­ti­stisch über­the­ma­ti­siert wer­den. Was ihr gro­ßes Lebens­dra­ma betrifft, steht aller­dings eine hand­fe­ste, soli­de und red­li­che inter­dis­zi­pli­nä­re Beschäf­ti­gung am Ran­de der Dis­kus­si­on über ihre Inter­es­sen. Man soll­te die Rand­exi­stenz sol­cher Stu­di­en in die Mit­te wis­sen­schaft­li­cher, seriö­ser For­schung eben­so holen wie die Debat­te über die „Ori­en­tie­rung“ der Rand­exi­sten­zen selbst. Wir mer­ken – das mit der Rede vom „Rand“ ist … sagen wir: schwer zu fassen.
Ist das etwa ein „Rand“, wie Fran­zis­kus ihn gemeint hat?

Wohl kaum, denn er mag das ver­nünf­ti­ge Den­ken nicht beson­ders. In sei­nen Reden steht es grund­sätz­lich unter Ver­dacht. Scha­de. Sei­ne bei­den Vor­gän­ger haben das ganz anders gelehrt. Ver­nünf­ti­ge Ein­sicht in Geheim­nis­se mache immer (!) ver­rückt, behaup­te­te Fran­zis­kus gestern. [2]https://​www​.kath​.net/​n​e​w​s​/​4​3​370 Ja, was soll man da noch sagen… Ich könn­te die­sen Satz, der wohl sei­ner Selbst­er­fah­rung ent­stammt, weder bei mir selbst noch bei ande­ren bestä­ti­gen. Merk­wür­dig. Ver­nünf­ti­ges Nach­den­ken ent­zau­bert sen­ti­men­ta­le Mythen, deckt ver­meint­li­che Geheim­nis­se als Offen­sicht­li­ches auf und bleibt respekt­voll vor dem Gött­li­chen ste­hen, das alle Ver­nunft übersteigt.

Als ob Gott einen halt­lo­sen, beein­fluss­ba­ren, auf die Irra­tio­na­li­tät ein­ge­schwo­re­nen Men­schen woll­te! Braucht Fran­zis­kus sol­che Menschen?
Ich muss tief durch­at­men, denn ist wie­der ein­mal nicht klar, was Fran­zis­kus meint, auch wenn es den Schulz-von-Thun-erprob­ten Zeit­ge­nos­sen mit ihren gro­ßen kom­mu­ni­ka­ti­ons­psy­cho­lo­gi­schen Esels­oh­ren gut „rein­läuft“. Der Esel mit den drei Ohren – dem Bezie­hungs­ohr, dem Appell­ohr und dem Selbst­of­fen­ba­rungs­ohr. Ein vier­tes Ohr ist ihm abhan­den gekom­men, näm­lich das Sach­in­halts­ohr. Es kommt nicht mehr drauf an, was man sagt, son­dern wie man’s sagt. Der Ton macht die Musik. Aber wel­ches Musik­stück spielt uns Fran­zis­kus da vor?

