Der Winter der Kirche nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil – Das neue Buch zu einer offenen Frage


Der Winter der Kirche nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Das neue Buch der Historikerin und katholischen Publizistin Cristina Siccardi(Rom) Das Buch hät­te auch hei­ßen kön­nen: „Das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil: ein unge­lö­stes Pro­blem“. Die katho­li­sche Autorin Cri­sti­na Sic­car­di, Histo­ri­ke­rin und Publi­zi­stin, wähl­te einen noch dra­ma­ti­sche­ren Titel für ihr jüng­stes Buch: Der Win­ter der Kir­che nach dem Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil. Es befaßt sich mit dem Kon­zil, den dadurch erfolg­ten Ver­än­de­run­gen und deren Ursa­chen sowie den „Früch­ten“ des Kon­zils. Eine Bilanz, die ernüch­ternd aus­fällt und dies nicht etwa, wie der Titel bereits erken­nen läßt, weil die Autorin der Mei­nung ist, von dem, was das Kon­zil woll­te, sei seit­her „zu wenig“ umge­setzt worden.

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Wäh­rend des Pon­ti­fi­kats von Bene­dikt XVI. wur­de vom Papst selbst eine Debat­te über die Her­me­neu­tik des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils ange­sto­ßen. Ein Anstoß der vom Stell­ver­tre­ter Chri­sti selbst kom­men muß­te, um frucht­brin­gend zu sein. Nur so konn­ten Wider­stän­de und Ver­kru­stun­gen auf­ge­bro­chen wer­den. Eine Debat­te ist bekannt­lich nur dann not­wen­dig, wenn Fehl­ent­wick­lun­gen vor­lie­gen. Und genau sol­che hat­te Joseph Kar­di­nal Ratz­in­ger früh­zei­tig erkannt und dafür bereits in sei­nem Buch Dog­ma und Ver­kün­di­gung von 1973 nicht aus­schließ­lich, aber auch das Zwei­te Vati­ka­num ver­ant­wort­lich gemacht. Daher dräng­te er auf eine für ihn zwin­gend not­wen­di­ge Kor­rek­tur durch eine Inter­pre­ta­ti­on des Kon­zils aus der Tra­di­ti­on her­aus. Wegen sei­ner inti­men Kennt­nis der Kir­che und den Mei­nun­gen und Strö­mun­gen, auch der hart­näcki­gen Ver­wei­ge­rung einer kri­ti­schen Prü­fung des Kon­zils und sei­ner Früch­te, setz­te er auf klei­ne Schrit­te. Es ging ihm nicht um Brü­che, son­dern dar­um zu über­zeu­gen. Der von ihm gege­be­ne Anstoß ist nicht mehr rück­gän­gig zu machen, wenn sein Pon­ti­fi­kat auch zu kurz war, durch ihn selbst abge­kürzt, um sein Pro­gramm in alle Tei­le der Welt­kir­che hin­aus­zu­tra­gen. Die Fra­ge, wie es mit die­sem Anstoß nach sei­nem Rück­tritt wei­ter­ge­hen wird, bleibt vor­erst offen.

Das drän­gen­de Anlie­gen Bene­dikts XVI., das in unsi­che­re Gewäs­ser gera­te­ne Schiff der Kir­che wie­der auf Kurs zu brin­gen, scheint nicht zu den Inter­es­sen zu gehö­ren, die sei­nen Nach­fol­ger, Papst Fran­zis­kus bewe­gen. Papst Fran­zis­kus scheint mehr Ver­tre­ter einer Kir­chen­vi­si­on zu sein, die Bene­dikt XVI. über­win­den, zumin­dest aber zurück­drän­gen woll­te. Der argen­ti­ni­sche Papst lebt auf prag­ma­ti­sche Wei­se, dafür aber mit Ent­schlos­sen­heit jene „neue Kir­che“, die aus der Kir­chen­ver­samm­lung her­vor­ging, die vor 50 Jah­ren durch Papst Johan­nes XXIII. eröff­net wur­de und als Zwei­tes Vati­ka­ni­sches Kon­zil in die Kir­chen- und Welt­ge­schich­te ein­ging. So zumin­dest sieht es die katho­li­sche Histo­ri­ke­rin und Publi­zi­stin Cri­sti­na Sic­car­di, die in die­sen Tagen ein neu­es Buch zum The­ma vorlegt.

