(Damaskus) Washingtons Anstrengungen, zu erklären, daß die Unterstützung der „guten“ (moderaten) syrischen Rebellen mit Geld und Waffen dazu dient, um das Regime von Bashar al Assad zu besiegen und die „bösen“ (islamistischen) Rebellen aufzuhalten, zerschellen an zwei Fakten.
Fakt 1: Auch gestern kam es entlang der syrisch-irakischen Grenze zu Kämpfen von Dschihad-Milizen von Al-Qaida. Die Kämpfe fanden sowohl auf irakischem als auch syrischem Staatsgebiet statt. Die Al-Qaida-Milizen kämpften dabei nicht gegen Regierungstruppen, sondern gegen andere Rebellengruppen, die zwar gegen Assad kämpfen, aber nicht für die Errichtung des Kalifats in Syrien.
Brutale Kämpfe der Dschihadisten gegen kurdische und laizistischen Rebellen
Kämpfe wie jene gestern häufen sich seit Wochen im ganzen Land. Immer kämpfen Al-Qaida-Milizen oder Salafistenmilizen gegen Kurden im Nordosten des Landes, gegen Kampfgruppen der Freien Syrischen Armee oder andere nicht-islamistische Gruppen. Ziel ist es, jede bewaffnete Konkurrenz auszuschalten, möglichst viele von deren Kämpfern zu übernehmen und deren Gebiete unter islamistische Kontrolle zu bringen. Es gibt keinen Platz für Illusionen. Wer in Syrien Hand anlegen will, muß sich bewußt sein, daß der Kampf gegen das Regime Assad bedeutet, Al-Qaida, die Salafisten und andere Dschihadisten saudischer Prägung am Ufer des östlichen Mittelmeers an die Macht zu bringen.
Fakt 2: Die Bestätigung der beschriebenen tragischen Realität in Syrien, die jeden Levante-Romantiker entmutigen sollte, der von einem demokratischen und freien Syrien träumt, das auf das gestürzte Regime Assad folgen würde, lieferte gestern der Bericht des Instituts IHS Jane’s von London. Die Kampfgruppen, die gegen das Regime von Bashar al-Assad kämpfen, bestehen aus ungefähr 100.000 Mann, die sich nach zwei Jahren Kampf auf eine unüberschaubare Zahl von Fraktionen, Gruppen und Banden verteilen. Gut 10.000 Kämpfer sind Dschihadisten, darunter zahlreiche ausländische Kämpfer, die Al-Qaida unterstehen. Weitere 30–35.000 Kämpfer sind Islamisten. Sie unterscheiden sich von den Al-Qaida-Kämpfern lediglich dadurch, daß sie nicht internationale Kämpfer sind, sondern lediglich in Syrien operieren. Schließlich kommen noch 30.000 Kämpfer dazu, die zum größten Teil der Muslimbruderschaft angehören. Auch die verbleibenden 25.000 Kämpfer gehören nicht alle laizistischen Gruppen an, also den „guten“ Rebellen, laut US-Diktion. Zu dieser Gruppe gehören auch die kurdischen Kampfverbände, die einen nationalen Kampf für ihr Volk führen. Der Londoner Bericht photographiert die tatsächliche Lage in Syrien und demontiert damit die Rhetorik vom „Freiheitskampf“ des syrischen Volkes. Vereinfacht auf den Punkt gebracht, führen die syrischen Sunniten und eine Art von islamischer Fremdenlegion einen Dschihad gegen das laizistische Regime Assad und gegen jeden, der sich ihnen in den Weg stellt. Ihr Ziel ist die Errichtung eines islamischen Staates, in dem die Scharia gilt. So ist es bereits jetzt in einigen Teilen Syriens der Fall, die von Islamisten „befreit“ wurden. Oder um genau zu sein, geht es um die Errichtung des Kalifats.
„Aufständische werden von islamistischen Gruppen beherrscht“
„Die Aufständischen werden von islamistischen Gruppen beherrscht“, so Charles Lister, der Autor der Londoner Studie zum Daily Telegraph. Die Studie zerlegt den Traum von einer Rebellion des Arabischen Frühlings, der von laizistischen Gruppen angeführt wird. Die Studie gründet auf die Auswertung aller verfügbaren Daten und auf Gesprächen mit syrischen Aktivisten und Kämpfern.