Will man das Lied­lein nach­sin­gen, fällt einem nicht mehr ein, was er gera­de geträl­lert hat. Es ist weg, verschwunden.
Denn vor allem ande­ren ist die Exi­stenz kein Brenn­punkt, kein Fokus, son­dern das gan­ze Dasein. Und das Dasein im gan­zen hat weder Rand noch Mit­te. Es ist ohne­hin zwei­fel­haft, ob die Exi­stenz mit einem geo­me­tri­schen Kör­per ver­gleich­bar ist… Die Rede könn­te höch­stens von „exi­sten­ti­el­len Rän­dern“ sein und dann könn­te man klä­ren, wel­che exi­stie­ren­de Sozie­tät und deren Struk­tur man kon­kret meint. Der­ar­ti­ge Prä­zi­si­on habe ich jedoch von Fran­zis­kus noch nie gehört.
Auf jeden Fall schürt das Reden vom „Aus-sich-Her­aus­ge­hen an die Rän­der der Exi­stenz“, so unver­ständ­lich es ist, wenn man prä­zi­se und scharf denkt, die dump­fen und aggres­si­ven Instink­te all jener, die nicht ver­nünf­tig zu den­ken gewohnt sind. Meh­re­re Schuld­zu­wei­sun­gen, die als Lügen ange­se­hen wer­den müs­sen ange­sichts der Über­fül­le an Gegen­be­wei­sen, wer­den hier auf Samt­pfo­ten in den Raum gestellt:
a. Die Kir­che sei zu sehr bei sich selbst und gehe nicht nach außen
b. Uns wer­den nicht wei­ter defi­nier­te Men­schen, deren Merk­mal ist, dass sie an die­sem omi­nö­sen Rand ste­hen, als unse­re „Brü­der und Schwe­stern“ ser­viert – nach der Leh­re sind jedoch nur unse­re Glau­bens­ge­schwi­ster unse­re Brü­der und Schwe­stern. Alle ande­ren sind ein­fach ande­re Menschen.
c. Die Kir­che küm­me­re sich nicht um die Armen und Ver­ges­se­nen. Nichts ande­res tut sie seit es sie gibt – aber sie tut es sekun­där. Zuerst kommt die Mis­si­on als Pro­se­ly­tis­mus. Die aber lehnt Fran­zis­kus bekann­ter­ma­ßen und aus­drück­lich ab. [3]Inter­view von Euge­nio Scal­fa­ri mit Fran­zis­kus, ver­öf­fent­licht in La Repubbli­ca am 2. Okto­ber 2013 Jesus hat in sei­nem Mis­si­ons­auf­trag nicht befoh­len, Schu­len und Kran­ken­häu­ser zu bau­en und den eige­nen Glau­ben ein­zu­rei­hen in die vie­len Glau­bens­tra­di­tio­nen der Welt. ER hat befoh­len, zu tau­fen (also „Pro­se­ly­ten zu machen“) und die Getauf­ten zu leh­ren, das, was ER gelehrt hat, zu hal­ten. Wun­der­sa­mer­wei­se haben sol­che Mis­sio­na­re stets auch Schu­len und Kran­ken­häu­ser gebaut. F. wider­spricht also unse­rem Herrn direkt und dreist.

War­um schürt Fran­zis­kus sol­che dump­fen Instink­te im Zwie­licht ver­zer­ren­der Behauptungen?
Fra­gen über Fra­gen. Unbe­ha­gen über Unbehagen.
Es hat etwas Demagogisches.

An einer ande­ren Stel­le spricht Fran­zis­kus vom „Rand des Gebotes“:

„Als ich ein Kind war, betrat man nor­ma­ler­wei­se nicht das Haus von Geschie­de­nen, schon gar nicht, wenn sie wie­der gehei­ra­tet hat­ten. Heu­te ruft der Papst selbst die­je­ni­gen, die eine neue Bin­dung ein­ge­gan­gen sind, dazu auf, am kirch­li­chen Leben teil­zu­neh­men. Er bit­tet sie zu beten, in den Pfarr­ge­mein­den und bei kari­ta­ti­ven Wer­ken mit­zu­ar­bei­ten. Ihre Tau­fe wird nicht, weil sie am Ran­de des Gebots ste­hen, auf­ge­ho­ben. Ich gebe zu, dass der Rhyth­mus viel­leicht nicht dem Tem­po der gesell­schaft­li­chen Ver­än­de­run­gen ent­spricht, doch die geist­li­chen Füh­rer, die auf die Stim­me Got­tes hören sol­len, müs­sen sich die erfor­der­li­che Zeit neh­men, um die Ant­wor­ten all­mäh­lich zu fin­den.“ [4]Bergoglio/​Skorka: Über Him­mel und Erde – als E‑Book, daher lei­der kei­ne Sei­ten­zah­len mög­lich, Kapi­tel 4: Über die Reli­gio­nen

Im Klar­text: Men­schen, die in schwe­rer Sün­de leben, „ste­hen (…) am Ran­de des Gebo­tes“. Meint Berg­o­glio im Wider­spruch zur Leh­re der Kirche.
Ist ein gött­li­ches Gebot auch eine Schei­be mit Mit­tel­punkt und Rän­dern? Im Mit­tel­punkt steht der, der das Gebot hält und am Rand der, der es nicht hält? Aber hal­ten tun sie alle das Gebot, nur eben mehr oder weniger?
Welch ein absur­des Bild! Ent­we­der ich hal­te ein Gebot oder ich bre­che es.
Lebe ich im Ehe­bruch oder nicht? Ja oder Nein? Oder bege­he ich viel­leicht ein biss­chen Ehe­bruch? Oder bin ich gar nicht sicher, ob ich noch in mei­ner Ehe ohne Ehe­bruch lebe, auch wenn ich mit nie­man­dem ande­ren schlafe?
Welch ein ver­wirr­tes Den­ken spie­gelt sich hier wider!