Die Pro­ble­me, die vor, wäh­rend und nach dem Kon­zil ent­stan­den, sei­en durch die Wahl von Papst Fran­zis­kus kei­nes­wegs ver­schwun­den. Aus der Psy­cho­ana­ly­se, so Sic­car­di, wis­se man, daß die Pro­ble­me, auch wenn sie ver­drängt wer­den, solan­ge fort­be­stehen, bis sie nicht einer Lösung zuge­führt wer­den. Genau­so wer­de die theo­lo­gi­sche, histo­ri­sche und geist­li­che Debat­te wei­ter­ge­hen, die Bene­dikt XVI. von den Rän­dern in das Zen­trum der Kir­che hin­ein­hol­te. Es gehe dabei um eine „gesun­de, leben­di­ge und offe­ne Aus­ein­an­der­set­zung“, die offe­ne Fra­gen nicht ver­drängt, auch wenn man­che so zu tun, als ob es sie nicht gäbe, son­dern deren Exi­stenz aner­kennt und auch aner­kennt, daß es sich um schwer­wie­gen­de Pro­ble­me han­delt, die chro­nisch, ja epi­de­misch wer­den, wenn ihnen nicht ent­schlos­se­ne Abhil­fe geschaf­fen wird.

Der Titel des neu­en Buches von Cri­sti­na Sic­car­di faßt bereits den Inhalt zusam­men: Der Win­ter der Kir­che nach dem Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil. Ver­än­de­run­gen und Ursa­chen. Am 15. Okto­ber kommt das im Sug­ar­co Ver­lag her­aus­ge­ge­be­ne Buch in den Handel.

Sic­car­di bie­tet zunächst einen histo­ri­schen Abriß der Ereig­nis­se bis her­auf in die Jetzt­zeit. Es geht ihr dabei dar­um, ver­ständ­lich zu machen, wie und in wel­chem Aus­maß die von 1962 bis 1965 tagen­de Kir­chen­ver­samm­lung wirk­lich und will­kür­lich die eige­nen pasto­ra­len Vor­ga­ben ver­än­der­te, die wie­der­um die katho­li­sche Glau­bens­leh­re selbst unter­gra­ben haben. Laut Sic­car­di gehen die­se Ver­än­de­run­gen direkt auf die Doku­men­te zurück, die vom Zwei­ten Vati­ka­num pro­du­ziert wur­den, und stel­len kei­ne nach­träg­li­che Fehl­in­ter­pre­ta­ti­on dar.

Sic­car­di bemüht sich ohne Heu­che­lei, sprich ohne fal­sche Rück­sicht­nah­me auf inner­kirch­li­che Befind­lich­kei­ten, eine rea­li­sti­sche Gesamt­schau des­sen zu bie­ten, was auf dem umstrit­ten­sten Kon­zil der Kir­chen­ge­schich­te gesche­hen ist und was die Fol­gen des Kon­zils bis zum heu­ti­gen Tag sind.

„Herr, zu wem sol­len wir gehen?“ (Johan­nes 6,8). Die­se Fra­ge des Simon Petrus auf die Fra­ge Jesu an sei­ne Jün­ger: „Wollt auch ihr weg­ge­hen?“, stellt Cri­sti­na Sic­car­di an den Anfang ihrer neu­en Ver­öf­fent­li­chung. Mit den Wor­ten: „Etwa zum Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil?“, lie­fert die Autorin selbst eine in eine rhe­to­ri­sche Fra­ge geklei­de­te Ant­wort mit.

„Seit der Eröff­nung des am mei­sten stu­dier­ten und am wenig­sten kla­ren Kon­zils der Geschich­te sind 50 Jah­re ver­gan­gen. Was sind sei­ne Früch­te? Wie haben sich in die­sen Jahr­zehn­ten die Gestal­ten des Bischofs, des Prie­sters, des Mönchs, des Ordens­man­nes, der Ordens­schwe­ster, des Mini­stran­ten, des Kate­che­ten ver­än­dert? Was hat­ten die Vor­be­rei­tungs­sche­ma­ta des Kon­zils zum Inhalt, daß sie kate­go­risch ver­wor­fen und nicht ein­mal in Betracht gezo­gen wur­den? Im Jahr des Glau­bens haben ihm Papst Fran­zis­kus und Bene­dikt XVI. die Enzy­kli­ka Lumen Fidei gewid­met. Was aber bedeu­tet es und wel­che Fol­gen hat es, den Glau­ben zu haben?“ Das Buch Sic­car­dis bie­tet inter­es­san­te histo­ri­sche und geist­li­che Ant­wor­ten auf die­se und zahl­rei­che wei­te­re Fra­gen, die für die aktu­el­le Kir­chen­ge­schich­te von höch­ster Bri­sanz und Dra­ma­tik sind.

