Kann die Kirche einen „Dialog ohne Vorurteile“ führen? – Einige kritische Einwände an Papst Franziskus


Jesus beruft Simon Petrus und AndreasIn ihrem neu­en Gast­kom­men­tar befaßt sich die frei­schaf­fen­de Schrift­stel­le­rin und Künst­le­rin Han­na Jüng­ling aus­ge­hend vom Brief von Papst Fran­zis­kus an den Athe­isten Euge­nio Scal­fa­ri mit dem Span­nungs­feld Kir­che und Dia­log mit der moder­nen Welt. Han­na Jüng­ling geht der Fra­ge nach, ob die Kir­che über­haupt einen „Dia­log ohne Vor­ur­tei­le“ füh­ren kann, und macht eini­ge „kri­ti­sche Ein­wän­de“ an Papst Franziskus. 
Zuletzt ver­öf­fent­lich­ten wir von Han­na Jüng­ling den Bei­trag: „Gei­ster im Wei­zen­feld – Gegen­wär­ti­ger Zustand der Kir­che: Ver­such einer heils­ge­schicht­li­chen Ein­ord­nung“.

Anzei­ge

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Gast­kom­men­tar von Han­na Jüngling*

Die Kom­mu­ni­ka­ti­on kam zwi­schen der Kir­che und der christ­lich inspi­rier­ten Kul­tur einer­seits und der moder­nen, durch die Auf­klä­rung gepräg­ten, Kul­tur ande­rer­seits zum Still­stand. Das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil ebne­te den Weg für einen offe­nen Dia­log ohne Vor­ur­tei­le, auf des­sen Grund­la­ge eine ernst­haf­te und frucht­ba­re Begeg­nung erneut ermög­licht wird. Nun ist die Zeit gekom­men. (Papst Fran­zis­kus an Euge­nio Scal­fa­ri, La Repubbli­ca 11. Sep­tem­ber 2013) [1]Der Text des Brie­fes an Euge­nio Scal­fa­ri, der am 11. Sep­tem­ber 2013 in der ita­lie­ni­schen Zeit­schrift „La Repubbli­ca“ erschie­nen ist, wur­de am 12.+13. Sep­tem­ber 2013 im katho­li­schen … Con­ti­n­ue rea­ding

1. “Omnia tempus habent … tempus tacendi et tempus loquendi…“ [2]Ecclesiastes 3, 1+7

Die Kom­mu­ni­ka­ti­on kam zum Still­stand“ – ja, das gehört zum schma­len Weg der Nach­fol­ge Chri­sti. Hat ER nicht auch ab einem bestimm­ten Zeit­punkt mit dem Hohen Rat, den Schrift­ge­lehr­ten und Pha­ri­sä­ern und mit Pila­tus nicht mehr dis­ku­tiert? Die gele­gent­li­che Not­wen­dig­keit des Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ab­bru­ches in fin­ste­ren Zei­ten hat unser Herr uns gelehrt.

Wir ken­nen alle die­se oder ähn­lich lau­ten­de Sät­ze, wie sie Fran­zis­kus’ Brief an den Athe­isten Euge­nio Scal­fa­ri for­mu­liert, stets wohl­tö­nend, auf bei­den Sei­ten hin­kend, vol­ler Spit­zen gegen Unge­nann­te und mit einem Sen­dungs­be­wusst­sein vor­ge­tra­gen, das in eigen­ar­ti­gem Gegen­satz zu sei­ner argu­me­na­to­ri­schen Dürf­tig­keit steht.

Natür­lich zeu­gen sol­che Sät­ze von nai­ver Frie­dens­sehn­sucht und dem Wunsch, etwas Wich­ti­ges und Beson­de­res zu tun, einen der vor­der­sten Plät­ze im Reich Got­tes einzunehmen.

Je mehr wir jedoch eine Kul­tur der defen­si­ven Frie­dens­kon­zep­te pro­pa­giert haben, desto bru­ta­ler ent­fal­te­te sich die Gewalt auf der gesam­ten Erde. Die Anzahl der Krie­ge und die Metho­den, ande­re syste­ma­tisch zu ter­ro­ri­sie­ren, sind eska­liert. Seit 1945 wäl­zen sich immer gigan­ti­sche­re Flücht­lings­strö­me über den Glo­bus wie eine glü­hen­de Lava­mas­se, und lösen vie­ler­orts Über­for­de­rung und Desta­bi­li­sie­rung aus – das fer­ne Grol­len zukünf­ti­ger Vul­kan­aus­brü­che und neu­er Flücht­lings­strö­me… Die Tat­sa­che, dass der welt­wei­te, tie­fe Unfrie­den sich zum All­tags­zu­stand eta­bliert hat, zeugt für die Unzu­läng­lich­keit aller gän­gi­gen „Friedens“-Konzepte und für die Frie­dens­un­fä­hig­keit des Men­schen, der dem drei­fal­ti­gen Gott abge­sagt hat, des­sen Wesen unbe­greif­lich, gemäß der Offen­ba­rung Gerech­tig­keit und Barm­her­zig­keit, und in die­ser Unbe­greif­lich­keit als Rich­ter und Erbar­mer für uns ehr­furcht­ge­bie­ten­de Hei­lig­keit ist.

Ja: Hei­lig­keit und Gerech­tig­keit müss­ten immer zusam­men mit der Lie­be genannt wer­den! Gott gilt uns inzwi­schen als ein Über-alles-Hin­weg­se­her. Dass zwi­schen der uns zuge­wand­ten Lie­be und Barm­her­zig­keit von­sei­ten Got­tes und uns, die wir Sün­der sind, der grau­sa­me Opfer­tod Jesu steht, wird nicht mehr prä­zi­se zele­briert und in der Ver­kün­di­gung durch ober­fläch­li­che Moral­ap­pel­le unter­ge­pflügt. Fran­zis­kus hat gele­gent­lich dar­auf hin­ge­wie­sen, dass ein Glau­be ohne „das Kreuz“ nicht Nach­fol­ge Chri­sti ist – es ist ver­schwom­men for­mu­liert, immer­hin ver­schweigt er es nicht voll­stän­dig wie so vie­le ande­re Bischö­fe! [3]So bei­spiels­wei­se in sei­ner ersten Anspra­che nach der Papst­wahl

Nach der Leh­re der Kir­che liebt Gott uns als hei­li­ger und ehr­furcht­ge­bie­ten­der Gott! Wer IHN liebt, muss got­tes­fürch­tig und gerecht, wie Sime­on ein „homo ius­tus et timo­ra­tus[4]Vgl. Anm. 23 sein.

Fran­zis­kus hat allein des­we­gen unrecht, weil ihm die Hei­lig­keit und Gerech­tig­keit Got­tes kei­ne Erwäh­nung wert ist. Er folgt damit der „pasto­ra­len“ Spra­che des Kon­zils, die jeden Anklang an die berühm­te „Droh­bot­schaft“ ver­mei­den will. Dem­ge­gen­über muss klar­ge­stellt wer­den: die Froh­bot­schaft ist defi­ni­tiv eine Droh­bot­schaft für alle, die sie nicht anneh­men: „Qui cre­dit in Fili­um, habet vitam aeter­nam; qui autem inc­re­dulus est Filio, non vide­bit vitam, sed ira Dei manet super eum“ – (Wer dem Sohn glaubt, hat das ewi­ge Leben; wer aber dem Sohn nicht glaubt, wird das Leben nicht sehen, son­dern der Zorn Got­tes bleibt über ihm.) [5]Joh. 3, 36

Der Begriff der „Demut“, den er so häu­fig als Kar­di­nal­tu­gend bemüht, ergibt Sinn nur in der Hei­lig­keit Gottes.

Bei Fran­zis­kus fun­giert die „Demut“ als kan­zel­red­ne­ri­scher Rohr­stock gegen kri­ti­sche Gei­ster, die sich nicht abspei­sen las­sen wol­len mit ober­fläch­li­chen und häre­ti­schen Appel­len. Fast hat man den Ein­druck: wer auf­grund eines geist­li­chen Cha­ris­mas etwas zu sagen hat, wird mit der Demuts­keu­le aus­ge­bremst, der Hart­her­zig­keit, Unbarm­her­zig­keit und der Arro­ganz geziehen.