Das Kenn­zei­chen einer schwe­ren Sün­de ist, dass sie immer von Gott trennt – auch dann, wenn man dem Sün­der viel zugu­te hal­ten mag, etwa mil­dern­de Umstän­de. Aber nichts auf der Welt kann einen Glau­bens­ab­fall, einen Mord oder einen Ehe­bruch in sei­ner Schwe­re abmildern.
Wie kann ein Bischof im Ernst davon spre­chen, ein Ehe­bre­cher lebe am „Ran­de des Gebotes“?

Jahr­tau­sen­de­lang war eine gül­ti­ge Ehe durch zwei Din­ge gekenn­zeich­net: durch die Wil­lens­er­klä­rung, die for­mel­le und frei­wil­li­ge Ehe­schlie­ßung und durch den Voll­zug der Sexua­li­tät. Alles ande­re zähl­te nicht als spe­zi­fi­sches Merk­mal einer Ehe. Eine Ehe galt dann als gebro­chen, wenn man mit einem ande­ren Men­schen als dem Ehe­part­ner sexu­ell ver­kehrt. Die Ange­le­gen­heit war ein­fach. Und sie bedarf die­ser Ein­fach­heit, um die Men­schen nicht ver­rückt zu machen.

Nach dem Vati­ca­num II. schwa­dro­nier­te man auch in der Kir­che – wie die säku­la­re Welt – von der Lie­be, die allei­ne eine Ehe begrün­de. In der Welt wur­de es üblich, im Ver­lust der „Lie­be“ einen legi­ti­men Schei­dungs­grund zu sehen. Gro­ße Tei­le der Kir­che folg­ten dem roman­ti­schen Modell und berie­ten die Gläu­bi­gen so, als sei die „bräut­li­che Lie­be“ der erste Ehe­zweck. Die Kir­che hat jedoch die Lie­be in allen Bezie­hun­gen zwi­schen Chri­sten stets vor­aus­ge­setzt – kei­nes­wegs nur in der Ehe. Eine Ehe ent­sprang einem nüch­ter­nen Ent­schluss und dem Ja zur Beru­fung, eine Fami­lie zu grün­den. Die Sexua­li­tät wur­de nie­mals als Selbst­zweck oder gar als Weg zur beson­de­ren Begeg­nung ange­se­hen. Weil sich zwei Men­schen auch leib­lich sehr nahe kom­men, wächst die Ver­ant­wor­tung gegen­über die­sem Men­schen. Das ist aber kein Zei­chen einer grö­ße­ren Liebe.

Um Ehe­brü­che zu recht­fer­ti­gen, wer­den heu­te man­nig­fa­che Zwei­fel an einem bei der Ehe­schlie­ßung „ech­ten“ Ehe­wil­len ins Feld geführt. [5]Schocken­hoff, Eber­hard: Kir­che als Ver­söh­nungs­ge­mein­schaft. Her­der Kor­re­spon­denz, Son­der­druck 4/​2012 Anders­her­um wird den Men­schen nicht klar gemacht, dass bei­spiels­wei­se ein Zusam­men­hau­sen ohne Trau­schein kei­nes­wegs eine Ehe ist, denn es fehlt der Ehe­wil­le. Wäre er vor­han­den, hät­ten die Betrof­fe­nen eine Ehe geschlos­sen. Wenn sie aber kei­ne Ehe geschlos­sen haben, sind sie auch nicht ver­hei­ra­tet. Selbst wenn in einer sol­chen Ver­bin­dung Kin­der gezeugt und gebo­ren wer­den han­delt es sich nicht um eine Ehe. Die Fra­ge, ob die Betrof­fe­nen sich lie­ben, ist hin­sicht­lich der Fra­ge, ob es sich hier um eine Ehe han­delt, eben­falls uner­heb­lich. Jahr­tau­sen­de­lang hat nie­mand einer sol­chen Lebens­wei­se die Wür­de einer Ehe zuer­kannt. Denn die Wür­de der Ehe – wie gesagt – liegt wesent­lich dar­in, dass ein Part­ner dem ande­ren wil­lent­lich und öffent­lich in Form eines Rechts­ver­tra­ges den Sta­tus des Gemahls ver­leiht. Das ist eine ganz ande­re Sache und lässt auch heu­te noch, trotz der ver­wor­re­nen und ver­dun­kel­ten Denk­wei­se, spü­ren, dass die Lie­be und der Respekt vor­ein­an­der vor allem dar­in zum Aus­druck kommt, dass man sich dem objek­ti­ven Recht stellt.

