Auch eine katholische Geschichte: Generalamnestie für Nordirland?


Beisetzung eines getöteten Iren während der "Kampfzeit" 1972-1998(Dublin/​London) Die Zei­ten schei­nen lan­ge vor­bei, dabei ist es kei­ne 20 Jah­re her, daß in Nord­ir­land noch gekämpft wur­de: Katho­li­ken gegen Pro­te­stan­ten, Iren gegen Eng­län­der. Der Kampf um Nord­ir­land oder die Pro­vinz Ulster, wie die Eng­län­der dazu sagen, war der Aus­läu­fer des iri­schen Frei­heits­kamp­fes. Irland war 1921 unab­hän­gig gewor­den. Eng­land behielt sich jedoch die Nord­ost­pro­vinz, wo sich die eng­li­sche und pro­te­stan­ti­sche Bevöl­ke­rung kon­zen­trier­te. Irland wur­de zur geteil­ten Insel, die sie noch heu­te ist. Vom 1972 bis 1998 dau­er­te der bewaff­ne­te Nord­ir­land­kon­flikt. Er ende­te mit einem Frie­dens­pro­zeß, der den Iren Rech­te ein­räum­te, Nord­ir­land aber bei Groß­bri­tan­ni­en beließ.

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Nun soll eine gro­ße Amne­stie auch straf­recht­lich einen Schluß­strich unter die Kampf­zeit zie­hen und damit die Befrie­dung för­dern. Gedacht ist dar­an, alle noch nicht abge­schlos­se­nen Ver­fah­ren und „Delik­te“ aus der Zeit vor 1998 zu amne­stie­ren. Der Vor­schlag kommt von Staats­an­walt John Larkin.

Der Vor­stoß von Lar­kin erfolgt nicht ohne poli­ti­sche Abspra­che. Der Staats­an­walt will auch nicht das Wort „Amne­stie“ gebraucht wis­sen. Um eine sol­che hand­le es sich nicht, so der Par­la­ments­ju­rist. Es wür­den „ledig­lich“ straf­recht­li­che Ver­fah­ren von vor 1998 nicht mehr geahn­det. 1998 wur­de mit dem Kar­frei­tags­ab­kom­men der Frie­dens­pro­zeß ein­ge­lei­tet. John Lar­kin ist Att­or­ney Gene­ral des nord­iri­schen Par­la­ments. Eine Art Staats­an­walt, der als Rechts­be­ra­ter der Insti­tu­tio­nen wirkt.

Laut Lar­kin ist Nord­ir­land soweit, das Kapi­tel des bewaff­ne­ten Kamp­fes zwi­schen Irisch-Repu­bli­ka­ni­scher Armee und pro­te­stan­ti­schen Mili­zen zu been­den. Eine Ver­gan­gen­heit, die für die Bevöl­ke­rung noch in fri­scher Erin­ne­rung ist. Vie­le Wun­den sind noch nicht ver­heilt. Die „Kampf­zeit“ hat­te zur Fol­ge, daß es kaum eine katho­li­sche Fami­lie Nord­ir­lands gab, die nicht Ange­hö­ri­ge in bri­ti­schen Gefäng­nis­sen hatte.

Der Vorschlag für eine Amnestie

Nord­ir­land gilt noch als Pul­ver­faß. Unter einer ruhi­gen Ober­flä­che liegt noch die Glut des Kon­flikts. Um sie auch zu löschen, sei­en „star­ke Zei­chen“ der Befrie­dung not­wen­dig. Der alte Kon­flikt kann immer neu aus­bre­chen, sei es wegen der pro­te­stan­ti­schen Früh­jahr­pa­ra­den, mit denen sie noch heu­te des pro­te­stan­tisch-eng­li­schen Siegs von 1690 gegen die katho­lisch-irisch-fran­zö­si­schen Trup­pen geden­ken, oder das His­sen eines Uni­on Jack, der in den Augen der Iren ein rotes Tuch ist. Umge­kehrt sind noch immer Abspal­tun­gen der IRA im Unter­grund aktiv, die das Frie­dens­ab­kom­men nie akzep­tiert haben und für Unru­he sor­gen. Vie­le der Atten­ta­te mit Toten und Ver­let­zen, von Ter­ror und Gegen­ter­ror, von Staats­ter­ror gegen die eige­nen Bür­ger und sepa­ra­ti­sti­schem Kampf wur­den straf­recht­lich nie auf­ge­ar­bei­tet, ange­fan­gen vom Bloo­dy Sun­day, dem Blut­sonn­tag, der 1972 den Kon­flikt aus­lö­ste, als bri­ti­sche Sol­da­ten auf iri­sche Katho­li­ken schos­sen und 14 Zivi­li­sten töteten.

Lar­kin möch­te nun den Schlei­er des Ver­ges­sens dar­über legen. Die Durch­füh­rung von Gerichts­pro­zes­sen hät­te zuviel Spreng­kraft und könn­te die Frie­dens­be­mü­hun­gen der ver­gan­ge­nen 15 Jah­re ernst­haft gefähr­den. Sein Vor­schlag stößt zum Teil auf hef­ti­ge Kri­tik. Lar­kin dazu: „Das Pro­blem von Amne­stien ist es manch­mal, daß die Men­schen mei­nen, daß damit ein Ver­bre­chen auf­hört ein sol­ches zu sein. Das wird nicht der Fall sein. Es geht nur dar­um, daß zu die­sen Vor­fäl­len kei­ne straf­recht­li­che Ver­fol­gung mehr mög­lich sein wird.“