Das unrei­fe Motiv des „Hopp­la, jetzt kom­me ich!“ schwingt durch­aus mit, wenn Fran­zis­kus schreibt: „Nun ist die Zeit gekom­men“ für die „tief­grei­fen­de Neu­aus­rich­tung der Fra­ge“ – wobei mir nicht ganz klar wer­den konn­te, um wel­che Fra­ge es sich genau han­delt, aber es scheint, dass Fran­zis­kus den pola­ri­sie­ren­den Kurs, den die Kir­che auf­grund ihres dog­ma­ti­schen Cha­rak­ters immer ris­kiert hat, auf­ge­ben will. Wie anders soll­te man sei­ne Wor­te vom „Aus­tre­ten aus den engen Pfa­den einer … abso­lu­ten Gegen­über­stel­lung“ ver­ste­hen: „Ich den­ke, dass dies heu­te von grund­le­gen­der Not­wen­dig­keit ist, wenn die­ser von mir erhoff­te fro­he und kon­struk­ti­ve Dia­log vor­ge­bracht wer­den soll.

Mit dem Kon­zil haben Johan­nes XXIII. und Paul VI. die „Öff­nung zur Welt“ prak­ti­ziert, die nicht mehr das Opfer Jesu und eine Schei­dung der Gei­ster zur Ret­tung der ein­zel­nen See­len, son­dern All­ver­söh­nung, das Shake-hands von Licht und Fin­ster­nis und die merk­wür­di­ge theo­re­ti­sche Zwangs­kol­lek­ti­vie­rung der Men­schen zur „Mensch­heits­fa­mi­lie“ ins Zen­trum der Ver­kün­di­gung stell­te. Was will Fran­zis­kus noch mehr? Was drückt sei­ne Behaup­tung vom „Still­stand der Kom­mu­ni­ka­ti­on“ hier und heu­te aus, 50 Jah­re nach dem glor­rei­chen Kon­zil, als dass es ein Feh­ler gewe­sen sei, immer einer Schei­dung der Gei­ster treu zu blei­ben, wie es vor dem Kon­zil durch­weg gesche­hen war? Was aber ist seit 1965 gesche­hen? Man kann ihn so ver­ste­hen, als glaub­te er, mit ihm fan­ge nun erst die Zeit der wah­ren Früch­te des Kon­zils an…

Wor­auf will er hin­aus ange­sichts gra­vie­ren­der anti­christ­li­cher Eska­la­tio­nen inner­halb der auf­klä­re­ri­schen Kul­tur, die sich seit 200 Jah­ren immer tie­fer ins gesell­schaft­li­che Leben der euro­päi­schen und ame­ri­ka­ni­schen Völ­ker ein­gra­ben, genau­so wie auch in den Macht­be­rei­chen ande­rer Reli­gio­nen, vor allem im Islam, eine mas­si­ve Chri­sten­ver­fol­gung zu beob­ach­ten ist?

2. Der „Dialog“ und das Grundprinzip „tertium non datur“

Bei dem vom Papst beschrie­be­nen „Dia­log“ geht es um das Gespräch, das kei­nes­falls ein „Streit[6]Beim Tref­fen mit japa­ni­schen Stu­den­ten – vgl. Anm. 12 sein darf, zwi­schen grund­sätz­lich ver­schie­de­ne Anschau­un­gen, Reli­gio­nen und Kul­tu­ren, die in ihrer Ganz­heit jeweils einen kon­sti­tu­ie­ren­den Wahr­heits­an­spruch auf­wei­sen. Eine Reli­gi­on oder Kul­tur ohne die­ses Merk­mal exi­stiert nicht.

Die Wor­te des Pap­stes an eine japa­ni­sche Stu­den­ten­grup­pe legen nahe, dass man zu Beginn des Dia­logs nicht aus­schlie­ßen dür­fe, die eige­ne Über­zeu­gung zurück­zu­neh­men und zu ver­än­dern. Er behaup­tet, dass eine Kul­tur bzw. eine ein­zel­ne Per­son (das bleibt unklar) nicht ohne sol­che Bereit­schaft zur Selbst-Infra­ge­stel­lung durch das Frem­de oder Ent­ge­gen­ste­hen­de „rei­fen“ bzw. „wach­sen[7]Beim Tref­fen mit japa­ni­schen Stu­den­ten – vgl. Anm. 12 kön­ne. Die­se Aus­sa­ge ist bedenk­lich aus päpst­li­chem Mund – denn die Kir­che hat sol­cher­lei nie gelehrt. Viel­mehr lehrt sie, dass der Mensch nur in Jesus Chri­stus recht wach­sen und rei­fen kön­ne – er ist der Wein­stock, wir sind die Reben. Nur in ihn ein­ge­pfropft gedei­hen wir. In der Los­lö­sung von Jesus Chri­stus reift der Mensch grund­sätz­lich nicht zu sei­nem Heil. War­um pro­ji­ziert Fran­zis­kus die­se tota­le Abhän­gig­keit von Jesus Chri­stus nun auf ande­re Kulturen?

Kann man in ein Reli­gi­ons-Gespräch gehen, ohne zuvor sta­bi­le Begrif­fe und Urtei­le gebil­det zu haben? Wüss­te man andern­falls über­haupt, wor­über man redet? Zwei­fel­los gibt es Über­ein­stim­mun­gen auf­grund der (begrenz­ten) natür­li­chen Wahr­heits­fä­hig­keit der Ver­nunft. Lehrt aber nicht die ver­tief­te Refle­xi­on von Begrif­fen im Rah­men eines kom­ple­xen kul­tu­rel­len Systems, dass gleich­lau­ten­de Begrif­fe, die auch die frem­de Kul­tur benutzt, dort anders besetzt sind, manch­mal sogar einen (bewuss­ten) Wider­spruch auf­bau­en zum eige­nen Begriffs­ver­ständ­nis? Es han­delt sich um Äqui­vo­ka­tio­nen, die Anlass zu Miss­ver­ständ­nis­sen, Ent­täu­schun­gen, Ver­wir­rung und Riva­li­tä­ten geben.

Ich möch­te das an einem Bei­spiel ver­deut­li­chen. Die Tat­sa­che, dass alle mono­the­isti­schen Reli­gio­nen einen ein­zi­gen Gott beken­nen, ruft eine Äqui­vo­ka­ti­on des Begriffs vom „einen Gott“ her­vor. In der Tat mei­nen aber alle drei einen jeweils ande­ren Gott. Etwas ande­res kann nicht begrün­det ange­nom­men wer­den – andern­falls müss­te erklärt wer­den, wie man beim Mei­nen des­sel­ben ein­an­der wider­spre­chen­de Bil­der zeich­nen kann? Das Argu­ment, dass Gott ja immer der­sel­be blei­be, auch wenn eine Reli­gi­on ein fal­sches Got­tes­bild habe, und man inso­fern an den­sel­ben Gott glau­be, ist unlo­gisch! [8]Vgl. P. Engel­bert Reck­ten­wald: Glau­ben Chri­sten und Mus­li­me an den­sel­ben Gott? Und vgl. P. Franz Pro­sin­ger: Der­sel­be Gott? Auf www​.kath​-info​.de/​m​o​n​o​t​h​e​i​s​m​u​s​.​h​tml am 21.9.2013 Eine Reli­gi­on, die nicht den tri­ni­ta­ri­schen Gott bekennt und IHN, im Gegen­teil, sogar ablehnt – was zum Bei­spiel zur spe­zi­fi­schen Sen­dung des Islam gehört – glaubt nicht an den­sel­ben Gott wie ein Christ. Ein Mus­lim meint auch nicht „eigent­lich“ den­sel­ben Gott. Wie soll­te ein Mensch inner­halb eines Got­tes­bil­des, das sogar aus­drück­lich dem Got­tes­bild der ande­ren Reli­gi­on wider­spricht, an den den­sel­ben Gott glau­ben kön­nen? Es ist evi­dent, dass eine sol­che Annah­me absurd ist und eher unse­rem Har­mo­nie­be­dürf­nis als nüch­ter­ner Ver­nunft ent­springt. In der Spra­che der Bibel muss man soweit gehen zu sagen, die­se Reli­gi­on beken­ne einen Göt­zen. Bloß weil es ein ein­zi­ger Göt­ze anstel­le von vie­len ist, ist das Got­tes­bild ja nicht zwangs­läu­fig rea­li­sti­scher. Es mag dem eige­nen Got­tes­bild for­mal schein­bar näher­ste­hen. Das ergibt aber noch kei­ne aus­rei­chen­de Begrün­dung dafür, einem ande­ren mono­the­isti­schen Got­tes­bild mehr Rea­li­tät zuzu­ge­ste­hen als einem wie auch immer gear­te­ten nicht-mono­the­isti­schen Glau­ben. In jedem Fall muss genau geprüft wer­den, was objek­tiv aus­ge­sagt wird und in wel­cher Rela­ti­on es zur Wahr­heit in Jesus Chri­stus steht. Nur der Geist, der Jesus Chri­stus, wie ihn die Kir­che bezeugt, bekennt und lehrt, ist in der gan­zen, natür­li­chen und über­na­tür­li­chen Wahr­heit. So steht es im 1. Johan­nes­brief: In hoc cogno­s­ci­tis Spi­r­itum Dei: omnis spi­ri­tus, qui con­fi­tetur Iesum Chri­s­tum in car­ne venis­se, ex Deo est.