Die Rede vom „Leben am Ran­de des Gebo­tes“ ent­springt die­ser ver­wor­re­nen und ver­fin­ster­ten Denk­wei­se, in der alles ver­mischt und ver­wischt wor­den ist. In der inner­kirch­li­chen Debat­te wird häu­fig behaup­tet, nach einer kata­stro­pha­len ersten Ehe sei es oft sinn­vol­ler und bes­ser, geord­net und gewis­ser­ma­ßen geläu­tert in einer Zweit­ehe zu leben. Man kön­ne sol­che Ver­hält­nis­se doch nicht als objek­ti­ve Unord­nung bezeich­nen. Die Betrof­fe­nen sind also inso­fern „am Rand“ der idea­len christ­li­chen Ver­hält­nis­se, aber doch nicht außer­halb die­ser Ord­nun­gen.… In einer sub­jek­ti­ven Deu­tung mag sich dies so anse­hen. Aber objek­tiv leben sie unge­ord­net. Sie haben einem Ehe­part­ner in einer kirch­li­chen Ehe­schlie­ßung das Sakra­ment der Ehe gespen­det und dies auch gewollt. Selbst das säku­la­re Recht zieht die Betrof­fe­nen hier vor allem in mate­ri­el­ler Hin­sicht noch zur Ver­ant­wor­tung. Die christ­li­che Ehe ist jedoch nicht eine Ein­rich­tung vom Men­schen für den Men­schen, son­dern von Gott für Gott. ER stif­tet die Ehe zwi­schen zwei Men­schen. Der Mensch lebt die Ehe nicht für sich selbst und sei­ne Befrie­di­gung, son­dern für Gott und des­sen Schöp­fer­wil­len. Eben­so wie ande­re ein zöli­ba­t­ä­res Leben nicht um ihrer selbst wil­len, son­dern für Gott leben. In der Ehe sol­len neue Men­schen ins Leben geru­fen und auf­ge­zo­gen wer­den. Die Treue zum Ehe­gat­ten ist Aus­druck der Treue zu Gott. Zer­bricht die gute Bezie­hung zum Ehe­gat­ten, ändert das nichts dar­an, dass er der Ehe­mann, die Ehe­frau ist. In einer zer­bre­chen­den Ehe wird der Schmerz Got­tes erfahr­bar, wenn wir von IHM abfal­len. Gott kün­digt sei­ne unwi­der­ruf­li­che Bin­dung an uns des­we­gen nicht auf. Aber es ist ein­deu­ti­ge Aus­sa­ge der Hei­li­gen Schrift und der Dog­men, dass der­je­ni­ge, der im Abfall bleibt, ver­lo­ren ist. Gott ver­zeiht zwar jedem bei der Umkehr und nimmt ihn in Ehren wie­der auf. Aber ohne die­sen Akt der Rück­kehr geht der Mensch den selbst­ge­wähl­ten Weg in die Höl­le. Die Auf­ga­be eines Men­schen in einer anstren­gen­den oder bela­ste­ten Ehe ist nach katho­li­scher Auf­fas­sung die, die­ses Zei­chen des Schmer­zes Got­tes zu leben und dem Part­ner, vor allem aber IHM treu zu blei­ben. Mir ist klar, dass das heu­te unver­ständ­lich klingt. Es war aber Leh­re der Kir­che von Anfang an. Es wäre an der Zeit, die Bri­sanz die­ser Leh­re zu medi­tie­ren: nein, ER sagt nicht „Schwamm drü­ber“ und zele­briert nach all dem Leid auf Erden eine undif­fe­ren­zier­te Allversöhnung!

Ande­rer­seits sind im Chri­sten­tum der Lie­be – im Gegen­satz zur Sexua­li­tät – kei­ner­lei Gren­zen gesetzt. Jeder ist dazu beru­fen, zu lie­ben. Vor allem Gott und dar­aus abge­lei­tet den Nächsten.

