(Oslo) Die politisch korrekte Zensur fällt derzeit über die unauffällige Halskette mit einem Kreuzanhänger her, wie in Norwegen geschehen (siehe eigenen Bericht). Was aber, wenn man morgen Hand an Hymnen, Verfassungen, Nationalflaggen und andere Hoheitszeichen legt? Europa ist ein christlicher Erdteil, wer es „neutralisieren“ will, euthanasiert das Abendland.
Der Skandal um das Kreuz für die moderne Öffentlichkeit kommt immer aus dem Norden. Ein Schelm, wer einen Zusammenhang mit der Reformation sieht. Vor allem im äußersten Norden Europas scheint das lutherische Staatskirchentum nur mehr als dünne Folie über entchristlichte Länder zu liegen. Eine Situation, die durch dieses Staatskirchentum vorangetrieben wird, die eine Selbstabschaffung des Christentums vollzieht.
Das Kreuz von Nadia Eweida
Sieben Jahre ist es her, daß British Airways Nadia Eweida vom Dienst suspendierte, weil sie eine Halskette mit einem kleinen Kreuz getragen hatte. Ihre Arbeitskollegen, die Moslems oder Sikhs sind, konnten anstandslos ihre religiösen Symbole mit der Uniform der Fluggesellschaft kombinieren. Religion ist eben nicht Religion. Respekt wird nur den fremden Religionen gezollt, während das Verhältnis zum Christentum von einem Antichristentum geprägt ist.
Der Feldzug der Soile Tuulikki Lautsi
Im November 2009 war es die Finnin Soile Tuulikki Lautsi, die verheiratet mit einem Italiener in Italien die Abhängung der Kreuze aus den Klassenzimmern ihrer schulpflichtigen Kinder forderte, weil sie und ihr Mann Atheisten sind. Es gelang ihr, vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg in erster Instanz eine Verurteilung ihres Gastlandes zu erreichen. Dem Land, dessen Primas der Papst selber ist, wurde von den Richtern auferlegt, die Kreuze aus allen Schulen zu entfernen. Wohlgemerkt aus allen, weil ein atheistisches Nordlicht sich Sorgen machte, daß ihre Kinder durch den Anblick des Gekreuzigten geistig genötigt werden könnten. Die italienische Regierung legte Einspruch ein und fand vor der Großen Kammer Richter, die das Urteil erster Instanz aufhoben und dafür die überzogene Skrupulosität ihrer Richterkollegen anführten.
Der Angriff auf Kristin Saellmanns Kreuz
Nun waren es die Verantwortlichen des norwegischen Fernsehens, die von Kristin Saellmann, einer Nachrichtensprecherin verlangen, daß sie am Arbeitsplatz das kleine Kreuz an ihrer Halskette ablegt. Die Begründung der Fernsehintendanz für diese christenfeindliche Forderung ist nicht viel anders als jene von British Airways.
Nadia Eweida, eine Koptin und damit aus anderem Holz geschnitzt als viele europäische Christen, ließ sich das durch ihren Arbeitgeber nicht bieten. Nach siebenjährigem Rechtsstreit erhielt sie im vergangenen Januar mit einem Urteil eben jenes Gerichtshofs in Straßburg recht.
Alle Angriffe auf das Christentum und gegen das Kreuz erfolgten im Namen einer angeblichen „Pflicht zur Neutralität“. Anders Sarheim, der Programmdirektor des norwegischen Senders sprach von einer „klaren Linie“. Man erwarte sich von den Sprechern, daß sie alles vermeiden, was irgendwie als politisches oder religiöses Symbol ausgelegt werden könnte. Kristin Saellmann reagierte anders als Nadia Eweida und ging gleich in die Defensive. Sie zeigte sich verwundert und zerknirscht, daß ein „so kleines“ Kreuz „solches Aufsehen verursachen könnte. Ich habe das Kreuz nicht getragen, um zu provozieren. Ich bin Christin, aber bisher habe ich ein bißchen überall Kreuze gesehen, aber als Modegegenstände, und ich denke nicht, daß die Menschen deshalb reagieren.“ Zeigen Christen das Kreuz als Provokation? Die Auslegung ist neu.
Vielleicht sollten sich die Skandinavier wieder in Erinnerung rufen, daß ihre Staaten keineswegs zur religiösen Neutralität verpflichtet sind, ebenso wenig müssen ihre öffentliche Verwaltung oder insgesamt der öffentliche Raum religionsfreie Räume sein. Ganz im Gegenteil: Norwegen, Finnland oder auch Großbritannien haben eine christliche Staatskirche und führen ausnahmslos alle das Kreuz in ihren Hoheitszeichen angefangen bei den Nationalflaggen.
Die Flaggen des Nordens
Großbritannien führt gleich drei Kreuze in der Nationalflagge. Das Kreuz des Heiligen Georg für England, das Kreuz des Heiligen Andreas für Schottland und das Kreuz des Heiligen Patrick für Nordirland. Das Kreuz ziert die Flaggen Norwegens, Schwedens, Finnlands, Islands, Faröers und Alands , aber auch von Orkney und den Shetlands. Die Flagge Dänemarks, der Dannebrog, von dem sich alle anderen skandinavischen Flaggen herleiten, ist mindestens seit 1350 belegt, stammt aber möglicherweise schon aus dem 10. Jahrhundert. Sie rührt von einer Legende mit christlichem Hintergrund her. In der Schlacht von Lyndanisse (heute Tallinn) 1219, als ein dänisches Kreuzritterheer gegen die noch heidnischen Esten kämpfte, sei die Fahne vom Himmel gefallen als Zeichen des Sieges. Die Flagge, von der alle Flaggen Skandinaviens abstammen ist, so die Überlieferung nicht von Menschenhand, sondern göttlicher Herkunft.