Sic­car­di selbst schreibt: „Vie­le ver­glei­chen inzwi­schen unse­re Zeit mit jener des 4. Jahr­hun­derts, als der Hei­li­ge Atha­na­si­us die­se Wor­te aussprach:

„Heu­te lei­det die gan­ze Kir­che. Das Prie­ster­tum wird auf unsäg­li­che Wei­se geschmäht und – was noch schlim­mer ist! – die Got­tes­furcht wird durch frev­le­ri­sche Gott­lo­sig­keit ver­spot­tet. […] Der Glau­be hat nicht jetzt sei­nen Anfang, son­dern vom Herrn ist er durch die Jün­ger auf uns gekom­men. Möge nicht das, also, was von Anfang bis auf unse­re Zeit in den Kir­chen bewahrt wor­den ist, in unse­ren Tagen preis­ge­ge­ben wer­den; möge nicht, was uns anver­traut wor­den ist, von uns ver­un­treut werden!“

Joseph Kar­di­nal Ratz­in­ger sag­te 1988 zu den Bischö­fen Chiles:

„Das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil behan­delt man nicht als Teil der leben­di­gen Tra­di­ti­on der Kir­che, son­dern direkt als Ende der Tra­di­ti­on und so, als fan­ge man ganz bei Null an. Die Wahr­heit ist, daß das Kon­zil selbst kein Dog­ma defi­niert hat und sich bewußt in einem nied­ri­ge­ren Rang als rei­nes Pasto­ral­kon­zil aus­drücken woll­te; trotz­dem inter­pre­tie­ren es vie­le, als wäre es fast das Super­dog­ma, das allen ande­ren die Bedeu­tung nimmt.“

Papst Paul VI. zitiert Sic­car­di mit den Worten:

„Der welt­lich-pro­fa­ne Huma­nis­mus ist schließ­lich in sei­ner schreck­li­chen Sta­tur erschie­nen und hat, in gewis­sem Sinn, das Kon­zil her­aus­ge­for­dert. Die Reli­gi­on Got­tes, der Mensch gewor­den ist, hat sich mit der Reli­gi­on (denn das ist sie) des Men­schen getrof­fen, der sich zum Gott macht.“

Und Erz­bi­schof Mar­cel Lefeb­v­re mit den Worten:

„Wo das Kon­zil Neue­run­gen ein­ge­führt hat, hat es die Gewiß­heit von Wahr­hei­ten erschüt­tert, die nach der Leh­re des authen­ti­schen Lehr­am­tes der Kir­che end­gül­tig zum Schatz der Über­lie­fe­rung gehören.“

Und den Histo­ri­ker Rober­to de Mattei:

„Dort, wo es [das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil] Pro­ble­me ver­ur­sacht, gilt als höch­stes her­me­neu­ti­sches Kri­te­ri­um die leben­di­ge und immer gül­ti­ge Tra­di­ti­on der Kirche.“

„Es ist das erste Mal in der Geschich­te der Kir­che, daß ein Kon­zil spal­tet, statt zu einen. Es ist das erste Mal in der Geschich­te der Kir­che, daß ein Kon­zil Pro­ble­me schafft, statt sie zu lösen. Durch den Ver­such, die moder­ne Welt in die Kir­che ein­zu­ver­lei­ben, ver­strick­ten sich ihre Ange­hö­ri­gen mensch­lich in Wider­sprü­che, Zwei­fel und die Irr­tü­mer der Moder­ne“, so Cri­sti­na Siccardi.

Eine deut­sche Aus­ga­be des Buches wäre als Dis­kus­si­ons­bei­trag sicher wünschenswert.

Cri­sti­na Sic­car­di: L’inverno del­la Chie­sa dopo il Con­ci­lio Vati­ca­no II, i mut­amen­ti e le cau­se, (Der Win­ter der Kir­che nach dem Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil. Ver­än­de­run­gen und Ursa­chen, Sug­ar­co, 304 Sei­ten, € 23,00.

Text: Giu­sep­pe Nardi

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