Die Rede vom ehe­bre­che­ri­schen „Ste­hen am Ran­de des Gebo­tes“ wider­spricht fun­da­men­tal dem katho­li­schen Ver­ständ­nis der Ehe. Es wun­dert daher nicht, dass Berg­o­glio etwas spä­ter hin­sicht­lich der libe­ra­le­ren Umgangs­wei­se mit wie­der­ver­hei­ra­tet Geschie­de­nen in der Kir­che sagt: „Ich gebe zu, dass der Rhyth­mus viel­leicht nicht dem Tem­po der gesell­schaft­li­chen Ver­än­de­run­gen ent­spricht, doch die geist­li­chen Füh­rer, die auf die Stim­me Got­tes hören sol­len, müs­sen sich die erfor­der­li­che Zeit neh­men, um die Ant­wor­ten all­mäh­lich zu fin­den.“ Das klingt so, als hal­te er eine wei­te­re Libe­ra­li­sie­rung für offen.
Das Gebot also hat zwar eine Mit­te, kann sich aber an den Rän­dern soweit aus­deh­nen, dass auch Ehe­bruch in vie­len For­men immer noch als ein „Hal­ten des Gebo­tes“ recht­fer­tigt wer­den kann.

Berg­o­gli­os Schei­ben-Meta­pho­rik ist Zei­chen einer sub­jek­ti­vi­sti­schen Auf­fas­sung der Reli­gi­on. Dazu passt sein Miss­trau­en gegen­über der Ver­nunft. Er sagt heu­te dies und mor­gen das. Man­ches klingt super­fromm und man­ches fast agno­stisch. Jeden Tag etwas Neu­es. Ich möch­te nicht den Teu­fel an die Wand malen – aber die­se Metho­de gehört zum uralten pro­pa­gan­di­sti­schen Hand­werks­zeug der Ver­füh­rer und Tyran­nen. Mit der­sel­ben Masche konn­ten die Natio­nal­so­zia­li­sten die unter­schied­lich­sten Grup­pie­run­gen an sich bin­den. Die Nazis spra­chen anfangs in vie­len Zun­gen und jeder hör­te, was er hören woll­te. Pie­ti­sten hoff­ten auf eine Instand­set­zung der „posi­ti­ven“ pro­te­stan­ti­schen Theo­lo­gie, Mon­ar­chi­sten auf die Abschaf­fung der Demo­kra­tie, Deutsch­na­tio­na­le auf die Abwehr der Sozi­al­de­mo­kra­tie, Natio­na­li­sten auf eine anti­se­mi­ti­sche Poli­tik, wirt­schaft­lich Gede­mü­tig­te auf die Reha­bi­li­ta­ti­on Deutsch­lands und den Abwurf des „Schand­dik­tats“ von Ver­sailles, man­cher Klein­bür­ger auf ein nicht-mar­xi­sti­sches Durch­grei­fen gegen­über den Rei­chen, Indu­stria­li­sie­rungs­geg­ner und Roman­ti­ker auf eine Wie­der­be­le­bung des Hand­werks etc. etc. Das Stim­men­ge­wirr ver­lor sei­ne Mehr­deu­tig­keit aber, sobald die Macht gesi­chert war. Wir wis­sen alle, wie es wei­ter­ging. Und wir ken­nen die­se Stra­te­gien im Klei­nen. Wie vie­le von uns muss­ten schon erle­ben, wie auf die­se Wei­se gan­ze Betrie­be und Unter­neh­men, Ver­ei­ne und Insti­tu­tio­nen erst schlei­chend, dann bru­tal und unter per­ma­nen­tem Rechts­bruch zer­stört und sämt­li­che Mah­ner weg­ge­mobbt wurden?
Soll es in der Kir­che, in der Kir­che eine welt­wei­te Ver­fol­gung der Tra­di­ti­ons­ver­bun­de­nen geben?

Bekannt ist auch die Masche, all jene, die auf das objek­ti­ve und prä­zi­se gel­ten­de Recht hin­wei­sen, als „Lega­li­sten“ zu beschimp­fen, wie es Fran­zis­kus unge­hemmt tut. Es ist jedes Mal wie­der ein nega­ti­ves Wun­der, wie ein Groß­teil der Men­schen sol­chen Cha­rak­te­ren ver­fällt und nach geta­ner Zer­stö­rung von allem nichts bemerkt haben will.
Ja, die Erde ist aus die­ser Sicht eine Schei­be mit Rän­dern. Es gibt nur noch zwei Dimen­sio­nen. Ist die Hori­zon­ta­li­tät die Posi­ti­on der Feig­heit und man­geln­den Aufrichtigkeit?
Es ist gut, dass ER das alles rich­ten wird.
ER ist „auf­ge­fah­ren in den Him­mel“ beken­nen wir immer noch, und „von dort wird ER kom­men, zu rich­ten die Leben­den und die Toten“. Ver­ti­kal, es gibt Oben und Unten.