Et omnis spi­ri­tus, qui non con­fi­tetur Iesum, ex Deo non est; et hoc est anti­chri­sti, quod audi­stis quo­niam venit, et nunc iam in mun­do est. – (Dar­an erkennt ihr den Geist Got­tes: jeder Geist, der bekennt, dass Jesus ins Fleisch gekom­men ist, ist aus Gott. Und jeder Geist, der Jesus nicht bekennt, ist nicht aus Gott; und das ist der des Anti­chri­sten, von dem ihr gehört habt, dass er kommt und schon jetzt in der Welt ist.) [9]1. Johan­nes 4,2 ff

Das ist eine kla­re Aus­sa­ge der Hl. Schrift: Weil alle nicht-christ­li­chen Reli­gio­nen die­sen Geist nicht aner­ken­nen, sind sie aus christ­li­cher Sicht als Reli­gio­nen im gan­zen falsch – die Wahr­heit ist nicht teil­bar! Dem wider­spricht nicht, dass der eine oder ande­re Gedan­ke oder Brauch, der dort auf­grund natür­li­cher Wahr­heits­er­kennt­nis ange­trof­fen wird, iso­liert betrach­tet, gut sein kann.

Tref­fen wir nicht all­zu oft Wider­sprü­che zum Eige­nen an, wenn wir dem Frem­den begeg­nen? Aus mei­ner Sicht ist es wich­tig, den ande­ren, den Frem­den, viel­leicht sogar den erbit­ter­ten Feind nicht zu unter­schät­zen: er kann den­ken, er hat sich sei­ne Posi­ti­on erwählt, er hat einen nor­ma­len IQ! Das ist mein Aus­druck von Respekt. Er irrt, weil er ein irren­der Mensch ist, wie ich einer war, bevor mich Jesus berühr­te und wie­der bin, sobald ich mich von Jesus abwen­de. War­um soll­ten wir anneh­men, dass sein Wider­spruch ein Miss­ver­ständ­nis sei, das sich mit ein paar Dia­log­sit­zun­gen auf­lö­sen lässt?
Wie viel Sinn ergibt der Ver­such, eine Aus­sa­ge, die eine Reli­gi­on für wahr hält, in „Dia­log“ mit ihrem Wider­spruch zu brin­gen? Der Wider­spruch geschieht ja nicht aus spie­le­ri­schen oder belang­lo­sen Grün­den. Er ist ernst gemeint. Der erwähn­te Anti­christ ist kei­ne harm­lo­se Spiel­fi­gur, son­dern eine mör­de­ri­sche Gestalt, die im Namen bereits die Kon­tra­dik­ti­on trägt!

Auch hier möch­te ich ein Bei­spiel geben: Wenn das Chri­sten­tum bekennt „Jesus ist von Gott in Maria gezeugt und nicht geschaf­fen“, der Islam dage­gen aus­drück­lich bekennt „Allah zeugt nicht und wur­de nicht gezeugt“, dann han­delt es sich um einen klas­si­schen Wider­spruch. Eine frucht­ba­re Kom­mu­ni­ka­ti­on kann aus logi­schen Grün­den nicht stattfinden.

Selbst wenn wir nicht ent­schei­den woll­ten, ob wir die Aus­sa­gen einer Reli­gi­on für wahr hal­ten, gilt der „Satz vom aus­ge­schlos­se­nen Drit­ten“, der uns lehrt, dass zwi­schen einer Aus­sa­ge und ihrem Gegen­teil kei­ne Mit­te, kein Kom­pro­miss mög­lich ist. Dass also selbst im Fal­le einer aus­blei­ben­den Wahr­heits­ent­schei­dung weder bei­des gleich­be­rech­tigt gel­ten noch eine Mit­te zwi­schen bei­dem gene­riert wer­den kann.
Man wird mir ent­ge­gen­hal­ten, dass nicht alles in einer frem­den Reli­gi­on oder Kul­tur ein Wider­spruch zur christ­li­chen Kul­tur ist. Dazu möch­te ich mit Nach­druck sagen: Es läge mir fern, alles Nicht-Christ­li­che pau­schal zu ver­teu­feln. Ich möch­te aber auch anmer­ken, dass nicht alles, was Nicht­chri­sten tun, Aus­druck ihres Nicht­christ-Seins ist. Vie­les in ande­ren Reli­gio­nen und Kul­tu­ren ist aus der mensch­li­chen Ver­fasst­heit erwach­sen und an sich selbst neu­tral. All das Schö­ne, Spie­le­ri­sche, Musi­ka­li­sche, das, was die natür­li­chen Gaben des Men­schen her­vor­brin­gen und was die natür­li­che Ver­nunft als Wahr­heit zu erken­nen ver­mag, ist gut!

Mir geht es um etwas ande­res: Eine Kul­tur ist immer eine gei­sti­ge Syn­the­se und kon­ta­mi­niert mit ihrem Geist alles, was sie inte­griert. An die­ser Stel­le sehe ich das Problem.
Nach einer Bekeh­rung zu Jesus Chri­stus erfährt der Gläu­bi­ge stets eine Neu­ori­en­tie­rung, eine Reform sei­ner bis­he­ri­gen kul­tu­rel­len Ver­fas­sung. Vie­les wird trans­for­miert, vie­les ver­wor­fen, alles IHM zu Füßen gelegt. Einem sol­chen Umge­stal­tungs­pro­zess ist ja die abend­län­di­sche Kul­tur erwach­sen… Wer umkehrt zu Jesus Chri­stus, kann unmög­lich so blei­ben, wie er war. Er lässt sich wil­lent­lich von der Wahr­heit, die Jesus Chri­stus heißt, umge­stal­ten. Allein das ist schon ein prak­ti­scher Beweis gegen den Sinn eines „Dia­logs ohne Vor­ur­tei­le“: in mei­ner „Umkehr“ voll­zieht sich kein lebens­lan­ger „Dia­log“ zwi­schen dem Vor­her und Nach­her, son­dern sogar eine regel­rech­te Läu­te­rung aus dem Vor­her her­aus. Die von Gott gut geschaf­fe­ne Sub­stanz bleibt, alles Akzi­den­ti­el­le ver­wan­delt sich.

Aber zurück zur Fra­ge nach den Mög­lich­kei­ten und Gren­zen des „Dia­logs“: Wel­ches Ziel hat ein „Dia­log“, in den man „offen“, eintritt?
Ist er ein unver­bind­li­cher „kon­tro­ver­ser“ Salon­talk unter Ver­mei­dung ernst­haf­ter Kon­fron­ta­tio­nen und kla­rer Aus­sa­gen, ein bür­ger­li­ches Spiel­chen, wie wir ihn tag­täg­lich über alle Fern­seh­ka­nä­le unter der Rubrik „Talk­show“ flim­mern sehen?
Fra­gen über Fragen!

