Päpstliche Dyarchie im Diskurs mit Atheisten? Kulturkampf von Benedikt XVI., Terrainwechsel von Franziskus


Päpstliche Dyarchie Benedikt XVI. und Franziskus(Rom) Die Tages­zei­tung Il Foglio befaß­te sich mit dem uner­war­te­ten Brief von Bene­dikt XVI. an den Athe­isten Pier­gi­or­gio Odifred­di. Ein Brief, der den abge­tre­te­nen Papst aus sei­ner selbst­ge­wähl­ten Klau­sur zurück­holt in die aktu­el­le Aus­ein­an­der­set­zung zwi­schen einem aggres­si­ven Athe­is­mus und dem Chri­sten­tum. Von „Pen­si­on“ kann bei einem Papst ohne­hin nie die Rede sein. Der Ansatz, mit dem Bene­dikt XVI. dem mili­tan­ten Kir­chen­geg­ner Odifred­di ant­wor­te­te, unter­schei­det sich von jenem des regie­ren­den Pap­stes. Die Fra­ge ist, wie die unge­wöhn­li­che Situa­ti­on zwei­er leben­der Päp­ste, die im sel­ben Dis­kurs han­deln, ein­zu­ord­nen ist. Han­delt es sich um eine Ergän­zung oder um eine anor­ma­le Dyar­chie? Der Histo­ri­ker Rober­to de Mat­tei heg­te Zwei­fel (sie­he eige­nen Bericht), ob es gut sei, daß gewis­ser­ma­ßen zwei Päp­ste gleich­zei­tig han­deln, wenn auch einer auch regie­ren­der, der ande­re eme­ri­tier­ter Papst ist. Il Foglio meint im Brief an Odifred­di den eigent­li­chen Grund für den Rück­tritt von Bene­dikt XVI. zu erken­nen. Aller­dings sei­en dann beim Kon­kla­ve die Din­ge anders gelau­fen, als vom deut­schen Papst eigent­lich gedacht. Ein Diskussionsbeitrag.

Der Brief, mit dem Benedikt XVI. Odifreddi zurechtweist, birgt den wirklichen Grund für seinen Rücktritt

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„Nur sehr weni­ge Men­schen auf der Welt, Euge­nio Scal­fa­ri ist einer von ihnen, kön­nen die Über­ra­schung und die Emo­tio­nen ver­ste­hen, die man ver­spürt, wenn man uner­war­tet zu Hau­se den Brief eines Pap­stes erhält.“ Man könn­te auch ein­fach nur zur Kennt­nis neh­men, daß inner­halb von zwei Wochen auch der eme­ri­tier­te Papst einem Athe­isten von La Repubbli­ca einen Brief geschrie­ben hat und im gehei­men beob­ach­ten, wel­che Wir­kung er hat. Man könn­te über das eme­ri­tier­te Wun­der scher­zen, ange­sichts der Gefüh­le mit denen Pier­gi­or­gio Odifred­di den Brief­trä­ger emp­fan­gen hat. Man könn­te anmer­ken, daß etwas Außer­ge­wöhn­li­ches im (momen­ta­nen) Medi­en­tri­umph des Papst­tums steckt, viel­leicht aber nur etwas Gekün­stel­tes. Man könn­te eben­so fest­stel­len, daß etwas Über­zo­ge­nes ist an der Art, wie La Repubbli­ca die Papst­brie­fe begei­stert, aber dosiert ver­öf­fent­licht und mehr oder weni­ger intel­li­gent kom­men­tie­ren läßt.

Liest man die intel­li­gen­ten Stock­hie­be Ratz­in­gers gegen Odifred­di, nach­dem hin­ge­gen Papst Fran­zis­kus lie­be­voll das Gewis­sen Scal­fa­ris mas­siert hat­te, könn­te man auch den Ver­dacht hegen, die bei­den spie­len das Spiel vom guten und vom bösen Papst, einer strei­chelt sie, der ande­re haut sie. Aber so ist es nicht.

Man könn­te anmer­ken, daß die Pax Jour­na­li­sti­ka zwi­schen La Repubbli­ca (und prak­tisch allen Mas­sen­me­di­en der Welt) und dem Vati­kan in dem Augen­blick begann, als der regie­ren­de Bischof von Rom ent­schied und signa­li­sier­te, daß er sich vom har­ten Ter­rain des Kul­tur­kamp­fes mit der Säku­la­ri­sie­rung zurück­zieht und statt des­sen einen Dia­log bevor­zugt, der die Gewis­sens­frei­heit betont und nicht mehr auf den Bajo­net­ten der Glau­bens­leh­re und der Dok­trin sitzt (eine Posi­ti­on, die hin­ge­gen der eme­ri­tier­te Papst gegen­über Odifred­di ein­for­dert). Ent­schei­den­der Wen­de­punkt war die erste Begeg­nung von Papst Fran­zis­kus mit der Pres­se, als er am Ende die anwe­sen­den Jour­na­li­sten aus „Respekt“ nur „still“ segnete.