Wäh­rend die Neue Kir­che das Reich Got­tes aus­schließ­lich auf der schei­ben­för­mi­gen Erde ver­wirk­licht wis­sen will und sich selbst im per­ma­nen­ten Fort­schritt („sem­per refor­man­da“) die Abso­lu­ti­on für alles ertei­len will, was ihr gera­de oppor­tun erscheint vor der Welt, glaubt(e) die wah­re Kir­che, die auf Jesus zurück­geht, an eine ver­ti­ka­le Anord­nung. Es gibt den Him­mel, die Erde und den Abgrund, die Höl­le. Zahl­lo­se Hei­li­ge der Ver­gan­gen­heit haben den Him­mel offen­ste­hen sehen (wie der Hl. Ste­pha­nus, der Hl. Pau­lus). Eben­so häu­fig hat­ten begna­de­te Hei­li­ge Höl­len­vi­sio­nen, die ihnen die Bri­sanz der not­wen­di­gen Bekeh­rung für jede See­le vor Augen führ­ten (wie die Hl. The­re­sa von Jesus, Don Bos­co, die drei Seh­erkin­der in Fati­ma oder die Hl. Faus­ty­na Kowal­s­ka). Es ist abwe­gig, all das nach 1900 Jah­ren selbst­ver­ständ­li­cher Exi­stenz im Glau­bens­gut als „zeit­be­dingt“ abzuschmettern.

Was ER von Anfang an gesagt hat, gilt in Ewig­keit und ist weder zwei­deu­tig noch zeitbedingt.
Zwei­deu­tig ist viel­mehr unser fal­sches Herz, zeit­ver­haf­tet unser ver­dor­be­ner Sinn.
Wel­che Belei­di­gung des Höch­sten, die­se sünd­haf­ten Wesens­zü­ge auf IHN und den wah­ren Glau­ben zu projizieren!

Unser Leben ist kurz. Wir alle müs­sen davon. Jeder wird vor IHM ste­hen. Wem viel gege­ben wur­de, von dem wird viel ver­langt. Auf wen wird das mehr zutref­fen als auf Bischö­fe und Päpste?
Rele­vant ist allein, was unser Herr von jedem von uns per­sön­lich gewollt hat, was wir getan haben und wie er uns am Ende beur­tei­len wird.
Was wird sein, wenn wir sagen müssten:

„Bela­den und tief gebeugt vom Bal­last unse­rer Zeit und unse­rem Eigen­wil­len kro­chen wir auf der Erde und san­ken immer tie­fer in sie ein, bis sie uns fraß.
Die Tage sind um. Wir haben sie ver­tan. Begra­ben sind wir unter unse­rer Zeit“

* Han­na Jüng­ling, frei­schaf­fen­de Musi­ke­rin, Schrift­stel­le­rin und Künstlerin

Text: Han­na Jüngling
Bild: Zeit­schnur

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1 https://www.domradio.de/themen/papst-franziskus/2013–03-27/papst-franziskus-feiert-erste-generalaudienz (abge­ru­fen am 21.10.2013)
2 https://​www​.kath​.net/​n​e​w​s​/​4​3​370
3 Inter­view von Euge­nio Scal­fa­ri mit Fran­zis­kus, ver­öf­fent­licht in La Repubbli­ca am 2. Okto­ber 2013
4 Bergoglio/​Skorka: Über Him­mel und Erde – als E‑Book, daher lei­der kei­ne Sei­ten­zah­len mög­lich, Kapi­tel 4: Über die Religionen
5 Schocken­hoff, Eber­hard: Kir­che als Ver­söh­nungs­ge­mein­schaft. Her­der Kor­re­spon­denz, Son­der­druck 4/​2012
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Katho­li­sches war die erste katho­li­sche Publi­ka­ti­on, die das Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus kri­tisch beleuch­te­te, als ande­re noch mit Schön­re­den die Qua­dra­tur des Krei­ses versuchten.

Die­se Posi­ti­on haben wir uns weder aus­ge­sucht noch sie gewollt, son­dern im Dienst der Kir­che und des Glau­bens als not­wen­dig und fol­ge­rich­tig erkannt. Damit haben wir die Bericht­erstat­tung verändert.

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