Eines scheint klar gewor­den zu sein – eine sol­che Visi­on vom „Dia­log“ ist unmensch­lich und beraubt den Men­schen sei­ner Wür­de. Die Wür­de des Men­schen als ima­go Dei beinhal­tet zen­tral die Sehn­sucht danach und in Jesus Chri­stus auch das unver­dien­te Recht dar­auf, in der Wahr­heit zu sein – nicht stets auf der Suche außer­halb der Wahr­heit nach der immer wie­der flie­hen­den Wahr­heit, in Abwand­lung des Spru­ches „Das Kapi­tal ist ein scheu­es Reh!“.
Man kann nur in der Wahr­heit oder außer­halb der Wahr­heit sein. Im Licht oder in der Fin­ster­nis. Fran­zis­kus aber will offen­bar ein Schat­ten­reich zwi­schen Licht und Fin­ster­nis kreieren.

Wie anders soll­te man Fran­zis­kus’ For­mu­lie­rung im Brief an Scal­fa­ri ver­ste­hen: Mit ande­ren Wor­ten ver­langt die Wahr­heit, die letzt­lich mit der Lie­be voll­kom­men eins ist, Demut und ein Offen­sein für die Suche, die Auf­nah­me und ihren Aus­druck. Dies erfor­dert Klar­heit über die Begriff­lich­keit und viel­leicht ein Aus­tre­ten aus den engen Pfa­den einer … abso­lu­ten Gegen­über­stel­lung, eine tief­grei­fen­de Neu­aus­rich­tung der Frage.
Die engen Pfa­de der abso­lu­ten Gegen­über­stel­lung“ – Fran­zis­kus kann damit nur auf die Rela­ti­vie­rung der je eige­nen Wahr­heits­an­nah­men anspie­len. Die­ser Satz ergä­be sonst kei­ner­lei Sinn. Da er nach­schiebt: „…eine tief­grei­fen­de Neu­aus­rich­tung der Fra­ge…“, ist unver­kenn­bar, dass er für ein end­gül­ti­ges Abrücken vom tra­di­tio­nel­len kirch­li­chen Kurs vor dem Vati­ca­num II plädiert.

Die­ser Kurs aller Päp­ste vor dem Vati­ca­num II, des Triden­ti­nums und des Vati­ca­num I, der die Unver­ein­bar­keit der phi­lo­so­phi­schen Grund­la­gen der Moder­ne und der Leh­re der Kir­che viel­fäl­tig in Kon­zils­tex­ten, Dekre­ten, Enzy­kli­ken und Dis­zi­pli­nar­maß­nah­men kon­sta­tier­te, hat­te den Gläu­bi­gen die­se kla­re Schei­dung der Gei­ster dar­ge­legt und als zu Glau­ben­des abver­langt. Am mar­kan­te­sten sta­chen hier der Index librorum pro­hi­bi­torum und der Anti­mo­der­ni­sten­eid her­aus. Bei­des wur­de unter dem Pon­ti­fi­kat Pauls VI. aufgegeben.

Ein wei­te­rer Begriff, der für unse­re Betrach­tung hier zen­tral ist, ist die Reli­gi­ons- und Gewis­sens­frei­heit. Fran­zis­kus geht dar­auf aus­drück­lich ein:

„Um eine Sün­de han­delt es sich auch beim Nicht­glau­ben­den dann, wenn er gegen sein Gewis­sen han­delt. Auf es zu hören und ihm zu gehor­chen bedeu­tet, sich ange­sichts des für gut oder für böse Erkann­ten zu ent­schei­den. Und an die­ser Ent­schei­dung hängt Güte oder Schlech­tig­keit unse­res Handelns.“

Fran­zis­kus wiegt Scal­fa­ri mit die­sen Wor­ten in eine fal­sche Sicher­heit hin­ein. Natür­lich muss auch ein Ungläu­bi­ger – zwangs­läu­fig möch­te man sagen – sei­nem Gewis­sen fol­gen! Was jedoch das Gewis­sen, das sich nicht an der Wahr­heit in Jesus Chri­stus ori­en­tiert, für gut oder böse hält, kann voll­kom­men falsch sein. Die Güte und Schlech­tig­keit unse­res Han­delns hängt gera­de nicht dar­an, dass wir etwas gut oder böse gemeint haben, son­dern ob es objek­tiv gut oder böse war. Selbst der Volks­mund fasst dies in einen Sinn­spruch: „Gut gemeint ist noch lan­ge nicht gut gemacht!“ Die­se Tat­sa­che kommt in den bibli­schen Sze­nen vom Jüng­sten Gericht zum Aus­druck. [10]Vgl. Mt. 25, 31 ff + Mt. 7, 22

Es ist Dog­ma der Hei­li­gen römisch-katho­li­schen Kir­che, dass die Zuge­hö­rig­keit zur Kir­che für alle Men­schen heils­not­wen­dig ist.

Fran­zis­kus’ Satz „Sie (die Wahr­heit, Anm. HJ) gibt sich uns immer nur als Weg und als Leben“ muss folg­lich in die­ser For­mu­lie­rung als falsch bezeich­net wer­den: Die Wahr­heit in der Per­son Jesu Chri­sti gibt sich uns zwar als Weg und Leben. Dar­aus folgt aber nicht, dass sie sich uns „immer nur“ als Weg und Leben gibt, wie Fran­zis­kus meint. Sie gibt sich uns sehr wohl – und das ist wohl die Dif­fe­renz zwi­schen der Leh­re der Kir­che und der „tief­grei­fen­den Neu­aus­rich­tung“ – in Form objek­ti­ver Dog­men, die dem Gläu­bi­gen als de fide gel­ten, auch dann, wenn er sie noch nicht leben­dig ver­ste­hen kann! Kurz: sie gibt sich uns aus­schließ­lich durch die Ver­mitt­lung der Kir­che! Es gehört zu den Absur­di­tä­ten der moder­nen Theo­lo­gie zu sug­ge­rie­ren, nur das sei de fide für den ein­zel­nen, was sich ihm bis­her erschlos­sen hat! Cum autem vene­rit ille, Spi­ri­tus veri­ta­tis, dedu­cet vos in omnem veritatem. [11]Joh. 16, 13 – (Wenn aber jener kom­men wird, der Geist der Wahr­heit, wird er euch in die gan­ze Wahr­heit heim­füh­ren.) In die gan­ze, natür­li­che und über­na­tür­li­che Wahr­heit! Wir wer­den in die Wahr­heit heim­ge­führt wie eine Braut, die­ses Zuhau­se exi­stiert schon lan­ge vor uns und erwar­tet den, der glaubt, ohne zu schau­en, als eine fest gebau­te Stadt, in der nichts wankt. „Et cogno­s­ce­tis veritatem, et veri­tas libera­bit vos“ – (Wenn ihr die Wahr­heit erkennt, wird euch die Wahr­heit befrei­en.) [12]Joh. 8, 32

Davon hören wir bei Fran­zis­kus kein Wort. Er spricht aus sich selbst her­aus. Das wird nicht abge­mil­dert durch sei­ne Ich-Bot­schaft „Ohne die Kir­che – das kön­nen Sie mir glau­ben – hät­te ich Jesus, selbst im Bewusst­sein, die uner­mess­li­chen (sic!) Gabe des Glau­bens in zer­brech­li­chen Ton­töp­fen der Mensch­heit auf­be­wahrt zu wis­sen, nicht begeg­nen kön­nen.“ Er hät­te Manns genug sein müs­sen, Scal­fa­ri zu sagen: Ohne die Kir­che kön­nen Sie Jesus, der allei­ne die gan­ze Wahr­heit ist, nicht begeg­nen! Der Rück­zug auf die Ich-Bot­schaft bleibt dem Fra­gen­den die Weg­wei­sung schuldig.

Ent­spre­chend hat Papst Fran­zis­kus die Not­wen­dig­keit und den Sinn des „Dia­logs“ gegen­über jun­gen Japa­nern bereits im Som­mer 2013 defi­niert. Las­sen wir ihn aus­führ­lich zu Wort kommen:

Denn wenn wir in uns selbst iso­liert sind, haben wir nur das, was wir haben und kön­nen kul­tu­rell nicht wach­sen. Wenn wir aber zu ande­ren Per­so­nen gehen, zu ande­ren Kul­tu­ren, ande­re Denk­wei­sen und Reli­gio­nen ken­nen­ler­nen, gehen wir aus uns selbst her­aus und begin­nen die­ses schö­ne Aben­teu­er, dass sich ‚Dia­log’ nennt. Der Dia­log ist sehr wich­tig für die eige­ne Rei­fe, denn im Kon­takt mit ande­ren Per­so­nen und ande­ren Kul­tu­ren, auch in der gesun­den Aus­ein­an­der­set­zung mit ande­ren Reli­gio­nen wächst man: man wächst und reift.