Seit Ausbruch des Konflikt sind Hunderte von autonomen Kampfgruppen und bewaffneten Banden entstanden, die in der Regel jedoch je nach ideologischer Ausrichtung Großverbänden angehören. Zählt man die islamistischen Milizen von Al-Qaida, den Salafisten und der Muslimbrüder zusammen, dann stellt man unschwer fest, daß sie gut drei Viertel der syrischen Rebellen ausmachen. Was ihre militärische Kampfkraft anbelangt, ist ihr Anteil sogar noch größer. Sie sind dank der Waffen und der Gelder aus den arabischen Golfstaaten besser ausgerüstet und ausgestattet als die laizistischen Verbände. Die sunnitischen Golfmonarchien haben die Militärhilfe der USA und anderer westlicher Staaten geschickt den ihnen nahestehenden Milizen zukommen lassen. Sie wollen im ewigen innerislamischen Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten die Ausschaltung der „ungläubigen“ Alawiten. Sie wollen aber keineswegs eine Demokratie in Syrien, die ihrer Herrschaft gefährlich werden könnte.
Durch Petrodollars und amerikanisches Militär-Know-How dominieren zwei Al-Qaida-Ableger die Anti-Assad-Front
Durch die saudischen und katarischen Petrodollars und amerikanisches Militär-Know-How sind vor allem zwei militärische Verbände im syrischen Bürgerkrieg groß geworden, die beide mit Al-Qaida verbunden sind: Jabhat al-Nusra und der Islamische Staat des Irak und der Levante. Sie dominieren heute die Anti-Assad-Front in Syrien. Laut Lister ist ihr „Einfluß seit dem vergangenen Jahr bedeutend gewachsen“.
Unter den Waffen, die den Dschihadisten in großen Mengen geliefert wurden, scheinen auch chemische Waffen gewesen zu sein. Inzwischen sollen sogar amerikanische Militärs in einem Geheimbericht zugegeben haben, daß auch die Rebellen über chemische Kampfstoffe verfügen. Der Bericht des Geheimdienstes der US-Armee besage, daß die Terroristen von Al-Nusra über Sarin-Gas verfügen. Die Nachricht war bereits bei mehreren Gelegenheiten von den Rebellen selbst angedeutet worden. Der Bericht des National Ground Intelligence Center (NGIC) wurde von Michael Maloof in den USA auf der Internetseite wnd.com veröffentlicht. Maloof arbeitete früher als Analyst für das US-Verteidigungsministerium. Laut NGIC hätten die chemischen Waffen der Rebellen zwar nicht dieselbe tödliche Wirkung, weil sie wohl in geheimen Labors von Al-Qaida im Irak hergestellt worden seien unter Einsatz vom Chemikern, die bereits an den Programmen von Saddam Hussein für Chemiewaffen gearbeitet hätten. Es gibt allerdings auch die These, teilweise von Rebellen bestätigt, wonach die chemischen Kampfstoffe der Rebellen aus Saudi-Arabien stammten, die in Ghouta in die Luft gegangen sind. Eine These, wonach nicht-islamistischen Rebellen defekte chemische Waffen geliefert wurden. Deren Explosion sei demnach willentlich in Kauf genommen worden, um die laizistischen Rebellen zu schwächen und durch den Einsatz von chemischen Waffen die USA zu einer Militärintervention zu bewegen.
Türkei nahm Al-Nusra-Milizionären Sarin-Gas ab – Nicht nur Assad, auch Rebellen sollen chemische Waffen abgeben müssen
Im vergangenen Mai hatte das türkische Militär zwei Kilogramm Sarin Marke Eigenbau beschlagnahmt. Abgenommen wurde der chemische Kampfstoff Al-Nusra-Milizionären, die sich auf dem Weg nach Syrien befanden. Denselben Kampfstoff sollen die Dschihadisten im März in Aleppo eingesetzt und damit etwa 30 Regierungssoldaten getötet haben. Sarin-Gas ist höchstwahrscheinlich am 21. August in der Vorstadt von Damaskus explodiert. Ein Grund mehr, den Vorfall genau zu untersuchen und ihn nicht zur Grundlage für eine westliche Militärintervention zu nehmen. Abgesehen davon: Wenn Assad gezwungen wird, alle chemischen Waffen abzuliefern, dann sollte dasselbe auch von den Rebellen verlangt werden.
Text: NBQ/Giuseppe Nardi
Bild: Nuova Bussola Quotidiana