Vor ein paar Wochen hatte ich auf diesem Forum einen Beitrag veröffentlicht unter dem Titel „Evangelistischer Franziskus oder ‚papa haereticus‘? – Ein bedrückendes Unentschieden“.
Vielleicht hatte ich den Titel etwas zu reißerisch gewählt: Wie in diesem Beitrag schon nachdrücklich betont, wollte ich aber kein Urteil über die persönliche Rechtgläubigkeit von Papst Franziskus gefällt haben. Und auch die jüngsten „Verwerfungen“ (um es einmal so zu nennen) bestimmen mich nicht dazu, diese Haltung zu revidieren: mehr oder weniger gelungene oder mißlungene theologisch-philosophische Optionen und Ausführungen tangieren per se noch nicht den entschiedenen Willen zur Glaubenstreue (den Papst Franziskus abzusprechen ich nach wie vor keinen Grund sehe). – Sagen wollte ich mit meinem Beitrag nur, daß ich erste Indikatoren zugunsten einer „liberaleren“ Praxis in Sachen Sakramentenzulassung Wiederverheiratet-Geschiedener sehe, die die Frage aufwerfen, was denn ist für den Fall, daß der Papst so etwas macht. Entsprechend sagte und sage ich, mit Bestimmtheit, nicht: Wir haben einen häretischen Papst; sondern nur: wenn der Papst diese liberalere Praxis absegnen sollte, dann stünden wir vor einer äußerst belastenden Situation, bis dahin, daß man legitimerweise sogar die Frage nach dem häretisch gewordenen Papst samt den einschlägigen Konsequenzen stellen könnte. Und das sehe ich immer noch so.
Ich wiederhole dies, da ich mir ein wenig Sorgen mache: Denn offensichtlich gibt es Leser dieses Forums, die meinen, aufgrund anstößiger Papstäußerungen in jüngster Zeit auf Sedisvakanz erkennen zu können. Hierzu muß ich in aller Form erklären: Auf mich kann man sich dazu auf keinen Fall berufen. Hierzu möchte ich einen Lehrsatz in Erinnerung rufen, wie ihn der berühmte Kardinal Louis Billot SJ formuliert hat:
„Was auch immer man nun von der Möglichkeit dieser Hypothese [sprich: des Falls des häretisch gewordenen Papstes, der damit sein Amt verliert] … hält; das wenigstens ist notwendigerweise zuzugestehen: die friedliche Anhängerschaft der universalen Kirche wird immer ein unfehlbares Zeichen der Rechtmäßigkeit der Person des Papstes sein und von daher auch der Existenz aller Bedingungen, die zu eben der Rechtmäßigkeit erforderlich sind.“ (De Ecclesia Christi 3, Rom 1900, thesis 29: 132sqq.)
Bei noch so viel Rumoren gerade in glaubenstreuen Kreisen – an besagter „friedlicher Anhängerschaft der Universalkirche“ kann kein Zweifel bestehen: Jorge Bergoglio ist unter dem Namen „Franziskus“ gemeinhein als unser Papst anerkannt. Also ist er es. Punkt. Das Ausrufen von Sedisvakanzen auf eigene Faust ist daher ein Unding.
Und ich sage es noch einmal: Bei der Warnung vor dem Unfall „häretischer Papst“ geht es mir nicht darum, den amtierenden Papst in Mißkredit zu bringen, oder darum, seinen Pontifikat vorab als mißlungen zu denunzieren; sondern darum, einer Sorge angesichts eben besorgnis-erregender erster Anzeichen Ausdruck zu geben.
Anlaß zu solcher Sorge sehe ich, wie gesagt, konkret beim Thema Sakramente für Wiederverheiratet-Geschiedene. Durch das jüngste Interview des Papstes kann ich mich einerseits in dieser Sorge leider etwas bestärkt sehen. Trotzdem möchte ich an dieser Stelle auch gesagt haben, daß ich das pastorale Anliegen des Papstes bestens verstehen kann, das pastorale Anliegen, wie es sich am vom Papst gewählten Beispiel festmacht: Wie geht ein Priester mit Menschen um, die sich in so schwierigen psycho-sozialen Lebenssituationen befinden, daß sie sich durch die Forderung, ihre Zweitehe o.ä. aufzugeben, in eine perplexe Situation versetzt fühlen? Daß einen dies umtreibt, kann ich bestens nachvollziehen.
Von daher: Was diskutiert gehört, sowohl systematisch-theologisch als auch pastoral-theologisch, ist das Verhältnis von Wahrheit (mit deren indispensablem Anspruch) und Liebe bzw. Barmherzigkeit sowie eine entsprechend konsequente Pastoral. Somit: Der Angelpunkt im Problemangang kann nicht die Liberalisierung, und sei es unter dem Deckmäntelchen der Barmherzigkeit, sondern es muß die geistliche Beschaffenheit der Gemeinden vor Ort sein: diese muß von der unbestechlichen Treue zur Wahrheit ebenso getragen sein wie von der Bereitschaft, daß „einer des anderen Last trägt“ (Gal 6,2). Wenn sich daher jemand mit den Anforderungen des Evangeliums nicht im reinen sieht, ist das nicht einfach dessen oder deren Sache (woran sie oder er „selbst schuld“ ist), sondern es geht alle an. Entsprechend müßten christliche Kommunitäten der Ort sein, wo Menschen so aufgefangen werden, daß die schmerzlichen Einschnitte, die die Treue zum Evangelium (bzw. die Bekehrung zu dieser Treue) schon einmal verlangen kann, gar nicht erst die Chance haben, als zynische Aporien zu erscheinen. In diese Richtung müßten also die Beratungen und Sondierungen der nächsten Zeit gehen.
Ein, und sei es nur partielles und anfängliches, Nachgeben gegenüber den reformistischen Forderungen wäre nicht nur eine fromme Anleitung zum Selbstbetrug (Gott entläßt nicht aus den Verpflichtungen, die wir ihm gegenüber und gegeneinander haben), sondern es wäre auch eine Versündigung gegen die innere Einheit der Kirche. Ich verweise hierzu nur auf die Abschiedspredigt von Papst Benedikt am Aschermittwoch dieses Jahres.
Dr. theol. Klaus Obenauer ist Privatdozent an der Katholisch-theologischen Fakultät der Universität Bonn.
Abbildung: Wappentimbrierung bei Sedisvakanz des Apostolischen Stuhles