Denn wir füh­ren einen Dia­log, um uns zu fin­den, nicht um zu strei­ten. Und was ist die tief­ste Hal­tung, die wir für einen Dia­log brau­chen und nicht für den Streit? Die Sanft­mut. Die Fähig­keit, Per­so­nen und Kul­tu­ren mit Frie­den auf­zu­su­chen. Die Fähig­keit, intel­li­gen­te Fra­gen zu stel­len wie: ‚War­um denkst du so? War­um macht die­se Kul­tur das so?’ Die ande­ren zu hören und dann zu spre­chen. Zuerst zuhö­ren, dann spre­chen. Das ist Sanftmut.

Es gibt kei­nen Frie­den ohne Dia­log. Alle Krie­ge, Kämp­fe, alle Pro­ble­me, die sich nicht lösen und denen wir begeg­nen gibt es auf­grund eines Man­gels an Dia­log. Wenn es ein Pro­blem gibt – Dia­log: die­ser bringt den Frie­den, dass ihr einen Dia­log zu füh­ren ver­steht: ‚aha, so denkt also die­se Kul­tur, wie schön, dies aber gefällt mir nicht so’… immer aber im Dia­log. [13]Die­ser Text stammt von der Web­sei­te https://de.radiovaticana.va/news/2013/08/21/papst_franziskus_trifft_japanische_studenten:_%E2%80%9Enur_begegnung_bringt/ted-721447 des Inter­net­auf­tritts von Radio … Con­ti­n­ue rea­ding

Dass ein Mensch, der allein Jesus fol­gen und sich nicht auf ande­re Kul­tu­ren ein­las­sen will, nicht „in sich iso­liert“ ist, ergibt sich allein dar­aus, dass einer, der in Chri­stus und in Maria ist, kei­nes­falls mehr „in sich“ selbst „iso­liert“ sein kann. Er wächst und reift in Maria zu Jesus Chri­stus hin und ande­rer­seits wächst und reift in ihm selbst – wie in Maria – Jesus Chri­stus. Bei­des gilt. Nie­mand ist weni­ger iso­liert als ein wah­rer Christ! Es ist völ­lig gleich, ob er dabei das Pri­vi­leg hat, in der Welt her­um­rei­sen zu kön­nen. Fran­zis­kus rich­tet ein bekla­gens­wer­tes, begriff­li­ches Cha­os an! Und dies bei der voll­mun­dig gefor­der­ten „Klar­heit über die Begriff­lich­keit“!

Fran­zis­kus redet ger­ne von der „Zärt­lich­keit Got­tes“ und der „Sanft­mut des Chri­sten“. Was meint er damit? Gegen­über den Japa­nern sag­te er wört­lich:  „Und was ist die tief­ste Hal­tung, die wir für einen Dia­log brau­chen und nicht für den Streit? Die Sanft­mut.“ Nüch­tern bemerkt ist es hin­sicht­lich der Wahr­heit nicht von Belang, ob sie sanft oder unsanft vor­ge­tra­gen wird – was wahr ist, ist wahr. In Fran­zis­kus’ Sät­zen klingt der Spruch „Der Ton macht die Musik!“, aber die­ser Satz ist hin­sicht­lich der Wahr­heit – falsch. Die Auf­wer­tung der „Ver­packung“ zum unver­zicht­ba­ren Bestand­teil der Wahr­heit, eine irri­ge Frucht des „Pasto­ral­kon­zils“, hat nicht nur die tra­di­tio­nel­le Lehr­ver­kün­di­gung in Miss­kre­dit gebracht, son­dern die Wahr­heit ihrer Objek­ti­vi­tät beraubt

Es ist evi­dent, dass dies logi­scher Unsinn ist. Ent­we­der bin ich „in“ der Wahr­heit gebor­gen (also in Chri­stus) oder eben nicht. Ter­ti­um non datur. „Utinam fri­gi­dus esses aut cali­dus!“ – (O, wenn du kalt oder heißt wärest!) [14]Offen­ba­rung 3, 15 ruft der himm­li­sche Jesus in der Johan­nes-Offen­ba­rung. Die Erschei­nung des Herrn wird übri­gens dort so beschrie­ben: „et de ore eius gla­di­us anceps acu­tus exi­bat[15]Offen­ba­rung 1, 16 – (und aus sei­nem Mund wuchs ein schar­fes, zwei­schnei­di­ges Schwert her­aus). Das schar­fe, zwei­schnei­di­ge Schwert ist das Kon­trast­pro­gramm zu Fran­zis­kus’ Dialog!

Fran­zis­kus For­mu­lie­rung ist nicht miss­ver­ständ­lich, son­dern falsch: „Mit ande­ren Wor­ten ver­langt die Wahr­heit, die letzt­lich mit der Lie­be voll­kom­men eins ist, Demut und ein Offen­sein für die Suche, die Auf­nah­me und ihren Aus­druck.“ Nein! Die Lie­be ist immer ohne Falsch. Was wahr ist, ist wahr. Was falsch ist, ist falsch. Ech­te Demut beugt sich der objek­ti­ven, schwert­schar­fen Wahr­heit, die Jesus Chri­stus heißt, und nicht dem, was wir, ich selbst oder ein ande­rer Mensch, momen­tan gera­de für wahr hal­ten, wenn wir über­haupt noch nach objek­ti­ver Wahr­heit fra­gen. Denn Scal­fa­ri tut dies offen­sicht­lich nicht. Fran­zis­kus geht dar­auf direkt ein: „Sie (fra­gen) mich, ob es ein Irr­tum oder eine Sün­de sei zu glau­ben, dass es kei­ne abso­lu­te Wahr­heit gebe. Zunächst wür­de ich auch für einen Glau­ben­den nicht von einer „abso­lu­ten“ Wahr­heit im Sin­ne eines Los­ge­löst­seins und daher einer Bezie­hungs­lo­sig­keit des Abso­lu­ten spre­chen. Nun ist die Wahr­heit dem christ­li­chen Glau­ben zufol­ge die Lie­be Got­tes zu uns in Jesus Chri­stus und daher eine Bezie­hung! Jeder von uns geht von sich selbst aus, wenn er die Wahr­heit auf­nimmt und aus­drückt: von sei­ner Geschich­te, sei­ner Kul­tur, sei­ner Lage usw.

Der Exkurs dar­auf, dass auch ein Gläu­bi­ger nicht von einer „abso­lu­ten“, im Sin­ne einer „los­ge­lö­sten“ Wahr­heit aus­ge­he, stellt eine kru­de Ver­kür­zung des kirch­li­chen Wahr­heits­be­griffs dar und ist nichts wei­ter als ein fei­ges Um-den-Brei-her­um-Reden. Die Wahr­heit ist sehr wohl „abso­lut“, denn sie exi­stiert tat­säch­lich los­ge­löst von jeder Bin­dung an Wahr­heits­min­dern­des, Kor­rum­pie­ren­des, Rela­ti­vie­ren­des. Und noch etwas: nicht wir gehen von uns aus, wenn wir die Wahr­heit(!) auf­neh­men! Im Moment der Umkehr zu IHM neh­men wir tat­säch­lich aus­schließ­lich IHN in uns auf und las­sen unse­re „Geschich­te, unse­re Lage, unse­re Kul­tur etc.“  zurück! „At illi con­ti­nuo, relic­tis reti­bus, secu­ti sunt eum[16]Mt. 4, 18 – (Sie folg­ten IHM sogleich, nach­dem sie ihre Net­ze lie­gen­ge­las­sen hat­ten.)  Was sie ver­spon­nen, gebun­den und gefan­gen gehal­ten hat­te, war­fen sie ab und folg­ten IHM…