Das Kreuz ziert insgesamt die Flaggen von 17 souveränen europäischen Staaten, von Georgien, dessen Flagge fünf Kreuze zeigt und damit den europäischen Rekord hält, bis zu kleinen Kreuzen, die in den Flaggen Liechtensteins, Moldawiens, Montenegros, San Marinos, des Heiligen Stuhls und Spaniens enthalten sind.
Das 1,5 Zentimeter große Kreuz an der Halskette von Frau Saellmann soll Moslems und Agnostiker stören. Dabei wären Flaggen und Hoheitssymbole als Ausdruck des gesamten Staates weit gewichtiger. Wird es in Europas Zukunft Flaggen mit Löchern geben, weil die Kreuze entfernt wurden, oder eintönig eingefärbte Fahnentücher ohne Kreuze? Wie das aussehen würde, zeigt die Fotomontage. Ohne das Kreuz, das die Finnen nach Erlangung der Unabhängigkeit wählten, wäre ihre Flagge einfach nur mehr ein weißes Tuch.
Schon als der Streit anhängig war, fragten sich nicht wenige Italiener, warum Frau Lautsi, statt sich mit den Kreuzen in italienischen Schulklassen anzulegen, nicht mit der finnischen Flagge anlegte. Für die Finnen ist ihre Flagge so heilig, daß ein Gesetz ausdrücklich untersagt, sie nach dem Waschen noch in nassem Zustand zu hissen. Sie muß zuerst im Haus getrocknet werden, wohlgemerkt nicht im Freien, wo sie in diesem Zustand gesehen werden könnte. Bei Zuwiderhandlung ist eine Strafe vorgesehen. Und recht haben sie, die Finnen.
Staatskirchen
Nicht nur die Flaggen führen die behauptete „Neutralität“ der nordischen Staaten ad absurdum. Immerhin, wie angedeutet, haben einige eine christliche Staatskirche. Zwölf europäische Staaten haben eine Staats‑, Landes- oder Nationalkirche. Finnland und Großbritannien haben sogar zwei Staatskirchen.
2012 wurde mit viel Aufsehen die norwegische Verfassung umgebaut und der Lutherischen Kirche der Status einer Staatskirche genommen. Doch Artikel 4 schreibt weiterhin vor, daß der König Lutheraner sein muß und Artikel 16 besagt, daß zwar jeder Bewohner Norwegens seine Religion frei ausüben kann, daß aber die Lutherische Kirche Norwegens die Kirche von Norwegen bleibt und als solche vom Staat unterstützt wird.
Was für Norwegen gilt, gilt auch für Großbritannien, wo der König oder die Königin der anglikanischen Staatskirche angehören müssen. Dieselben Norweger, die in den Fernsehnachrichten angeblich kein Kreuz sehen wollen, singen aber in ihrer Nationalhymne „Olav malte auf diesem Land das Kreuz mit seinem Blut“. Gemeint ist König Olaf, der das Christentum förderte und wegen seines Glaubens heiliggesprochen wurde. In der Hymne finden sich noch andere Hinweise auf das Christentum.
Viele Hymnen rufen Gott an um Seinen Schutz für Volk und Land. Selbst die revolutionäre Marseillaise erwähnt an einer Stelle Gott. Griechenland schreibt im Artikel 3 der Verfassung fest: „Die griechisch-orthodoxe Kirche, die Unseren Herrn Jesus Christus als Oberhaupt anerkennt, ist untrennbar mit der Großen Kirche von Konstantinopel verbunden und den anderen christlichen, orthodoxen Kirchen, und befolgt unveränderlich, wie die anderen Kirchen, die sieben apostolischen und synodalen Canones sowie die Heiligen Traditionen“. Komma 3 desselben Artikels geht sogar auf die Übersetzung der Bibel ein. „Die offizielle Übersetzung in eine andere Sprache ist ohne die vorherige Genehmigung durch die autokephale griechische Kirche und die Große Kirche Christi von Konstantinopel verboten.“
Irland, wo die katholische Kirche nicht Staatskirche ist, beginnt die Verfassung mit der Benennung ihrer Autorität: „Im Namen der Allerheiligsten Dreifaltigkeit, von der jede Autorität ihren Ursprung hat“. Die Beispiele könnten noch lange fortgesetzt werden.
Vielleicht stürmen Kreuzgegner auch das Bury al-Arab?
Umso mehr darf man staunen über das Geheule zahlreicher Massenmedien und bestimmter politischer Gruppierungen, nicht zuletzt auch im deutschen Sprachraum, gegen die neue ungarische Verfassung, weil Ungarn Ministerpräsident Orban es gewagt hat, einen Bezug zu den christlichen Wurzeln festzuschreiben und den Heiligen Stephan erwähnen ließ. Das Geheul ist durchsichtig von Budapest bis Oslo und es hat einen antichristlichen Zug.
Wer weiß, vielleicht werden die Kreuzgegner eines Tages auch nach Abu Dhabi reißen und den Abbruch des bekannten Burj al-Arab fordern, das zu den luxuriösesten Hotels der Welt gehört. Von einer bestimmten Perspektive betrachtet, sieht es wie ein riesiges Kreuz von 321 Metern Höhe aus.
Text: NBQ/Giuseppe Nardi
Bild: Nuova Bussola Quotidiana