Gastkommentar von Winfried Bonifatius
(Stuttgart) Anpassungsdruck durch eine stark entchristlichte Gesellschaft; politische Erpressung durch die Landesregierungen bei Unbotmäßigkeit den Geldhahn für katholische Krankenhäuser und Einrichtungen abzudrehen (die Pille-danach-Entscheidung von Köln, nachdem die grüne Gesundheitsministerin mit der Rute fuchtelte, ist in guter Erinnerung); ein Laienapparat im kirchlichen Dienst, der nach 50 Jahren Konzilsjubel nicht selten bis in die Knochen protestantisiert ist; ein Teil des Klerus, der nach Jahrzehnten des Angriffs auf das sakramentale Priestertum resigniert versucht, möglichst unsichtbar im „allgemeinen“ Priestertum der Getauften aufzugehen; frustrierte glaubenstreue Katholiken, Priester und Ordensleute, die es leid sind, stiefmütterlich behandelt oder ausgegrenzt zu werden, weil sie die Bischöfe und Ordinariate dabei stören, sich ein weltkompatibles Aussehen zu geben.
Ein kleiner, ehrlich beantworteter Glaubenstest unter tonangebenden Priestern, hauptamtlichen Kirchenangestellten, Pfarrgemeinderäten und Verbandskatholiken würde wohl ein erschreckendes Bild zutage fördern. Bischöfe übrigens nicht ausgenommen. Unter solchen Voraussetzungen kann es nicht wundern, wenn die katholische Kirche kaum mehr Kraft hat, in die Gesellschaft der deutschsprachigen Länder hineinzuwirken, ihr Erscheinungsbild verzerrt ist und die katholische Lehre durch Vielstimmigkeit mehr verstört als anzieht. Die Entchristlichung folgt dabei keinem Naturgesetz. Sie hat Ursachen, einen Ursprung und historisch nachzeichenbare Entwicklungsstränge. Viel daran ist kirchlich mitverschuldet durch die irrige These, die Vielfalt der Gesellschaft in der Kirche widerspiegeln zu müssen, statt als Kirche ein homogener, glaubensfester und entschiedener Faktor in der Gesellschaft zu sein. So oder ähnlich stellt sich die Lage der Kirche in deutschen Landen dar, einer Kirche, die in einem verkrampften Positivsprech alles „mit Freude“ aufnimmt und in allem „eine Chance“ zu sehen vorgibt, und sei es etwas noch so kirchenfernes.
Rom ohne Armeen, aber mit sechs Milliarden Euro belagern
Und wen wundert es da, daß deutsche Bischöfe den offenen Aufstand proben. Sie tun es zum Thema der wiederverheiratet Geschiedenen und zwar lautstark gegen ihren ehemaligen Mitbruder, den einstigen Regensburger Bischof und nunmehrigen Glaubenspräfekten in Rom, Erzbischof Gerhard Ludwig Müller. Gemocht hatten ihn die nunmehrigen Rebellen ja ohnehin nicht besonders. Die Rebellion richtet sich in Wirklichkeit aber gegen den Papst als Stellvertreter Christi, die kirchliche Lehre und Ordnung.
Den deutschen Bischöfen sind die Armeen längst abhanden gekommen, aber sie können mit einer prallgefüllten Brieftasche (6 Milliarden Euro an Kirchensteuer 2012) vor die Tore Roms ziehen, um Kurie und Papst zu erpressen. Vielleicht auch mit einer kleinen Schisma-Drohung im Gepäck? Tatsächlich haben sie das im Kleinen schon getan. Darin hat auch ein österreichischer Erzbischof und Kardinal eine gewisse Erfahrung. Mit Rebellion haben die Bischöfe im deutschen Sprachraum so ihre Kenntnis. Die Königsteiner, Mariatroster (Österreich) und Solothurner Erklärungen (Schweiz) lassen grüßen. Ein Ungehorsam, der bis heute nicht überwunden wurde und seine zersetzenden Blüten treibt. Wohl auch deshalb geben sich die Bischöfe so handzahm gegenüber den ungehorsamen Priestern um den ehemaligen Monsignore Helmut Schüller.