3. An IHM scheiden sich die Geister!

Die Tat­sa­che, dass vie­le Dif­fe­ren­zen zwi­schen Ein­zel­per­so­nen und kul­tu­rel­len Aus­prä­gun­gen ganz offen­kun­dig im Zusam­men­hang mit Wahr­heit und Irr­tum, mit Bos­heit und Güte, Gerech­tig­keit und Unge­rech­tig­keit ste­hen, scheint Fran­zis­kus nicht im Blick zu haben, gar nicht ernst zu neh­men – als sei­en die Mäch­te und Gewal­ten in der Luft, vor denen uns der Hl. Pau­lus warnt, ein Kin­der­spiel. „Quia non est nobis col­luc­ta­tio adver­sus san­gui­nem et car­nem sed adver­sus prin­ci­pa­tus, adver­sus pote­sta­tes, adver­sus mun­di rec­to­res ten­ebrarum harum, adver­sus spir­ita­lia nequitiae in cae­le­sti­bus.“ – (Denn wir kämp­fen nicht gegen Fleisch und Blut, son­dern gegen Für­sten, gegen Mäch­te, gegen die Herr­scher die­ser fin­ste­ren Welt, gegen böse Gei­ster in den Him­mels­re­gio­nen.) In der Waf­fen­rü­stung gegen die­se Mäch­te nennt der Hl. Pau­lus zuerst das Umgür­ten der Len­den mit der Wahr­heit! [17]Eph. 6, 12 ff

Nicht von Unge­fähr wird am Ende der Zei­ten der Wel­ten­rich­ter Jesus Chri­stus eine Schei­dung von „Scha­fen“ und „Böcken“ vor­neh­men: nicht alles war gleich „gut“ oder hat­te die glei­che Berech­ti­gung. Und vie­les, was „gut gemeint“ war, wird ER abwei­sen und böse nen­nen! Vor IHM wer­den Men­schen ste­hen, die ein­kla­gen wol­len, dass sie doch – sogar „in sei­nem Namen“ – „das­sel­be“ getan hät­ten wie die vor IHM Gerech­ten. Mehr­fach mahnt uns das NT: Er wird sagen, er ken­ne sie nicht und wird sie hin­aus­wer­fen in die äußer­ste Fin­ster­nis, die ihre Hei­mat war. [18]Vgl. Mt. 25 31 ff oder Mt 7, 22 Jeder, der die­se Wor­te der Hl. Schrift liest, muss erschau­ern vor dem Ernst der Lage!

Die Leh­re der Kir­che kann­te aus die­sem Grund kei­nen „Dia­log als Mit­tel des Frie­dens“. Unser Frie­de ist allein Chri­stus. Unser Herz ist im Unfrie­den, und was im Her­zen ist, dringt – ohne Ver­söh­nung mit Gott – unwei­ger­lich nach außen. Frie­den heißt in der christ­li­chen Vor­stel­lung, dass der Wil­le Got­tes ohne Abstri­che erfüllt wird. Es ist ver­schie­dent­lich dar­auf hin­ge­wie­sen wor­den, dass ein sol­cher Frie­den nicht von einem Kol­lek­tiv initi­iert wer­den kann, son­dern nur in den Her­zen der ein­zel­nen Gläu­bi­gen ent­facht zur Gemein­schaft drängt. „Secund­um vol­untatem tuam paci­fi­ca­re et coad­una­re digne­ris“ – (Dei­nem Wil­len gemäß mögest DU befrie­den und ver­ei­ni­gen) beten wir im Alten Mess­ka­non. Erst geschieht die per­sön­li­che Befrie­dung des ein­zel­nen, danach ist die Ver­ei­ni­gung möglich…

In die Rea­li­tät mensch­li­chen Unfrie­dens ragt die merk­wür­di­ge Aus­sa­ge Jesu, der Frie­de, den er gebe, sei nicht der Frie­de, den die Welt gibt. [19]Joh. 14, 27 Sein Frie­de ist also jen­seits alles des­sen, was der Mensch an Frie­dens­be­mü­hung vor­neh­men könnte.

Im Agnus Dei kommt der Ein­bruch die­ser frem­den Frie­dens­vor­stel­lung, die nicht von die­ser Welt ist, zum Aus­druck: „qui tol­lis pec­ca­ta mun­di dona nobis pacem“ – (der Du trägst die Sün­den der Welt, gib uns Frie­den…). Die Bezie­hung zwi­schen unse­rer Sün­de und der pri­va­tio des Frie­dens ist hier deut­lich aus­ge­spro­chen. Ein rein irdi­scher „Welt­frie­den“ ist – auf­grund des apo­ka­lyp­ti­schen Kamp­fes zwi­schen Licht und Fin­ster­nis – vor der Wie­der­kunft Jesu Chri­sti sogar aus­drück­lich ausgeschlossen:

ER, so ist es von Anfang an gesagt, bringt das „Schwert“. An IHM schei­den sich die Gei­ster. An IHM wird offen­bar, was in den Her­zen schlum­mert. ER trennt unter uns Licht und Fin­ster­nis. So wie Gott am Anfang der Schöp­fung das Licht und die Fin­ster­nis schied… Ange­sichts SEINER Gegen­wart kann sich kei­ner verstellen.

Sime­on pro­phe­zeit der Got­tes­mut­ter im Tem­pel: „Ecce posi­tus est hic in ruinam et resur­rec­tion­em mul­torum in Isra­el et in signum, cui con­tra­di­ce­tur „” et tuam ipsi­us ani­mam per­tran­siet gla­di­us „” ut reve­len­tur ex mul­tis cor­di­bus cogi­ta­tio­nes.“ – (Sie­he, die­ser ist gesetzt zum Ruin und zur Auf­er­ste­hung vie­ler in Isra­el und zum Zei­chen, dem wider­spro­chen wird – und dir wird selbst ein Schwert durch dei­ne See­le gesto­ßen wer­den – damit die Gedan­ken aus den Her­zen vie­ler ans Tages­licht kom­men.) [20]Lk. 2, 25 ff

Zum Ruin! Er wird Wider­spruch her­vor­ru­fen! Das Schwert in Mari­as See­le ist kei­ne roman­tisch-pathe­ti­sche Beschrei­bung müt­ter­li­cher Affen­lie­be, son­dern die Ankün­di­gung der Teil­ha­be Mari­ens am Erlö­sungs­werk ihres Soh­nes. Das Schwert in der See­le Mari­ens ist Teil des Lei­dens­we­ges Jesu, der den Frie­den in Gott mög­lich machen wird für viele.

Mit Jesus steht jeden­falls der ein­zel­ne Mensch vor der Mög­lich­keit des end­gül­ti­gen Ruins oder der Auf­er­ste­hung. Ab jetzt ist die Rede von den Wer­ken der Fin­ster­nis und denen des Lichts:

Nemo vos deci­pi­at ina­ni­bus ver­bis; prop­ter haec enim venit ira Dei in fili­os diffidentiae.
Noli­te ergo effi­ci com­par­ti­cipes eorum;
era­tis enim ali­quan­do ten­ebrae, nunc autem lux in Domi­no. Ut filii lucis ambulate
„” fruc­tus enim lucis est in omni boni­ta­te et ius­ti­tia et veritate „”
pro­ban­tes quid sit bene­pla­ci­tum Domino;
et noli­te com­mu­ni­ca­re ope­ri­bus infruc­tuo­sis ten­ebrarum, magis autem et redarguite;
quae enim in occul­to fiunt ab ipsis, tur­pe est et dicere;
omnia autem, quae argu­un­tur, a lumi­ne manifestantur,
omne enim, quod mani­fe­sta­tur, lumen est. Prop­ter quod dicit: “ Sur­ge, qui dor­mis, et exsur­ge a mor­tuis, et illu­minabit te Chri­stus
„. [21]Eph 5, 6–14

(Nie­mand täu­sche euch mit lee­ren Wor­ten; wegen ihnen kommt der Zorn Got­tes auf die Kin­der des Misstrauens.
Dar­um ergebt euch nicht als deren Teilhaber;
Einst­mals wart ihr Fin­ster­nis, jetzt aber Licht im Herrn. Auf dass ihr wie Kin­der des Lich­tes wan­delt – die Frucht des Lich­tes näm­lich besteht in Güte und Gerech­tig­keit und Wahr­heit – prüft, was dem Herrn ein Wohl­ge­fal­len sei;
Und macht euch nicht gemein mit den unfrucht­ba­ren Wer­ken der Fin­ster­nis, viel­mehr aber deckt sie auf;
was näm­lich im Gehei­men von jenen getan wird, ist zu schänd­lich, um gesagt zu werden;
alles aber, was offen­ge­legt wird, wird vom Licht sicht­bar gemacht,
alles näm­lich, was sicht­bar gemacht wird, ist Licht.