Vom Bloody Sunday bis Enniskillen

Für vie­le Iren ist die Gewalt noch nicht Ver­gan­gen­heit. Zu inten­siv und zu viel hat­ten sie unter dem bri­ti­schen Ter­ror und Staats­ter­ror, wie sie sagen, zu lei­den. Ter­ror durch para­mi­li­tä­ri­sche pro­te­stan­ti­sche Mili­zen, aber auch Staats­ter­ror, denn die eng­li­sche Gegen­sei­te hat­te das staat­li­che Gewalt­mo­no­pol in der Hand, das sie gegen die katho­li­schen Iren ein­setz­te. „Was hat­ten wir dem ent­ge­gen­zu­set­zen“, heißt es auf iri­scher Sei­te. Vor allem die Fami­li­en der Opfer pro­te­stie­ren gegen die „Annul­lie­rung der Schuld“. In der ersten Rei­he ste­hen die Fami­li­en der Opfer des Bloo­dy Sun­day gefolgt von vie­len ande­ren, die in 25 Jah­ren getö­tet wur­den oder bis heu­te an Ver­let­zun­gen lei­den, vie­le davon als Fol­gen von Haft und Fol­ter in bri­ti­schen Poli­zei­sta­tio­nen, Kaser­nen und Gefäng­nis­sen zugefügt.

Erst 2010 fan­den erste Bemü­hun­gen statt, den Blut­sonn­tag auf­zu­klä­ren. „Es war Mord im Staats­auf­trag“, so Mickey McK­in­ney. Sein Bru­der Wil­liam wur­de damals von bri­ti­schen Sol­da­ten erschos­sen. McK­in­ney kann dem Vor­schlag Lar­kins wenig abge­win­nen. „Ich wäre sehr zor­nig: mein Bru­der und die gan­zen ande­ren wur­den ermor­det.“ Der glei­chen Mei­nung ist auf der ande­ren Sei­te auch Ste­phen Gault. Er ver­lor 1987 sei­nen Vater, der durch eine Bom­be der IRA in Ennis­kil­len getö­tet wur­de. Die Bom­be explo­dier­te wäh­rend einer Gedenk­fei­er für bri­ti­sche Sol­da­ten. „Man kann die­se Mor­de nicht ein­fach so unter den Tep­pich keh­ren“, meint Gault.

Strafrechtliche Aufarbeitung birgt Sprengkraft

Die Entführung und Ermordung Jean McConvilleAuch die Kin­der von Jean McCon­ville sind gegen eine Gene­ral­am­ne­stie. Ihre Mut­ter wur­de Opfer eines der zwei­fel­haf­te­sten Mor­de im lan­gen Nord­ir­land­kon­flikt. Die Irin und Katho­li­ken, Mut­ter von zehn Kin­dern, wur­de von der IRA beschul­digt, für die Eng­län­der zu spio­nie­ren. Sie soll von der IRA ent­führt und ermor­det wor­den sein, ist die Fami­lie über­zeugt. Geklärt wur­de der Vor­fall straf­recht­lich nie. Gesche­hen ist die Ent­füh­rung 1972. Erst 2003 wur­de die Lei­che von Jean McCon­ville an einem Strand gefun­den. In den Ermitt­lun­gen tau­chen die Namen zahl­rei­cher IRA-Ver­tre­ter auf, dar­un­ter auch jener von Ger­ry Adams, dem Vor­sit­zen­der des Sinn Fein. Adams ist maß­geb­li­cher Archi­tekt des Kar­frei­tags­ab­kom­mens. Er been­de­te den Kampf der IRA und ist zen­tra­ler Bau­stein im Frie­dens­pro­zeß. Sinn Fein ist die irisch-katho­li­sche Mehr­heits­par­tei in Nord­ir­land. Sie unter­stützt die eng­lisch-pro­te­stan­ti­sche Regie­rung der DUP, die auf der Gegen­sei­te das Frie­dens­ab­kom­men mit­trägt. Es gibt die Aus­sa­ge eines ehe­ma­li­gen IRA-Kämp­fers, Brendan Hug­hes, daß Adams per­sön­lich den Auf­trag zur „Straf­ak­ti­on“ gegen Jean McCon­ville erteilt hät­te. Der Amne­stie-Vor­schlag Lar­kins wür­de auch eine Straf­ver­fol­gung von Ger­ry Adams ver­hin­dern. Sei­ne tat­säch­li­che Schuld ist kei­nes­wegs gesi­chert. Allein die Tat­sa­che, daß die zen­tra­le Gestalt des Frie­dens­pro­zes­ses sich wegen Mor­des oder Auf­trag zum Mord vor Gericht ver­ant­wor­ten müß­te, birgt zu vie­le unbe­kann­te Fak­to­ren und Gefah­ren, die poli­tisch auch Lon­don lie­ber ver­mei­den möchte.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Ire­land History

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2 Kommentare

  1. Einen wirk­li­chen Frie­den kann es wohl nur geben, wenn Irland wie­der­ver­ei­nigt wird, Nord­ir­land also zum übri­gen Irland kommt.

    Denn die iri­schen Nord­iren wer­den nie voll­stän­dig dar­über hin­weg­kom­men, von den Ihren auf der übri­gen Insel getrennt zu sein.

    Man könn­te ähn­li­ches natür­lich auch von den eng­li­schen Nord-„Iren“ sagen – aber: geo­gra­phisch sind sie ohne­hin schon von ihrem Mut­ter­land getrennt, sie leben eben auf einer ande­ren Insel als die übri­gen Eng­län­der, und außer­dem ist Irland nicht ihre Urhei­mat. Das Land gehört ganz ein­fach den Iren.

  2. Das Land gehört den Menschen,die dort leben. Die mei­sten wol­len UK Staats­bür­ger blei­ben. Das ist ihr gutes Recht,wenn man an Demo­kra­tie glaubt

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