Entweltlichungsforderung Benedikts XVI. bedeutete den Bruch
Es bedurfte nicht des Medienlieblings Franziskus, um von einem Papst zur Armut gemahnt zu werden, wenn auch das medial geschändete Gedächtnis den Massen einen solchen Eindruck vermittelt. Die dramatische Aufforderung von Papst Benedikt XVI. im Freiburger Konzerthaus vom September 2011, die deutsche Kirche solle sich entweltlichen, kennt in der neueren Kirchengeschichte nichts Vergleichbares. Doch der deutsche Kirchenapparat verweigerte sich, erstickte sofort jede Diskussion und ein Gutteil der Bischöfe brach, wenn nicht offen, so doch hinter den Kulissen endgültig mit dem Papst. Man hatte ihn ohnehin mehr geduldet als geliebt, solange er sich nicht zu sehr in deutsche Angelegenheiten einmischte. Letztlich aber war er der Anbiederung an das bundesrepublikanische Gesellschaftskartell im Weg.
Neuer Papst, neuer Versuch
Die Erpressung Benedikts XVI. in der Frage der wiederverheiratet Geschiedenen wäre zum Rohrkrepierer geworden. Das wußte auch Kardinal Lehmann. Bei Papst Franziskus, dem leichtfüßigeren Lateinamerikaner, dem durch seine romanische Herkunft der deutsche Dogmatismus zu fehlen scheint, macht man sich mehr Hoffnungen. Und man ist bereit, hinter der medial gesäuselten Begeisterung, dem Argentinier mit Zuckerbrot und Peitsche zuzusetzen, wie die erbosten Reaktionen auf die Bekräftigung der katholischen Lehre in Sachen Ehesakrament durch Erzbischof Müller zeigen. Die sprichwörtliche Scheckbuchpolitik der deutschen Bundesregierung hat ihre Parallele auch in der deutschen Kirche. Und das leider keineswegs immer zum Vorteil der Kirche. Die Rheinische Allianz, die beim Konzil das Heft des Handelns an sich riß, wußte damit schon damals in der Dritten Welt Stimmen einzusammeln.
Es zeichnet sich ab, daß im bedrohlich heraufziehenden Tauziehen viel von den Mitarbeitern abhängen wird, die den Papst umgeben. Der Römische Kurie, die manche residierenden Bischöfe so gerne zerschlagen oder zumindest schwächen möchten, hat noch wichtige Aufgaben zu erfüllen. Papst Franziskus hat sich in den vergangenen Monaten durch manchen Übereifer und etwas wenig Sinn für die Bedeutung und die Dimension des Papstamtes einigen Gefahren ausgesetzt. Er hat Türen aufgestoßen, die mit gutem Grund verschlossen waren. Durch diese Türen versuchen nun auch deutsche Bischöfe mit ihrem Forderungskatalog nach einer Kirche Light einzudringen. Papst Franziskus scheint nicht beratungsresistent, weshalb die Hoffnung besteht, daß er den richtigen Beratern sein Ohr schenkt, wie es in den vergangenen Wochen der Fall war. Ob es sich dabei nur um eine Wellenbewegung handelte, die Ebbe und Flut kennt, muß sich erst noch zeigen.
Viel wird von den Papstmitarbeitern abhängen, mehr noch von den Betern
Franziskus mag sich mancher Gefahren nicht bewußt gewesen sein. Es wird allerdings Zeit, daß er sich ihrer bewußt wird. Das Rumoren unter Deutschlands Bischöfen wird ihm hoffentlich zu Ohren gebracht werden. Bleibt zu hoffen, daß sich bessere Ratgeber finden als jene, die ihm im vergangenen Sommer meinten, die beiden Scalfari-Artikel mit Fragen vorlegen und einen „Dialog“ mit dem atheistischen Kirchengegner empfehlen zu müssen. Ein „Dialog“, der zwar viel fruchtlosen Applaus geerntet, aber substantiell reichlich Verwirrung gestiftet hat.
Der Papst wird mit dem losbrechenden Ansturm aufmüpfiger deutscher Bischöfe wie Reinhard Kardinal Marx (München-Freising), der tragischerweise auch Mitglied im C8-Kardinalsrat ist, oder der Bischöfe Stephan Ackermann (Trier) und Gebhard Fürst (Rottenburg-Stuttgart), um nur einige zu nennen, einiges zu tun haben. Ob und wie es ihm gelingen wird, die Absicht dieser Fronde abzuwehren und die katholische Glaubenslehre unversehrt zu bewahren, wird darüber entscheiden, wie er in die Kirchengeschichte eingehen wird. Die mißachteten und geschundenen glaubenstreuen Katholiken sollten sich schon mal bereithalten. Sie werden stark gefordert sein, vor allem durch Gebet, Sühne und Opfer, aber auch durch ihre Stimme an die Welt an diesem Ringen mitzuwirken, abzuwehren und die Kirche zu verteidigen.
Bild: Papa Benedetto