Des­we­gen sagt man:
„Steh auf, der du schläfst, ersteh von den Toten auf, damit dich Chri­stus erleuchtet.“
Wer nicht von Chri­stus erleuch­tet ist mit sei­ner wil­lent­li­chen Zustim­mung, liegt „im Grab“, ist „tot“!
Es ist dem Chri­sten nicht erlaubt, mit den „Toten“ an einem Strang zu zie­hen: „Noli­te iugum duce­re cum infi­de­li­bus! Quae enim par­ti­ci­pa­tio ius­ti­tiae cum ini­qui­ta­te? Aut quae socie­tas luci ad ten­ebras? [22]2. Kor. 6, 14 – (Zieht nicht ein Joch mit den Ungläu­bi­gen! Hat denn die Gerech­tig­keit teil an der Bos­heit? Oder was hat das Licht mit der Fin­ster­nis zu tun?)

Distanz ist immer dann gebo­ten, wenn Din­ge aus einem bestimm­ten Geist her­aus vor­ge­nom­men wer­den, der der Leh­re der Kir­che aus­drück­lich wider­spricht oder bei nüch­ter­ner Ana­ly­se impli­zit ent­ge­gen­steht. Dazu zäh­len poli­ti­sche, sozia­le und kul­tu­rel­le Pro­jek­te, die eine star­ke ideo­lo­gi­sche Fun­die­rung haben und immer ande­re Reli­gio­nen und ihre Kulte.
Es ist nicht „über­heb­lich“, wie Fran­zis­kus behaup­tet, die­se gei­sti­gen Fun­die­run­gen, die den Hl. Geist abwei­sen, als „Werk der Fin­ster­nis“ zu bezeich­nen. Wer sich wirk­lich bekehrt hat, weiß, dass der Mensch außer­halb der Kir­che unwei­ger­lich in die Hän­de der Fin­ster­nis gerät. Wer wagt, die Gei­ster von­ein­an­der zu schei­den – es ist ja bei vie­lem nicht ein­fach, zu erken­nen, wes Gei­stes Kind es ist!?

Und es gibt schon in alt­te­sta­ment­li­cher Zeit das Cha­ris­ma der Unter­schei­dung der Gei­ster, das der­je­ni­ge, der es hat, sei­nen Glau­bens­ge­schwi­stern schen­ken muss. Die Gabe der Unter­schei­dung ist ver­bun­den mit einem pro­phe­ti­schen Cha­ris­ma. Dass Sime­on und Han­na (letz­te­re wird aus­drück­lich eine pro­phe­tis­sa genannt) [23]Lk. 2, 36 in die­ser unschein­ba­ren Fami­lie, die in den Tem­pel kam, um ihren Erst­ge­bo­re­nen Gott zu wei­hen, die Hei­li­ge Fami­lie erkann­ten, dass Sime­on in Maria die Got­tes­mut­ter und Teil­ha­be­rin des Erlö­sungs­wer­kes sah und ihr das unter Segens­sprü­chen sogar zuspre­chen konn­te, basiert auf der Fähig­keit, das, was wahr ist und von Gott kommt, sofort zu unter­schei­den von allem ande­ren, das nicht die­sen Sta­tus hat. Sime­on wird ein „homo ius­tus et timo­ra­tus“ genannt, dem der Hl. Geist ein­ge­ge­ben habe, „non visurum se mor­tem nisi pri­us vide­ret Chri­s­tum Domini.“ Unter Ein­wir­kung des Gei­stes geht er zur besag­ten Stun­de in den Tem­pel. [24]Lk. 2, 26+27 Auch er ist ein Pro­phet wie Han­na – ganz ein­deu­tig. Die Kir­che braucht auch die­ses Cha­ris­ma. Das Lehr­amt hät­te die Auf­ga­be, die­ses Cha­ris­ma und sei­ne Frucht im Ein­zel­fall zu prü­fen und zu bestätigen.

Aus der zitier­ten Stel­le aus dem Ephe­ser­brief geht her­vor, dass die Wer­ke der Fin­ster­nis, sobald sie beleuch­tet wer­den, sich zwangs­läu­fig als nicht-licht­voll erwei­sen wer­den: „Omne enim, quod mani­fe­sta­tur, lumen est.“ Hin­ter die­sem Satz steht die Vor­stel­lung der Fin­ster­nis als Abwe­sen­heit des Lich­tes. Wenn etwas wesen­haft fin­ster ist, bleibt es auch im Licht fin­ster, „wie ein schwar­zes Loch“. Das Licht scheint und beleuch­tet – nichts! Was sich dage­gen beleuch­ten lässt und erkenn­ba­re Gestalt gewinnt, das ist Licht! Ein Läu­te­rungs­pro­zess klingt auch hier an die­ser Stel­le an: das Licht „heilt“ die gekränk­te, ver­min­der­te, ursprüng­lich gut geschaf­fe­ne, ver­fin­ster­te Sub­stanz des Men­schen. Jesus trat des­halb so über­aus wirk­mäch­tig als Arzt in Erschei­nung. Das Hei­len der mensch­li­chen Gebre­chen blieb immer eine zen­tra­le Beru­fung der Kir­che und fand einen sicht­ba­ren Nie­der­schlag in der Pfle­ge und Behand­lung Kran­ker, aber auch in Wun­der­hei­lun­gen durch die Für­bit­te der Hei­li­gen. Im Licht der Leh­re der Kir­che muss alles geprüft wer­den und wird sei­nen Cha­rak­ter erwei­sen. Es ist nicht „über­heb­lich“, so vor­zu­ge­hen, wie Fran­zis­kus behaup­tet, son­dern so ist es uns gebo­ten zu unse­rem Heil und dem der gan­zen Welt.

4. Das „Vorurteil“ als Kampfbegriff gegen die Objektivität

Ein letz­tes Wort sei gegen den gedan­ken­lo­sen Ein­satz des Begrif­fes „Vor­ur­teil“ durch Papst Fran­zis­kus ein­ge­wandt: Wir mei­nen zu wis­sen, was ein „Vor­ur­teil“ ist. Bis weit ins 20. Jahr­hun­dert hin­ein hät­te nie­mand von „Vor­ur­tei­len“ gespro­chen. Er hät­te von einem „Urteil“, „Fehl­ur­teil“ oder „Irr­tum“ gespro­chen. Man hät­te einem bestimm­ten Urteil auf­grund ratio­na­ler Ein­wän­de viel­leicht nicht zuge­stimmt. Man hät­te aber nicht bestrit­ten, dass das Urtei­len, die Gewin­nung einer aus­schließ­li­chen Über­zeu­gung an sich selbst, legi­tim sei.

Was aber meint der Begriff „Vor-Urteil“, der 1954 von Gor­don All­port theo­re­tisch begrün­det wor­den sein soll und als nega­ti­ver Kampf­be­griff all­täg­lich ver­wen­det wird? [25]Vgl. https://​de​.wiki​pe​dia​.org/​w​i​k​i​/​V​o​r​u​r​t​e​i​l​#​D​e​f​i​n​i​t​i​o​nen, abge­ru­fen am 17.9.2013 Es lässt sich schnell defi­nie­ren, was die Rede von den „Vor­ur­tei­len“ meint: Wer „Vor­ur­tei­le“ hat, denkt angeb­lich abwer­tend oder dis­kri­mi­nie­rend über ande­re, liegt damit selbst­ver­ständ­lich falsch und muss zurecht­ge­wie­sen wer­den. Der Begriff ist ein ideo­lo­gi­scher Tot­schlä­ger, denn jedes Urteil kann als Vor­ur­teil zurück­ge­wie­sen wer­den. Fast jedem All­tags-Urteil haf­tet etwas Vor­läu­fi­ges an. Dar­aus ist ver­nünf­tig nicht zu schlie­ßen, dass ein sol­ches „vor­schnel­les“ Urteils falsch oder abwer­tend sein muss. Das Urteil ist sach­lich mög­li­cher­wei­se kor­rekt, aber spon­tan gefällt. Die Mög­lich­keit posi­ti­ver Vor-Urtei­le wird bezeich­nen­der­wei­se von­sei­ten der Begriffs­an­wen­der nicht in Erwä­gung gezo­gen – auch dies ein Hin­weis auf die hohe ideo­lo­gi­sche Kon­ta­mi­na­ti­on die­ses Wortes.