Ange­sichts eines römi­schen Katho­li­zis­mus, der wider­stand (nach­dem der Pro­te­stan­tis­mus schon seit eini­ger Zeit auf­ge­hört hat, ein kan­ti­ger Gegen­part zur Moder­ne zu sein und ohne grö­ße­ren Wider­stand kapi­tu­liert hat), nun aber auch ein­zu­bre­chen scheint, wirkt der media­le Jubel für Papst Fran­zis­kus wie gol­de­ne Brücken, die ihm für die Kapi­tu­la­ti­on der katho­li­schen Kir­che gebaut wer­den sol­len. Aber auch so ist es nicht.

Man könn­te also eine gan­ze Men­ge Din­ge sagen, indem man etwas zwi­schen dem weni­ger Wich­ti­gen und dem ein­deu­tig Fal­schen vari­iert. Der ent­schei­den­de Punkt ist ein ande­rer, für den der ihn sehen will. Der Brief von Bene­dikt XVI. an Odifred­di ist in einem Ton­fall gelö­ster Stren­ge ver­faßt. Er gewährt dem Gegen­über soweit mög­lich aka­de­mi­sche Höf­lich­keit, doch dann wer­den die Schlä­ge erbar­mungs­los geführt. Bene­dikt XVI. greift sei­nen Geg­ner auf des­sen Feld an: „In Ihrer Reli­gi­on der Mathe­ma­tik blei­ben drei grund­le­gen­de The­men der mensch­li­chen Exi­stenz unbe­rück­sich­tigt: die Frei­heit, die Lie­be und das Böse.“

Das alles bedeu­tet zwei­er­lei. Daß Ratz­in­ger, befreit von der Bür­de des Petrus, wie­der der gewor­den ist, der er immer sein woll­te, ein Intel­lek­tu­el­ler und Theo­lo­ge. Ein Den­ker, der frei­er ist, als es ihm von ande­ren zuge­dacht ist. Nun, da er nicht mehr Papst ist, nimmt er sich wie­der die Frei­heit eines Ton­falls, der unter dem Dau­er­bom­bar­de­ment der Welt zu lei­den hat­te. Das legt aller­dings auch die dunk­le Sei­te der­sel­ben Medail­le offen. Daß Bene­dikt XVI. nicht mehr die Kraft fühl­te, stand­hal­ten zu kön­nen, in sei­ner Posi­ti­on höch­ster Auto­ri­tät und ober­ster Kir­chen­lei­tung. Dem Zusam­men­prall mit der post­christ­li­chen, lai­zi­sti­schen Kul­tur des Westens ist er hin­ge­gen noch sehr gut in sei­ner Rol­le als Theo­lo­ge gewach­sen. Der Amts­ver­zicht war das Ein­ge­ständ­nis, daß es für das Amt einer ande­ren Ener­gie und Kraft bedurft hät­te, die er nicht mehr hat­te. Nach ihm soll­te ein Papst kom­men, der die­sel­ben Waf­fen für die glei­che Schlacht ergreift, aber mit ande­rem Schwung, ande­rer Kraft und ande­rer Rüstigkeit.

Statt des­sen aber ist ein Papst gekom­men, der Sze­ne und Büh­ne, mehr noch, das gan­ze Thea­ter wech­sel­te. Die Kar­di­nä­le hat­ten den Amts­ver­zicht Bene­dikts ganz anders ver­stan­den als die­ser selbst. Wäh­rend er in jün­ge­re Hän­de über­ge­ben woll­te, damit der Kampf mit neu­er Kraft fort­ge­setzt wird, sahen etli­che Kar­di­nä­le die Chan­ce, sich aus dem Kampf aus­zu­klin­ken. Hät­te Bene­dikt XVI. genau hin­ge­se­hen, hät­te er bemerkt, daß eini­ge Kar­di­nä­le kei­nes­wegs treu an sei­ner Sei­te kämpf­ten, son­dern besten­falls bei Rom-Auf­ent­hal­ten „hel­den­mü­tig“ wie gewünscht „all’armi“ – zu den Waf­fen rie­fen, aber zu Hau­se die katho­li­sche Waf­fen­rü­stung mit der bie­de­ren Stra­ßen­klei­dung poli­tisch-kul­tu­rel­ler Arran­ge­ments vertauschten.

Der neue Papst wen­det gegen­über der Moder­ne ein ande­res Unter­schei­dungs­ver­mö­gen an. Ein biß­chen naiv, ein biß­chen schlau, ver­mei­det er es, sich ins Schuß­feld zu brin­gen. Er ist anders kul­ti­viert, eben igna­tia­nisch. Man wird sehen, wie es wei­ter­geht. Jeden­falls wäre es inter­es­sant gewe­sen, einen Bene­dikt XVI. auf dem Petrus­thron zu erle­ben, der mit sol­cher intel­lek­tu­el­len Locker­heit, jedoch inhalt­li­cher Ent­schie­den­heit allen Odifred­dis die­ser Welt und den Freun­den der fal­schen und ver­lo­ge­nen Göt­ter ant­wor­tet, die die Kir­che angrei­fen, und sie auf das eigent­li­che Ter­rain gezwun­gen hät­te, auf dem die Aus­ein­an­der­set­zung statt­zu­fin­den hat und das Odifred­di nun aner­kennt: „Die Suche nach der Wahrheit“.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Wikicommons

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