Und wie kann das „Vor­ur­teil“ scharf abge­grenzt wer­den von aus­rei­chend begrün­de­ten und bewuss­ten Urtei­len? Es ist unschwer zu erken­nen, dass dies nicht mög­lich ist. Nie­mand ist in der Lage, ratio­na­le, all­ge­mein­gül­ti­ge Kri­te­ri­en zu for­mu­lie­ren, nach denen ein ille­gi­ti­mes „Vor­ur­teil“ von einem legi­ti­men Urteil unter­schie­den wer­den kann. Ratio­nal lässt sich nur über die Begrün­det­heit eines Urteils entscheiden.

Längst hat sich die Rede von der Ille­gi­ti­mi­tät der Vor­ur­tei­le zum Gemein­platz auf­ge­weicht, man dür­fe über­haupt nicht urtei­len. „Urtei­len“ wird als gleich­be­deu­tend mit „ver-urtei­len“ auf­ge­fasst. Die Kri­tik­fä­hig­keit ist ver­lo­ren gegan­gen: jedes Urteil wird als ein Urteil ad per­so­nam – als nar­ziss­ti­sche Krän­kung – auf­ge­fasst, nicht mehr in der Sache, also ad rem!

Iro­nisch spre­chen wir bereits von „poli­ti­cal cor­rect­ness“, einem vor-tota­li­tä­ren gesell­schaft­li­chen Kli­ma, das nicht mehr ertra­gen will, dass jemand auf­grund ratio­na­ler Erwä­gun­gen zu uner­wünsch­ten Urtei­len kommt. In man­cher Ein­zel­fra­ge – zum Bei­spiel der nach der Homo­se­xua­li­tät – geschieht inzwi­schen in vie­len Staa­ten eine Kri­mi­na­li­sie­rung all jener, die aus wohl­erwo­ge­nen Urtei­len her­aus nicht bereit sind ein ideo­lo­gisch fun­dier­tes Urteil über das Phä­no­men zu tei­len, im Rah­men von „Anti­dis­kri­mi­nie­rungs­ge­set­zen“. Es genügt der ver­ba­le Wider­spruch, um vor ein Gericht gestellt zu werden.

Fran­zis­kus ist zu fei­ge, sich zu The­men wie dem genann­ten öffent­lich zu äußern und win­det sich wie eine Schlan­ge zwi­schen Licht und Fin­ster­nis. Er will im Licht sein und doch die Fin­ster­nis nicht brüs­kie­ren: „Wer den christ­li­chen Glau­ben lebt, flüch­tet nicht aus der Welt oder sucht irgend­ei­ne Hege­mo­nie, son­dern stellt sich in den Dienst des Men­schen; er dient dem gan­zen Men­schen und allen Men­schen, begin­nend bei den Peri­phe­rien der Geschich­te, stets erfüllt von der leben­di­gen Hoff­nung, die trotz allem zu Wer­ken des Guten drängt, und den Augen dem Jen­seits zuge­wandt.

Der Christ „ist nicht von die­ser Welt“. Sein Stre­ben ist, dass er nicht dem Men­schen, son­dern dem Herrn die­nen will. Dass der Herr, der sich zum Die­ner aller gemacht hat, auch die Sei­nen zum Dienst an allen aus­sen­det, ist wahr. Ob der Herr im Ein­zel­fall dabei „bei den Peri­phe­rien der Geschich­te“ begin­nen will, soll­ten wir IHM nicht vor­schrei­ben. War­um soll­te er nicht im Zen­trum wir­ken wollen?

War­um aber erwähnt Fran­zis­kus nicht, dass der Christ pri­mär sei­nem Herrn und erst sekun­där dem Men­schen dient? Weiß er nicht, dass die­se pri­mä­re Moti­va­ti­on erst das spe­zi­fisch Christ­li­che aus­macht und den „Dienst am Men­schen“ unter­schei­det von der Ver­göt­zung des Men­schen, der alle Welt frönt?

Ein tie­fer Seuf­zer ent­fährt mir – O, Fran­zis­kus, war­um wirfst Du Dich nicht vor IHM nie­der und flehst unse­re Mut­ter um Für­bit­te an, war­um lässt Du Dir nicht raten von klu­gen Män­nern und Frau­en, bevor Du redest oder schreibst? Was willst Du hin­ter­las­sen mit solch chao­ti­schen und fal­schen Ver­laut­ba­run­gen? Soll die Kir­che unter Dir zusam­men­sin­ken wie eine ver­mo­der­te Lei­che? Wenn ich nicht wüss­te, dass nicht Du es bist, der die Kir­che bewahrt vor den Pfor­ten der Höl­le – ich müss­te es jetzt befürchten!

O Maria!

* Han­na Jüng­ling, frei­schaf­fen­de Musi­ke­rin, Schrift­stel­le­rin und Künstlerin

Text: Han­na Jüngling
Bild: Zeit­schnur

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1 Der Text des Brie­fes an Euge­nio Scal­fa­ri, der am 11. Sep­tem­ber 2013 in der ita­lie­ni­schen Zeit­schrift „La Repubbli­ca“ erschie­nen ist, wur­de am 12.+13. Sep­tem­ber 2013 im katho­li­schen Nach­rich­ten­ma­ga­zin „Zenit“ (www​.zenit​.org/de) in einer eige­nen deut­schen Über­set­zung und auch im Ori­gi­nal ver­öf­fent­licht: https://​www​.zenit​.org/​d​e​/​a​r​t​i​c​l​e​s​/​w​a​h​r​h​e​i​t​-​i​s​t​-​e​i​n​e​-​b​e​z​i​e​h​u​n​g​-​e​r​s​t​e​r​-​t​eil und https://​www​.zenit​.org/​d​e​/​a​r​t​i​c​l​e​s​/​w​a​h​r​h​e​i​t​-​i​s​t​-​e​i​n​e​-​b​e​z​i​e​h​u​n​g​-​z​w​e​i​t​e​r​-​t​eil
Alle Zita­te aus die­sem Brief, die ich anfüh­re, stam­men aus die­ser Zenit-Übersetzung.
2 Eccle­sia­stes 3, 1+7
3 So bei­spiels­wei­se in sei­ner ersten Anspra­che nach der Papstwahl
4 Vgl. Anm. 23
5 Joh. 3, 36
6, 7 Beim Tref­fen mit japa­ni­schen Stu­den­ten – vgl. Anm. 12
8 Vgl. P. Engel­bert Reck­ten­wald: Glau­ben Chri­sten und Mus­li­me an den­sel­ben Gott? Und vgl. P. Franz Pro­sin­ger: Der­sel­be Gott? Auf www​.kath​-info​.de/​m​o​n​o​t​h​e​i​s​m​u​s​.​h​tml am 21.9.2013
9 1. Johan­nes 4,2 ff
10 Vgl. Mt. 25, 31 ff + Mt. 7, 22
11 Joh. 16, 13
12 Joh. 8, 32
13 Die­ser Text stammt von der Web­sei­te https://de.radiovaticana.va/news/2013/08/21/papst_franziskus_trifft_japanische_studenten:_%E2%80%9Enur_begegnung_bringt/ted-721447 des Inter­net­auf­tritts von Radio Vatikan
14 Offen­ba­rung 3, 15
15 Offen­ba­rung 1, 16
16 Mt. 4, 18
17 Eph. 6, 12 ff
18 Vgl. Mt. 25 31 ff oder Mt 7, 22
19 Joh. 14, 27
20 Lk. 2, 25 ff
21 Eph 5, 6–14
22 2. Kor. 6, 14
23 Lk. 2, 36
24 Lk. 2, 26+27
25 Vgl. https://​de​.wiki​pe​dia​.org/​w​i​k​i​/​V​o​r​u​r​t​e​i​l​#​D​e​f​i​n​i​t​i​o​nen, abge­ru­fen am 17.9.2013
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